Epileptische Anfälle sind das definierende Kernsymptom von Epilepsien. Sie treten in der Regel unvorhersehbar auf, gehen häufig mit einem Kontrollverlust des Körpers einher und erhöhen das Risiko von Verletzungen und vorzeitiger Sterblichkeit. Zudem schränken rezidivierende Anfälle je nach Symptomen die Fahreignung und die Ausübung verschiedener Berufe ein, was erhebliche psychosoziale bzw. sozialmedizinische Konsequenzen haben kann. Aus allen diesen Gründen steht die Anfallskontrolle meist im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen. Darüber hinaus ist bei Menschen mit Epilepsie jedoch eine Reihe von behandelbaren Begleiterkrankungen bekannt, deren Symptome die Anfallskontrolle sowie die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität Betroffener relevant belasten können.

Komorbiditäten können als Erkrankungen definiert werden, die erst im Verlauf oder im Zusammenhang mit einer Indexerkrankung (hier: Epilepsie) auftreten [1]. Epidemiologischen Studien zufolge treten u. a. Depression und Angststörungen, Schlafstörungen, Migräne sowie kardio- und zerebrovaskuläre Erkrankungen bei Menschen mit Epilepsie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sogar häufiger auf [1,2,3]. Die mutmaßlichen Ursachen des gehäuften Auftretens verschiedener Komorbiditäten bei Epilepsie sind vielfältig und können kausaler Natur sein oder auf dem Vorhandensein gemeinsamer Risikofaktoren oder genetischer Faktoren beruhen. Beispielsweise können Krankheitsprozesse oder Läsionen in Hirnregionen (wie Amygdala und Hippokampus), die bei der Verarbeitung von Emotionen und an der Gedächtnisbildung maßgeblich beteiligt sind, zu einer Epilepsie führen und gleichzeitig negative Auswirkungen auf die Stimmung und Gedächtnisleistung haben. Aber auch epileptische Anfälle selbst oder Antikonvulsiva können Komorbiditäten mitverursachen oder aufrechterhalten. Nicht zuletzt können Komorbiditäten auch negative Auswirkungen auf die Anfallskontrolle haben.

Das vorliegende Themenheft der Zeitschrift für Epileptologie fasst in 7 Artikeln die aktuellen Kenntnisse zu häufigen Komorbiditäten bei Menschen mit Epilepsie zusammen. Zwei Arbeiten des Themenheftes beschäftigen sich mit chronobiologischen und schlafmedizinischen Aspekten bei Epilepsie. So treten epileptische Anfälle gehäuft zu bestimmten Tageszeiten und in Assoziation mit Änderungen des Vigilanzniveaus auf. In dem Artikel „Epilepsie und Chronobiologie“ fassen Katharina Grohme und Ramin Khatami Studien zu zirkadianen und schlafassoziierten Mechanismen des zeitlichen Auftretens epileptischer Anfälle zusammen und erklären, wie Kenntnisse darüber zur Diagnostik und Therapie von Epilepsieerkrankten beitragen kann. In dem Artikel „Schlaf und Epilepsie“ erklärt Johannes Schiefer differenzialdiagnostische Kriterien typischer Schlafstörungen und betont, dass bei Vorliegen eines nicht erholsamen Schlafes oder bei vermehrtem Auftreten nächtlicher epileptischer Anfälle dezidiert nach schlafmedizinischen Komorbiditäten gefahndet werden sollte.

Kognitive und psychiatrische Komorbiditäten bei Epilepsie sind von hoher klinischer Relevanz, da sie auch unabhängig von der Epilepsie einen starken Einfluss auf die Lebensqualität haben. Der bidirektionale Zusammenhang zwischen Epilepsie, Kognition und Verhalten ist gut belegt. In dem Artikel „Neuropsychologische Diagnostik bei Epilepsie – Fortschritte und aktuelle Entwicklungen“ legen Julia Taube, Juri-Alexander Witt und Christoph Helmstaedter dar, wie neuropsychologische Test- und Therapieverfahren zur Diagnostik und Therapie kognitiver Leistungsdefizite beitragen können.

Depression ist neben der Angsterkrankung die häufigste Komorbidität bei Menschen mit Epilepsie. Bei Auftreten dieser Komorbidität ist die Lebensqualität signifikant reduziert und das Risiko für Suizidalität drastisch erhöht. Trotzdem wird Depression bei Epilepsie häufig nicht erkannt. In dem Artikel „Komorbidität Depression bei Epilepsie“ erläutert Tim von Oertzen u. a. diagnostische Screeningverfahren und adäquate Therapieoptionen.

Die Prävalenz von Kopfschmerzerkrankungen in der Allgemeinbevölkerung liegt weltweit bei 50–60 %. Bei Menschen mit Epilepsie sind in diesem Zusammenhang jedoch einige Aspekte hervorzuheben, die in dem Artikel „Kopfschmerzen bei Epilepsie“ von Ummehan Ermis und Rainer Surges erklärt werden.

In dem Artikel „Hormon- und Sexualstörungen bei Epilepsie“ beschreibt Gerhard Luef die komplexen Interaktionen zwischen Antikonvulsiva und dem reproduktiven System sowie die daraus resultierenden reproduktiven endokrinen Störungen bei Frauen und Männern mit Epilepsie.

Schließlich fassen Daniel Nass, Christian Elger und Rainer Surges in ihrem Artikel „Kardiale und zerebrovaskuläre Erkrankungen bei Epilepsie – Ursachen, Zusammenhänge und Folgen“ den aktuellen Kenntnisstand über die wechselseitigen Einflüsse von Epilepsie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammen. Dabei werden u. a. auch die Einflüsse von Antikonvulsiva und epileptischen Anfällen auf kardiovaskuläre Funktionen einerseits und primäre Synkopen als wichtige Differenzialdiagnose zu epileptischen Anfällen andererseits diskutiert.

Wir bedanken uns bei den Autorinnen und Autoren herzlich für die sehr gelungenen Beiträge und hoffen, Ihnen durch die Lektüre des vorliegenden Themenheftes neue und v. a. praxisrelevante Aspekte verschiedener Komorbiditäten bei Epilepsie vermitteln zu können.

Rainer Surges und Tim von Oertzen