FormalPara Originalpublikation

Saleh RNM et al (2023) Hormone replacement therapy is associated with improved cognition and larger brain volumes in at-risk APOE4 women: results from the European Prevention of Alzheimer’s Disease (EPAD) cohort. Alzheimers Res Ther 15(1):10

FormalPara Hintergrund.

Frauen erkranken häufiger an einer Alzheimer-Demenz. Eine 65-jährige Frau hat ein Risiko von 1:6, im weiteren Leben eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln (Mann 1:11). Das Risiko, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken, ist bei Frauen in den 60ern doppelt so hoch wie das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Die kognitive Beeinträchtigung bei M. Alzheimer ist bei Frauen signifikant stärker ausgeprägt als bei Männern. Es gibt verschiedene Erklärungen für den Geschlechtsunterschied, darunter Unterschiede in der kognitiven Reserve, der Resilienz sowie der Genetik (Apolipoprotein[Apo] E4; [1]. Das APOE-Gen ist in Abhängigkeit von der Allelkonstellation (E2, E3 und E4) ein Risikofaktor für die Alzheimer-Demenz. E3 ist die häufigste Variante. E4 ist mit einem erhöhten Risiko für eine Alzheimer-Demenz assoziiert. Heterozygote Träger mit der Allelkombination E3/4 (ca. 20–25 % der Bevölkerung) haben ein ca. 3-fach erhöhtes Lebenszeitrisiko für eine Demenz im Vergleich zu E3/3-Trägern (ca. 60 % der Bevölkerung). Homozygote E4/4-Träger (ca. 2 % der Bevölkerung) haben ein bis zu 10-fach erhöhtes Risiko, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken. Hetero- oder homozygote E2-Träger mit den Kombinationen E2/3 und E2/2 (zusammen ca. 5 % der Bevölkerung) haben ein geringeres Erkrankungsrisiko. Bisherige Studien zum Einsatz einer Hormonersatztherapie (HRT) zur Prävention einer Alzheimer-Demenz sind widersprüchlich. Ziel der vorliegenden Studie war es, die modulierende Rolle des APOE-Genotyps und des Alters bei Beginn der HRT auf die Heterogenität der kognitiven Reaktion auf die HRT zu untersuchen [2].

FormalPara Zusammenfassung.

Die prospektive Kohortenstudie European Prevention of Alzheimer’s Dementia (EPAD) begann im Jahr 2015. Ihr Hauptziel ist die Entwicklung von Längsschnittmodellen über den gesamten Verlauf der Alzheimer-Krankheit. Es wurden nur Personen über 50 Jahre und ohne Demenzdiagnose bei Studienbeginn eingeschlossen. Für die vorliegende Analyse wurden die Baseline-Daten der Teilnehmerinnen der EPAD-Kohorte verwendet (insgesamt n = 1906, Frauen = 1074, 56,3 %). Mithilfe von ANCOVA-Modellen wurde der unabhängige und interaktive Einfluss des APOE-Genotyps und der HRT auf ausgewählte kognitive Tests wie Mini-Mental State Examination (MMSE), Repeatable Battery for the Assessment of Neuropsychological Status (RBANS), Four Mountain Test (FMT) und Supermarktwagentest (SMT) sowie auf das Volumen des medialen Temporallappens (MTL) mittels MRT untersucht. Mithilfe multipler linearer Regressionsmodelle wurde der Einfluss des Alters bei Beginn der HRT entsprechend dem APOE4-Trägerstatus auf die genannten kognitiven und MRT-Ergebnisse untersucht. Die Teilnehmerinnen waren im Mittel 65 Jahre alt. 399 (37,2 %) waren APOE4-Mutations-Trägerinnen. Diese unterschieden sich nicht im Hinblick auf Bildungsgrad, Ehestatus und Prävalenz kardiovaskulärer Medikation von den Nicht-APOE4-Mutations-Trägerinnen. Die Mehrheit der Gesamtkohorte (ca. 92 %) hatte nie eine HRT angewendet. Die verbliebenen HRT-Anwenderinnen (n = 83) hatten die HRT im Mittel mit 56 Jahren gestartet und diese für durchschnittlich 7,5 Jahre angewendet. APOE4-Mutations-Trägerinnen mit HRT (n = 31) hatten den höchsten (= besten) RBANS-Index für verzögertes Gedächtnis (P-APOE*HRT-Interaktion = 0,009) im Vergleich zu APOE4-Mutations-Trägerinnen ohne HRT bzw. Nicht-APOE4-Mutations-Trägerinnen sowie um 6–10 % größere entorhinale (links) und Amygdala-Volumina (rechts und links; P‑Interaktion = 0,002, 0,003 bzw. 0,005). Ein früher HRT-Start war nur bei APOE4-Mutations-Trägerinnen mit signifikant größeren rechten und linken Hippocampus-Volumina verbunden. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine HRT möglicherweise eine wirksame gezielte Strategie sein könnte, um das höhere Lebenszeitrisiko einer Alzheimer-Demenz in der Risikogruppe der APOE4-Mutations-Trägerinnen zu reduzieren. Sie schränken jedoch ein, dass eine Bestätigung der Ergebnisse in einer randomisiert-kontrollierten Studie mit prospektiver Rekrutierung auf der Grundlage des APOE-Genotyps erforderlich sei, um die Kausalität festzustellen.

Kommentar

Nur Frauen mit einem erhöhten genetischen Risiko haben also offenbar von der HRT bezüglich ihrer Hirnleistung profitiert. Das ist durchaus plausibel, da APOE4-Mutations-Träger früher von einem kognitiven Verfall betroffen sind. Positive Effekte einer HRT machen sich hier vermutlich eher bemerkbar als bei Personen mit besserer genetischer Ausstattung, bei denen ein kognitiver Verfall per se unwahrscheinlicher ist. Die schützenden Effekte der Hormone auf das Gehirn wirken sich offenbar v. a. in einem günstigen Zeitfenster aus. Diese Hypothese besagt, dass das Hirn „unempfindlicher“ gegenüber exogenen Hormonen wird, wenn die körpereigene Hormonproduktion länger zurückliegt. Wird eine HRT dagegen zeitnah nach der Menopause gestartet, kann sie positive Effekte auf das Gehirn haben. Die Frage ist naheliegend, ob alle Frauen nun auf eine APOE4-Mutations-Trägerschaft getestet werden sollten. Da der Gentest nur eine Sensitivität bzw. Spezifität von 65 % bzw. 68 % besitzt, lautet die Antwort „nein“. Abgesehen davon hat die Studie einige Schwächen: 1) Die Daten wurden retrospektiv analysiert. Somit bleibt unklar, ob die APOE4-Mutations-Trägerinnen aufgrund der HRT besser abschnitten oder aufgrund anderer, nicht erfasster, Faktoren. 2) Die Fallzahl der HRT-Anwenderinnen in der Gruppe der APOE4-Mutations-Trägerinnen ist sehr klein (n = 31). 3) Es werden keine genauen Angaben zu den HRT-Präparaten gemacht. Was kann frau also in der Zwischenzeit unternehmen, um ihr Alzheimer-Demenz-Risiko klein zu halten? Empfohlen werden folgende Maßnahmen: auf gute Bildung achten, kognitive und körperliche Aktivität, Nikotinstopp, Vermeiden bzw. Therapie von Adipositas, Depression, Stress, Diabetes mellitus, Kopftrauma, Bluthochdruck, Alkoholkonsum reduzieren, Hörprobleme beseitigen und soziale Kontakte suchen [3].