FormalPara Kommentar zum Beitrag

Kyvernitakis I, Hadji P (2016) Postmenopausale Osteoporose. S‑III-Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie. Gynäkologische Endokrinologie 14. doi:10.1007/s10304-016-0074-2

Anhang für Leser aus Österreich und der Schweiz

Die vorliegende CME-Fortbildung „Postmenopausale“ Osteoporose von Kyvernitakis und Hadji ist äußerst kompetent abgefasst. Sie ist, wie dies von ihr auch verlangt wurde, auf Deutschland ausgerichtet, eine Bedingung, die sie perfekt erfüllt. Wegen anderer nationaler Empfehlungen ist aber die volle Anwendbarkeit einiger weniger Aussagen in den beiden anderen deutsch sprechenden Nachbarländern nicht gegeben. Diese Punkte sind damit außerhalb von Deutschland auch in den nationalen Fach- und CME-Prüfungen nicht anwendbar.

Da sich nun die Leser der „Gynäkologischen Endokrinologie“ aus Österreich und der Schweiz bei ihrer Aus- und Weiterbildung an ihre eigenen Empfehlungen halten müssen, seien die beiden relevanten Unterschiede zwischen den in Deutschland geltenden Leitlinien und den andernorts erlassenen Empfehlungen hier kurz dargelegt.

Es handelt sich dabei einerseits um die Anwendung von FRAX® zur Evaluation des Frakturrisikos und zur Ermittlung der Interventionsschwelle und andererseits um den Stellenwert der menopausalen Hormontherapie (MHT) zur Frakturprävention.

Stellenwert von FRAX®

In Österreich und in der Schweiz wird dem Tool FRAX® zur Beurteilung des Frakturrisikos und der Therapieindikation ein größeres Gewicht beigemessen. Da dieser auch international von der IOF hervorgehobene praxisrelevante Aspekt in den Leitlinien des DVO etwas zu kurz kommt, sei er hier nachgetragen.

Der dazu beigezogene österreichische Konsens „Osteoporose – Prävention & Therapie“ stammt aus dem Jahre 2011 [1], die schweizerischen „Empfehlungen 2015 Osteoporose – Prävention – Diagnostik – Behandlung“ aus dem Sommer 2015 [2].

Evaluation des Frakturrisikos

Die Evaluation des individuellen Frakturrisikos kann mit dem „WHO Fracture Risk Assessment Tool“ (FRAX®) erfolgen [2]. Seit 2009 sind dazu nationale Risikoberechnungen basierend auf den jeweils eigenen epidemiologischen Daten von Österreich, der Schweiz und auch von Deutschland verfügbar.

Die Evaluation des 10-Jahres-Frakturrisikos mit FRAX® basiert auf dem Alter und folgenden Risikofaktoren [2]:

  • bereits erlittene Fraktur,

  • proximale Femurfraktur eines Elternteils,

  • Nikotinkonsum/Alkoholkonsum,

  • BMI ≤ 20,

  • Glukokortikoidtherapie,

  • rheumatoide Arthritis,

  • andere sekundäre Ursache für Osteoporose,

  • DXA-Knochenmineralgehaltswerte am Femurhals (das Risiko kann auch ohne Knochenmineralgehaltswerte berechnet werden!).

Bei der Berechnung des Frakturrisikos nach FRAX® sind erhöhte Knochenabbauraten, Stürze und eingeschränkte Mobilität nicht berücksichtigt.

FRAX® ist nur ab einem Alter ≥40 Jahre anwendbar.

Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis, einer Glukokortikoidtherapie und Diabetes mellitus Typ II, bei denen das Frakturrisiko unabhängig von der Knochendichte erhöht ist, wird das Frakturrisiko bei den anderen sekundären Ursachen vorwiegend durch die Knochenmineralgehaltswerte determiniert.

Anpassung des Frax®

Diskrepanz der Knochenmineraldichte zwischen LWS und proximalem Femur

Der gewichtete Mittelwert zwischen den T‑Scores der Wirbelsäule und des Schenkelhalses verbessert die Risikoprädiktion leicht. Jede T‑Score-Diskordanz zwischen Wirbelsäule und dem proximalen Femur verändert das Risiko um 10 %. Damit kann man das Risiko, das mit dem FRAX® für die Hauptosteoporosefrakturen errechnet wird, um ein Zehntel für jede T‑Score-Differenz von 1 SD (Standard Deviation) zwischen der Wirbelsäule und dem Schenkelhals korrigieren [2].

Anpassung an die Glukokortikoiddosis

Die nötige Anpassung von FRAX® an die verwendete Dosis bei Patientinnen unter Glukokortikoiden ist auf Tab. 1 aufgeführt.

Tab. 1 Anpassung der Glukokortikoiddosis [2]

Indikation für eine medikamentöse Intervention

  1. A.

    Bereits erlittene Fraktur

    • Wirbelfraktur oder Fraktur des proximalen Femurs,→ spezifische medikamentöse Therapie,

    • Periphere Fraktur nach Bagatelltrauma,→ Evaluation des Frakturrisikos mit FRAX® und Intervention, basierend auf dem absoluten Frakturrisiko.

  2. B.

    Ohne Frakturen

    • Eine medikamentöse Therapie wird empfohlen, wenn das auf der Grundlage der derzeit verfügbaren epidemiologischen Daten geschätzte absolute 10-Jahres-Risiko für eine osteoporotische Fraktur dem absoluten Risiko einer Person gleichen Alters mit prävalenter Fraktur entspricht oder der T‑Score −2,5 (LWS oder Femur) beträgt (siehe Abb. 1; Tab. 2).

Abb. 1
figure 1

Interventionsschwelle zur medikamentösen Therapie in Abhängigkeit vom 10-Jahres-Frakturrisiko und dem Patientenalter [2]

Tab. 2 10-Jahres-Frakturrisikoa für Hauptfrakturen in Abhängigkeit vom Alter [2]

Stellenwert der MHT zur Frakturprävention

Im Gegensatz zu den DVO-Leitlinien besteht in der Schweiz keine Einschränkung, dass die Prävention oder Behandlung der Osteoporose mit der MHT (früher HET = Hormonersatztherapie) nur bei postmenopausalen Frauen mit hohem Risiko zugelassen ist, die eine Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegenüber anderen zur Osteoporoseprävention zugelassenen Medikamenten aufweisen. Die MHT kann nach den geltenden Empfehlungen in Österreich und in der Schweiz auch bei symptomfreien Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko (FRAX®) eingesetzt werden („Aktuelle Empfehlungen zur menopausalen Hormontherapie (MHT)“, 2015 [3]; Hormonersatztherapie – österreichisches Konsensuspapier [4]):

  • Unter einer MHT sinkt das osteoporosebedingte Frakturrisiko an allen Lokalisationen signifikant um 25–40 % (mittlere Dosierung; NNT = 7). Bei erhöhtem Frakturrisiko (FRAX®) ist die MHT daher auch bei symptomfreien Frauen eine Therapie der ersten Wahl.

  • Eine MHT trägt zum Erhalt von Höhe und Turgor der Zwischenwirbelscheiben bei (senkt Frakturrisiko zusätzlich).

  • Für niedrig und ultraniedrig dosierte MHT-Präparate fehlen Frakturdaten.

  • Der Beginn einer MHT zum alleinigen Zweck der Prävention von Frakturen nach dem 60. Lebensjahr wird nicht empfohlen. Hingegen kann eine individualisierte MHT allein zur Frakturprävention über das 60. Lebensjahr hinaus fortgesetzt werden, sofern die möglichen langfristigen Vorteile und Risiken im Vergleich zu den alternativen nicht hormonellen Therapien berücksichtig sind

  • Bei manifester Osteoporose (mit Fraktur) ist eine spezifische Behandlung erforderlich (z. B. mit Bisphosphonaten, SERMs, Denusomab, Teriparatid), deren Langzeiteffekte bei einem Therapiebeginn unter dem Alter von 60 Jahren jedoch noch nicht hinreichend untersucht sind.

  • Bei früher Menopause (vor 45 Jahren) und bei prämaturer Ovarialinsuffizienz (vor 40 Jahren) kann eine MHT in mittlerer Dosierung die Knochendichte erhalten und ein erhöhtes Frakturrisiko verhindern.

  • Tibolon senkt ab einer Dosis von 1,25 mg/Tag bei Frauen über 60 Jahren signifikant das Risiko von vertebralen und nicht vertebralen Frakturen.

Diese im Vergleich zur DVO weitergefassten Empfehlungen gehen von folgenden Voraussetzungen aus:

  • Jede MHT braucht eine Indikation und muss individualisiert sein.

  • Vor Beginn der MHT soll die Ärztin/der Arzt die Patientin ausführlich über die Auswirkungen eines Östrogenmangels, die praktischen Möglichkeiten zu deren Behandlung und den Nutzen und die Risiken einer MHT aufklären. Innerhalb des „günstigen Fensters“ (Beginn der MHT innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Menopause resp. vor dem 60. Altersjahr) übersteigt der Nutzen die Risiken. Jede MHT muss jährlich reevaluiert werden.

  • Es ist nicht notwendig und sinnvoll, die Anwendungsdauer der MHT willkürlich zu beschränken.

  • Die zur MHT verwendeten Präparate weisen unterschiedliche Risiken und Nutzen auf. Insbesondere für Gestagene ist der Begriff „Klasseneffekt“ wegen ihrer stark unterschiedlichen Partialwirkungen verwirrend und falsch.

  • Bei frühem Beginn nach der Menopause kann eine individualisierte MHT in mittlerer und niedriger Dosierung bei gesunden Frauen als sicher eingestuft werden.