Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist gesetzlich verpflichtet, eine Richtlinie zur Ersteinschätzung und Weiterleitung von Hilfesuchenden mit weniger dringlichen Behandlungsanlässen in die vertragsärztliche Versorgung vorzulegen. Dies umfasst die Steuerung in Notdienstpraxen auf dem Klinikgelände zu deren Besetztzeiten und in Kooperationspraxen (KP) außerhalb des Klinikgeländes zu den allgemeinen Praxisöffnungszeiten. Insbesondere zur Steuerung in KP besteht in Deutschland und international wenig publizierte Evidenz. Die vorliegende Machbarkeitsstudie am Standort Rosenheim erprobte eine erweiterte Ersteinschätzung und den Einsatz eines digitalen Kapazitätsnachweises als Grundlage der Steuerung in KP. Sie liefert erste Hinweise auf Akzeptanz und Umsetzbarkeit einer solchen Weiterleitung unter Alltagsbedingungen.

Die Inanspruchnahme der Notaufnahmen durch Hilfesuchende mit weniger dringlichen Behandlungsanlässen gilt international und in Deutschland als ein Faktor, der zur Überlastung von Notaufnahmen beiträgt [1, 2]. Diese Patientengruppe beansprucht Notaufnahmeressourcen im vergleichbaren Zeitumfang wie Notfälle [3]. Ein Mangel an Versorgungsressourcen wird mit nachteiligen Auswirkungen für kritische Patienten assoziiert [4].

In Reaktion auf die Überfüllung von Notaufnahmen hat der G‑BA in Umsetzung des Gesetzauftrags gemäß § 120 Abs. 3b SGB V im Juli 2023 Vorgaben zur Ersteinschätzung in Notaufnahmen und zur Weiterleitung weniger dringlicher Hilfesuchender in die vertragsärztliche Versorgung beschlossen [5]. Die Richtlinie wurde im September durch das Bundesministerium für Gesundheit beanstandet (Der G‑BA hat im Oktober 2023 Klage gegen die Beanstandung eingereicht). Durch die Eckpunkte zur Notfallreform vom 16.01.2024 wird jedoch erkennbar, dass der Auftrag des G‑BA beibehalten und erweitert werden soll.

Um Machbarkeit und Akzeptanz einer solchen Ersteinschätzung und Weiterleitung zu untersuchen, entstand parallel zu den G‑BA-Beratungen das Projekt DispoAkut. International liegen bislang nur wenige Studienergebnisse zur Weiterleitung weniger dringlicher Hilfesuchender vor [6,7,8,9,10,11].

Methodik

Studienhintergrund

Die vorliegende Machbarkeitsstudie ist Teil des multizentrischen DispoAkut-Projekts. Das Projekt untersucht die Machbarkeit und Akzeptanz einer Weiterleitung von Hilfesuchenden mit weniger dringlichen Anliegen in ambulante Einrichtungen. Im Studienkontext finden zwei digitale Systeme zur Anmeldung von Patienten in KP Anwendung: IVENA eHealth der mainis IT GmbH, Frankfurt, wird von Rettungsdiensten vielerorts regelhaft zur Anzeige von verfügbaren Notaufnahme-Ressourcen in Echtzeit eingesetzt und im Rahmen der Studie um vertragsärztliche Ressourcen ergänzt. Der eTerminservice der kv.digital GmbH, Berlin, wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) genutzt, um Hilfesuchenden Termine bei Haus‑/Fachärzten und Psychotherapeuten zu vermitteln. Für die Studie werden darüber Akuttermine für Notaufnahmepatienten gebucht. Am Modellstandort Rosenheim, auf den sich die folgenden Ergebnisse beziehen, wurde zur Anmeldung der weitergeleiteten Patienten in KP nur IVENA eHealth genutzt. Am Standort Rosenheim waren das RoMed Klinikum Rosenheim, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) beteiligt.

Studiensetting

Die Zentrale Notaufnahme (ZNA) des RoMed Klinikums Rosenheim hat ein jährliches Patientenaufkommen von ca. 38.000 Erwachsenen und nimmt an der umfassenden Notfallversorgung teil. An der ZNA besteht eine Bereitschaftspraxis der KV Bayerns. Die KP befanden sich in einem Umkreis von 4 km um das Klinikum. Insgesamt beteiligten sich acht Praxen der Fachrichtungen Allgemeinmedizin (4), Orthopädie/Unfallchirurgie (2), Augen- (1) und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (1) an der Studie.

Studienablauf

Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte zu den allgemeinen Praxisöffnungszeiten Mo., Di. und Do. von 8 bis 17 Uhr sowie Mi. und Fr. von 8 bis 15 Uhr. Die Endzeiten wurden jeweils eine Stunde vor Öffnung der KV-Bereitschaftspraxis in unmittelbarer Nähe der ZNA bestimmt. Eingeschlossen wurden erwachsene Personen, die sich selbstständig in der ZNA des RoMed Klinikums Rosenheim vorstellten und deren Beschwerden durch Fachpersonen des Klinikums den Kategorien blau oder grün des Manchester Triage Systems (MTS) zugeordnet wurden. Nicht eingeschlossen wurden Selbstzahler, Berufsgenossenschaftsfälle, von Niedergelassenen eingewiesene sowie durch den Rettungsdienst eingelieferte Patienten sowie Patienten ohne ausreichende Deutschkenntnisse oder festen Wohnsitz. Fehlende Einwilligungsfähigkeit (demenzielles Syndrom etc.) und gynäkologische Beschwerden führten ebenfalls zum Ausschluss.

Das Konzept des MTS ist nach aktueller Studienlage nicht zur Weiterleitung von Patienten in ambulante Versorgungsstrukturen geeignet [12, 13]. Nach Ermittlung der Behandlungsdringlichkeit wurden Patienten deshalb – nach Aufklärung und schriftlicher Einwilligung – in einem zweiten Schritt durch eine Fachkraft der KV Bayerns in separaten Räumlichkeiten der ZNA mithilfe der Strukturierten medizinischen Ersteinschätzung (SmED) eingeschätzt. SmED ist ein Medizinprodukt der Klasse IIb MDR und wurde dafür entwickelt, medizinische Fachkräfte anhand strukturierter Abfrage bei der Beurteilung der Behandlungsdringlichkeit und der Versorgungsebene zu unterstützen [14]. SmED wird bundesweit zur telefonischen Ersteinschätzung in den Servicestellen der KVen eingesetzt. In diesem Kontext wurden seit Januar 2020 bereits rund 5,5 Mio. telefonische Ersteinschätzungen vorgenommen [15]. Die angewendete Konfiguration SmED Kontakt + für den Einsatz in ZNA wird derzeit in einer Patientensicherheitsstudie evaluiert [16]. Die Eignung einer gestuften Ersteinschätzung aus MTS und SmED wurde in einer Vorgängerstudie untersucht [17].

Studienteilnehmer mit einer SmED-Empfehlung für die vertragsärztliche Versorgung erhielten das Angebot zur Vermittlung in eine KP (innerhalb von max. 5 h). Nach erneuter Einwilligung meldeten Fachkräfte der KV Bayerns die Patienten via IVENA eHealth (und im Studienkontext zusätzlich telefonisch) in der KP an. Nach digitaler Bestätigung der Anmeldung durch die KP begaben sich die Patienten selbstständig dorthin. Ihre Ankunft wurde in IVENA eHealth dokumentiert bzw. in wenigen Fällen telefonisch erfragt. Bei einer SmED-Empfehlung für die Notaufnahme, fehlenden Terminkapazitäten oder dem Wunsch der Patienten nach einer Versorgung in der Klinik verblieben die Patienten in der ZNA.

Zum Studienende erfolgte eine anonyme Online-Befragung unter Anwendern der KP und KV Bayerns zur Machbarkeit und Akzeptanz der Patientenweiterleitung (siehe Anhang).

Datenerhebung und -auswertung

Für die Auswertung wurden Daten aus dem Krankenhausinformationssystem, SmED und IVENA eHealth herangezogen. Informationen zum Versorgungsverlauf weitergeleiteter Patienten wurden über Rückmeldebögen erfasst. Die Befragung der Praxis- und KV Bayerns-Mitarbeiter erfolgte über das Online-Umfrage-Tool LimeSurvey GmbH, Hamburg. Verlaufswege und klinische Unterlagen potenziell gefährdeter Patienten (Wiedervorsteller/stationäre Fälle) wurden durch einen Facharzt mit Zusatzqualifikation in klinischer Notfall- und Akutmedizin bewertet.

Die deskriptive Analyse der Daten erfolgte mittels IBM SPSS Statistics für Windows Version 28.

Ethikvotum

Für die Studie liegt ein positives Votum der Ethik-Kommission der Bayerischen Landesärztekammer vor (Nr. 22110). Die Studie ist im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00030293).

Ergebnisse

Studienpopulation

Im Zeitraum vom 24. April bis 21. Juli 2023 suchten n = 8868 Hilfesuchende die ZNA am RoMed Klinikum auf. N = 560 Patienten entsprachen zu Studienzeiten den Ein- und Ausschlusskriterien. N = 208 Patienten wurden zwecks Studienteilnahme angesprochen, 7,2 % (95 KI%-KI 3,7–10,7) lehnten ab. Gründe für eine Ablehnung wurden nicht erhoben. N = 193 Hilfesuchende wurden in die Studie eingeschlossen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm Studieneinschluss. ZNA Zentrale Notaufnahme, MTS Manchester Triage System, SmED Strukturierte medizinische Ersteinschätzung, BG Berufsgenossenschaftsfälle

45,1 % der Patienten (95 %-KI 38,1–52,1) waren männlich, das Durchschnittsalter betrug 45,8 Jahre ± 19,5 Jahre. Die meisten Patienten wiesen Verletzungen sowie Kopf- oder Bauchschmerzen auf (Tab. 1).

Tab. 1 Demografische und medizinische Charakteristika

Verlaufswege

Weiterleitung in die ZNA

Nach Einschätzung mit SmED wurden 11,4 % (95 %-KI 6,9–15,9) der Patienten an die ZNA des RoMed Klinikums verwiesen (Abb. 2). Von diesen Fällen wurden 19 ambulant und ein Fall mit Ausschluss Hämoptysen stationär versorgt, zwei Patienten verließen die ZNA vor Arztkontakt. Gesundheitliche Probleme ambulant behandelter Patienten waren v. a. Verletzungen an Extremitäten und kardiopulmonale Beschwerden. Die Einschätzung mit SmED dauerte im Durchschnitt 3,3 min (SD: 2,7 min; Median: 2,6 min).

Abb. 2
figure 2

Verlaufswege. ZNA Zentrale Notaufnahme, KP Kooperationspraxis. (Eigene Darstellung)

Angebot zur Terminvermittlung

88,6 % der Studienteilnehmer (95 %-KI 84,1–93,1) erhielten das Angebot zur Terminvermittlung im vertragsärztlichen Bereich. Davon wollten 15,2 % (95 %-KI 9,8–20,6) in der ZNA verbleiben. Gründe wurden nicht erhoben. Weiteren 17 % (95 %-KI 11,4–22,6) konnte keine KP vermittelt werden, da entsprechende Fachrichtungen nicht zur Verfügung standen. Dies betraf insbesondere orthopädische und chirurgische Praxen an Mittwoch- und Freitagnachmittagen. Diese Patienten wurden weitestgehend ambulant in der ZNA versorgt. Zwei Patienten verließen die Klinik vor Arztkontakt. Drei der 29 Patienten wurden stationär aufgenommen (Tab. 2). Bei keinem davon wäre bei Steuerung in die vertragsärztliche Versorgung von einer Gefährdung ausgegangen worden.

Tab. 2 Stationär versorgte Patienten ohne Terminangebot

Weiterleitung in Praxen

Von insgesamt 193 Studienteilnehmern wurden 60,1 % (95 %-KI 53,2–67,0) an KP vermittelt und 56 % (95 %-KI 49,0–63,0) abschließend in diesen versorgt. Häufig in Anspruch genommene Fachrichtungen waren die Allgemeinmedizin (44,7 %) und Orthopädie (45,7 %). Weniger häufig wurden Patienten in Praxen der Augen- (4,8 %) und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (4,8 %) weitergeleitet. Vom Eintrag im KIS bis zur Ankunft der Patienten in einer KP dauerte es im Durchschnitt 1:17 h (SD: 1 h 10 min; Median: 46 min).

Wiedervorstellung in der ZNA

6,9 % der an KP vermittelten Patienten (95 %-KI 2,3–11,5) stellten sich selbst oder mit Einweisung innerhalb von drei Tagen erneut in einer ZNA der vier RoMed Kliniken vor (Tab. 3). Nach Bewertung durch einen Facharzt mit Zusatzqualifikation in klinischer Notfall- und Akutmedizin lag bei keinem der am selben Tag eingewiesenen Fälle eine Gefährdung vor. Die erneute Ersteinschätzung war unverändert. Die Rückweisung aus dem vertragsärztlichen Bereich erfolgte zumeist nicht aus medizinischen, sondern aus logistischen Gründen (fehlendes spezielles Verbandsmaterial, IV-Antibiotikatherapie). Im Intervall wieder vorgestellte Patienten kamen aus eigenem Antrieb, aufgrund der Verschlechterung von Beschwerden, neuer Befunde oder elektiver Versorgung.

Tab. 3 Wiedervorstellende in der ZNA

Anwendersicht

Die Befragung der Anwender erfolgte vom 3. bis 30. Juli 2023. Insgesamt nahmen elf Praxis- und vier KVB-Mitarbeiter teil. 93,3 % (95 %-KI 91,1–95,5) Anwender waren mit der Funktionsweise von IVENA eHealth zufrieden. Mehrheitlich bedeutete die Arbeit mit IVENA eHealth für Anwender aus Praxen keine Mehrbelastung im Hinblick auf den Praxisablauf oder das Patientenaufkommen. Fachkräfte der KVB bewerteten die Terminvereinbarung mittels IVENA eHealth einheitlich als problemlos und zeiteffizient. Bis auf einen Teilnehmer der KP bzw. KV Bayerns waren alle Anwender der Ansicht, dass Patienten die Weiterleitung im Allgemeinen gut annahmen.

Diskussion

Fast 90 % der 193 Studienteilnehmer erhielten nach Einschätzung mit SmED das Angebot zur Terminvermittlung in der vertragsärztlichen Versorgung. Knapp 56 % konnten dort abschließend behandelt werden. Von 171 Patienten, denen ein Termin angeboten wurde, wollten 15,2 % (95 %-KI% 9,8–20,6) in der ZNA verbleiben. 17 % der Patienten (95 %-KI 11,4–22,6) konnten nicht unmittelbar in eine KP vermittelt werden. 6,9 % (95 %-KI 2,3–11,5) der in Praxen weitergeleiteten Patienten stellten sich selbstständig oder mit Einweisung erneut in der ZNA vor. Die Anwender waren im Allgemeinen mit dem Einsatz von IVENA eHealth zufrieden und vernahmen eine Akzeptanz der Patienten gegenüber der Weiterleitung.

Entlastung der ZNA

Von allen Hilfesuchenden, die zu Studienzeiten die ZNA aufsuchten, betrug der Anteil an weitergeleiteten Patienten 1,3 %, der Anteil an allen Selbsteinweisern zu Studienzeiten betrug 8,2 %. Andere Studien zur Weiterleitung weniger dringlicher Hilfesuchender berichten von 3 bis 7 %, wobei die Übertragbarkeit aufgrund unterschiedlicher Konzepte begrenzt ist (z. B. Rekrutierung am Wochenende) [6,7,8].

Es stellt sich die Frage, ob mehr Patienten an ambulante Einrichtungen vermittelt werden könnten und welche Ursachen dem begrenzten Entlastungspotenzial zugrunde liegen. So wurden Ausschlusskriterien im Studienkontext eng gefasst und einzelne Beschwerden oder Versichertengruppen nicht berücksichtigt. Patienten mit chronischen Krankheiten zeigten sich in anderen Studien als weniger weiterleitungsfähig [18] und die Zumutbarkeit der Weiterleitung zum Teil als Einzelfallentscheidung. Im Rahmen dieser Studie entschied das Fachpersonal ressourcenbedingt z. B. aufgrund erforderlicher Bildgebung oftmals zugunsten der ZNA, obgleich diese grundsätzlich auch im ambulanten Bereich hätte erfolgen können. In Folgestudien könnte geprüft werden, ob eine laufende Darstellung vertragsärztlicher Kapazitäten in IVENA eHealth mehr Weiterleitungsoptionen schaffen könnte. Fast einem Fünftel der Studienteilnehmer konnte kein Termin angeboten werden, da mittwoch- und freitagnachmittags Ressourcen v. a. in orthopädischen/unfallchirurgischen Praxen fehlten. Neben der Einbindung einer ausreichenden Anzahl entsprechender Praxen könnten gegen Ende allgemeiner Praxisöffnungszeiten auch Notdienstpraxen eingebunden werden. Der Anteil von Patienten, die eine Studienteilnahme ablehnten, ist im Vergleich zu anderen Untersuchungen geringer [9, 11]. Die Anwenderbefragung deutet auf eine hohe patientenseitige Akzeptanz hin.

Von der Ankunft in der ZNA bis zur KP dauerte es im Median knapp eine Dreiviertelstunde; Wartezeit und Behandlungsdauer in den KP wurden nicht erhoben. Andere Untersuchungen zur Weiterleitung weniger dringlicher Patienten erwähnen keine Zeitspannen [6,7,8,9,10]. In Folgestudien sollte ein Fokus auf die Veränderung der Wartezeiten in Notaufnahmen gelegt werden, da sich infolge potenzieller Entlastung positive Effekte für Patienten mit höherer Behandlungsdringlichkeit ergeben könnten [19].

Patientensicherheit

Alle weitergeleiteten Patienten nahmen die vermittelten Termine wahr, in anderen Studien wird von 6 bis 10 % Nichterscheinen berichtet [7, 9]. 6,9 % (95 %-KI 2,3–11,5) der Patienten kehrten innerhalb von 72 h in die ZNA des RoMed Klinikums zurück. Dies ist vergleichbar mit Ergebnissen einer Untersuchung von Morin et al. [7], in welcher 4,1 % (95 %-KI 1,5–6,7) der Patienten drei Tage nach initialem Notaufnahmebesuch erneut vorstellig wurden. Andere Studien mit Nachbeobachtungszeiten von einer Woche berichten von ähnlichen Raten (4,8–6 %; [6, 8]) bzw. keinerlei Unterschieden bei nachfolgenden Notaufnahmebesuchen zwischen weitergeleiteten und nichtweitergeleiteten Patienten [11]. Die Wiedervorstellung von Patienten bedeutet keinesfalls, dass eine Weiterleitung unangemessen war. So zeigt eine aktuelle Untersuchung zu ungeplanten erneuten Notaufnahmebesuchen [20], dass diese auf neue Beschwerden sowie patienten- und krankheitsbezogene Faktoren (Sorgen, Fortschreiten der Erkrankung etc.) und weniger auf medizinische Fehler zurückgeführt werden können. In der vorliegenden Studie waren darüber hinaus fehlende Ressourcen für Wundversorgung und Bildgebung im ambulanten Bereich ursächlich. Eine mögliche Gefährdung von Patienten wurde nach fachärztlicher Sichtung ausgeschlossen. Protrahierte Verläufe und Komplikationen wurden nicht registriert. Andere Untersuchungen berichten keine Todesfälle [6, 9] bzw. keine Unterschiede in der Versorgungssicherheit und Sterblichkeit zwischen weitergeleiteten und nichtweitergeleiteten Patienten [9, 10]. Fraglich ist, ob die stationäre Aufnahme der drei in Tab. 2 aufgeführten Patienten als solche bereits auf eine Fehltriage hinweist. Die klinische Bewertung der Fälle legt die Einschätzung nahe, dass zumindest zwei der drei Patienten nach Diagnostik wieder eingewiesen worden und somit in Tab. 3 erschienen wären. Die dadurch eingetretene Verzögerung wurde nach fachärztlicher Beurteilung nicht als erhöhtes Risiko bewertet. Da die Ersteinschätzung naturgemäß diagnostischen Maßnahmen vorausgeht, ist perspektivisch zu klären, welche Rate an Wiedervorstellungen bzw. Einweisungen als sicher und praktikabel zu werten ist. In Folgestudien zum Weiterleitungsmodell sollten Differenzen zwischen ZNA- und KP-Versorgung betrachtet werden, um die Effektivität und Sicherheit besser bewerten zu können.

Limitationen

Mögliche Effekte können mit dieser Studie nicht nachgewiesen werden. Weiterhin bestand eine begrenzte Möglichkeit zur Nachverfolgung der Patienten. Wir können nicht ausschließen, dass weitergeleitete Patienten sich erneut in einer anderen als den vier RoMed Kliniken vorgestellt haben. Ablehnungsgründe bzgl. der Studienteilnahme oder Weiterleitung in eine KP wurden nicht erfasst. 60 % der in Frage kommenden Patienten wurden nicht in die Studie eingeschlossen. Ursächlich hierfür war insbesondere, dass Fachkräfte der KV Bayerns die Weiterleitung dieser Patienten z. B. aufgrund von Beschwerden der unteren Extremitäten oder Verletzungen, die eine hygienische Versorgungsumgebung nötig machten, nicht für zumutbar hielten. Dies kann zu einer Verzerrung der Studienergebnisse geführt haben.

Ausblick

In der vorliegenden Studie wurden die in der Ersteinschätzungsrichtlinie benannten Anforderungen an das Ersteinschätzungsverfahren und -instrument sowie Qualifikationsanforderungen an das beteiligte medizinische Fachpersonal und den Ablauf eingehalten. Anders als in der Richtlinie vorgesehen, erhielten aus Gründen der Patientensicherheit alle weitergeleiteten Patienten auch dann einen unmittelbaren Termin in der ambulanten Einrichtung, wenn eine geringere Dringlichkeit vorlag. Die Weiterleitung erfolgte immer in eine KP außerhalb des Klinikgeländes. Die Richtlinie sieht dies nur für die Dringlichkeitsstufe 2 (>24 h) vor. Hervorzuheben ist, dass in dieser Studie durch SmED rund 75 % der weiterzuleitenden Patienten der Dringlichkeitsstufe 1 (rot nach MTS) zugeordnet wurden. Dies impliziert, dass eine Umsetzung der Richtlinie in der Fassung vom 06.07.2023 den Umfang der potenziellen Entlastung während der Zeit stark einschränken würde, in der die Bereitschaftspraxis geschlossen ist und das Krankenhaus nicht über ein geeignetes Medizinisches Versorgungszentrum verfügt. Aufgrund des Studiendesigns kann keine Aussage getroffen werden, ob eine Weiterleitung für Patienten der Dringlichkeitsstufe 2 mit einer entsprechend zeitlich verzögerten Vorstellung (>24 h) in einer Arztpraxis ebenso praktikabel ist. Die Möglichkeit einer umgehenden Behandlung in einer Arztpraxis dürfte wesentlich für die Akzeptanz der Weiterleitung durch die Patienten sein.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Möglichkeiten der Weiterleitung von selbstvorstellenden Patienten mit weniger dringlichen Anliegen systematisch weiter untersucht werden müssen. Da die in Frage kommenden Patienten die Notaufnahme zeitlich in vergleichbarer Weise belasten wie dringlichere Patienten, sind positive Effekte für Fälle mit höherer Behandlungsdringlichkeit und die Notfallversorgung im Allgemeinen zu erwarten. Die am 16.01.2024 veröffentlichten Eckpunkte zur Notfallreform zielen auf eine Stärkung des Prinzips der Patientensteuerung an den Schnittstellen der Akut- und Notfallversorgung und sehen auch weiterhin eine Weiterleitung aus Notaufnahmen in Kooperationspraxen vor. Für die Übernahme von Akutpatienten sollen Praxen Anreize erhalten. Der Auftrag des G‑BA für eine Richtlinie Ersteinschätzung bleibt bestehen und wird zudem um Anforderungen an die Ausstattung von Notdienstpraxen erweitert. Die konkrete rechtliche Ausgestaltung bleibt abzuwarten. Die mit der Weiterleitung verbundenen haftungsrechtlichen Fragestellungen werden vor diesem Hintergrund durch die Richtlinie und durch weitere Evidenz zur Patientensicherheit der angewendeten Verfahren beantwortet.

Schlussfolgerung

Die vorliegende Machbarkeitsstudie ist nach unserem Kenntnisstand die erste ihrer Art in Deutschland, in der Hilfesuchende mit weniger dringlichen Anliegen nach erweiterter Ersteinschätzung mittels digitaler Anwendung in die vertragsärztliche Versorgung gesteuert wurden. Damit liegen erstmals praktische Erfahrungen vor, die eine mögliche Implementierung der noch in Bearbeitung stehenden Ersteinschätzungsrichtlinie bewertbar machen. Weitere Studien zum Einsatz anderer Ersteinschätzungs- sowie digitaler Terminvermittlungsinstrumente mit höherer Fallzahl könnten eine Vergleichsbasis zur Machbarkeit, Akzeptanz sowie Patientensicherheit schaffen.

Fazit für die Praxis

  • Patienten, die sich mit weniger dringlichen Anlässen in der Notaufnahme vorstellten und nach Sichtung mittels Manchester Triage System und Strukturierter medizinsicher Ersteinschätzung ein Angebot für eine Behandlung in einer Praxis erhielten, nahmen das Angebot zum größten Teil an.

  • Die Anmeldung der Patienten in Praxen mittels IVENA eHealth stellte sich als funktionsfähig heraus; alle angemeldeten Patienten erschienen.

  • Eine Weiterleitung weniger dringlicher Notaufnahmepatienten in Praxen auch außerhalb des Klinikgeländes ist unter Alltagsbedingungen umsetzbar; es bleibt zu klären, welcher Zeit- und Personalbedarf routinemäßig kalkuliert werden muss.

  • Die beobachtete Wiedereinweisungsrate binnen 72 h lag unter 10 %; es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Patientengefährdung, eine lückenlose Nachbeobachtung war nicht möglich.

  • Der Anteil an weitergeleiteten Patienten könnte durch einen Ausweis benötigter Ressourcen, und deren Anzeige im vertragsärztlichen Bereich sowie eine größere Zahl und Aufnahmebereitschaft der Praxen voraussichtlich gesteigert werden.