Hintergrund und Fragestellung

Die außerklinische Notfallversorgung sieht sich mit kontinuierlich wachsenden Herausforderungen durch steigende Einsatz- und Notrufzahlen [1, 2] und einem Wandel im Einsatzspektrum konfrontiert [3]: Während die Zahl der Arbeitsunfälle sinkt [4], ist ein Anstieg internistischer Krankheitsbilder [5], klimaassoziierter Erkrankungen sowie psychosozialer Notfälle zu verzeichnen [6]. Zusätzlich steigt die Zahl älterer Notfallpatient:innen und komplexere Gesundheitsproblematiken wie Multimorbidität, Polypharmazie oder chronische Erkrankungen nehmen zu [5].

Notrufe werden in LeitstellenFootnote 1 entgegengenommen und sind die Grundlage für eine Entsendung rettungsdienstlicher Ressourcen. Während eines Notrufgesprächs schätzen Notrufbearbeitende den Patientenzustand und das notfallmedizinische Krankheitsbild sowie die damit verbundene Art der Hilfeleistung möglichst präzise ein, um die begrenzt vorhandenen notfallmedizinischen Ressourcen möglichst zielgerichtet einzusetzen [7].

Notrufdialoge entsprechen einem iterativen Prozess, in dem Disponierende Informationen sammeln, diese anhand ihres Wissens interpretieren und anschließend Entscheidungen ableiten. Als Ergebnis entsteht ein auf der Interpretation bekannter Informationen basierendes mentales Bild. Abb. 1 verdeutlicht diesen Prozess und umfasst zudem die Rahmung des iterativen Prozesses von einem Eröffnungs- und einem Abschlussdialog. Zusätzlich sind die vielfältigen Kontextfaktoren abgebildet, welche sowohl die Anrufenden als auch die Disponierenden beeinflussen können [8].

Abb. 1
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Modell der Notrufbearbeitung aus Sicht des Notrufannehmenden unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren. (Møller et al. 2021 [8])

Um Disponierende bei der Strukturierung und Priorisierung von Notrufen zu unterstützen, setzen Leitstellen zunehmend auf strukturierte oder standardisierte Abfragesysteme [9, 10]. Ihre Spezifität und Sensitivität sind aufgrund der statischen algorithmischen Arbeitsweise begrenzt [11]. Dennoch werden solche Systeme von Fachkreisen empfohlen [12, 13]. Darüber hinaus hat der European Resuscitation Council 2021 diese Empfehlung in ihre Leitlinie aufgenommen [14, 15].

Farand et al. [16] erzielten bereits um das Jahr 1990 eine adaptivere Entscheidungsunterstützung. Ihr auf Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) basierendes System konnte jedoch keine breite Akzeptanz finden. Die gewählten KI-Methoden vermochten die Komplexität von Dispositionsentscheidungen zu dieser Zeit nicht vollständig erfassen, was zu inhaltlichen Lücken führte. Diese Lücken sollten von den Disponierenden durch ihr eigenes Urteilsvermögen gefüllt werden. Allerdings konnten sie aufgrund fehlender Kenntnisse der systemseitigen Entscheidungsfindungsprozesse diese Lücken nicht kompensieren.

Jüngste Forschungsbemühungen greifen diese Herausforderungen wieder auf und begegnen ihnen durch eine bessere Berücksichtigung der Mensch-Maschine-Interaktion. Hierbei wird den Disponierenden ein „künstlicher intelligenter Partner“ hinzugefügt, der sie zum geeigneten Zeitpunkt in wichtigen Entscheidungsfindungen unterstützen soll [17]. Damit sich ein solches System ergonomisch in das Notrufgespräch einfügen kann, müssen in einem ersten Schritt jene Informationen identifiziert werden, die Notrufende in ihren Anrufgründen verbalisieren.

Ziele der Studie

Die vorliegende Studie setzt mit der Analyse von Anrufgründen am Kernprozess der Notrufabfrage an (siehe Abb. 1). Ziel ist es, die Informationen, die Anrufende in ihren Anrufgründen weitergeben, differenziert in Form semantischer Kategorien abzubilden und dadurch ein besseres Verständnis für die Kommunikations- und Entscheidungsprozesse innerhalb der Notrufbearbeitung zu erhalten. Diese Studie fokussiert nicht auf das Erfassen von Hauptbeschwerden oder Leitsymptomen, sondern setzt an den einzelnen Aussagen von Notrufenden an, aus denen sich mögliche Verdachtsdiagnosen bzw. Zustandsbeschreibungen herausarbeiten lassen. Die identifizierten Kategorien und die abgeleitete Struktur der Anrufgründe können als Grundlage für die Entwicklung eines KI-gestützten Notrufabfragesystems dienen.

Material und Methoden

Insgesamt wurden 50 mittels eines computergestützten Randomisierungsverfahrens (s. „Zusatzmaterial 6“; Abb. 2; [18]) ausgewählte Notrufe bei einer integrierten Leitstelle der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr im Zeitraum 16.05.2022 bis 14.08.2022 zufällig ausgewählt. Der gewählte Zeitraum ergab sich aus der technischen Verfügbarkeit der Audioaufzeichnungen. Die Gesprächszeit beträgt insgesamt 02:34:46 h, bei einer Spannweite von 00:49 bis 14:30 in Minuten. Hieraus ergibt sich eine durchschnittliche Gesprächsdauer von 03:06 min für die Stichprobe. Die Notrufe verteilen sich auf alle Werk- und Wochenendtage sowie die Tages- und Nachtzeiten. In der Stichprobe wurden keine Massenanfälle von Verletzten oder Erkrankten berücksichtigt. Von 50 Notrufen entfallen drei auf pädiatrische Patient:innen (jeweils sieben, sechs und vier Jahre), das Durchschnittsalter aller Patient:innen beträgt 57 (SD: 29,2) Jahre. In dieser Leitstelle erfolgt die Abfrage der Vitalfunktionen strukturiert durch Verwendung des Produkts SNA der Firma iSE (iSE GmbH, Aachen, Deutschland), während das Erarbeiten einer Verdachtsdiagnose nicht systematisch unterstützt wird. Die Notrufe wurden angehört und in Bezug auf die Ein- und Ausschlusskriterien selektiert (Tab. 1). Bei Ausschluss eines Notrufgesprächs wurde der jeweils nachfolgende Anruf angehört und bewertet. Die eingeschlossenen Notrufe wurden während des regelgeleiteten Transkriptionsprozesses anonymisiert [19]. Für die Verwaltung, Organisation und Analyse der Transkripte wurde MAXQDA Analytics Pro 2022 (VERBI – Software. Consult. Sozialforschung. GmbH, Berlin, Deutschland) verwendet. Die Transkription erfolgte aufgrund technischer Vorgaben ohne unterstützende Software. Die Analyse des Materials erfolgte nach einer strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und wurde manuell mit MAXQDA vorgenommen. Die Arbeitsschritte werden im online zugänglichen Zusatzmaterial beschrieben (s. „Zusatzmaterial 7“ in Abb. 2, [18]). Hierbei wurde zunächst das Datenmaterial codiert. Dieser Schritt erfolgte primär induktiv, d. h., Kategorien wurden direkt am Material entwickelt. In einem iterativen Prozess wurden die gebildeten Kategorien strukturiert, geordnet und angepasst und am weiteren Material deduktiv angewendet. Hierbei entstand ein Kategorienkonstrukt mit Haupt‑, Sub- und Subsubkategorien ([20]; s. „Zusatzmaterial 8“ in Abb. 2 [18]).

Abb. 2
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Das im Text erwähnte Zusatzmaterial finden Sie über diesen QR-Code frei zugänglich [18]

Tab. 1 Übersicht über die Ein- und Ausschlusskriterien

In mehreren Iterationsschleifen wurden die Kategorien erweitert und neu strukturiert, gefolgt von einer Überprüfung und Anpassung der bereits codierten Textstellen [20]. Der Codierprozess erfolgte durch die Erstautorin, anschließend wurde das Kategoriensystem mit einer weiteren Person hinsichtlich Semantik diskutiert und angepasst.

Das Abhören der Bänder erfolgte gemäß § 29 Absatz 4 RettDG RLP i. V. m. § 39 Absatz 4 LBKG RLP ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken. Der vom Gesetz geforderten Anonymität wurde durch das Vorgehen Rechnung getragen. Aufgrund der Sekundärdatennutzung ohnehin gesammelter Daten ist eine zusätzliche Gefährdung vulnerabler Personengruppen bzw. Beeinflussung des Notrufgeschehens ausgeschlossen [21, 22].

Ergebnisse

Aus einer Stichprobe von 50 Notrufen wurden der modellhafte Ablauf des Notrufgesprächs und die phasenweise Darstellung der Anrufgründe herausgearbeitet: In der ersten Phase bringen Notrufende intuitiv ihre Einstiegsgründe vor. Diese umfassen jene Wahrnehmungen und Informationen, welche die Anrufenden direkt übermitteln möchten. Ein Rückfrageprozess prägt die sich anschließende zweite Phase: Disponierende erfassen durch konkrete Fragen gezielt Informationen, präzisieren die vorgetragenen Einstiegsgründe und komplettieren dadurch die Anrufgründe in ihrem Bild. Abb. 3 fasst die Struktur der komplexen und dynamischen medizinischen Anrufgründe modellhaft zusammen und zeigt die semantischen Kategorien, in welche die Informationen zum Anrufgrund eingeordnet werden können.

Abb. 3
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Struktur der Anrufgründe – semantische Kategorien – 1. Phase Einstiegsgründe, 2. Phase Informationen aus dem Rückfrageprozess

Das Kategoriensystem des Einstiegs- sowie des Rückfrageprozesses wird im Folgenden elaboriert und anhand eines exemplarischen Notrufs illustriert (Abb. 4, 5 und 6).

Abb. 4
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Struktur der Anrufgründe. Notrufbeispiel: Einstiegsphase

Abb. 5
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Struktur der Anrufgründe. Notrufbeispiel: Rückfrageprozess

Abb. 6
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Struktur der Anrufgründe. Notrufbeispiel: Gesamtübersicht

Einstiegsgründe

Als Einstiegsgründe wurden drei Hauptkategorien mit insgesamt zehn Subkategorien identifiziert, denen 273 codierte Textstellen zugeordnet werden konnten. Während die ersten beiden Hauptkategorien Zustandsbeschreibungen und Einschätzungen sowie ergänzende Informationen und Wünsche enthalten, dient die dritte Hauptkategorie der Klassifizierung des Notrufs auf Basis der gegebenen Informationen. Hierdurch wird differenziert, ob die Einstiegsgründe ein einzelnes Hauptproblem (24 Notrufe), eine Kombination aus mehreren Gesundheitsbeeinträchtigungen/Beschwerden (15 Notrufe) oder ein Ereignis vor oder nach einer Gesundheitsbeeinträchtigung enthalten (11 Notrufe).

Rückfrageprozess

Im Rückfrageprozess konnten 377 codierte Textstellen zwei Hauptkategorien mit insgesamt acht Subkategorien zugeordnet werden. Es zeigt sich, dass die Subkategorien dieser Phase weitestgehend den Subkategorien der Einstiegsgründe entsprechen. Unterschiede bestehen in der Zustandsbeschreibung: Während in den Einstiegsgründen Zustände beschrieben werden, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart liegen können, wird im Rückfrageprozess der Fokus auf die Erfassung des aktuellen Zustands gelegt. Des Weiteren können innerhalb des Rückfrageprozesses neue, in den Einstiegsgründen nicht berichtete, Gesundheitsbeeinträchtigungen erfasst werden. Diese können Einfluss auf die Klassifizierung des Notrufs haben. Eine Gesamtübersicht über die Kategorien befindet sich im Zusatzmaterial.

Darstellung der komplexen und dynamischen Anrufgründe am Beispiel eines Notrufs

1. Phase der Einstiegsgründe (siehe Abb. 4):

Der Anrufer ist männlich, spricht gebrochen Deutsch und ist der Enkel des Betroffenen (1). Er wurde von seiner Tante über einen Messenger-Dienst gebeten (2), für den Großvater (1) einen Krankenwagen zu rufen (3). Als Grund für den Hilfewunsch wird angegeben, dass der Großvater keine Luft habe und nach Hilfe schreie (4). Weiter schildert der Enkel, dass die Tante als Maßnahme Wasser auf den Großvater geschüttet (5) habe.

2. Rückfrageprozess (siehe Abb. 5):

Der Enkel berichtet, dass der Betroffene schon längere Zeit Probleme mit der Atmung (5) habe. Während des Notrufgesprächs erhält der Anrufer eine weitere Nachricht der Tante, dass der Großvater nicht mehr reden könne (6). Die Frage nach einem wachen und ansprechbaren Zustand wird verneint (7).

3. Gesamtbetrachtung des Notrufbeispiels (Abb. 6):

Dieser beispielhafte Notruf illustriert den Ablauf eines Notrufgesprächs: Zunächst schildert der Anrufer mit der Atemnot ein einzelnes Hauptproblem als Einstiegsgrund. Ergänzt werden ein konkret ausgesprochener Hilfewunsch, Informationen zu den familiären Verhältnissen der beteiligten Personen sowie Maßnahmen, die im Rahmen der Ersten Hilfe bereits durchgeführt wurden. In der Phase der Einstiegsgründe wurden vom Anrufer nicht zu jeder semantischen Kategorie Informationen geliefert, dem Disponierenden zeigt sich jedoch bereits eine komplexe Situation.

Im Rückfrageprozess wird das Hauptproblem durch eine zeitliche Einordnung klarer herausgearbeitet: Die Erfassung des aktuellen Zustands zeigt eine weitere Gesundheitsbeeinträchtigung, da der Bewusstseinszustand nicht mehr als wach beschrieben werden kann (drückt sich durch ein „nicht mehr reden können“ aus). Die initiale Fokussierung auf ein isoliertes Hauptproblem verschiebt sich nun zugunsten einer Kombination von Gesundheitsbeeinträchtigungen. Hierdurch verändert sich das mentale Bild der Notfallsituation – diese erscheint kritischer. Weitere Informationen ergänzen das mentale Bild dynamisch.

Diskussion

Die Darstellung der Anrufgründe gliedert sich innerhalb von Notrufen in eine Einstiegs- und Rückfragephase. Die identifizierten Kategorien, denen die gegebenen Informationen zugeordnet werden können, decken sich weitestgehend in beiden Phasen. Dies verdeutlicht, dass es relevant ist, jegliche Information in jeder Phase des Notrufgesprächs verarbeiten zu können. Im Laufe des Notrufs präzisieren gesammelte Informationen den Anrufgrund. Hieraus ergibt sich eine komplexe und dynamische Struktur der Anrufgründe, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden muss. Informationen aus dem Notrufgespräch lassen bei den Disponierenden ein mentales Bild der Notfallsituation entstehen, welches diese im Verlauf des Gesprächs zu präzisieren versuchen. Die vorliegende Studie zu medizinischen Anrufgründen gewährt einen neuartigen Einblick in die mentalen Modelle, die sich in dynamischen Notfallsituationen während der Notrufabfrage herausbilden.

Notrufende befinden sich regelmäßig in Ausnahmesituationen. Häufig sind Notfallpatient:innen Personen, welche den Anrufenden nahestehen. Diese können auch selbst Notfallpatient:innen oder Zeuge eines Notfallereignisses sein. In jedem Fall befinden sich diese Personen in einer vorher nicht absehbaren subjektiven oder objektiven Zwangslage mit gesundheitsbezogenen Komponenten, aus welcher sie sich nicht ohne außerplanmäßige Hilfe befreien können oder sich nicht ohne diese befreien zu können glauben [23]. Diese Studie zeigt, dass Anrufende oft relevante Informationen direkt nach der Gesprächsannahme nennen und dabei versuchen, jene Informationen möglichst schnell weiterzugeben, welche ihnen am wichtigsten erscheinen. Häufig werden sie jedoch in ihrem Mitteilungsdrang unterbrochen: Eine strukturierte Abfrage fokussiert in dieser ersten Phase des Notrufs die Erfassung des Notfallorts und der personenbezogenen Daten [24]. Es ist naheliegend, dass viele Redundanzen dieser gestörten Kommunikation geschuldet sind, wichtige Informationen verloren gehen und es dadurch zu Zeitverzögerung und geringerer Präzision bei der Disposition kommt.

KI kann den Notrufabfrageprozess optimieren, indem sie die initiale Kommunikation unterstützt. Im Kontext des „natural language processing“ (NLP; [25]) angewendete KI-Methoden können hierbei die Sprache des Anrufenden in Text umwandeln, um diese dem Disponierenden auf dem Bildschirm zu präsentieren. Dabei ergibt sich die Möglichkeit, vorab definierte Begrifflichkeiten, wie bspw. Symptome oder Erkrankungen, im Text zu markieren, um die Aufmerksamkeit des Disponierenden gezielt darauf zu lenken. Zudem können KI-Methoden die Sprache der Anrufenden erkennen und in die Sprache der Disponierenden übersetzen. So kann KI dazu beitragen, dass wichtige Informationen nicht verloren gehen bzw. im Fall von Sprachbarrieren überhaupt erst gewonnen werden.

Die zweite Phase des Notrufs wird durch den Rückfrageprozess geprägt: Disponierende setzen auf Basis der bereits gewonnenen Informationen geeignete Fragen ein, um ein mentales Modell der Notfallsituation zu präzisieren. Unsere Ergebnisse sind anschlussfähig an die Literatur: So hebt Endsley [26] in seiner Theorie über das Situationsbewusstsein in dynamischen Systemen die Bedeutung des mentalen Modells für die Entwicklung eines Situationsbewusstseins als elementar für die Erfassung der Situation als Ganzes und die Entscheidungsfindung hervor.

Møller et al. [8] rücken das mentale Modell ins Zentrum der Notrufbearbeitung und betrachten auf der Metaebene die Einfluss- und Kontextfaktoren, die das Notrufgespräch und den Entscheidungsprozess beeinflussen. In einem prozessgetriebenen Ansatz, wie er in standardisierten oder strukturierten Abfragesystemen verfolgt wird, müssen Disponierende sich für eine Notfallkategorie oder Hauptbeschwerde entscheiden [7] und Algorithmen durchlaufen, um zu notfallmedizinischen Krankheitsbildern mit entsprechenden Dispositionsvorschlägen zu gelangen [27].

Die Studie verdeutlicht, dass Anrufende oft vielfältige Beschwerden schildern. Die Zuordnung zu einer Notfallkategorie, die auf eine Hauptbeschwerde ausgerichtet ist, erscheint ungünstig, um die komplexen Gesundheitsproblematiken initial zu erfassen. Ein KI-gestützter und datengetriebener Ansatz könnte aus unterschiedlichen Beschwerden, Symptomen, Messwerten und sonstigen Informationen Hinweise auf notfallmedizinische Krankheitsbilder generieren. Dabei würden alle vorhandenen Informationen berücksichtigt und Redundanzen im Frageprozess vermieden werden. Die intelligente Gestaltung des Rückfrageprozesses würde die Disponierenden dabei unterstützen, diesen so kurz wie möglich zu gestalten und zu einer präziseren Beschreibung der Notfallsituation und des Patientenzustands zu gelangen. So könnten dem Disponierenden auf Basis der vorhandenen Informationen gezielt Fragen angezeigt werden, um jene Informationen zu erhalten, welche die größtmögliche Anzahl an möglichen notfallmedizinischen Krankheitsbildern ausschließen.

Zusätzlich könnte die KI auf Basis von Echtzeit-Standort- und -Wetter- sowie Geo-Daten den bestmöglichen Dispositionsvorschlag ableiten.

Stärken und Limitationen

Auf Basis einer ausreichend großen Stichprobe konnte ein Phasenmodell der Gesprächsstruktur und der Gründe von Notrufgesprächen entwickelt werden. Die Kategorien der Patientenzustände weisen möglicherweise eine noch höhere Varianz auf. Da alle Mitschnitte aus einer Leitstelle stammten, wurde in den Notrufgesprächen nach einem Schema abgefragt. Es ist anzuraten, das Modell in verschiedenen Leitstellen mit heterogenen Abfragestrukturen zu verifizieren und ggf. zu ergänzen sowie die Replizierbarkeit der Ergebnisse zu validieren. Wünschenswert ist eine Überprüfung, inwieweit saisonale Einflüsse Auswirkungen auf die Ausprägung der identifizierten Kategorien haben.

Fazit

  • Anrufgründe sind komplex und dynamisch.

  • Die Fokussierung auf ein einzelnes Hauptproblem im Abfrageprozess erscheint nicht zielführend.

  • Unsere Forschungserkenntnisse tragen zur Entwicklung eines KI-gestützten Notrufabfragesystems bei, das eine adaptive Abfrage ermöglicht und gleichzeitig die Erfassung sämtlicher relevanter Informationen erleichtert.

  • KI kann Disponierende unterstützen, vitale Gefährdungen schnellstmöglich zu identifizieren.

  • KI kann dabei unterstützen, ein präzises und umfassendes mentales Bild des Notfalls zu entwickeln, um Anrufende optimal durch Hilfehinweise zu unterstützen und eine notfallgerechte Disposition von Rettungsmitteln zu ermöglichen.