Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags

  • können Sie grundlegende apparative und personelle Voraussetzungen zur Betreibung eines Schockraums benennen.

  • identifizieren und interpretieren Sie die Schwere sowie die Verletzungsverteilung nach einem Polytrauma zuverlässig.

  • verwenden Sie Merkhilfen zur optimalen Beurteilung eines Polytraumapatienten.

  • kennen Sie Tipps und Tricks zur Optimierung des Schockraummanagements.

Einleitung

Unfälle zählen zu den häufigsten Gründen einer Hospitalisierung. Das initiale Management von polytraumatisierten Patient:innen entscheidet maßgeblich über die weitere Behandlungsstrategie und die Behandlungsergebnisse. Sobald ein:e Patient:in mit einem Polytrauma dem Schockraum zugewiesen wird, aktiviert sich eine standardisierte Kaskade mit dem Hinzuziehen unterschiedlicher Fachdisziplinen und Fachärzt:innen. Das gemeinsame Management und der gemeinsame Therapieentscheid basieren auf der korrekten und interdisziplinären Evaluation der Patient:in sowie den aktuellen Leitlinien.

Fallbeispiel

Der Rettungsdienst kontaktiert die Schockraumleitstelle: „Ein männlicher Patient kommt nach einem Verkehrsunfall, mit Verdacht auf ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie eine Becken- und Beinverletzung. Der Patient ist aktuell in den Parametern Airway (A), Breathing (B) und Circulation (C) stabil. Er ist intubiert, immobilisiert und trifft in ca. 20 min mit dem Rettungshubschrauber ein“.

Das Schockraumteam wird durch die Leitstelle aktiviert und macht sich für die Übergabe bereit.

Etablierung eines einsatzfähigen Schockraums

Merke

Die optimale Versorgung eines Patienten mit einem Polytrauma setzt die Bereitstellung eines strukturell und personell einsatzfähigen Schockraums voraus.

Strukturelle Voraussetzungen

Erfüllte technische und strukturelle Voraussetzungen eines Schockraums gewährleisten die Durchführung von notfallmäßigen Interventionen und lebensrettenden Sofortmaßnahmen. Diese inkludieren die Bereitstellung medizinischer Geräte zur adäquaten Beatmung und Volumentherapie von Patient:innen sowie chirurgisches Instrumentarium (Koniotomie, Thoraxdrainage, Laparotomie, Beckengurt, etc.). Schnelle Laboranalysen (Blutgasanalysen, viskoelastische Testverfahren) sollten ebenso wie Geräte zur bildgebenden Untersuchung (Ultraschall, mobiles Röntgen, Computertomographie) in unmittelbarer Nähe des Schockraums, zumindest im selben Gebäude, verfügbar sein [1]. Weiterhin sollten eine Notfallblutbank sowie ein Massentransfusionsprotokoll installiert sein. Ferner sollte auf die ausreichende Größe des Raumes geachtet werden, um adäquaten Platz für das Polytrauma-Management bereitzustellen. Aktuell wird eine Raumgröße von 25–50 m2 pro zu behandelndem Patienten empfohlen [1].

Personelle Voraussetzungen

Die Aktivierung eines interdisziplinären Teams ist notwendig, um ein kompetentes, koordiniertes und abgestimmtes Teamwork zu ermöglichen. Die Zusammenstellung des Schockraumteams sollte klar definiert sein; dieses sollte nach vorstrukturierten Abläufen arbeiten und idealerweise ein spezielles Training absolviert haben [1, 2]. Das Training sollte möglichst einheitlich erfolgen, sodass eine gemeinsame Sprache das Schockraummanagement optimiert und Verzögerungen durch Missverständnisse minimiert werden. Ein effizientes Zusammenarbeiten wurde unter gemeinsamer chirurgischer und anästhesiologischer Leitung bereits beschrieben [3, 4].

Das interprofessionelle Schockraumteam sollte aus mindestens 2 Pflegekräften und mindestens 2 Ärtzt:innen bestehen, die die notfallmedizinische und notfallchirurgische Kompetenz abbilden [1]. Abhängig von der Situation wird das Team um weitere Ärzt:innen aufgestockt (beispielsweise aus dem Fachbereich der Radiologie oder Neurochirurgie).

Schockraumaktivierung

Die Vorhalteleistung und die Aktivierung eines Schockraums sind mit hohem personellen Aufwand und hohen Kosten verbunden. In der prähospitalen Phase wird von den Kolleg:innen eine reflektierte Triage in den Schockraum vorausgesetzt.

Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie hat klare Schlüsselempfehlungen zur Schockraumaktivierung im Rahmen ihrer S3-Leitlinien publiziert [1, 5, 6]. Diese beziehen 3 grobe Bereiche ein: „prähospital detektierbare klinische Parameter“, „Vorliegen eines bestimmten Verletzungsmusters/Unfallmechanismus bzw. notwendige prähospitale Intervention“ und „Anpassungen an die Versorgung geriatrischer Patient:innen“ (Tab. 1).

Tab. 1 Schlüsselelemente in den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie zur Aktivierung eines Schockraums. (Mod. nach Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. [1])

Im prähospitalen Setting ist es häufig schwierig, genau zu differenzieren, ob ein Schockraum aktiviert werden sollte oder nicht. Hier gilt: „Im Zweifel eher im Sinne des Patienten über- als untertriagieren“. Es wurde eine Untertriagerate von 5 % mit simultaner Übertriagerate von 25–35 % als notwendig beschrieben, um eine effiziente Schockraumversorgung durchzuführen [7]. Jedoch wird eine Übertriagierung in bis 92 % der Fälle beschrieben [8]; diese konnte reduziert werden, wenn physiologische Parameter mit in die Triageentscheidung einflossen [9]. Auch eine Übertriage wird als problematisch angesehen, weil sie Ressourcen verbraucht und den klinischen Routineablauf unterbricht.

Fortführung des Fallbeispiels.

Der Patient erfüllt folgende Schockraumaktivierungsparameter: Hochrasanztrauma, Verdacht auf instabile Beckenverletzung, Fraktur langer Röhrenknochen und prähospitale Atemwegssicherung. Somit ist die Schockraumaktivierung eindeutig indiziert.

Der Patient wird von je 2 Anästhesist:innen und Unfallchirurg:innen, mit je entsprechender Pflegekraft, einer Neurochirurg:in, einer Neuroradiolog:in und einer Radiolog:in mit einer radiologisch-technischen Assistent:in in Empfang genommen.

Erster Kontakt

Übergabe

Cave

Die Übergabe muss ruhig und strukturiert erfolgen, ansonsten sind Probleme vorprogrammiert.

Die rettungsdienstliche Übergabe hat eine besondere Bedeutung im Schockraum. Die Übergabe beendet die prähospitale Versorgung und leitet die klinische Versorgung ein. Das Umfeld der Übergabe ist geprägt von Stressoren (Zeitdruck, mögliche lebensbedrohliche Verletzungen und instabiler Zustand des Patienten, mögliche Komplexität des Verletzungsmusters, Lärm, Hektik). Grundlegende Notwendigkeiten der optimalen Übergabe sind primär die Anwesenheit und die ungeteilte Aufmerksamkeit des gesamten Schockraumteams. Somit kann auf Nachfragen verzichtet werden; Missverständnisse und Informationsverlust werden minimiert. Während der Übergabe sollten möglichst keine Maßnahmen am Patienten durchgeführt werden. Dies gewährleistet ein ruhiges und aufmerksames Umfeld, das eine vollständige Übergabe des rettungsdienstlichen Personals erst ermöglicht. Einer von 3 Behandlungsfehlervorwürfen im Generellen ist eine Folge von Kommunikationsfehlern und Missverständnissen [10].

Im Rahmen einer Videoauswertung von knapp 100 Schockräumen wurde die Übergabezeit mit 62 s (Interquartilsabstand [IQR] von 43–74 s) berechnet [11]. Ferner hat sich gezeigt, dass eine strukturelle Übergabe sowohl den Sender als auch den Empfänger der Übergabe in seinem Verständnis des Problems unterstützt [10, 11]. An der Klinik der Autoren hat sich, vergleichbar dem AMPLE-Schema (Allergie, Medikation, „past medical history“, letzte Mahlzeit, Event [Akutereignis]) der Anamnese, ein Schema mit dem Akronym „MIST“ zur Übergabe durchgesetzt (Erklärung: Tab. 2; [12, 13]).

Tab. 2 Mögliches Schema zur Zusammenfassung der rettungsdienstlichen Übergabe im Schockraum

Fortführung des Fallbeispiels

Der Notarzt berichtet: „behelmter Motorradfahrer kollidiert mit ca. 80 km/h mit einen Pkw; Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma, Beckentrauma und offene Frakturen der unteren Extremität; Patient wurde aufgrund des niedrigen Werts auf der Glasgow Coma Scale vor Ort intubiert. Er ist soweit ABC-stabil; 1 g Tranexamsäure wurde verabreicht, ebenso 0,2 mg Fentanyl und 4 mg Ondansetron, problemlose Intubation und Sedation mit Propofol. Dauermedikation und Allergien sind keine bekannt.“

Nach der erfolgten Übergabe wiederholt die Leiter:in des Schockraumteams folgende Inhalte:

  • Mechanismus: Motorradunfall mit 80 km/h,

  • Injuries: Schädel-Hirn-Trauma, Verletzungen im Bereich des Beckens und den unteren Extremitäten,

  • Signs: intubiert und so weit kardiopulmonal kompensiert

  • Treatment: Tranexamsäure, Ondansetron, Sedation mit Propofol, Fentanyl, Immobilisation, Flüssigkeitstherapie mit 300 ml Ringer-Lactat

Klinische Erstbeurteilung (Advanced Trauma Life Support, European Trauma Course)

Die klinische Erstbeurteilung hat zum Ziel lebensbedrohliche Verletzungen sofort zu erkennen und zu behandeln. Die international etablierten Kursformate des Advanced Trauma Life Support (ATLS) und European Trauma Course (ETC) haben sich zur Schulung dieser Erstbeurteilung etabliert [14, 15, 16]. Während im ATLS eher von einem einzelnen, behandelnden Arzt in einem kleinen Krankenhaus ausgegangen wird, wird im ETC ein ganzes Team eingesetzt. Als lebensbedrohliche Zustände werden Verletzungen entsprechend dem ABCDE-Schema aufgelistet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Mögliche lebensbedrohliche Zustände, die entsprechend dem ABCDE-Schema im Rahmen des primären Assessments erkannt und behandelt werden müssen

Interdisziplinär schließt das Schockraumteam die obigen Verletzungen ein oder aus und behandelt gemäß dem Algorithmus. Zudem erfolgt meist bereits eine entsprechende Analgesie durch die Kolleg:innen der Anästhesie. In gewissen Situationen (unruhiger, agitierter Patient oder Patient mit ausgeprägter Nausea und Erbrechen) muss zudem zu diesem Zeitpunkt eine Schutzintubation in Erwägung gezogen werden.

Fortführung des Fallbeispiels: Erstbeurteilung gemäß ABCDE-Schema

A: Der Patient ist intubiert; der Tubus ist in der Trachea geblockt und fixiert. Stiffneck liegt an.

B: Pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) 89 %, abgeschwächtes rechtsseitiges Atemgeräusch; Entscheidung zur Einlage einer rechtsseitigen Thoraxdrainage durch das Schockraumteam aufgrund des klinischen Verdachts auf einen Pneumothorax mit erhöhtem Risiko eines Spannungspneumothorax bei maschinelle Beatmung, anschließend SpO2 97 %

C: Anlage eines Beckengurts, Herzfrequenz 101/min, Blutdruck 92/44 mm Hg

D: Drei Punkte auf der GCS , Pupillen rund, isokor, mit prompter Lichtreaktion

E: Körpertemperatur 35,9 °C

Bildgebende Untersuchungen

Die klinische Untersuchung im Schockraum kann schwierig sein. Bei der Erstbeurteilung können ein Thoraxröntgen und Beckenröntgen hilfreich sein, wobei die Sensitivität und Spezifität für das Erkennen von lebensgefährlichen Thorax- und Beckenverletzungen unter 80 % betragen [17, 18]. Insbesondere ein anteriorer Pneumothorax oder eine „Open-book“-Verletzung des Beckens bei anliegendem Beckengurt kann übersehen werden. Eine Ultraschalluntersuchung des Thorax und Abdomens, das Extended Focussed Assessment with Sonography in Trauma (eFAST), ist eine hilfreiche und zeitersparende Ergänzung, die die Sensitivität und Spezifität u. a. der Diagnostik von Brustkorbverletzungen deutlich erhöhen kann [19, 20]. Zur Diagnostik nach Thorax- oder Abdominaltrauma sollte ein eFAST im Rahmen des Primary Survey im Schockraum durchgeführt werden; Wiederholungsuntersuchungen sollten zur Verlaufskontrolle erfolgen [1]. Standardmäßig wird jedoch eine Ganzkörper-Computertomographie (Kopf bis einschließlich Becken, wobei das Schädel-CT nativ erfolgt) durchgeführt, sollte der physiologische Zustand der Patient:in dies erlauben [1]. Die Literatur ist hierzu sowie bezüglich der Mortalitätssenkung noch nicht schlüssig [21, 22]. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die direkte Umlagerung eines (potenziell) polytraumatisierten Patienten auf den CT-Tisch eine sinnvolle Option [23, 24, 25].

Fortführung des Fallbeispiels

Der Zustand des Polytraumapatienten wird interdisziplinär nach Durchführung der oben beschriebenen lebensrettenden Erstmaßnahmen als stabil genug für die Anfertigung eines Ganzkörper-CT interpretiert. Das CT wird simultan durch Kolleg:innen der Neuroradiologie und der Radiologie befundet und vom Schockraumteam interpretiert. Der Patient hat ein Thorax‑, Wirbelsäulen‑, Becken- und Extremitätentrauma erlitten (Abb. 2). Er weist bei Eintritt in den Schockraum folgenden Werte auf:

  • Hämorrhagie: Lactat 1,2 mmol/l, Hämoglobin (Hb) 9,6 g/dl, Base Excess −1,1 mmol/l, Blutdruck 92/44 mm Hg, Puls 101/min

  • Körpertemperatur: 35,9 °C

  • Koagulopathie: EXTEM-Clotting time 66 s, Clot formation time 86 s, Quick-Wert 54 %, International Normalized Ratio (INR) 1,3

  • Weichteilverletzungen: Thoraxtrauma, schweres Wirbelsäulen- und Extremitätentrauma

Abb. 2
figure 2

Befunde der Ganzkörper-CT: a keine relevanten intrakraniellen Traumafolgen, b Scout als Übersicht des Ganzkörper-CT, c undislozierte Fraktur des rechtsseitigen Skaphoids, d Luxationsfraktur und Retrolisthesis im Bereich der Brustwirbelkörper 7 und 8, Spinalkanal konsekutiv eingeengt, Berstungsspaltfraktur des 12. Brustwirbelkörpers, e beidseitige Lungenkontusion und -lazeration, f rechtsseitige Hüftluxation, linksseitige mehrfragmentäre dislozierte Oberschenkelfraktur, rechtsseitige dislozierte Tibiaschaftfraktur

Lebensrettende Sofortmaßnahmen

Merke

Die im Fallbeispiel aufgeführten ABCDE-Probleme müssen gelöst sein:

  • Der Atemweg des Patienten muss gesichert sein.

  • Pleuraraum und Perikard müssen dekomprimiert (und ggf. drainiert) sein.

  • Intraabdominale und pelvine Massenblutungen müssen gestoppt sein.

  • Frakturen der langen Röhrenknochen gehören stabilisiert.

  • Additiv müssen eine Normothermie und optimale Gerinnungssituation erzielt werden.

Atemwegssicherung

In enger Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen der Anästhesie gilt es, bei einem akuten A‑Problem möglichst schnell einen gesicherten Atemweg zu etablieren, der gemäß ATLS einem geblockter Tubus unterhalb der Stimmritzen entspricht [26]. Die Kapnographie ist obligater Bestandteil der endotrachealen Intubation. Normalerweise gelingt dies mithilfe eines Laryngoskops, der Videolaryngoskopie oder fiberoptischen Manövern. Bei frustranem Versuch (die Anzahl Intubationsversuche mittels direkter Laryngoskopie sollte auf zwei limitiert werden) muss eine Notfallkoniotomie erfolgen. Eine Notfallkoniotomie sollte von der Anästhesist:in oder der Unfallchirurg:in sicher beherrscht und geübt werden.

Vorgehen bei stumpfem Thoraxtrauma

Folgende lebensbedrohliche Verletzungen sollten erkannt und therapiert werden: Spannungspneumothorax, offener Pneumothorax, instabiler Thorax, massiver Hämatothorax und eine Herzbeuteltamponade [1]. Beim akuten B‑Problem lassen sich die meisten pathologischen Störungen, zumindest kurzfristig, mithilfe einer Thoraxdrainage therapieren. Nach den aktuellen ATLS Guidelines wird der Eintrittspunktbereich der Entlastungspunktion und der Thoraxdrainage im 4. bis 5. Interkostalraum (ICR) im Bereich der mittleren bis vorderen Axillarlinie auf Höhe der Mamille etabliert [26].

Vorgehen bei penetrierendem Thoraxtrauma

Beim penetrierenden Thoraxtrauma, insbesondere im Bereich der „cardiac box“, gilt es, besonders achtsam zu sein. Die „cardiac box“ ist definiert als der Bereich, der kranial von den Schlüsselbeinen, kaudal vom Rippenbogen und auf beiden Seiten von den Mamillen begrenzt wird und sowohl den ventralen als auch dorsalen Brustkorb betrifft. Bei penetrierenden Verletzungen in diesem, aber auch in anderen Bereichen des Brustkorbes, kann ein massiver Hämatothorax, eine Herzbeuteltamponade oder eine Exsanguination resultieren. Eine rasche Thorakotomie im Schockraum kann erforderlich sein [27, 28]. Abhängig von der betroffenen Seite erfolgt die Thorakotomie anterolateral im 5. ICR und kann bei entsprechender Indikation bis auf die Gegenseite erweitert werden („clamshell thoracotomy“) und/oder durch eine Sternotomie ergänzt werden.

„Stop the bleeding“

Aktive externe Blutungen müssen immer gestoppt werden; initial durch manuelle Kompression, dann eskalierend mithilfe eines Kompressionsverbands und letztlich mithilfe des Tourniquets [1]. Bei präklinisch etablierten Tourniquets gilt es, falls nicht dokumentiert, den genauen Zeitpunkt der Anlage bei der Übergabe zu erfragen. Blutungen im Bereich des Abdomens, des Beckens oder der langen Röhrenknochen müssen ebenso gestoppt werden. Dies kann offen-chirurgisch sowie interventionell-radiologisch mithilfe anästhesiologischer sowie medizinischer Unterstützung erfolgen: Interventionell-radiologisch kann eine Blutung durch Coiling kontrolliert werden. Zu den anästhesiologischen und medizinischen unterstützenden Maßnahmen zählt v. a. die Optimierung der Gerinnungssituation.

Eine Blutung im Bereich des Abdomens wird bei hämodynamisch nichtstabilisierbaren Patienten mithilfe der Laparotomie therapiert. Je nach pathophysiologischem Hintergrund erfolgt ein Packing mit Bauchtüchern (Leber und Unterbauch/Becken), die Entfernung von Organen (Milz und Nieren) oder ein Durchstechen (Blutungen im Bereich des Mesenterium). Bei transient-stabilen Patienten mit gewissen isolierten Verletzungen (aktive Blutung im CT) kann ein endovaskuläres Coiling erwogen werden. Zudem erfolgt eine Kontaminationskontrolle. Hohlorganverletzungen müssen verschlossen werden. Zur akuten temporären Blutungsminimierung kann eine manuelle Aortenklemmung hilfreich sein. Eine Alternative zur Aortenklemmung stellt die Technik „resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“ (REBOA) dar. Es handelt sich um ein endovaskuläres Verfahren, bei dem ein Okklusionsballon über einen offenen oder minimalinvasiven Leistenzugang in der Aorta platziert und dort dilatiert wird. Die Okklusion kann je nach Blutungsquelle in der infrarenalen Aorta (REBOA-Zone III) oder in der thorakalen Aorta descendens (REBOA-Zone I) radiologisch mithilfe des Bildverstärkers erfolgen [29, 30, 31]. In einzelnen Studien wurde eine kontrastmittelunterstützte Inflation des Ballons durchgeführt und eine verbesserte Visualisierung der Ballonlage erreicht [32]. Bei sistierter Blutung erfolgt der Verschluss des Abdomens nur provisorisch mithilfe eines Okklusivverbands. Alternativ bietet sich die Vakuumversiegelungstherapie („vacuum assisted closure“, VAC) bis zum Second Look nach 48–72 h an [33]. Auf einen primäreren Faszienverschluss sollte bei Verdacht eines sich potenziell entwickelnden abdominalen Kompartmentsyndroms verzichtet werden [34].

Beckenkompression/-stabilisierung

Der Beckengurt gehört mittlerweile bei polytraumatisierten Patienten zum prähospitalen Standard. Zumindest sollte bei Patienten mit einer Beckenverletzung und hämodynamischer Instabilität, falls bis dahin nicht erfolgt, im Schockraum einen Beckengurt angelegt werden. Sollte dieser nicht in situ platziert bzw. dessen Lagekontrolle nach der Übergabe insuffizient sein, kann er idealerweise beim Umlagern/Logroll-Manöver des Patienten korrigiert bzw. etabliert werden. Alternativ können Tuchschlingen, Fixateur externe, eine Beckenzwinge oder „rescue screws“ zur minimalinvasiven Blutungskontrolle etabliert werden [35]. In einigen Zentren wird weiterhin die Angioembolisation als wichtige Blutungskontrolle eingesetzt; diese Maßnahme ist vorwiegend Patienten in stabilem Zustand bei nachgewiesener arterieller Blutung oder Pseudoaneurysmabildung vorbehalten. Jedoch ist die akute chirurgische Therapie des posterioren Beckenrings in den meisten Zentren zur Routine geworden [36]. Damit lässt sich meist eine suffiziente Blutungskontrolle erreichen. Bei weiterhin hämodynamisch-instabiler Situation sollte ggf. ein Packing des prävesikalen retropubischen Raums erfolgen [37]. Dieses ist jedoch nur erfolgversprechend, wenn ein entsprechendes „Widerlager“, also eine knöcherne Stabilisierung des Beckens, vorhanden ist.

Versorgung von Frakturen der langen Röhrenknochen

Mithilfe des Straight-Leg-Evaluation-Trauma-Test (SILENT-Test) als möglicher Untersuchung der langen Röhrenknochen können Frakturen den unteren Extremitäten im Schockraum schnell und effektiv detektiert werden [38]. Hierzu wird die Ferse des Patienten leicht angehoben; bei Zeichen von Schmerzen oder unphysiologischer Mobilisation wird der Test als „positiv“ befundet und eine weitere Abklärung von Verletzungen der langen Röhrenknochen empfohlen. Frakturen der langen Röhrenknochen gehören geschient oder besser mithilfe eines Fixateur externe stabilisiert, damit die Blutungen in diesem Bereich minimiert werden. Zudem erfolgt durch die Stabilisierung eine verbesserte Analgesie. Offene Frakturen sollten zudem débridiert, gespült und temporär meist mithilfe der VAC verschlossen werden.

Gerinnungsmanagement

Die traumainduzierte Koagulopathie ist ein eigenständiges Krankheitsbild, dessen Diagnostik und Therapie so früh wie möglich beginnen sollten. Hierzu zählen der Einsatz von viskoelastischen Testverfahren, die chirurgische Blutstillung, die Etablierung von Normothermie und Normokalzämie sowie die Anwendung von lokalen Transfusionsprotokollen [1].

Eine (Hyper‑)Fibrinolyse kann schnell und effektiv mit der Gabe von Tranexamsäure therapiert werden. Daher sollte dieses Medikament als lebensrettende Sofortmaßnahme in Betracht gezogen und schwer verletzten Patienten verabreicht werden. Eine Verabreichung sollte bereits bei der Übergabe im Schockraum erfragt werden und ggf. im Schockraum erfolgen. Die Ergebnisse der MATTERs-II-Studie, an über 1300 schwer verletzten Patienten, konnten aufzeigen, dass die Fibrinogensubstitution in Form des Kryopräzipitats vergleichbar gute Ergebnisse in Bezug auf die Mortalität erbringen konnte wie die alleinige Gabe von Tranexamsäure. Die kombinierte Therapie mit Tranexamsäure und Fibrinogensubstitution erzielte die besten Überlebensraten [39].

Fortführung des Fallbeispiels

Die Notärztin führte bereits prähospital zur Atemwegssicherung die endotracheale Intubation durch. Das Thoraxtrauma (Pneumothorax; beidseitige Lungenkontusion und -lazeration) wird mithilfe der Einlage einer Thoraxdrainage durch das Schockraumteam behandelt. Die Hüfte des Patienten wird geschlossen reponiert. Die Frakturen werden in einer Schaumstoffschiene geschient. Der Patient ist normotherm und weist keine relevante Koagulopathie auf. Die initialen lebensrettenden Sofortmaßnahmen haben den Patienten so weit stabilisiert, dass eine Polytraumaspirale durchgeführt werden kann und die weitere Therapie initiiert wird.

Pathophysiologische Diagnostik

Im Rahmen der ersten Beurteilung eines polytraumatisierten Patienten muss neben der Verletzungsschwere auch dessen Gesamtzustand erfasst werden. Der Zustand eines Patienten wird als stabil, instabil, „borderline“ oder „in extremis“ klassifiziert [40]. Um den Patienten entsprechend einteilen zu können, wird dieser in 4 pathophysiologischen System evaluiert: Hämorrhagie, Koagulopathie, Weichteilverletzung und Körpertemperatur (Abb. 3). Es konnte gezeigt werden, dass die Klassifikation des Polytraumas und die Vorhersage von Komplikationen und Mortalität mit der Inkludierung von mehreren verschiedenen pathophysiologischen Systemen deutlich besser werden [41]. Die Mitberücksichtigung von Blutungsschwere, Gerinnungsstatus, Körpertemperatur und Ausmaß der Weichteilverletzung trifft die Balance zwischen klinischer Machbarkeit und holistischer Beurteilung am besten [42].

Abb. 3
figure 3

Elementare pathophysiologische Säulen, die den Stabilitätszustand eines Polytraumapatienten abbilden und im Rahmen der Schockraumversorgung evaluiert werden sollten

Lactatkonzentration, Blutdruck, Herzfrequenz und die Verwendung von Blutprodukten spiegeln approximativ die Blutungsschwere und die physiologische Reaktion des Körpers darauf. Bezüglich der Interpretation der Herzfrequenz ist eine evtl. Einnahme von β‑Blockern bei der Interpretation der Werte zu berücksichtigen. Im Rahmen der Abklärung des Gerinnungsstatus können viskoelastische Testverfahren, eine Standardlaboruntersuchung der Gerinnungsparameter und die Bestimmung der Thrombozytenzahl Hinweise auf das Vorliegen einer Koagulopathie geben [43]. Hand in Hand damit gehen die regelmäßige Messung und ggf. adäquate Korrektur der Körpertemperatur einher. Die Beurteilung von Weichteilverletzungen und der physiologische Effekt des Weichteiltraumas basieren auf 2 Komponenten. Zum einen gilt es zu erkennen, ob an dem Polytrauma ein Schädel-Hirn‑, Thorax‑/Lungentrauma oder ein Abdominal‑/Beckentrauma beteiligt ist. Diese Verletzungen stellen besondere Entitäten, die mit einer erhöhten Rate an Komplikationen und Mortalität einhergehen, dar [44, 45, 46]. Ferner gilt es, das Weichteiltrauma im Sinne der Verletzungen der kutanen und subkutanen Strukturen zu erfassen. Weichteilverletzungen sind lokal die wichtigsten Faktoren, die eine Behandlungsstrategie definieren [47, 48]. Die interdisziplinäre ganzheitliche Beurteilung des Polytraumapatienten erlaubt die individualisierte Wahl der adäquaten Behandlungsstrategie [36, 49].

Wahl der Behandlungsstrategie

Bei schwer verletzten Patienten ist die therapeutische Entscheidungsfindung über den Zeitpunkt der operativen Versorgung von hoher Bedeutung. Aktuelle Studien zeigen, dass die chirurgische Strategie bei Aufnahme der Patienten oder in der „Primärphase“ nicht „dichotom“ in „early total care“ (ETC) oder „damage control orthopedics“ (DCO) festgelegt werden sollte. Stattdessen ist die chirurgische Rekonstruktion stetig und dynamisch an die physiologische Situation des Patienten anzupassen. Das „Safe-definitive-surgery“-Konzept (SDS-Konzept) wurde als eine dynamische Kombination der Versorgungsstrategien vorgestellt [50]. Durch die regelmäßige Reevaluation und Beurteilung des Patienten bezüglich der physiologischen Prozesse und seines Zustands erfolgen eine dynamische Klassifikation (s. oben) und die Anpassung der gewählten Strategie. Die Vorteile der Verfahren DCO und ETC lassen sich kombinieren, wodurch eine „sichere definitive Versorgung“ (SDS) des schwer verletzten Patienten ermöglicht werden kann.

Tipps und Tricks

Aufgrund des ständig wechselnden Dienstsystems und klinikspezifischer Schichtsysteme ist es für einen reibungslosen Ablauf im Schockraum unverzichtbar, dass das Behandlungsteam sich „kennt“. Dies gilt insbesondere für die Kader‑/Oberärzt:innen der Behandlungsteams. In der Mehrzahl der Fälle gibt es vor dem Eintreffen der Ambulanzen/Hubschrauber ein paar Minuten Zeit, in denen das Team gesammelt bis zum Öffnen der Schockraumtür wartet. Diese wenigen Minuten können, wenn sie effektiv genutzt werden, sehr wertvoll und entscheidend für den weiteren Ablauf sein. Die Leiter:in des Schockraumteams könnte die Zeit nutzen, um das Team im Rahmen einer Vorbesprechung wichtige und erweiterte Aspekte in Erinnerung zu rufen:

  • Vorstellung des Teams mit Namen und Funktion sowie Kontrolle auf Vollständigkeit,

  • Wiederholung der Informationen aus der Schockraumanmeldung für alle Teammitglieder/innen,

  • Rollenverteilung bzw. Besprechung, ob spezifische Vorbereitungen benötigt werden:

    • Computertomograph frei und bereit für die Traumaspirale?

    • Medizinisch-technische Radiologieassistent:in (MTRA) für das Anfertigen konventioneller Röntgenbilder vorinformiert?

    • Hochfahren des Sonographiegeräts für ein möglichen eFAST?

    • Difficult-Airway-Management-Wagen bereit?

    • Pädiater:in vorinformiert bzw. Kinder-Reanimationswagen in der Nähe?

    • Blutbank über evtl. Blutkonservenbestellung vorinformiert?

    • HWS-Orthese‑, Beckengurt‑, Thoraxdrainage-Set in greifbarer Nähe?

    • Interventionelle Radiologie für Coiling/REBOA benötigt?

    • Defibrillator-Pads/EKG vorhanden?

    • Neurochirurg:in, Allgemeinchirurg:in, Viszeralchirurg:in bestellen?

    • Intensivstation vorinformiert?

    • Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) erforderlich?

    • Besonderer Schutz des Personals indiziert?

  • Aktuelle Fragen oder Anmerkungen? Speak up! (Animation des Teams, Missstände/Unklarheiten offen und laut mit allen Teammitgliedern zu kommunizieren).

Während der Schockraumversorgung kommt der Kommunikation über die laufenden und geplanten Schritte mit allen Teammitgliedern eine Schlüsselfunktion zu. Da jede Fachdisziplin die ihr zugeteilten Aufgaben konzentriert und möglichst schnell zu lösen versucht, gehen im „Eifer des Gefechtes“ sehr häufig Informationen unter. Daher hat sich das bei den Autoren des vorliegenden Beitrag gelebte „10-für-10“-Prinzip als eines der nützlichsten Kommunikations-Tools im Schockraum erwiesen. Dieses leitet sich aus „10 Sekunden Planung für die nächsten 10 Minuten“ ab. Die Leiter:in Schockraum initiiert eine kurze Unterbrechung, während der alle Teammitgliedern die Gespräche und Tätigkeiten einstellen sowie ihre Aufmerksamkeit einer kurzen Lagebesprechung mit Zusammenfassung der aktuellen Diagnosen zuwenden. Ferner soll im Rahmen des „10 für 10“ die Strategie zum weiteren Vorgehen kommuniziert werden. Hierdurch wird sichergestellt, dass alle behandlungsrelevanten Personen in gleicher Richtung für das nächste angestrebte Ziel (Operation, interventionelle Angiographie, Intensivstation etc.) arbeiten und fachspezifisch die dazu notwendigen Schritte einleiten können. Durch eine kurze Unterbrechung (10 s) soll das weitere Vorgehen geklärt werden (10 min). Zudem lassen sich Unklarheiten, Missstände, bis dahin neue/unberücksichtigte Informationen, logistische Probleme sowie akute und unerwartete Entwicklungen klären und lösen.

Ein idealer Zeitpunkt für ein „10 für 10“ ist u. a. nach der Sichtung der erfolgten Computertomographie, wenn diese durch die Leiter:in Schockraum und der Radiolog:in vollständig ausgewertet wurde oder nach Stabilisierung eines instabilen Patienten. Hierbei sollte ggf. auch, wenn nicht schon im Vorfeld erfolgt, das MIST und ATLS-ABC wiederholt werden.

Während der Schockraumphase können Verletzungen übersehen werden. Diese haben jedoch häufig Einfluss auf das weitere Vorgehen und das Behandlungsergebnis. Eine Zweit- und Drittuntersuchung des schwer verletzten Patienten sind daher von großer Bedeutung. Ebenso sollte eine Zweitsichtung aller diagnostischer Untersuchungen erfolgen [51, 52, 53].

Epikrise zum Fallbeispiel

Der Patient hatte im Rahmen eines Motorradunfalls ein Polytrauma (Thorax‑, Wirbelsäulen- und Extremitätentrauma) erlitten. Ferner wies er pathophysiologische Veränderungen als Reaktion auf die Verletzungen auf. Interdisziplinär wurden die Erstbeurteilung durchgeführt und entsprechende Maßnahmen getroffen. Diese erzielten die hämodynamische Stabilität, die die Durchführung einer Polytraumaspirale erlaubte. Mithilfe der Polytraumaspirale konnten die Verletzungen identifiziert werden und ihre detailliertere Beurteilung erfolgen. Anschließend kam das „10-für-10“-Prinzip zum Einsatz, in dessen Rahmen die wichtigsten Befunde der Polytraumaspirale sowie der physiologischen und laborchemischen Analysen zusammengefasst wurden. Danach wurde der Patient mithilfe der Versorgung des Wirbelsäulentraumas und temporärer Fixation der Extremitätenverletzungen für die SDS vorbereitet. Nach dem Abschluss der Schockraumversorgung fand ein kurzes Debriefing im Traumateam statt, und alle Fragen und Anregungen konnten besprochen werden.

Fazit für die Praxis

  • Das Schockraummanagement ist interdisziplinär am effizientesten und am effektivsten.

  • Eine angepasste Struktur und repetitives Training verbessern Teamwork und Behandlungsergebnisse.

  • Zur Beurteilung eines Polytraumapatienten gehören neben adäquater bildgebender Untersuchung ein repetitives Assessment des pathophysiologischen Status (Hämorrhagie, Koagulopathie, Körpertemperatur und Weichteilverletzung).

  • Die Behandlungsstrategie ist vom physiologischen und vom lokalen Verletzungsstatus des Patienten abhängig.

  • Es ist notwendig, das Traumateam wiederholt zusammenzuführen sowie interdisziplinäre Ergebnisse und Messungen mithilfe des „10-für-10“-Prinzips auf dem aktuellen Stand zu halten.