Zusammenfassung
Hintergrund
Schmerzen sind ein häufiger Behandlungsgrund in der prähospitalen Notfallmedizin. In Bayern delegieren die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) bei subjektiv nichttolerablen Schmerzen nach isoliertem Extremitätentrauma an Notfallsanitäter (NotSan) landesweit einheitlich die Kurzinfusion von 7,5 mg des Opioidanalgetikums Piritramid.
Methode
Die Routineeinsatzdokumentation aller Einsätze im bayerischen Rettungsdienst mit Heranziehungen des Delegationsalgorithmus „Isolierte Extremitätenverletzung“ der ÄLRD nach § 4 Abs. 2 Nr. 2c Notfallsanitätergesetz wurde über einen 2‑Jahres-Zeitraum ausgewertet. Evaluiert wurden der Effekt auf die Schmerzintensität nach der numerischen Rating-Skala (NRS) und dem Vorliegen nichttolerabler Schmerzen, Auswirkungen auf die Vitalfunktionen sowie die Notwendigkeit von bestimmten weitergehenden Interventionen.
Ergebnisse
Bei 7151 identifizierten Einsätzen erfolgte in 6097 Fällen eine eigenständige Analgesie durch NotSan entlang der Delegation der ÄLRD. Die Schmerzintensität nach der NRS konnte von im Median 7 (Interquartilsabstand [IQR] 2) auf 3 (IQR 2, p < 0,001) gesenkt und in 96,9 % ein aus Patientensicht tolerables Niveau erreicht werden. In 9,4 % der Fälle wurde ein Notarzt nachgefordert und in 5,0 % eine ergänzende Analgesie verabreicht. Etwa jeder zehnte Patient erhielt Sauerstoff. Atemwegsinterventionen waren in wenigen Einzelfällen notwendig, eine Antagonisierung nur nach höheren als den delegierten Opiatdosen.
Schlussfolgerung
Eine vom ÄLRD delegierte und von NotSan eigenständig durchgeführte Opiatgabe senkt das Schmerzniveau relevant. Wesentliche Hinweise auf eine Patientengefährdung fanden sich nicht. Durch dieses Verfahren konnten in Bayern jährlich geschätzt ca. 2500 Notarzteinsätze vermieden werden.
Abstract
Background
Emergency medical services (EMS) frequently care for patients who require prehospital analgesia for severe pain. In the state of Bavaria in Germany, the medical directors of EMS have released uniform standing orders for the treatment of intolerable pain in patients with isolated limb injuries. These include the administration of the opioid analgesic piritramide in a dose of 7.5 mg by emergency paramedics without prior contact with a physician. We present a retrospective evaluation of effectiveness and safety of opioid analgesia administered independently by paramedics.
Methods
Electronic patient records of all missions with treatment of severe pain according to the standing order for isolated limb injury in the Bavarian EMS were evaluated over a 2-year period. Analgesia was evaluated with respect to pain intensity on the numeric rating scale (NRS), the subjective presence of intolerable pain, vital function disturbances, and the need for further interventions.
Results
The 7151 documented applications of the standing order “Isolated limb injury” resulted in 6097 piritramide infusions. The NRS level declined from a median of 7 (interquartile range [IQR] 2) to 3 (IQR 2, p < 0.001). After treatment, a tolerable pain level was achieved in 96.9% of cases. In 9.4%, a prehospital emergency physician was called to the scene, and 5.0% of patients received supplemental analgesia. One out of 10 patients was given oxygen. Airway interventions had to be performed in a few, isolated patients, whereas antagonization of the opioid was documented exclusively in cases with opioid doses exceeding those in the standing order.
Discussion
The independent administration of opioid analgesia by paramedics following standard orders as issued by the EMS medical directors in Bavaria is safe and effective. Through this procedure, an estimated 2500 emergency physician dispatches could be avoided annually in Bavaria.
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Hintergrund und Fragestellung
Starke Schmerzzustände können per se negative psychische und somatische Auswirkungen auf die betroffene Person haben, sodass die Analgesie – nach der Sicherung der Vitalfunktionen – eine hohe notfallmedizinische Priorität hat [5]. Über zwei Drittel der Patienten im Rettungsdienst äußern Schmerzen [31]. Gleichzeitig führen Schmerzzustände häufig zu einer Nachforderung des Notarztes [34]. Um die Patientenversorgung bei starken Schmerzen zu verbessern und das Notarztsystem nicht mit vermeidbaren Notarzteinsätzen zu belasten, delegieren die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) in Bayern an Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter (NotSan) seit Ende 2019 im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2c Notfallsanitätergesetz (NotSanG) bei isolierten Extremitätenverletzungen die Verabreichung eines Opioidanalgetikums (Abb. 1; [10]). Unter Bezugnahme auf die Nomenklatur des NotSanG verwenden wir im Folgenden für die ÄLRD-delegierte Medikamentengabe durch NotSan den Begriff „eigenständig“.
Delegationsalgorithmus „Isolierte Extremitätenverletzung“. Delegationsalgorithmus i.v.-Zugang, Infusion, Analgesie und achsengerechte Lagerung bei isolierter Extremitätenverletzung (Stand Dezember 2019; [10]). (©All rights reserved, mit freundlicher Genehmigung von ÄLRD Bayern). aMax. 2 Versuche – kein i.o.-Zugang, bnach Medikamentenliste Delegation
Gegenstand des hier betrachteten Delegationsalgorithmus ist die Anlage eines i.v.-Zugangs inklusive Infusion sowie die Verabreichung von 7,5 mg Piritramid als Kurzinfusion bei Patienten mit nichttolerablen Schmerzen aufgrund einer Verletzung von genau einer Extremität.
Piritramid ist ein reiner µ‑Opioidrezeptor-Agonist mit einer relativen analgetischen Potenz im Vergleich zu Morphin von 0,7 bis 0,75. Nach i.v.-Injektion setzt die Wirkung nach wenigen Minuten ein und erreicht nach 45 min ihr Maximum. Die Wirkdauer wird mit 4–6 h angegeben [18, 23]. Piritramid kommt im deutschsprachigen Raum überwiegend zur postoperativen Analgesie und bei verletzungsbedingten Schmerzen [18], aber auch in vielen Notaufnahmen zum Einsatz.
Eine ÄLRD-Delegation erfolgt nur in Fällen ohne Notarztindikation. Falls eine Notarztindikation durch den NotSan festgestellt wird, erfolgt eine Notarztnachalarmierung und der NotSan hat die Möglichkeit, die erweiterte Patientenversorgung im Rahmen der Heilkundekompetenz nach § 2a NotSanG bzw. dem rechtfertigenden Notstand vorzunehmen. Der Notarztindikationskatalog für die integrierten Leitstellen wurde im Zuge der Einführung der ÄLRD-Delegation nicht verändert [3].
Weitere Medikamentengaben sind nicht delegiert, insbesondere nicht die von Sauerstoff oder Antiemetika. Nach Abschluss der Versorgung ist ein Kliniktransport obligat. Der komplette Algorithmus ist in Abb. 1 dargestellt, und begleitende Erläuterungen sind im Internet verfügbar [1, 2, 4]. Bezüglich Details zu Entstehungsgeschichte, Rahmenbedingungen, Schulungsaspekten und Qualitätsmanagement verweisen wir auf eine frühere Publikation [10].
Bis dato ist unbekannt, ob die eigenständige Anwendung des Delegationsalgorithmus „Isolierte Extremitätenverletzung“ durch NotSan wirksam und sicher ist. Mittels einer retrospektiven Auswertung der elektronischen Einsatzdokumentation untersucht diese Arbeit, wie sich das Schmerzniveau nach eigenständiger Analgesie mit Piritramid durch NotSan im Verlauf des Einsatzes verändert. Ferner wird die Dokumentation auf Hinweise für Patientengefährdungen ausgewertet.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Vor Implementierung der Delegation hat das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration als oberste Rettungsdienstbehörde die betäubungsmittelrechtlichen Implikationen geprüft und das Prozedere als rechtskonform bewertet [4]. Die Ethikkommission der Universität Regensburg hat keine berufsethischen oder rechtlichen Bedenken gegen die Datenauswertung (Aktenzeichen 22-2825-104).
Das QM-System
Die Einsatzdokumentation des Rettungsdienstfachpersonals erfolgt in Bayern einheitlich elektronisch auf Tablet-PCs (NIDApads mit Software NIDAmobile, Fa. medDV GmbH, Fernwald, Deutschland). Das proprietäre Dokumentationssystem basiert auf dem DIVI-Notfalleinsatzprotokoll Version 5.2 und dem Minimalen Notfalldatensatz (MIND; [9]) und wurde an die Bedürfnisse des bayerischen Rettungsdiensts angepasst. Dies betrifft insbesondere spezifische Dokumentationsmöglichkeiten für ÄLRD-delegierte Patientenversorgungen. Sofern NotSan im Rahmen der ÄLRD-Delegation eigenständig heilkundliche Maßnahmen ergreifen, sind die betreffenden Einsätze in der elektronischen Einsatzdokumentation mittels Auswahl der herangezogenen Delegationsalgorithmen zu kennzeichnen. Im Rahmen des Qualitätsmanagements (QM) werden die Datensätze pseudonymisiert und ohne personenbeziehbare Angaben zu Patient oder Rettungsdienstfachpersonal an das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement München (INM) als beratendes wissenschaftliches Institut für den bayerischen Rettungsdienst übermittelt.
Dort werden die Datensätze für die Auswertung aufbereitet, in einer Oracle-Datenbank gespeichert und in einem automatisierten Verfahren einer inhaltlichen und Plausibilitätsprüfung unterzogen. Im Anschluss werden sie den ÄLRD zur Kontrolle elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Auf der Basis dieser Analyse kann der ÄLRD mit den Durchführenden des Rettungsdiensts Kontakt aufnehmen und in den Dialog treten. Details zu Strukturen und Abläufen des QM finden sich bei Dittmar et al. [10].
Datengrundlage der Studie
In die Studienpopulation wurden alle digital dokumentierten Einsätze des Zeitraums 01.01.2020–31.12.2021 (24 Monate) eingeschlossen, bei denen durch den verantwortlichen NotSan die Anwendung des ÄLRD-Delegationsalgorithmus „Isolierte Extremitätenverletzung“ durch Auswahl des entsprechenden Klickfelds angegeben wurde. Dieses in der vorliegenden Untersuchung als Einschlussmerkmal herangezogene Dokumentationsitem kann unabhängig von der weiteren Dokumentation ausgewählt oder unterlassen werden. Die Studienpopulation wurde in Subgruppen unterteilt. Dies erfolgte einerseits in Abhängigkeit davon, ob die delegierte Analgesie tatsächlich durchgeführt wurde („PIRI+“) oder nicht („PIRI−“) und ob ein Notarzt in dem Einsatz involviert war („NA+“) oder nicht („NA−“).
Endpunkte
Betrachtet wurde das Schmerzniveau vor Behandlung und bei Übergabe. Um Hinweise für Patientengefährdungen durch die Analgesie zu erfassen, wurden die Veränderung der Vitalwerte und die Häufigkeit von bestimmten Folgemaßnahmen zum Abmildern von unerwünschten Wirkungen und Komplikationen erfasst.
Schmerzniveau
Das Schmerzniveau wurde anhand der numerischen Rating-Skala (NRS) sowie des Vorliegens eines nichttolerierbaren Schmerzes dokumentiert und ausgewertet. Dargestellt werden die initialen NRS-Werte sowie der Übergabewert für die NRS als Median und Interquartilsabstand (IQR). Sofern kein Übergabewert dokumentiert ist, wurde der letzte vorliegende Verlaufswert verwendet. Daneben werden die Differenz auf Patientenebene (∆NRS; Median und IQR) sowie die prozentualen Anteile mit Vorliegen nichttolerabler Schmerzen dargestellt. Als nichttolerabler Schmerz wird sowohl im Algorithmus als auch in dieser Arbeit gewertet, wenn die verletzte Person trotz Ausschöpfung der Basismaßnahmen einschließlich Lagerung verbal oder nonverbal stärkste, nicht aushaltbare Schmerzen äußert bzw. wenn eine entsprechende Lagerung und der Transport ohne Analgesie nicht möglich sind. Ein tolerables Schmerzniveau meint in diesem Zusammenhang die Abwesenheit von nichttolerablen Schmerzen [8].
Um Hinweise auf die zeitliche Latenz zwischen Piritramidverabreichung und Schmerzlinderung zu erhalten, wird für Fälle aus PIRI+ das ∆NRS zur Transportzeit (Abfahrt von der Einsatzstelle bis Übergabezeit) gegenübergestellt.
Ferner wird der Anteil erreichter relevanter Schmerzlinderungen bei Patienten mit einem initialen Schmerzniveau von mindestens 5 angegeben. Hierunter wird eine Senkung des Schmerzniveaus nach NRS um mindestens 2 Punkte oder unter einen Wert von 5 verstanden [7, 13, 25, 27, 30, 33]. Fehlende Werte nach Therapie zählen als Nichterreichung einer relevanten Schmerzreduktion.
Für die Subgruppe PIRI+ wurde geprüft, ob eine ergänzende Analgesie mit zusätzlichem Piritramid, Metamizol, Fentanyl, Sufentanil, Morphin oder Esketamin/Ketamin durchgeführt wurde.
Vitalwerte
Um den Einfluss der delegierten Analgesie auf die Stabilität der Vitalfunktionen zu betrachten, wurden bei Einsätzen mit vollzogener delegierter Analgesie (PIRI+) die Veränderungen von pulsoxymetrisch gemessener Sauerstoffsättigung (SpO2), Glasgow Coma Scale (GCS) und systolischem Blutdruck in mm Hg (RRsys) ermittelt. Bezüglich der dokumentierten Atemfrequenz konnten keine validen Ergebnisse erwartet werden.
Für die GCS wurde der Unterschied zwischen Initial- und Übergabewert errechnet. Bei RRsys und SpO2 wurde die Differenz zum niedrigsten gemessenen Verlaufs- oder Übergabewert bestimmt. Aufgrund der Artefaktanfälligkeit mit häufig auftretenden falsch-niedrigen Befunden wurden dabei die niedrigsten 20 % der dokumentierten SpO2-Messwerte vernachlässigt, sofern mindestens fünf Messwerte vorlagen.
Ferner wurde geprüft, ob ein Basismonitoring durchgeführt wurde. Dies wurde als erfüllt gewertet, sofern mindestens je zwei Messwerte für Blutdruck, SpO2, GCS sowie Herzfrequenz oder Puls im Einsatzprotokoll zu finden sind.
Folgemaßnahmen
Als Hinweise auf eine Patientengefährdung wurde ausgewertet, ob auf die delegierte Piritramidgabe eine Sauerstoffgabe, Atemwegsintervention oder Beatmung, Antagonisierung mit Naloxon oder intravenöse Antiemetikagabe folgte.
Als Atemwegsintervention bzw. Beatmung wurden die Dokumentation von Freihalten der Atemwege, Absaugung, Intubation, Anwendung einer pharyngealen oder supraglottischen Atemwegshilfe sowie jede Form der Beatmungsdokumentation gezählt. Zur Erhebung einer Antiemetikagabe wurde nach den Wirkstoffen Dimenhydrinat, Metoclopramid, Ondansetron und Granisetron gesucht.
Statistik
Das Patientenalter ist als Mittelwert ± Standardabweichung angegeben, Schmerzniveau sowie Änderungen von SpO2, RRsys und GCS als Median und IQR. Prozentwerte werden als Anteil an den auswertbaren Fällen dargestellt.
Die Datenauswertung und statistischen Vergleiche erfolgten mit R für statistische Berechnungen und Grafiken (R Project for Statistical Computing). Ob signifikante Veränderungen im Vorher-nachher-Vergleich der NRS zwischen dokumentiertem Erstbefund und bei Übergabe erreicht wurden, wurde für Fälle mit Dokumentation von mindestens zwei NRS-Werten mittels des Wilcoxon-Tests für gepaarte Stichproben überprüft, Unterschiede in der Verteilung zwischen tolerablem und nichttolerablem Schmerz mit dem Chi2-Test. Als empirisches Signifikanzniveau wird p < 0,01 festgelegt.
Ergebnisse
Anwendungshäufigkeit
Im 24-monatigen Betrachtungszeitraum wurden 4.657.018 Datensätze zu Einsätzen des Rettungsdiensts an das INM übermittelt (Quellpopulation). Davon erwuchsen 1.404.270 aus Notfalleinsätzen durch Rettungstransportwägen (RTW). Bei 7151 Einsätzen der Quellpopulation wurde der ÄLRD-Delegationsalgorithmus „Isolierte Extremitätenverletzung“ dokumentiert angewendet, was einer relativen Anwendungshäufigkeit von 51 pro 10.000 Notfalleinsätze durch RTW entspricht. Die 7151 Anwendungsfälle des Delegationsalgorithmus umfassen auch Einsätze mit zusätzlicher notärztlicher Analgetikagabe. Nicht erfasst sind Fälle, bei denen die Analgesie ausschließlich mit anderer Rechtfertigung abseits der ÄLRD-Delegation erfolgte.
Wie in Abb. 2 dargestellt, ist in 85,3 % der Studienpopulation (6097 Fälle) eine eigenständige medikamentöse Analgesie in ÄLRD-Delegation dokumentiert (Subgruppe PIRI+). Bei den 1054 Einsätzen ohne erfolgte ÄLRD-delegierte Analgesie (PIRI−) finden sich jedoch 529 Verabreichungen von Analgetika mit anderer Rechtfertigung, z. B. im rechtfertigenden Notstand oder veranlasst durch einen anwesenden Notarzt. Darunter waren unter anderem 205 Piritramidgaben. Siebenunddreißig Protokolle (0,5 %) weisen eine Verweigerung der Piritramidgabe durch den Patienten aus.
Bei 6293 Einsätzen (89,0 %) war kein Notarzt involviert (NA−). Eine notärztliche Beteiligung ist demgegenüber in 11,0 % dokumentiert (NA+), meist im Sinne einer Nachforderung (9,4 %). In 1,5 % wurde der Notarzt bereits primär parallel alarmiert (Tab. 1). Es fanden 5614 delegierte Analgesien durch NotSan ohne Notarztbeteiligung statt, in 446 Fällen im Rahmen eines Notarzteinsatzes.
Beschreibung des Studienkollektivs
Rund 70 % der Einsätze der Studienpopulation fanden am Tag (6:00–17:59 Uhr) statt. Es waren überwiegend Einzelverletzungen (90,2 %), vor allem isolierte Verletzungen der unteren Extremität (51,0 %) zu versorgen. Eine isolierte Verletzung der oberen Extremität lag in 35,0 % vor (Tab. 1).
Das weibliche Geschlecht dominierte mit 62,2 %. Es handelte sich vornehmlich um ältere Patienten. Das durchschnittliche Alter lag bei 62,3 ± 23,8 Jahren, ein Drittel der Patienten war 80 Jahre oder älter. Obwohl Kinder vor Eintritt der Pubertät von der Delegationsmaßnahme ausgeschlossen sind, wurden 27 Patienten unter zwölf Jahren unter Berufung auf die Delegation behandelt. Davon erfolgten 15 Einsätze ohne Notarzt, sechs Fälle mündeten in einer Verabreichung von Piritramid.
Häufigster Unfallhergang waren Stürze mit einer Fallhöhe unter 3 m (59,6 %). Einsatzort war meist eine Wohnung (48,4 %), gefolgt vom Einsatzort Straße (17,5 %).
Fast alle Einsätze endeten mit der Übergabe des Patienten im Krankenhaus. In einer ambulanten Arztpraxis wurden 0,1 % (n = 8) der Fälle vorgestellt.
Schmerzniveau
Das Schmerzniveau auf der NRS betrug für die Studienpopulation im Erstbefund 7 (IQR 2) und reduzierte sich bis zur Übergabe auf 3 (IQR 2) (p < 0,001 im gepaarten Vergleich). Das ∆NRS lag bei 4 (IQR 2). Identische Ergebnisse fanden sich für die Subgruppe PIRI+. Auch in den anderen Subgruppen zeigte sich eine signifikante NRS-Reduktion über den Einsatzverlauf (Abb. 3, Tab. 2).
Schmerzniveau vor und nach Therapie. Schmerzniveau im Erstbefund und bei Übergabe (ersatzweise letzter dokumentierter Verlaufswert). Dargestellt sind Median, Quartile sowie 10. und 90. Perzentil für die NRS für Patienten mit mindestens zwei auswertbaren NRS-Werten (links und Mitte), links für alle Patienten der Studienpopulation (n = 6424, p < 0,001, Wilcoxon-Test), Mitte für Patienten aus PIRI+ (n = 5512, p < 0,001, Wilcoxon-Test). Rechts Veränderung des Anteils an tolerablem Schmerzniveau bei Patienten aus PIRI+ (n = 6097, p < 0,001, Chi2-Test). NRS numerische Rating-Skala
Nichttolerable Schmerzen wurden bei 90,7 % der eingeschlossenen Fälle dokumentiert, in der Gruppe PIRI+ bei 96,6 %. Bis zur Übergabe verminderte sich der Anteil auf 3,7 % (p = 0,005) bzw. 3,1 % (p < 0,001). PIRI− wies initial einen Anteil nichttolerabler Schmerzen von 56,0 % auf, der im Verlauf auf 6,8 % abnahm (p < 0,001; Tab. 2).
Eine relevante Schmerzlinderung konnte in der gesamten Studienpopulation sowie der Subgruppe PIRI+ in über 90 % der Fälle erreicht werden, in PIRI− in 76,1 % (Tab. 2).
Es konnte keine Abhängigkeit des erreichten ∆NRS von der Transportzeit gezeigt werden (Abb. 4). Gleiches gilt für die Betrachtung des Intervalls zwischen dokumentiertem Zeitpunkt der Analgesie und dem Übergabezeitpunkt (nicht dargestellt).
∆NRS und Transportdauer. Gegenüberstellung von ∆NRS und Transportintervall für Fälle aus PIRI+ mit den hierfür erforderlichen Informationen (n = 3699). Als Transportdauer wurde das Zeitintervall zwischen der Abgabe des Status 7 im Funkmeldesystem (FMS) und dem dokumentierten Übergabezeitpunkt herangezogen. ∆NRS Veränderung der numerische Rating-Skala vom Initial- zum Übergabebefund (ersatzweise letzter dokumentierter Verlaufswert)
In der Subgruppe PIRI+ erhielten 304 Patienten (5,0 %) außerhalb der ÄLRD-Delegation eine zusätzliche Gabe eines Analgetikums, davon in 256 Fällen im Rahmen eines Notarzteinsatzes. Auf welcher Rechtsgrundlage die zusätzliche Analgesie im Einzelnen erfolgte, lässt sich aus den verfügbaren Daten nicht beantworten.
Weitere Details sind Tab. 2 zu entnehmen.
Vitalwerte
In der Subgruppe PIRI+ lag der bereinigte minimale SpO2-Wert im Median bei 96 % (IQR 4). Im Median fiel die SpO2 um 1 Prozentpunkt (IQR 2).
Eine Veränderung des medianen GCS-Werts über das Behandlungsintervall hinweg war nicht festzustellen (medianer Unterschied 0 [IQR 0]), lediglich bei 44 Patienten (0,7 %) zeigte sich eine Reduktion um 1 oder 2 Punkte. Zehn Patienten (0,2 %) wiesen eine Reduktion um > 2 Punkte auf. Diese zehn Einsätze wurden anhand der Einsatzprotokolle einzeln retrospektiv bewertet. Bei acht Fällen war durch den nachgeforderten Notarzt eine zusätzliche Analgesie mit Fentanyl oder Ketamin erfolgt. Ein weiterer Patient war im Rahmen eines Krampfanfalls gestürzt, krampfte nach der Piritramidanalgesie erneut und erhielt vom Notarzt Midazolam, sodass der GCS-Wert bei Übergabe mit 3 angegeben wurde. Der zehnte Patient wies einen Übergabe-GCS-Wert von 12 auf, ohne dass dies im Einsatzprotokoll erläutert oder ein Notarzt hinzugezogen wurde.
Bei Übergabe war der RRsys im Median um 8 mm Hg (IQR 19) niedriger als initial.
In 7,8 % (n = 473) der PIRI+-Fälle war aus der Dokumentation nicht ersichtlich, dass das notwendige Monitoring der Vitalparameter durchgeführt wurde.
Folgemaßnahmen
Eine Sauerstoffgabe ist in knapp 10 % der Fälle von PIRI+ dokumentiert, wobei diese in der Mehrzahl ohne Anwesenheit eines Notarztes durchgeführt wurde (Tab. 3).
Die Dokumentation einer Atemwegssicherung oder Beatmung findet sich in neun Fällen (0,1 %), die ebenfalls einzeln retrospektiv bewertet wurden. In drei Fällen liegt eine offensichtliche Fehldokumentation vor. Bei weiteren drei Fällen war die Intervention („Atemwege freimachen“/Maske-Beutel-Beatmung, „Atemwege freimachen“/Absaugen sowie eine Wendel-Tubus-Anwendung) nach einer zusätzlichen Opiatgabe durch den nachgeforderten Notarzt erfolgt. Daneben fand sich oben genannter Patient nach Krampfanfall erneut, der auch einen Guedel-Tubus erhalten hatte. Bei einem weiteren Fall mit dokumentierter Maßnahme „Atemwege freimachen“ handelte es sich um eine über 90-jährige Patientin, bei der bereits vor Analgesie eine deutliche respiratorische Einschränkung (Atemfrequenz 8 /min, SpO2 86 %) aufgefallen war. Diese Patientin wies damit Ausschlusskriterien für die delegierte Opiatgabe auf. Abschließend findet sich ein Einsatz bei einer 70 Jahre alten Dame mit progredientem SpO2-Abfall nach Piritramidgabe bis auf 74 %. Hier wurde neben einer O2-Applikation von 2 l/min eine Absaugung dokumentiert.
Im PIRI+-Kollektiv finden sich zudem zwei dokumentierte Anwendungen von Naloxon zur Antagonisierung der Opiatwirkung. Beide erfolgten in Zusammenhang mit Fentanylgaben durch Notärzte. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der durch ÄLRD delegierten Piritramidgabe ist nicht ersichtlich.
In 139 Fällen (2,3 %) kam ein Antiemetikum zum Einsatz, 89-mal im Rahmen eines Notarzteinsatzes und in 50 Fällen ohne Beteiligung eines Notarztes.
Diskussion
Nach dem Ausschluss oder der Behandlung lebensbedrohlicher Situationen ist eine effektive Schmerztherapie ein wichtiges Therapieziel in der Notfallversorgung. Mit der eigenständigen Opiatanalgesie nach isoliertem Extremitätentrauma durch NotSan entlang eines Delegationsalgorithmus ohne wesentlichen eigenen Entscheidungsspielraum wird seitens der ÄLRD primär das Ziel verfolgt, die Transportfähigkeit der Patienten herzustellen und eine situationsentsprechende Schmerzzufriedenheit zu erreichen. Hierbei steht wohlgemerkt das Erreichen von Schmerzfreiheit nicht im Vordergrund. Nach Auswertung von Routinedaten des bayerischen Rettungsdiensts zeigt sich, dass dieses Ziel durch die Verabreichung von Piritramid durch NotSan in ÄLRD-Delegation erreicht werden kann. Kritische Komplikationen wurden nur in seltenen Einzelfällen dokumentiert. Nur in etwa jedem zehnten Fall war hierzu die Hinzuziehung eines Notarztes und die Gabe zusätzlicher Analgetika erforderlich.
Da Piritramid international wenig gebräuchlich ist, liegen kaum Studien zur prähospitalen Anwendung vor. Eine PubMed-Suche mit den Medical Subject Headings „Prehospital Emergency Care“ und „Piritramide“ lieferte lediglich zwei Treffer [12, 20]: Eine retrospektive Auswertung von Luftrettungseinsätzen in Deutschland ergab, dass bei Kindern bis 16 Jahren nach nicht näher differenziertem Trauma in einer Piritramid-dominierten Opiattherapiegruppe der NRS-Wert um 4,5 Punkte sank [12]. Hoogewijs et al. verglichen den Effekt von vier verschiedenen Analgesieregimen in der Notaufnahme an jeweils 40 Patienten mit isoliertem Extremitätentrauma. Intramuskuläres Piritramid (0,25 mg/kg) senkte das Schmerzniveau auf der visuellen Analogskala (VAS) um etwas mehr als 2 Punkte. Eine signifikante Änderung war jedoch erst mit einer Latenz von mehr als 30 min nachweisbar [20].
Analgetischer Effekt
Piritramid in einer Dosierung von 7,5 mg, vom ÄLRD delegiert und eigenständig durch NotSan verabreicht, ist mit einer Reduktion des Schmerzniveaus um 4 Punkte auf der NRS und in 96,9 % mit einem tolerablen Schmerzniveau bei Übergabe assoziiert. Eine relevante Schmerzlinderung konnte in 93,5 % beobachtet werden. Diese Ergebnisse sind hinsichtlich ihrer Effektstärke vergleichbar mit (tele‑)notarztbasierten Analgesiekonzepten in Deutschland bei Patientenkollektiven unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Schmerzursachen [7, 12, 15, 25, 30].
Die vorliegenden Daten lassen nur begrenzte Aussagen zur Latenzzeit bis zur Schmerzminderung zu. Aufgrund der Verabreichung als Kurzinfusion und weiterer pharmakologischer Charakteristika ist das hier zur Debatte stehende Analgesiekonzept nicht für die sofortige Behebung kritischer Schmerzzustände geeignet und auch nicht vorgesehen. Für derartige Situationen steht den NotSan in Bayern Fentanyl zur Verabreichung im rechtfertigenden Notstand zur Verfügung. Dass kein Zusammenhang zwischen der Transportdauer und dem ∆NRS gezeigt werden konnte, lässt den Schluss zu, dass die Schmerzlinderung größtenteils bereits zum Transportbeginn eingetreten ist.
Folgemaßnahmen und Sicherheit
Im Median nahm die SpO2 lediglich um einen Prozentpunkt ab. Die Bereinigung der gemessenen SpO2-Werte schien notwendig, da durch die automatische Übernahme von Daten des Patientenmonitors in die Einsatzdokumentation in der Regel keine Korrektur von unplausiblen Werten erfolgt. Dies kann zu einer Unterschätzung von, insbesondere kurzzeitigen, Sättigungsabfällen geführt haben.
Bei Beschränkung auf die delegierte Piritramidmenge wurden lediglich in drei Fällen Maßnahmen zur Atemwegssicherung dokumentiert. Nur in einem der besagten Fälle scheint bei retrospektiver Betrachtung die Notwendigkeit zur Atemwegssicherung weit überwiegend auf die Opiatgabe zurückzuführen zu sein. Eine Antagonisierung der Opiatwirkung war offenbar in keinem Fall erforderlich. Allerdings wurde bei etwa jedem zehnten Einsatz Sauerstoff verabreicht, ohne dass dies Gegenstand der ÄLRD-Delegation war. Ob dies Ausdruck einer opiatinduzierten Atemdepression mit konsekutiver Hypoxämie war, anderen Ursachen geschuldet war oder prophylaktisch erfolgte, lässt sich aus der Einsatzdokumentation nicht nachvollziehen. Bei prospektivem Studiendesign hätte die wiederholte Erhebung der Atemfrequenz oder die Kapnometrie beim wachen Patienten als Surrogatparameter der Atemdepression betrachtet werden können [35]. Solche Messungen fanden in unserem Studienkollektiv jedoch nicht regelhaft statt. Auch ist keine Aussage über die etwaige Notwendigkeit einer Kommandoatmung möglich.
Die Bewusstseinslage reduzierte sich nur in wenigen Einzelfällen, meist nach zusätzlicher Analgesie durch einen herbeigerufenen Notarzt. Lediglich in einem Fall könnte die Piritramidgabe durch NotSan für eine GCS-Reduktion um drei Punkte verantwortlich sein.
Die beobachtete geringe Reduktion der Blutdruckwerte kann als gewünschte Senkung des Stressniveaus der Patienten interpretiert werden.
In 2,3 % der Fälle erhielten die Patienten im Zusammenhang mit der Piritramidgabe ein Antiemetikum, häufig eigenverantwortlich vom NotSan indiziert. Dies kann als Ausdruck von Übelkeit und ggf. Erbrechen als bekannter Nebenwirkung einer Opiattherapie verstanden werden. Da die Antiemese abseits der ÄLRD-Delegation erfolgte, besteht für die Gabe keine einheitliche Indikation, was eine Bewertung von Häufigkeit und Intensität der opiatinduzierten Übelkeit nicht erlaubt.
Wie sich aus Tab. 1 ergibt, fand der Delegationsalgorithmus der Einsatzdokumentation zufolge nicht nur bei isolierten Extremitätenverletzungen Anwendung. Diese Beobachtung mag einer ungenauen Dokumentation des Verletzungsmusters geschuldet sein, kann aber auch für eine unvollständige Compliance der Anwender mit dem delegierten Indikationsbereich sprechen. Die Anwendung bei mehrfachverletzten oder gar polytraumatisierten Patienten könnte ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellen.
Zusammenfassend findet die vorliegende Auswertung bei Einhaltung von Ausschlusskriterien und Dosierungsvorgaben nur in zwei von über 6000 Fällen der Subgruppe PIRI+ Hinweise auf unerwünschte Wirkungen der Piritramidverabreichung, zu deren Beherrschung heilkundliche Maßnahmen abseits einer einfachen Sauerstoffgabe ergriffen wurden.
Notarztbeteiligung
Unter den ausgewerteten 7151 Anwendungen des Delegationsalgorithmus finden sich 775 Notarzteinsätze, davon 446 im Kontext einer eigenständigen Piritramidanalgesie (PIRI+). Überwiegend handelt es sich dabei um Nachforderungen. Die höheren Anteile an zusätzlicher Analgesie, Sauerstoffgabe und Antiemese (Tab. 2 und 3) bei NA-Beteiligung sprechen dafür, dass der Notarzt häufig aufgrund unzureichenden Behandlungserfolgs oder bei Komplikationen nachalarmiert wurde.
Legt man die Annahme zugrunde, dass ohne ÄLRD-Delegation jeweils ein Notarzt hätte zur Schmerztherapie nachalarmiert werden müssen, ergibt sich innerhalb des Zweijahreszeitraums eine Vermeidung von über 5000 Notarzteinsätzen, was ca. 0,6 % des jährlichen Notarzteinsatzaufkommens in Bayern entspricht [21].
Rechtliche Aspekte der Opiatgabe durch NotSan
Die Verabreichung von Betäubungsmitteln durch Notfallsanitäter ohne Anwesenheit eines Arztes wird in der Literatur kontrovers diskutiert, sodass nur wenige opiatgestützte Analgesiekonzepte für NotSan in der Bundesrepublik existieren. Einige Autoren halten diese für juristisch angreifbar, da das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) einen expliziten Arztvorbehalt für die Anwendung von Betäubungsmitteln vorsieht [19, 22, 24]. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags stellt fest, dass keine definitive Rechtssicherheit für die Verabreichung von Betäubungsmitteln durch NotSan bestünde [37]. Diese Problematik wird andernorts durch ein sogenanntes Call-back-Verfahren [15, 16, 28], telenotärztliche Anordnung der Opiatgabe [7, 25] oder das Ausweichen auf nicht dem BtMG unterliegende Opioid- oder Nichtopioidanalgetika [6, 17, 26, 28, 30, 35] gelöst. Allerdings ist auch das Call-back-Verfahren umstritten [19].
Andere Autoren sehen dagegen eine ÄLRD-Delegation als ausreichende Rechtfertigung für die Verabreichung von Betäubungsmitteln durch NotSan an [14]. Die oberste Rettungsdienstbehörde in Bayern vertritt ebenfalls die Auffassung, dass der ÄLRD im Rahmen der Delegation nach § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG als behandelnder Arzt im Sinne des BtMG anzusehen sei [4]. Auch die bayerischen ÄLRD sehen die Verabreichung von Betäubungsmitteln als im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG delegierbar an [11].
In der Literatur findet sich nur ein Bericht über die Betäubungsmittelverabreichung durch NotSan (und Rettungsassistenten) ohne Arztkontakt, wobei nicht näher ausgeführt wird, ob dies auf Basis einer Delegation oder im rechtfertigenden Notstand stattfand [29].
Limitationen
Die beschriebene Reduktion des Schmerzerlebens kann nicht ausschließlich den pharmakologischen Effekten des Opiats zugeschrieben werden. Den Patienten wurden in der Regel auch Basismaßnahmen wie z. B. Ruhigstellung und Kühlung zuteil, welche ebenfalls eine schmerzreduzierende Wirkung entfalten können. Darüber hinaus sind mögliche Wirkungen der therapeutischen Kommunikation und der Placeboeffekt zu beachten [32, 36].
Aufgrund der retrospektiven Auswertung von Routinedaten hängen die Ergebnisse von der Dokumentationsqualität ab. Es ist daher denkbar, dass aufgrund unvollständiger Dokumentation Delegationsfälle nicht berücksichtigt wurden. Gleiches gilt für Komplikationen wie Agitiertheit, Herzrhythmusstörungen o. Ä., deren retrospektive Erfassung durch das Fehlen spezifischer Dokumentationsfelder erschwert wird. Weiter ist die Stichprobengröße nicht ausreichend, um Aussagen über seltene Nebenwirkungen und Komplikationen treffen zu können. Auch konnte die Notarztdokumentation nicht mit ausgewertet werden, da diese in Bayern bis dato nicht regelhaft in elektronischer Form erfolgt, sodass Befunde und Maßnahmen, die dort verzeichnet sind, keine Berücksichtigung fanden.
Fazit für die Praxis
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Die durch die Ärztliche Leitung Rettungsdienst delegierte Piritramidgabe durch Notfallsanitäter (NotSan) ist mit einer vergleichbaren Schmerzreduktion vergesellschaftet wie (tele‑)notärztliche Analgesiekonzepte, sodass sich dieses Vorgehen als geeignete Alternative zur notärztlichen Analgesie bei unkomplizierten Schmerzzuständen anbietet.
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Hinweise auf kritische Patientenzustände in zeitlichem Zusammenhang mit der eigenständigen Analgesie fanden sich bei Einhaltung von Dosierungsvorgaben und Kontraindikationen nur in Einzelfällen und wurden ohne erkennbaren Patientenschaden beherrscht.
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Eine Ergänzung der Delegation um eine leitliniengerechte Sauerstoffapplikation verspricht den Anwendungsbereich der eigenständigen Patientenversorgung durch NotSan zusätzlich zu erweitern und wurde nach der Auswertungsperiode in Bayern eingeführt.
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Die Heilkundekompetenz der NotSan erstreckt sich aktuell nicht auf die Verabreichung von Betäubungsmitteln. Angesichts der vorliegenden Ergebnisse sei dem Gesetzgeber empfohlen, den Arztvorbehalt im Betäubungsmittelgesetz zugunsten der NotSan zu öffnen, um Rechtssicherheit für die Anwender zu schaffen.
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M.S. Dittmar, K. Kneißl, J. Schlickeisen, C. Lamprecht, M. Kraus, C. Glaser, K.-G. Kanz, S. Nickl, A. Parsch, A. Schiele, S. Prückner, M. Bayeff-Filloff und H. Trentzsch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Dittmar, M.S., Kneißl, K., Schlickeisen, J. et al. Eigenständige Analgesie mit Piritramid durch Notfallsanitäter – retrospektive Auswertung der elektronischen Einsatzdokumentation. Notfall Rettungsmed 27, 225–236 (2024). https://doi.org/10.1007/s10049-023-01156-7
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Schlüsselwörter
- Ärztlicher Leiter Rettungsdienst
- Delegation
- Erweiterte Versorgungsmaßnahmen
- Betäubungsmittel
- Extremitätenverletzung