Mit den neuen Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen – Update 2022 der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) [1, 2] wurden die Empfehlungen aus dem Jahr 2010 nicht nur an die seither veränderten ökonomisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern insbesondere an die vielen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf die Anforderungen an eine qualitativ zeitgemäße Intensivtherapie angepasst.

Relevanz für die Notfall- und Rettungsmedizin – Zielkrankenhaus für die Erstversorgung

Ein Bezug zur Notfall- und Rettungsmedizin ergibt sich an erster Stelle für die Empfehlung eines 3‑Stufen-Modells für Intensivstationen. Dieses findet sich im Einklang mit vielen Ländern (u. a. USA, Australien, Niederlande, Österreich), in denen Intensivstationen einer von 3 Versorgungsstufen zugeordnet werden, sowie mit dem kürzlich publizierten Entwurf der Regierungskommission Krankenhaus beim Bundesministerium für Gesundheit [3]. Insbesondere erfolgt damit auch eine Harmonisierung mit dem 3‑stufigen System der Notfallversorgung, wie es 2018 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) definiert [4] und jüngst von der Regierungskommission Krankenhaus beim Bundesministerium für Gesundheit [5] bestätigt wurde.

Empfehlung

In Anlehnung an die 3 Versorgungsstufen der stationären notfallmedizinischen Versorgung soll die intensivmedizinische Versorgung ebenfalls in eine 3‑stufige Struktur überführt werden. Die personelle und strukturelle Ausstattung der Intensivstationen soll an die jeweilige Versorgungsstufe adaptiert werden. Eine Einteilung sollte in folgende 3 intensivmedizinische Versorgungsstufen erfolgen:

  • Intensivmedizinische Basisversorgung (Stufe 1)

    Auf einer Intensivstation der Stufe 1 können Notfallbehandlungen, Eingriffe und Behandlungen durchgeführt werden, für die regelmäßig eine intensivmedizinische Überwachung oder eine kurzfristige Intensivbehandlung erforderlich werden kann. Die Intensivstation ist in der Lage, vital bedrohte Patienten kurzfristig so zu stabilisieren, dass sie im Rahmen von – vertraglich oder zumindest schriftlich zwischen den Partnern fixierten – Kooperationen auf eine Intensivstation einer höheren Stufe verlegt werden können.

  • Erweiterte intensivmedizinische Versorgung (Stufe 2)

    Intensivstationen der Stufe 2 sind so ausgestattet, dass sie die meisten konservativen und operativen Intensivpatienten vollständig versorgen können. Patienten, für die die entsprechenden Fachrichtungen am Standort nicht verfügbar sind (z. B. Neurochirurgie, Herzchirurgie, Transplantationsmedizin) oder die spezielle Organersatzverfahren benötigen (z. B. extrakorporaler Lungen- und Herzersatz, ECMO/ECLS), werden im Rahmen von Kooperationen (siehe Stufe 1) auf Intensivstationen der Stufe 3 verlegt.

  • Umfassende intensivmedizinische Versorgung (Stufe 3)

    Krankenhäuser der Stufe 3 bieten, ggf. verteilt auf verschiedene spezialisierte Intensivstationen am Standort, das komplette intensivmedizinische Versorgungsspektrum an und sind auch für die Versorgung hochkomplexer Patienten personell und apparativ angemessen ausgestattet. In der Regel handelt es sich um Universitätskliniken und große akademische Lehrkrankenhäuser.

Eine weitere Differenzierung zwischen den Kliniktypen auf der höchsten Versorgungsstufe 3 ist nicht vorgesehen. Allerdings sind die speziellen Aufwände der Universitätskliniken für Forschung und Lehre gesondert und zusätzlich zu finanzieren. Intensivstationen der Stufe 3 sollten eine Telematikinfrastruktur für ein Netzwerk von Intensivstationen anbieten. Daneben sind Spezialversorger zu berücksichtigen und die Strukturvorgaben für deren Intensivmedizin analog zu definieren.

In Bezug auf den Umfang des Leistungsangebots eines Krankenhauses sind die Anforderungen beider Funktionseinheiten, der Notaufnahmen und der Intensivstation, voneinander abhängig. Für den Rettungsdienst ist es auch von großer Bedeutung, dass für einen Notfallpatienten nicht nur eine adäquate Erstversorgung gewährleistet ist, sondern dass auch im Anschluss eine ggf. notwendige intensivmedizinische Behandlung zur Verfügung steht, die den medizinischen Anforderungen des Patienten angemessen ist, ohne dass eine Weiterverlegung in ein anderes Krankenhaus mit einer höheren Versorgungstufe erforderlich wird. Die Versorgungsstufe, und damit das Leistungsangebot, ist für die initiale Wahl des Transportziels des Notfallpatienten in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus von hoher Relevanz. Die Anforderungen an Fachabteilungen und an die vorzuhaltende technische Ausstattung in Anhängigkeit von den 3 Stufen ist in Tab. 1 dargestellt.

Relevanz für die Notfall- und Rettungsmedizin – Interhospitaltransfers

Die Einteilung von Intensivstationen in 3 Stufen erfordert Regelungen, wenn in einem Haus eine adäquate Versorgung nicht mehr möglich ist und eine Verlegung auf eine Intensivstation bzw. in ein Krankenhaus einer höheren Versorgungsstufe notwendig wird. Auch Verlegungstransporte können, in Abhängigkeit von der jeweiligen lokalen Regelung, zu den Routineaufgaben des Rettungsdienstes gehören. Die möglichen Auswirkungen der 3‑Stufigkeit auf das Transportvolumen sind dabei schwierig abzuschätzen. Einerseits können durch die fachlich orientierte Wahl des geeigneten initialen Zielkrankenhauses unter Berücksichtigung der intensivmedizinischen Leistungsangebote möglicherweise im Anschluss oder später erforderliche Verlegungstransporte vermieden werden. Andererseits ist es denkbar, dass aufgrund eines limitierten Versorgungsangebots auf Intensivstationen der Stufe 1 oder 2 eine Zunahme von Transfers erforderlich wird. Umgekehrt kann es ebenfalls sinnvoll sein, weniger schwer erkrankte Intensivpatienten in eine Intensivstation mit niedrigerer Stufe zu verlegen oder zurückzuverlegen. In den Empfehlungen werden Kooperationen zwischen Intensivstationen mit unterschiedlichen Versorgungsstufen empfohlen. Stabile und fest vereinbarte Kooperationen und Absprachen können den Aufwand der Suche nach einer geeigneten Klinik für eine Verlegung sowohl aufseiten des Krankenhauses als auch aufseiten der Leitstellen deutlich reduzieren.

Tab. 1 Einteilung von Intensivstationen mit den Mindestanforderungen an die Strukturmerkmale für die 3 Stufen

Aufgaben für die Zukunft

Empfehlungen

Die Schaffung und die nachhaltige Finanzierung von Strukturen zum externen Qualitätsvergleich (Datensatzdefinitionen, automatisierte Datenerfassung, Datenregister, Peer Review) sollen durch kooperative Aktivitäten der medizinischen Fachgesellschaften, der Industrie, der Behörden und anderer regulierender Institutionen geschaffen werden.

  • Erstellung analoger 3‑stufiger Strukturempfehlungen für zentrale Notaufnahmen bzw. integrierte Notfallzentren. Diese können die Grundlage für die Einführung einer Vorhaltefinanzierung sein, die im Rahmen einer Krankenhausstrukturreform speziell für Intensivstationen und Notfallzentren diskutiert wird [6]. Ziel sollte es sein, die Notfallzentren personell so auszustatten und die Abrechnungsmodalitäten so auszugestalten, dass die Möglichkeiten der ambulanten Medizin hier vollständig ausgeschöpft werden können.

  • Vereinheitlichung und Interoperabilität der Datensätze der prähospitalen Versorgung, der Behandlung in den Notaufnahmen/Notfallzentren, der Intensivstationen und des weiteren Verlaufs herzustellen. Eine ausgezeichnete Grundlage stellen u. a. die Vorarbeiten des Aktionsbündnisses zur Verbesserung der Kommunikations- und Informationstechnologie in der Intensiv- und Notfallmedizin [7] und Bemühungen in verschiedenen Bundesländern dar.

Jetzt wird es Aufgabe der Politik, der Kostenträger, der Berufsvertretungen, der Krankenhausgesellschaften und anderer Partner im Gesundheitswesen sowie der Gesellschaft als Ganzes sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen in Deutschland eine Notfall- und Intensivmedizin geleistet werden kann, die den eigenen Ansprüchen in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Qualität und internationales Niveau vergleichbarer Länder zumindest genügt. Die Wirkungsentfaltung der einzelnen Empfehlungen unterliegt einem unterschiedlichen zeitlichen Rahmen. Eine Reihe von Empfehlungen ist bereits heute weitgehend umgesetzt oder ist mit vergleichsweise geringem organisatorischem oder ökonomischem Einsatz implementierbar. Andere Empfehlungen sind, obwohl wissenschaftlich erwiesenermaßen für die Erreichung eines hohen Qualitätsstandards erforderlich und in vielen anderen vergleichbaren Ländern flächendeckend im Alltag umgesetzt, im jetzigen Finanzierungsrahmen aber nicht gegenfinanzierbar. Nur mittels einer konzertierten und kontinuierlichen Aktivität und Anstrengung der DIVI und der anderen Fachgesellschaften zusammen mit der Politik bundesweit und auf Länderebene sowie mit Krankenhaus- und Kostenträgern können die Rahmenbedingungen und die Finanzierung an die fachlich medizinischen Erfordernisse angepasst und so eine zukunftsfähige und im internationalen Vergleich aufgewertete Notfall- und Intensivversorgung sichergestellt werden.