Einleitung

Hintergrund

Im Dezember 2020 wurde durch Initiative der Deutschen Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI) und durch Einbindung weiterer Fachvertreter ein Konsensuspapier mit insgesamt 15 Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der zentralen Notfallaufnahme (ZNA) erstellt. Erstmalig wurden damit in Deutschland konsentierte Empfehlungen zu Rahmenbedingungen, Abläufen der Übergabe und Aspekten zu Training und nationaler Implementierung thematisiert. In der Empfehlung 2 wird die Standardisierung der Übergabe kritischer Inhalte unter Zuhilfenahme einer bundesweit einheitlichen Merkhilfe („mnemonic“) empfohlen [14].

Wichtigkeit

Die Übergabe in der Medizin ist definiert als die Übertragung der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit für einige oder alle Aspekte der Versorgung eines oder mehrerer Patienten an eine andere Person oder Berufsgruppe für vorübergehende oder längere Zeit [1, 2].

Verläuft die Übergabe nicht standardisiert und ohne Konzentration auf die Inhalte der Informationsweitergabe, verliert sie deutlich an Wirkung. Zudem werden Aspekte wie z. B. Patientensicherheit, Mitarbeiterzufriedenheit, Teamwork, Effizienz und Informationsfluss negativ beeinflusst [5, 8, 11, 15, 17]. Merkhilfen, als Kernbestandteil der mündlichen Übergabe, sollen genau diesen negativen Einflussgrößen entgegenwirken [18]. Merkhilfen sind Gedächtnisstützen, die eingängig sein sollen und ein Akronym mit einem Prozess verknüpfen [18, 19].

In der Literatur ist inzwischen eine Vielzahl von Merkhilfen zur Standardisierung der mündlichen Übergabe publiziert worden. In Deutschland existiert jedoch bis zum heutigen Tage keine Standardisierung bzw. konkrete Vorgaben, welche Merkhilfe einheitlich zur Übergabe genutzt werden soll. Bewusst haben die Autoren des Konsensuspapiers zur strukturierten Übergabe auf die unreflektierte Nennung bzw. Empfehlung einer der zahlreichen, in der Literatur publizierten, Merkhilfen verzichtet. Nach Meinung der Autoren fehlt in den bekannten Merkhilfen zum einen die feste Integration von Crew-Resource-Management(CRM)-Aspekten und zum anderen gibt es nur wenig Evidenz, welche Inhalte durch einzelne „Buchstaben“ der Merkhilfen abgebildet werden sollen [17].

Ziel der Studie

Die vorliegende Untersuchung definiert erstmalig anhand eines strukturierten und mehrstufigen Konsentierungsprozesses von Experten (Mandatsträgern), welche Übergabeinhalte für erforderlich gehalten werden. Ziel dabei ist die Schaffung einer Grundlage zur Entwicklung einer bundeseinheitlichen Merkhilfe. Die Arbeit leistet so einen Beitrag zur Versorgungsforschung eines alltäglichen Prozesses in zentralen Notaufnahmen, um dadurch letztlich die Patientensicherheit zu erhöhen.

Methodik

Studiendesign

Das durchgeführte Delphi-Verfahren orientierte sich an den Regularien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF; Tab. 1; [3]).

Tab. 1 Abgestufte Prozentzahlen der Teilnehmerzustimmung in Anlehnung an die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)

Im Rahmen des Delphi-Verfahrens ist es vorgesehen, in der ersten Runde die Experten unabhängig voneinander zu befragen, in der zweiten Runde erfolgt dann die Reevaluation des persönlichen Meinungsbilds. Eine zweite Abstimmungsrunde wird durchgeführt, wenn initial zu einer Fragestellung kein Konsens (> 75 % Zustimmung) erreicht wird. In einer zweiten Abstimmungsrunde wird das Ergebnis der ersten Abstimmungsrunde zusammen mit allen Änderungsvorschlägen und relevanten Kommentaren an die Mandatstragenden zurückgemeldet. Anschließend sollen diese prüfen, ob unter Kenntnisstand des Gesamtergebnisses die persönlichen, initialen Antworten aufrechterhalten oder der bisherigen Mehrheit angepasst werden.

Fragebögen und Teilnehmer

Die Fragen für das Delphi-Verfahren wurden auf Basis des bereits publizierten Konsensuspapiers, zweier weiterer Publikationen zur Übergabe in deutschen ZNA und anhand einer Literaturrecherche spezifisch zu Merkhilfen entwickelt [9, 13, 14].

Um die Qualität und Diversität des mehrstufigen Befragungsverfahren zu steigern und somit eine fundierte Aussage zur zukünftigen Weiterentwicklung der strukturierten Übergabe machen zu können, wurde das Expertenpanel, bestehend aus den Autoren des Konsensuspapiers, um Mandatsträger verschiedener Institutionen (Fachgesellschaft, Vereine, Stiftung etc.) und Experten erweitert.

Bei der ersten Gruppe kann durch die Entwicklung und Publikation des Konsensuspapiers davon ausgegangen werden, dass hier eine tiefe fachliche wissenschaftliche Expertise zum Thema Übergabe vorliegt. Bei der Auswahl der Mandatsträger sind die Fachgesellschaften gebeten worden, Experten mit präklinischem und klinischem Bezug zur Übergabe zu nominieren. Bei der dritten Gruppe lassen sich keine einheitlichen Kriterien festlegen. Vielmehr wurde hier auf einen breiten Querschnitt, aktive präklinische und/oder klinische Tätigkeit, Expertise in der klinischen Akut- und Notfallmedizin und hohes Maß an Berufserfahrung geachtet.

Insgesamt haben 52 Teilnehmer am Delphi-Verfahren teilgenommen (Infobox 1).

Statistik

Die Datenerhebung erfolgte mit dem webbasierten Umfragetool SurveyMonkey© (https://www.surveymonkey.de) der Firma Momentive Europe UC (Dublin, Irland). Die jeweiligen Antworten wurden prozentual zur Grundgesamtheit der für diese Frage abgegebenen Antworten angegeben. Eine grafische Darstellung erfolgte in Form von Kreis- und Balkendiagrammen. Die Statistik erfolgte hauptsächlich deskriptiv, kategorielle Daten wurden durch die Angabe von absoluten und relativen Häufigkeiten dargestellt.

Ethik

Die Teilnahme am Delphi-Verfahren erfolgte auf freiwilliger Basis unter Berücksichtigung der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) i. V. m. Art. 7). Eine Einwilligung zur Weiterverarbeitung der Daten wurde von allen Teilnehmern eingeholt. Eine Genehmigung durch eine Ethikkommission war nicht notwendig, da keine patientenbezogenen Daten verwendet wurden. Das Studiendesign steht im Einklang mit der Deklaration von Helsinki [25].

Ergebnisse

Dargestellt werden die abschließenden Ergebnisse, die sich aus den zwei Abstimmungsrunden des Delphi-Verfahrens ergeben haben. In Tab. 2 sind die wichtigsten Abstimmungspunkte mit entsprechendem Konsentierungsgrad aufgelistet. Eine detaillierte Darstellung der einzelnen Fragen sowie deren Ergebnisse der beiden Abstimmungsrunden sind dem e‑Supplement zu entnehmen.

Tab. 2 Darstellung der wichtigsten konsentierten Übergabeinhalte des Delphi-Verfahrens mit entsprechendem Abstimmungsergebnis und Konsentierungsgrad

CRM-Aspekte und Patientenidentifikation

98,1 % (n = 51) der Teilnehmer waren der Meinung, dass es eine einheitliche Merkhilfe zur Übergabe an der Schnittstelle Rettungsdienst zur ZNA geben soll, die universell auf alle Erkrankungs- und Verletzungsentitäten von Notfallpatienten angewendet werden kann. Ebenfalls mit starkem Konsens sprachen sich 96,1 % (n = 49) dafür aus, dass CRM-Aspekte als feste Bestandteile in einer Merkhilfe zur Übergabe verankert werden sollen (z. B. Ruhe bei der Übergabe, keine Manipulation am Patienten während der Übergabe bei stabilen Patienten, Face-to-face-Kommunikation). 98 % (n = 50) aller Teilnehmer stimmten dafür, die Patientenidentifikation während der Übergabe zu kommunizieren. Die dezidierte Befragung, welche Informationen für eine ausreichende Identifikation des Patienten notwendig sind, erbrachte folgende Ergebnisse: Zur Identifikation sollen Nachname (92,2 %, n = 47), Geschlecht (82,4 %, n = 40) und das Alter (82,4 %, n = 40) übermittelt werden. Der Vorname, das Geburtsdatum sowie weitere Merkmale fanden keine mehrheitliche Zustimmung.

Beschreibung der Notfallsituation

Mit starkem Konsens (98,0 %, n = 50) haben sich die Teilnehmer dafür entschieden, dass Angaben zur Beschreibung der Notfallsituation als fester Bestandteil in einer Merkhilfe zur Übergabe verankert werden sollen. Um eine ausreichende Beschreibung der Notfallsituation in einer Merkhilfe zu gewährleisten, erbrachte das Delphi-Verfahren folgenden Konsens: Leitsymptom/Verdachtsdiagnose (Was?) (98,0 %, n = 50), Uhrzeit/„onset“ (Wann?) (94,1 %, n = 48) und Ursache/Auslöser (Wie?) (88,2 %, n = 45). Der Ort/die Auffindesituation (Wo?/Woher?) fand nach zwei Abstimmungsrunden mit 69,1 % (n = 29) eine mehrheitliche Zustimmung.

Notfallpriorität und Vitalparameter

89,8 % (n = 44) haben dafür gestimmt, dass Angaben zur Behandlungspriorität des vorliegenden medizinischen Problems in Form des ABCDE-Schemas als feste Bestandteile in einer Merkhilfe zur Übergabe verankert werden. Starker Konsens bestand bei allen vorliegenden/behandelten Pathologien in der Anwendung sprachlicher Fertigbausteine, wie z. B. bei Vorliegen eines Beatmungsproblems von einem „B-Problem“ zu reden. Die alleinige Erwähnung eines sog. ABCDE-Problems wurde allerdings als nicht ausreichend angesehen, sodass sich die Teilnehmer im Konsens dafür ausgesprochen haben, eine detaillierte Beschreibung des zugrunde liegenden „ABCDE-Problems“ mit Nennung der pathologischen Untersuchungsbefunde (z. B. vorliegendes „A-Problem“ bei Kehlkopftrauma mit inspiratorischem Stridor und Schwellung der Atemwege) in die Merkhilfe aufzunehmen. 92 % (n = 46) sind der Meinung, dass Angaben zu den Vitalparametern fest in eine Merkhilfe zur Übergabe verankert werden sollen und diese im Zusammenhang mit der Schilderung der Behandlungspriorität zu erwähnen sind (94,0 %, n = 47). Ebenfalls bestand Konsens darüber, dass nur pathologische Vitalparameter bei der Übergabe mitzuteilen sind (76,2 %/n = 32). Auffällige Vitalparameter/Scores, die nicht mit der primären Erkrankung/Verletzung im Zusammenhang stehen, sollen übermittelt werden (97,6 %, n = 41), normale Untersuchungsbefunde/Vitalparameter können pauschal als „unauffällig“ zusammengefasst werden (95,2 %, n = 40).

Durchgeführte Handlungen

Angaben zu den präklinisch durchgeführten Maßnahmen sollen übermittelt werden (95,9 %, n = 47) und daher ebenfalls Bestandteil einer Merkhilfe zur Übergabe sein. Die Frage, welche Merkmale während der Übergabe mitgeteilt werden sollen, um eine ausreichende Beschreibung der durchgeführten präklinischen Maßnahmen zu gewährleisten, brachte folgende Abstimmungsergebnisse hervor: Neben der Benennung der Maßnahmen (89,8 %, n = 44) soll deren Umfang/Dosis/Zeitpunkt (81,6 %, n = 40) inkl. der beobachteten Wirkung (75,5 %, n = 37) fest in der Merkhilfe determiniert werden. Bewusst unterlassene Maßnahmen sollen ebenfalls übermittelt werden (85,7 %, n = 36).

Anamnese

98,0 % (n = 48) stimmten dafür, dass Angaben zur Patientenanamnese als fester Bestandteil in einer Merkhilfe zur Übergabe verankert werden sollen. Mit 100,0 % (n = 49) Zustimmung soll die Übergabe von Allergien eindeutig in die Merkhilfe aufgenommen werden. Die Erwähnung des Infektionsstatus (95,9 %, n = 47), relevanter Vorerkrankungen (89,8 %, n = 44), sozialer bzw. organisatorischer Aspekte (85,7 %, n = 42) und der aktuellen Medikation (77,6 %, n = 38) sind ebenfalls Informationen, die im Konsens in die Merkhilfe aufgenommen werden sollten.

Die Übermittlung von Besonderheiten wie z. B. „do not resuscitate“ (DNR), „do not intubate“ (DNI), Zeugen Jehovas etc. fand innerhalb einer zweiten Abstimmung mit 76,2 % (n = 32) Konsens. Auf die Frage, wie vorgegangen werden soll, wenn eine leere bzw. negative Anamnese des Patienten vorliegt (z. B. keine Allergien vorhanden sind), antworteten 75,5 % (n = 37), dass dieser Sachverhalt aktiv bei der Übergabe erwähnt werden soll.

Kein Konsens konnte erzielt werden auf die Frage, wie vorgegangen werden soll, wenn die Anamnese des Patienten positiv ausfällt, aber der Kontext keine Bedeutung für die unmittelbare/lebensrettende Versorgung des Patienten hat (z. B. Nahrungsmittelallergie bei Trauma). Hier zeigte sich mit 54,8 % (n = 23) eine mehrheitliche Zustimmung, dass ein mündlicher Verweis auf die schriftliche Fixierung im Rettungsdienst-/Notarzt-Protokoll während der Übergabe ausreichend ist.

Zusammenfassung, Teamfragen und Zeitdauer

98,0 % (n = 48) der Teilnehmer waren der Meinung, dass die Kerninhalte am Ende der Übergabe durch das aufnehmende Personal (z. B. Teamleader, Pflegekraft) wiederholt werden sollen und dass die Wiederholung als integrierter Bestandteil in einer Merkhilfe zur Übergabe eingelassen werden soll (93,9 %, n = 46). Folgende zu wiederholende Inhalte wurden dabei festgelegt: Patientenidentifikation (53,1 %, n = 26), Ereignisbeschreibung (83,7 %, n = 41), Prioritätenbeschreibung (ABCDE-Schema) (95,9 %, n = 47) und durchgeführte Maßnahmen (75,5 %, n = 37).

100,0 % (n = 48) sind der Meinung, dass am Ende der Übergabe Fragen aus dem aufnehmenden Team zugelassen werden sollen. 83,3 % (n = 40) haben sich dafür ausgesprochen, dass dieser Unterpunkt als fester Bestandteil in einer Merkhilfe zur Übergabe verankert werden soll.

In Bezug auf die Dauer der Übergabe hat sich in Runde 1 ein Mittelwert von 108 sec. ergeben. 85,7 % (n = 36) sind dabei der Meinung, dass die vollständige Übergabe eines komplexen Patienten maximal zwischen 90 und 120 s in Anspruch nehmen sollte.

Reihenfolge

In Runde 1 des Delphi-Verfahrens ist mit 95,5 % (n = 47) die Patientenidentifikation als erster zu übermittelnder Teilaspekt konsentiert worden. Im Anschluss sollte eine Beschreibung des Notfallereignisses (79,6 %, n = 39) erfolgen. Mit mehrheitlicher Zustimmung sprachen sich die Teilnehmer für die Nennung der Behandlungspriorität an dritter Stelle (55,1 %, n = 27) aus. Eine Änderung ergab sich in einer erneuten Abstimmung mit 59,5 % (n = 25) nicht. An vierter Stelle wurden innerhalb von zwei Abstimmungsrunden sowohl die durchgeführten Maßnahmen in der ersten Runde mit mehrheitlicher Zustimmung (51,0 %, n = 25) als auch die Patientenanamnese in einer zweiten Runde (ohne mehrheitliche Zustimmung) gewählt.

In Abb. 1 und 2 sind die Übergabeinhalte im Sinne einer „Pocketcard“ (Vorderseite/Rückseite) dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Darstellung der konsentierten Kerninhalte inklusive der fest integrierten Crew-Resource-Management-Kriterien in entsprechender Reihenfolge (Runde 1)

Abb. 2
figure 2

Detaillierte Darstellung der Kerninhalte und Informationen, die im Rahmen des Delphi-Verfahrens konsentiert wurden

Diskussion

Die vorgelegte Arbeit führt erstmalig, in Analogie zu den AWMF-Leitlinien, ein Delphi-Verfahren durch, um Übergabeinhalte an der Nahtstelle vom Rettungsdienst zur zentralen Notfallaufnahme zu definieren [3].

Die erhobenen Daten bieten somit die Grundlage, evidenzbasiert eine konkrete Merkhilfe („mnemonic“) zu entwickeln. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Transfer von der „Papierlage“ in die konkrete Anwendung noch weiterer Modifikationen bzw. Ergänzungen bedarf. Ein pragmatisches Vorgehen, um die praktische Anwendbarkeit zu prüfen, wäre eine Simulation anhand von sog. Patientenvignetten, die verschiedene Erkrankungen/Verletzungen (Nichttrauma vs. Trauma) mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden (leicht vs. schwer) enthalten. Sicherlich ist jedes Notfallereignis unterschiedlich, aber nach Meinung der Autoren ausreichend mit den 4 „W“-Fragen zu beantworten: Leitsymptom/Verdachtsdiagnose (Was?), Zeitpunkt/„onset“ (Wann?), Ursache/Auslöser (Wie?), Ort (Wo?). Sollte es in Ausnahmefällen dennoch nicht möglich sein, können fehlende Informationen in der Fragerunde im Rahmen der Rekapitulation abgefragt werden.

In Bezug auf den reinen Ablauf bzw. als Impuls zum Übergabestart, im Einklang mit den geforderten CRM-Prinzipien, erscheint das laute Aussprechen des Worts „START“ durch die aufnehmende Person (ggf. Leader) als ein klares Signal für den Beginn der Übergabe, z. B.: „START. Ist der Patient so weit stabil? Dann keine Manipulation am Patienten und Ihre Übergabe bitte.“ Neben der reinen Impulsgabe zum Starten der Übergabe fällt dem Leader eine weitere Rolle zu; Moderne Schockraumkonzepte, sowohl für das Trauma als auch für den Nichttraumapatienten (z. B. European Trauma Course, Advanced Critical Illness Life Support), schreiben dem Leader die Überprüfung des Patienten hinsichtlich seiner Stabilität („five second round“) zu. Bei instabilen Patienten sollte dann primär von der Übergabe für das ganze Team abgesehen werden und zunächst stabilisierende Maßnahmen etabliert werden. Probat erscheint hier zunächst die Übergabe an den Leader, der dann sekundär die Information ins Team trägt, oder die Übergabe findet zeitversetzt ans komplette Team statt.

Flankierend sollte bei der praktischen Umsetzung der Ergebnisse des Delphi-Verfahrens die Kommunikationspsychologie eingebunden werden. Somit könnten einzelne Teilschritte der Übergabe als kommunikationsbezogene Prozesse beleuchtet werden und für die Ergebnisse relevante Einflussfaktoren herausgearbeitet sowie Bedingungen verbessert werden [20, 24].

Der Fokus könnte hierbei auf Patienten mit einem komplexen Erkrankungs‑/Verletzungsmuster liegen. An dieser Stelle verbirgt sich die Gefahr, dass die Übergabe aufgrund vieler notwendiger Informationen sehr schnell überladen wirkt und somit die Dauer von 120 s überschreitet [4, 10, 21]. Probeweise sind die konsentierten Übergabeinhalte zur Zeitabschätzung bei vier verschiedenen Patientenvignetten (Trauma komplex vs. leicht/Nichttrauma kritisch vs. stabil) praktisch angewendet worden. Selbst beim komplexen Polytraumapatienten lag die Nettoübergabezeit unter 60 s. Dem wird allerdings eine entsprechende Schulungsmaßnahme bzw. ein Training vorausgesetzt.

Erste Gespräche mit Kommunikationspsychologen deuten darauf hin, das überflüssige „Prosa“ (z. B. „Guten Tag, Herr Kollege, mein Name ist Dr. X, Notärztin vom Christoph X“) durch einen „stakkatoartigen“ Übergabestil ersetzt werden könnte. Diese Vorgehensweise würde durch die Nennung jedes einzelnen Teilaspekts, vor Mitteilung der entsprechenden Informationen, unterstützt werden (z. B. „Identifikation: Frau Meier, 64 Jahre“).

In Bezug auf das Fazit soll es sich hier nicht um eine Zusammenfassung der eigenen Interpretation handeln, sondern um eine Spiegelung („read back“) der mitgeteilten Übergabeinformation im Sinne einer „Closed-loop-Kommunikation“.

Rein inhaltlich sind ggf. weitere Erläuterungen zu den konsentierten Übergabeinhalten der Merkhilfe notwendig. Beispielsweise sollte ein Problem im Rahmen des ABCDE-Schemas (z. B. „C-Problem“) dann übergeben werden, sobald Maßnahmen zur Behebung erforderlich waren bzw. noch sind. Insbesondere bei der Patientenanamnese ist es nicht immer möglich, alle Informationen im Rahmen der Übergabe darzustellen. In Bezug auf das bekannte SAMPLER-Schema sind die Ergebnisse der Delphi-Abfrage mit diesem nicht 100 % deckungsgleich. Konkret bedeutet dies, dass die Risikofaktoren und die letzte Mahlzeit/Stuhl- und Harnverhalten keinen Einzug in den Anamneseblock erfahren haben. Daher sollte diskutiert werden, ob z. B. die Einschätzung, welche der Anamnesebestandteile für die Weiterbehandlung des Patienten notwendig und somit für die Übergabe relevant sind, in die Hände des zuführenden Rettungsdienstpersonals gegeben werden sollte.

Sobald die Merkhilfe als „robust“ erscheint, wäre der nächste Schritt eine (prä‑)klinische Anwendungsstudie, bei der zunächst die praktische Umsetzung und Vollständigkeit des Informationstransfers untersucht werden. Dies sollte nach Möglichkeit in unterschiedlichen Rettungsdienstkreisen und an Krankenhäusern aller drei Versorgungsstufen stattfinden. Flankierend muss ein Schulungskonzept („online learning tool“) für die Anwendung der Merkhilfe entwickelt werden [6]. Mit Blick auf zusätzliche Schnittstellen wie z. B. OP, Intensivstation oder Übergaben innerhalb der ZNA erlaubt dieses Vorgehen ggf. auch die Ausweitung auf diese Teilbereiche.

Zum aktuellen Zeitpunkt existieren nur Studien, die den positiven Einfluss einer strukturierten Übergabe lediglich in anderen Schnittstellenbereichen aufzeigen, eine spezifische Patientenklientel beinhalten, eine kleine Studienpopulation oder einen kurzen Beobachtungszeitraum umfassen. Ideal wären langfristig Studien, die neben einem multizentrischen prospektiven Ansatz auch die Kombination der oben aufgeführten Kriterien mit harten Outcomeparametern wie Morbidität und Mortalität untersuchen [5, 12, 16, 22].

Vergleicht man die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit mit den sehr bekannten „mnemonics“ „SBAR“ und „MIST“, die u. a. in Kurskonzepten (Advanced Trauma Life Support) gelehrt werden, so zeigt sich, dass diese vor allem Stärken in den für sie spezifisch entwickelten Bereichen aufweisen [23]. So lässt sich beispielsweise die Implementierung von „SBAR“ für Nahtstellen im innerklinischen Bereich oder in Schichtübergaben gut umsetzen [7, 8]. Die Inhalte des „mnemonic“ „MIST“ fokussieren sich sehr stark auf traumatologische Patienten. Eine Schwäche dieser „mnemonics“ ist die Tatsache, dass meist sehr viele Items den einzelnen Buchstaben zugeordnet sind, was bei komplexen Patienten ein Problem darstellt. Ferner ist wahrzunehmen, dass einzelne „mnemonics“ im Laufe der Zeit eine gewisse Dynamik entsprechend den steigenden Anforderungen erfahren haben. Auffällig ist dies besonders bei SBAR, ISBAR, ISOBAR und ISBARR. Dies deutet darauf hin, dass offensichtlich eine strukturierte Entwicklung nicht stattgefunden hat. Mit den Ergebnissen des vorliegenden Delphi-Verfahrens ist es gelungen, alle Inhalte dieser „mnemonics“ mit wichtigen Aspekten der Übergabe (Zusammenfassung und Teamfragen) zu kombinieren und gleichzeitig eine strukturierte und übersichtliche Gliederung beizubehalten. Ein detaillierter Vergleich ist in Tab. 3 aufgeführt.

Tab. 3 Tabellarische Darstellung unterschiedlicher Merkhilfen („mnemonics“) mit ihren entsprechenden Inhalten

Limitationen

Auch wenn die Methodik des Delphi-Verfahrens in der Wissenschaft ein akzeptiertes Verfahren ist und in Deutschland zur Leitlinienerstellung herangezogen wird, spiegelt das Ergebnis eine Kumulation subjektiver Einschätzungen wider. Die Autoren bewerten diesen Sachverhalt allerdings als vernachlässigbar aufgrund der Anzahl und insbesondere der weit gefächerten Expertise der Teilnehmer. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Frage von allen Teilnehmern beantwortet wurde. Da dies jedoch nur auf einen sehr geringen Anteil der Fragen zutrifft, ist dieser Sachverhalt ebenfalls zu vernachlässigen. Die bewusste Auswahl eines Delphi-Verfahrens anstelle einer Literaturrecherche im internationalen Kontext erfolgte aus Gründen der mangelnden Kontextualisierbarkeit internationaler Empfehlungen auf einen stark von nationalen Rahmenbedingungen geprägten Prozess.

Schlussfolgerungen

Die vorgelegten Ergebnisse der Studie knüpfen an eine Reihe jüngst publizierter deutscher Studien zum Thema Übergabe in der ZNA an. Insbesondere schließen sie die Lücke im Konsensuspapier zum strukturierten Übergabeprozess in der ZNA, wobei bewusst auf die Empfehlung einer Merkhilfe verzichtet wurde. Sobald die Prüfung der Merkhilfe auf ihre Anwendbarkeit erfolgt ist, die (prä-)klinische Anwendungsstudie durchgeführt wurde und ein Schulungskonzept entwickelt wurde, wäre die bundesweit einheitliche Einführung ein abschließend anzustrebendes Ziel. In der Bewertung wäre dies ein Meilenstein im Thema Übergabe in der ZNA.

Infobox Auflistung der Teilnehmer des Delphi-Verfahrens in alphabetischer Reihenfolge

Alle Personen welche mit * gekennzeichnet sind, waren zusätzlich Mandatsträger einer Institution (Fachgesellschaft, Vereine, Stiftung etc.)

Band, H.* (Verband der Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen)

Bernhard, M. (Zentrale Notaufnahme, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität)

Burst, V. (Schwerpunkt Klinische Akut- und Notfallmedizin, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln)

Brokmann, J. C. (Zentrale Notaufnahme Uniklinik RWTH Aachen)

Fandler, M. (Interdisziplinäre Notaufnahme und Aufnahmestation, Klinikum Bamberg)

Gassel, H. J.* (Chirurgische Klinik, Evangelisches Krankenhaus Mühlheim Ruhr/Deutsche Gesellschaft für Chirurgie)

Gotthardt, P. (Medizinische Klinik, Intensivstation, Klinikum Nürnberg)

Diepenseifen, C. (Rettungsdienst Rhein Sieg Kreis)

Dietz-Wittstock, M. (Zentrale Notaufnahme, Diakonissenkrankenhaus Flensburg, Flensburg)

Doll, T. (Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin, St. Bernward Krankenhaus Hildesheim)

Dormann, P. (Caritas Akademie Köln-Hohenlind)

Gries, A.* (Zentrale Notfallaufnahme, Beobachtungsstation Notaufnahme, Universitätsklinikum Leipzig/Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V.)

Heister, U. (Feuerwehr und Rettungsdienst, Stadt Bonn)

Hoffmann, F.* (Kinderklinik und Kinderpoliklinik, Dr. von Haunersches Kinderspital/Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin)

Hossfeld, B. (Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin u. Schmerztherapie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm)

Hüfner, A. (Zentrale Notaufnahme, Caritas Krankenhaus St. Josef Regensburg)

Kasberger, J.* (Deutsches Rotes Kreuz, Landesverband Nordrhein e. V., Deutsches Rotes Kreuz, Landesverband Nordrhein e. V. [DRK])

Kill, C.* (Zentrum Notfallmedizin, Uniklinikum Essen/Deutsche Gesellschaft für Rettungsdienst und präkl. Notfallmedizin)

König, M. K.* (Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e. V. [DBRD], Deutscher Berufsverband Rettungsdienst, Lübeck)

Kogej, M. (Abteilung für Klinische Akut- und Notfallmedizin, Universitätsklinikum Bonn)

Körmann, R* (Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. [JUH], Landesverband Nordrhein-Westfalen, Köln)

Kümpers, P. (Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Münster)

Künstler, C. (Bildungszentrum für Gesundheitsfachberufe, Kaiserswerther Diakonie Düsseldorf)

Kuhl, K. H.* (Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren, Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren [AGBF], Bonn)

Kumle, B. (Klinik für Akut- und Notfallmedizin, Schwarzwald Baar Klinikum)

Löb, R.* (Klinik für Anästhesiologie, Intensiv‑, Notfall- und Schmerztherapie, St. Barbara-Klinik Hamm, Malteser Hilfsdienst, Bundeszentrale)

Lueck, I. (Zentrale Notaufnahme Klinikum Itzehoe)

Mach, C. (Zentrale Notaufnahme, Uniklinik RWTH Aachen)

Pin, M.* (Zentrale Interdisziplinäre Notaufnahme, Florence Nightingale Krankenhaus/Deutsche Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V.)

Poloczek, S. (Feuerwehr Berlin)

Ruhle, P. (Feuerwehr und Rettungsdienst, Stadt Bonn)

Ramshorn-Zimmer, A. (Zentrale Notfallaufnahme, Beobachtungsstation Notaufnahme, Universitätsklinikum Leipzig)

Reiferscheid, F.* (Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e. V. [BAND]/DRF Stiftung Luftrettung gemeinnützige AG)

Reinhold, T.* (Notaufnahme, Klinik Oranienburg, Oberhavel-Kliniken GmbH, Bundesverband der Ärztlichen Leitung Rettungsdienst Deutschland e. V. [BV-ÄLRD])

Rossi, R. (Notarztdienst Landkreis Schwäbisch Hall, Schwäbisch Hall)

Schacher, S. (Klinik für Notfallmedizin, Evangelisches Krankenhaus Köln Kalk)

Schäfer, S.* (Arbeiter-Samariter-Bund, Köln, Arbeiter-Samariter-Bund e. V. [ASB])

Schwietring, J. (ADAC Luftrettung München gGmbH)

Singler, K.* (Klinik für Innere Medizin 2, Klinikum Nürnberg Nord/Deutsche Gesellschaft für Geriatrie)

Strametz, R.* (Hochschule RheinMain, Wiesbaden/Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.)

Topka, H.* (Klinik für Neurologie, Klinische Neurophysiologie und Stroke Unit am Klinikum Bogenhausen/Deutsche Gesellschaft für Neurologie)

Unger, J. (Global EMS Entwicklungshilfe gGmbH, Berlin, zum Abstimmungszeitpunkt Feuerwehr Berlin)

Vatter, H.* (Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Bonn/Deutsche Gesellschaft für Neurologie)

Verton, P. (Abteilung für Klinische Akut- und Notfallmedizin, Universitätsklinikum Bonn)

Weber, K. (Notfallzentrum Nordhessen, Klinikum Kassel)

Wedler, K.* (Christliche Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe, Halle, Deutschland; Zentrale Notaufnahme, Aktionsbündnis Notfallpflege [ABNP])

Weinreich, A. L. (Abteilung für Klinische Akut- und Notfallmedizin, Universitätsklinikum Bonn)

Werner, D.* (ADAC Luftrettung München gGmbH und Klinik für Anästhesiologie der Universität München)

Wienen, I. M.* (zum Abstimmungszeitpunkt Falck Notfallrettung und Krankentransport GmbH, Falck Notfallrettung und Krankentransport, Region Nordrhein-Westfalen, Köln)

Wolfrum, S.* (Interdisziplinäre Notaufnahme am Campus Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein/Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin)

Wrede, C. (Notfallmedizin, Helios Klinikum Berlin-Buch)

Zimmermann, M.* (Interdisziplinäre Notaufnahme, Universitätsklinikum Regensburg/Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin)