Einleitung

Im April 2019 wurde vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe unter dem AZ III ZR 35/18 der Fall eines Schülers der 13. Klasse verhandelt, der im Sportunterricht einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hatte. Die Beteiligten unterließen Wiederbelebungsmaßnahmen. In der Folge kam es zu schwersten Hirnschäden aufgrund von Sauerstoffmangel. Der BGH sah die Pflicht zur Durchführung einer sachgerechten Ersten Hilfe gegeben.

Die Wiederbelebung ist eine der dringlichsten Maßnahmen in der Notfallmedizin. Ihre Durchführung ist dem Laien sehr gut zuzumuten, weshalb sie flächendeckend in der Erste-Hilfe-Ausbildung insbesondere beim Führerscheinerwerb gesetzlich vorgeschrieben ist (Fahrerlaubnis-Verordnung § 19). Trotz der breiten Akzeptanz der hierfür erforderlichen Maßnahmen ist die hierfür erforderliche Kompetenz in der deutschen Bevölkerung vergleichsweise zu niedrig und es fehlt die Flächendeckung. Die Gründe sind vielfacher Natur und sorgen dafür, dass Deutschland im europäischen Vergleich bei Erster Hilfe und Laienwiederbelebung nicht gut abschneidet [1]. Dies zu ändern, ist besonders deshalb notwendig, da die verlorene Zeit durch Unterlassung einer Wiederbelebung im späteren medizinischen Versorgungsverlauf nicht mehr aufgeholt werden kann. Es müssen folglich auch politisch alle Bestrebungen unternommen werden, frühestmöglich und breit Laienreanimationsmaßnahmen anzuwenden. Eine der wichtigsten und nachhaltigsten Ansätze hierbei ist die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern in Wiederbelebung im Rahmen des Schulunterrichts [2, 3]. Sie garantiert, konsequent durchgeführt, eine flächendeckende und nachhaltige Ausbildung der Bevölkerung. Es konnte gezeigt werden, dass es sinnvoll ist, die Ausbildung spätestens ab dem 12. Lebensjahr, also im deutschen Schulsystem ab dem 7. Schuljahr, zu beginnen und dafür eine Doppelstunde pro Schuljahr anzusetzen [4]. Aufgrund der technischen Trivialität der Maßnahmen und der vorhandenen didaktischen Ausbildung von Lehrkräften hat 2014 der Schulausschuss der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland den Ländern empfohlen, für den Unterricht in Wiederbelebung Lehrkräfte schulen zu lassen [2]. Sechs Jahre nach dieser Empfehlung stellt sich nun die Frage nach dem Umsetzungsstand.

Material und Methoden

Der Deutsche Rat für Wiederbelebung (GRC) hat eine Umfrage über ein webbasiertes Umfragesystem (SurveyMonkey® Dublin, Irland) durchgeführt. In einzelnen Modulblöcken wurde sehr konkret nach dem Umsetzungsstand gefragt. Neben den Kontaktdaten konnten Angaben zur Flächendeckung, gesetzlichen und materiellen Rahmenbedingungen, Schulung der Unterrichtenden und der unterrichteten Maßnahmen sowie zum derzeitigen Entwicklungsstand angegeben werden. Die entsprechenden Abteilungen der zuständigen Ministerien aller deutschen Bundesländer wurden recherchiert und per E‑Mail unter Nennung des Umfragelinks angeschrieben. Diejenigen, die nach Ablauf der Frist keine Angaben gemacht hatten, wurden individuell telefonisch angesprochen. Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv mit Darstellung absoluter und relativer Merkmalsausprägungen.

Ergebnisse

Alle Bundesländer (n = 16) nahmen aktiv an der Befragung teil (Tab. 1). Weitgehend flächendeckender Wiederbelebungsunterricht fand nur in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern (Abb. 1) statt (12,5 %). In allen anderen Bundesländern (87,5 %) fand dieser nur vereinzelt oder im Rahmen von Pilotprojekten statt. In 9 Bundesländern kam der Unterricht aufgrund einer administrativen Empfehlung zustande (56 %). In den anderen Fällen wurden diesbezüglich keine Angaben gemacht.

Abb. 1
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Schülerinnen und Schüler üben Wiederbelebung ein

In 11 Bundesländern startet der Unterricht mit der 7. Klasse (68,8 %), in 4 Bundesländern bereits ab der 5. Klasse (25 %). Ein Bundesland machte keine Vorgabe hierzu. Im Regelfall dauert der Wiederbelebungsunterricht 2 Unterrichtsstunden (13 Bundesländer/81,3 %). Lediglich 2 Bundesländer (12,5 %) stellen die Dauer dieses Unterrichtes den Schulen frei und ein Bundesland ließ einen Rahmen von einer bis zu 3 h offen. Der Unterricht wird in 12 Bundesländern (75 %) von Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt (Abb. 2). In dieser Rubrik waren Mehrfachnennungen möglich. So führen weiterhin in 43,8 % Ärztinnen und Ärzte, in 37,5 % Mitarbeitende von Hilfsorganisationen, in 31,3 % Rettungsdienstpersonal und in 4 Bundesländern (25 %) sonstiges medizinisches Personal wie Medizinstudierende oder Schulgesundheitsfachkräfte diese Schulungen durch. Überall dort, wo Lehrkräfte Wiederbelebung unterrichten, wurden sie auch ausgebildet und zwar durch ärztliches Personal, Hilfsorganisationen oder Rettungsdienstpersonal in jeweils wechselnden Konstellationen.

Abb. 2
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Schulung von Lehrkräften für das Retten-macht-Schule-Projekt

In 15 Bundesländern beinhaltet der Unterricht die Herzdruckmassage. Ein Bundesland machte keine Angabe hierzu. Die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler in der fachgerechten Ausübung der Beatmung während der Reanimation wird darüber hinaus in 75 % der Bundesländer unterrichtet (n = 12), 4 Bundesländer konnten keine Angaben dazu machen. Die Benutzung eines automatisierten externen Defibrillators (AED) wird nur in 4 Bundesländern (25 %) im Unterricht zu Ausbildungszwecken angegeben. Geübt wird an einfachen Reanimationspuppen (n = 8), also für jeden Schüler individuell, oder an professionellen Reanimationspuppen für mehrere Schüler gleichzeitig (n = 8), wobei es Doppelnennungen gab. Drei Bundesländer konnten keine Angaben zur Art der verwendeten Puppen machen. Drei Bundesländer benutzen auch E‑Learning-Software bzw. entsprechende Plattformen. In 2 Bundesländern dürfen die Schülerinnen und Schüler ihre Übungspuppen mit nach Hause nehmen, um die Multiplikation der Schulungsinhalte im häuslichen und familiären Umfeld zu verstärken. Ein solches Konzept kann jedoch nur mit einfachen Wiederbelebungspuppen durchgeführt werden.

Diskussion

Prinzipiell bestand schon immer die Verpflichtung zur Ersten Hilfe. Dabei spielt der Sportunterricht eine besondere Rolle, da hier mit einem erhöhten Verletzungsrisiko zu rechnen ist. Für die Bereiche Sport und Naturwissenschaften besteht daher die Verpflichtung der Lehrkräfte zur regelmäßigen Fortbildung in Erster Hilfe. Dennoch wird gemeinhin unterlassene Erste Hilfe, aus welchen Gründen auch immer, im Laienbereich in der Regel nicht geahndet. Das Urteil des Bundesgerichtshofs verändert nun die Rechtslage. Zwar bezieht es sich nur auf einen Fall im Sportunterricht, für den ohnehin diese erhöhten Anforderungen für Erste Hilfe bestehen, jedoch ist durchaus denkbar, dass im Fall von Exkursionen oder in anderen Fächern sowie auch bei anderen schulischen Veranstaltung konkludent geurteilt wird. Die klare und eindeutige Empfehlung des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichts im Juni 2014 sieht hier Notwendigkeiten und unterstützt die Schulen bei der Vorhaltung entsprechender Kompetenzen [2]. Insofern ist ebenso eine Ausbildung aller Lehrkräfte in Erster Hilfe ratsam.

Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass die Umsetzung in den meisten Bundesländern (n = 14/87,5 %) noch nicht über das Stadium von Pilotprojekten oder vereinzelten schulindividuellen Projekten hinaus etabliert worden ist. Diese Feststellung entspricht den Daten von Schroeder et al., die im Jahr 2017 erstmals den Umsetzungsstand in den Bundesländern anhand einer Webrecherche untersucht und veröffentlicht haben [5]. Sowohl die Daten von Schroeder et al. als auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie 3 Jahre später legen dar, dass lediglich in Mecklenburg-Vorpommern, das in der Flächendeckung Vorreiter für Deutschland war [3], und im Bundesland Baden-Württemberg der Wiederbelebungsunterricht weitgehend flächendeckend etabliert ist. Angemerkt werden muss dabei, dass Mecklenburg-Vorpommern bereits zuvor und in 2010 als Projekt für Flächendeckung im Schulunterricht unter dieser Maßgabe gestartet war. Der Prozentsatz erfolgreich nach dem Beschluss 2014 etablierter Maßnahmen wäre damit als noch niedriger zu interpretieren.

Gründe für die beschriebene unzureichende Umsetzung des Wiederbelebungsunterrichts an Schulen sind vorwiegend die föderalen Strukturen und die aktuelle Rechtslage, in der konkret der Unterricht nur empfohlen, aber nicht angeordnet werden kann. Dieser Unterricht wird meist ab der 7. Klasse begonnen, da erst ab dieser Jahrgangsstufe die Physis aufgebracht werden kann, eine Wiederbelebung mit Herzdruckmassage leitliniengerecht durchzuführen [4]. Diesen übernehmen in den meisten Fällen gemäß der Empfehlung des ursprünglichen Beschlusses zu 75 % die Lehrerinnen und Lehrer, mit breiter Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten, Hilfsorganisationen und Rettungsdienstpersonal. In einer Studie von Felzen et al. konnte im Rahmen des NRW-Pilotprojekts zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichts an Schulen gezeigt werden, dass sowohl medizinisches Personal als auch die Lehrkräfte selbst Schülerinnen und Schüler erfolgreich ausbilden können [6].

Mittlerweile stehen spezielle preisgünstige Puppen für den Schulklasseneinsatz zur Verfügung (Abb. 3, auch Retten macht Schule – Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Rostocker Simulationsanlage und Notfallausbildungszentrum, www.uni-rostock.de). Damit wird möglich, dass jeder Schüler eine Puppe zur individuellen Übung erhalten kann. Ein hoher Anteil praktischer Übung ist anzustreben, da sich dieser positiv auf die Reanimationsfähigkeiten sowie das Selbstvertrauen zur Durchführung einer Reanimation auswirkt [7]. Einfache Puppen reduzieren zudem die Hemmschwelle und das mögliche Gefühl eines „Vorgeführtwerdens“ bei den Übungen erheblich und lassen auch zu, dass Puppen zur Multiplikation des Gelernten mit nach Hause genommen werden können, wie dieses in 2 Bundesländern der Fall ist.

Abb. 3
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Speziell für Schüler geeignete Puppen der Marktführer

Darüber hinaus bestehen auch die infrastrukturellen Rahmenbedingungen, Lehrkräfte fachgerecht in der eigenständigen Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen zu qualifizieren. Der Deutsche Rat für Wiederbelebung hat im Jahr 2019 ein entsprechendes modulares Lehrerausbildungskonzept für den Schulunterricht in Wiederbelebung veröffentlicht [3]. Der 4‑stündige Kurs bereitet Lehrkräfte systematisch auf die eigenständige Durchführung des Wiederbelebungsunterrichts vor und gibt ihnen wesentliche Unterrichtsmaterialien an die Hand. Der Europäische Rat für Wiederbelebung/European Resuscitation Council (ERC) empfiehlt in seinem Positionspapier die Ausbildung von 10 Lehrkräften pro Schule bzw. pro 1000 Schüler [8]. In einer Feldstudie von Wingen et al. konnte gezeigt werden, dass eine qualifizierte Lehrkraft im Mittel 38 Schüler in Wiederbelebung ausbildet [9]. Auch legt der ERC nahe, Lehrkräfte bereits während ihres Studiums flächendeckend in Wiederbelebung zu qualifizieren.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass trotz einer Vielzahl bestehender Rahmenbedingungen sowie Unterstützungsangebote 6 Jahre nach der Empfehlung der Kultusministerkonferenz der Länder zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichtes keine flächendeckende Umsetzung in den meisten Bundesländern erreicht ist. Es muss daher noch nachdrücklicher auf eine zeitnahe Umsetzung bei den Schulverantwortlichen, sowohl auf schulischer wie auch ministerialer Ebene, hingewirkt werden.

Limitation der Umfrage

Der Eingang der Rückmeldungen zur Umfrage zog sich über mehrere Monate und wurde erst Anfang 2020 final abgeschlossen. Dadurch kann es sein, dass einige Projekte in den Bundesländern bereits deutlich weiter fortgeschritten sind, als es die Erhebung zum damaligen Zeitpunkt darstellt.

Fazit

Nach der Empfehlung der Kultusministerkonferenz zum Wiederbelebungsunterricht an den Schulen 2014 befinden sich 6 Jahre später noch viele Bundesländer in der Beratungs- und Testphase. Nur 2 Bundesländern (Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern) ist es gelungen, eine weitgehende Flächendeckung zu erreichen. Es muss daher nachdrücklich auf eine zeitnahe Umsetzung der Empfehlung zur Implementierung von Wiederbelebungsunterricht bei Schulen und Kultusministerien hingewirkt werden, um so die Überlebungsrate nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand auch in Deutschland deutlich zu verbessern, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass künftig durch das o. g. Urteil des BGH die Verpflichtung zu einer sachgerechten Ersten Hilfe auch in anderen Fächern oder bei Exkursionen abgeleitet werden könnte. Deshalb ist eine flächendeckende Ausbildung aller Lehrkräfte in Erster Hilfe ebenso anzuraten.

Tab. 1 Zusammenfassung des Projetstands nach Bundesländern