Seit Beginn der Coronapandemie im Januar 2020 beherrschen COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) und das diese Krankheit auslösende Virus SARS-CoV‑2(severe acute respiratory syndrome coronavirus) die Medien. Politiker, Wissenschaftler, praktisch tätige Ärzte und Pflegekräfte sehen sich seither vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Mit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 änderte sich der Alltag vieler Menschen radikal: Arbeitsplätze verlagerten sich ins Homeoffice; Schulunterricht wurde durch Homeschooling ersetzt; das öffentliche Leben kam nahezu zum Erliegen.

Sogleich drängten sich Fragen auf: Wie schnell steigt die Zahl der Infektionen? Wie gefährlich ist das Virus? Wie kann dessen Verbreitung gebremst werden? Zeigen die Maßnahmen die erhoffte Wirkung? Gibt es spezielle Risikogruppen? Die grundlegende Voraussetzung, um das Infektionsgeschehen zu verfolgen, ist ein diagnostisches Testverfahren, mit dem Infizierte schnell und zuverlässig identifiziert werden können. Die Fachwelt jubelte, als Forscher der Charité Berlin um den Virologen Christian Drosten bereits zu Beginn der Pandemie einen PCR-Labortest präsentierten. Doch es wurden auch Zweifel geäußert. Wie gut funktioniert der PCR-Test, wenn er nicht unter Laborbedingungen durchgeführt wird? Inwieweit ist auf einen Befund im Einzelfall Verlass? In diesem Artikel soll diesen Fragen nachgegangen werden.

Gütekriterien von Tests zum Nachweis von SARS-CoV-2

Es bedarf zweier Parameter, um die Güte eines diagnostischen Tests zu beurteilen: Die Sensitivität quantifiziert, welcher Anteil von kranken oder infizierten Menschen korrekterweise einen positiven Testbefund erhält, während die Spezifität angibt, welcher Prozentsatz an Gesunden (oder Nichtinfizierten) ein negatives Ergebnis erhält.

Der PCR-Test gilt als Goldstandard, um einen Verdacht auf eine akute Infektion mit SARS-CoV‑2 abzuklären. Unter Laborbedingungen sind falsche Befunde nahezu ausgeschlossen, die Sensitivität und die Spezifität betragen also (zumindest theoretisch) 100 %. Unter Alltagsbedingungen lassen sich Fehler jedoch nicht gänzlich vermeiden. Wenn beispielsweise der PCR-Test zu einem zu frühen Zeitpunkt durchgeführt wird, oder wenn der Transport zum Labor unsachgemäß erfolgt, kann dies zu falsch-negativen Befunden führen. Falsch-positive Befunde sind aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests zwar sehr unwahrscheinlich; aufgrund von Probenverwechslungen oder Kontamination einer Probe können sie jedoch in sehr seltenen Fällen auftreten. Schätzungen legen eine Sensitivität von 99 % und eine Spezifität von mindestens 99,5 % zugrunde [1]. Das bedeutet: Nur in etwa 1 % der Fälle wird eine bestehende Infektion nicht erkannt. Eine nichtinfizierte Person erhält fast ausnahmslos einen negativen Befund. Antigenschnelltests sind dagegen fehleranfälliger und damit weniger verlässlich. Die Spezifität wird zwar meist mit Werten von mindestens 97 % angegeben, die Sensitivität ist mitunter mit Werten unter 50 % vergleichsweise gering [2].

Für die getesteten Personen sind die Vorhersagewerte (prädiktiven Werte) relevanter als die Sensitivität und die Spezifität. Diese Werte geben an, inwieweit man sich auf einen Testbefund verlassen kann. Die folgenden Beispiele zeigen: Die Verlässlichkeit eines Tests hängt nicht nur von der Sensitivität und der Spezifität, sondern ganz entscheidend von der Prävalenz ab.

Anwendungsbeispiele

In Tab. 1 wird dargelegt, welche Häufigkeiten bei einem PCR-Test zu erwarten sind, wenn dieser in einer Hochrisikogruppe mit einer Prävalenz von 20 % (etwa bei Bewohnern eines Pflegeheims) angewandt wird. Als Vergleichsgruppe diene eine Gruppe von Jugendlichen ohne Symptome, bei denen die Prävalenz nur 1 % beträgt. Es werde angenommen, dass der PCR-Test bei jeweils 10.000 Personen durchgeführt wird.

Tab. 1 Erwartete Häufigkeiten bei Anwendung eines PCR-Tests (Sensitivität 99 %, Spezifität 99,5 %)

Aus Tab. 1 geht hervor: Bei einer Prävalenz von 20 % ist mit 2020 positiven Befunden zu rechnen, von denen 1980 mit einer Infektion assoziiert sind. Dies entspricht einem positiven Vorhersagewert von etwa 98 % (1980/2020). Wegen der hohen Spezifität ist der Anteil falsch-negativer Befunde minimal, was mit einem negativen Vorhersagewert von 99,75 % einhergeht. Auf ein Ergebnis des PCR-Tests in einer Hochrisikopopulation ist also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verlass! Anders liegen die Dinge bei einer niedrigen Prävalenz von 1 %. Bei einem negativen Ergebnis ist eine Infektion quasi ausgeschlossen. Bei einem positiven Befund ist jedoch Vorsicht angebracht: Ein Drittel aller positiven Befunde ist nämlich falsch!

Betrachten wir nun die zu erwartenden Häufigkeiten, die sich bei der Anwendung eines Schnelltests ergeben. Aus Tab. 2 geht hervor: Alle Vorhersagewerte sind geringer als die entsprechenden Vorhersagewerte des PCR-Tests. Besonders auffällig ist der geringe positive Vorhersagewert von 14,41 % in der Niedrigprävalenzgruppe: Nur eine einzige von sieben positiv getesteten Personen ist infiziert.

Tab. 2 Erwartete Häufigkeiten bei Anwendung eines Schnelltests (Sensitivität 50 %, Spezifität 97 %)

Mathematisch lassen sich die Vorhersagewerte mit der Formel von Bayes für bedingte Wahrscheinlichkeiten berechnen [3]. Die oben durchgeführten Berechnungen (basierend auf Populationen der Größe 10.000) sind jedoch anschaulicher. Damit ist es möglich, Häufigkeiten auch für extrem seltene Ereignisse zu ermitteln und daraus Wahrscheinlichkeiten herzuleiten. Die Ergebnisse sind identisch, egal ob man die Formel von Bayes anwendet oder die Vorhersagewerte anhand einer 4‑Felder-Tafel ermittelt.

Schlussfolgerungen

Die Beispiele sind zwar fiktiv, sie zeigen aber deutlich: Um ein Testergebnis in einem konkreten Einzelfall adäquat zu beurteilen, muss berücksichtigt werden, ob die getestete Person einer Risikogruppe angehört oder nicht. Im Einzelfall spricht man statt von „Prävalenz“ von der „Vortestwahrscheinlichkeit“ (auch Prätest- oder A‑priori-Wahrscheinlichkeit genannt). Diese ist zwar nicht exakt quantifizierbar; sie sollte aber zumindest grob geschätzt werden. Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern:

  • Der positive Befund eines Schnelltests hat eine geringe Aussagekraft, insbesondere bei Personen mit einer geringen Vortestwahrscheinlichkeit. Es ist in solchen Fällen erforderlich, einen PCR-Test anzuschließen.

  • Auf den negativen Befund eines Schnelltests ist eher Verlass, insbesondere dann, wenn die getestete Person keiner Risikogruppe angehört.

  • Ferner ist zu beachten: Eine nachgewiesene Infektion mittels eines PCR-Tests bedeutet nicht zwangsläufig, dass die betreffende Person ansteckend oder erkrankt ist. Eine Infektion kann ohne erkennbare oder nur mit leichten Symptomen einhergehen. Die Infektiosität ist vom CT-Wert abhängig (ein hoher CT-Wert weist auf eine niedrige Viruslast hin).

Fazit: Eine symptomfreie Person, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Infektion extrem gering ist, darf sich über das negative Ergebnis eines Schnelltests freuen. Bei einer gefährdeten Person mit einer hohen Vortestwahrscheinlichkeit sollte dagegen ein PCR-Test verwendet werden. Bei diesem Szenario ist ein positiver Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Infektion assoziiert.

Ansonsten ist Vorsicht geboten: Wenn eine anscheinend gesunde Person positiv befundet wird oder wenn ein Patient mit auffälligen Symptomen ein negatives Ergebnis erhält, sind Zweifel angebracht. In diesen Fällen sollten zur diagnostischen Abklärung weitere Untersuchungen durchgeführt werden (etwa ein PCR-Test nach einem Schnelltest). Ob und unter welchen Bedingungen ein solches Prozedere sinnvoll ist, ist Gegenstand des Beitrags in der nächsten Ausgabe von Notfall+Rettungsmedizin.