Einleitung

Größere Infektionsgeschehnisse stellen die Medizin vor immense Herausforderungen. Vorerkrankte Patienten sind besonders gefährdet und das Gesundheitssystem wird stärker belastet. Ohne medizinisches Personal in solchen Situationen einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen, müssen kritisch kranke Patienten schnell detektiert und behandelt werden. In der nachfolgenden Arbeit werden die Gegebenheiten außerklinischer Kreislaufstillstände während des ersten SARS-CoV-2-Lockdowns in einem Niedrigprävalenzbereich, während der letzten Influenzaepidemie und in einem Vergleichsjahr dargestellt.

Das in China im Dezember 2019 erstmalig beobachtete „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) hat sich weltweit ausgebreitet und verursacht die Erkrankung „coronavirus disease 2019“ (COVID-19; [3, 11]). Aus diversen Infektionsschutzstrategien resultieren unterschiedliche Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. So vermeiden bspw. Patienten mit chronischen Leiden die Konsultation eines Arztes bzw. Krankenhauses, um sich dort nicht zu infizieren [6]. Dies könnte eine steigende Labilität des Grundleidens bedeuten und zu kritischen Situationen führen. Dabei wäre dann die Ablehnung oder Verzögerung von z. B. Wiederbelebungsmaßnahmen (kardiopulmonale Reanimation [CPR]) durch Laien, aus Angst vor Ansteckung, denkbar. Demgegenüber wäre das frühere Bemerken einer zunehmenden gesundheitlichen Verschlechterung oder eines Kollaps von Angehörigen möglich, da sich die Menschen im Rahmen von Kontaktvermeidungsstrategien oder eines angeordneten Lockdowns vorrangig zu Hause aufhalten.

Medizinisches Fachpersonal schützt sich bei potenziell kontagiösen Patienten grundsätzlich durch erweiterte Schutzausrüstung und führt bestimmte Maßnahmen wie die Reanimation oder Atemwegssicherung modifiziert durch [9, 10].

Solche veränderten Umstände können die Versorgung von Patienten mit außerklinischem Kreislaufstillstand („out-of-hospital cardiac arrest“ [OHCA]) relevant beeinflussen, deren sofortige Behandlung maßgeblich für das neurologische Outcome ist. Diese Arbeit vergleicht die Gegebenheiten bei der Versorgung von OHCA-Patienten während verschiedener Frühjahrssaisons; die SARS-CoV-2-Pandemie 2020 im ersten Lockdown, die jüngste Influenzaepidemie 2018 ohne solche Infektionspräventionsmaßnahmen in der Gesamtbevölkerung und vergleichend den Jahresbeginn 2019 ohne besondere Infektionsgeschehen.

Methodik

Anhand einer retrospektiven und monozentrischen Studie wurden nach Zustimmung der Ethikkommission (Az.: ek_mr_19_11_2020_grübl, Ethikkommission Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Medizin, 19.11.2020) alle OHCA-Patienten der Monate Januar bis einschließlich Mai in den Jahren 2018, 2019 und 2020 untersucht. Im Jahr 2018 lag im beschriebenen Zeitraum eine überdurchschnittlich hohe Influenzainfektionsrate vor und in 2020 trat in dieser Zeit die erste Welle von SARS-CoV‑2 auf.

Im beschriebenen Untersuchungsgebiet (1263 km2, 252.000 Einwohner, Bevölkerungsdichte 199/km2) existiert nur ein Cardiac Arrest Center und es wird studienunabhängig, abgeleitet von der Einsatzdokumentation des Notarztes sowie dem Krankenhausinformationssystem, ein zentrales Reanimationsregister geführt. Alle OHCA-Patienten wurden im Untersuchungszeitraum bei eventueller Krankenhausaufnahme in das Cardiac Arrest Center transportiert. Im Jahr 2020 erfolgte dort bei jedem Patienten im Rahmen der stationären Aufnahme ein nasopharyngealer Abstrich mit PCR-Untersuchung auf SARS-CoV‑2 und bei allen respiratorisch symptomatischen oder kritisch kranken Patienten eine thorakale Computertomographie. In 2018 erfolgte im Falle der stationären Aufnahme von Patienten mit Verdacht auf Influenza oder bei Risikopatienten für einen schweren Influenzaverlauf (chronische Lungenerkrankung, Dialysepflichtigkeit, Diabetes, Immunsuppression, neuromuskuläre Erkrankung oder BMI > 35 kg/m2) ein Influenzaschnelltest (ID NowTM Influenza A&B 2).

Vor jedem Einsatz in 2020 legten Rettungsdienstmitarbeiter und Notarzt erweiterte persönliche Schutzausrüstung (FFP2-Maske, Augenschutz, Einmalkittel sowie doppelte Handschuhe) an. Weiter pausierte im kompletten Untersuchungszeitraum des Jahres 2020 das regionale First-Responder-System. In 2018 und 2019 existierten keine vom sonstigen Standard abweichenden Hygieneschutzmaßnahmen, medizinischen Vorgehensweisen, routinemäßigen Abstriche oder Alarmierungspläne.

Alle patientenbezogenen Behandlungsdaten wurden anonymisiert statistisch ausgewertet. Die Verwendung der anonymen Registerdaten erfolgte ohne direkte Einwilligung der Patienten.

Zur deskriptiven Statistik wurden je nach Skalenniveau und Verteilungsform der Mittelwert oder Median als zentrale Tendenz, Minima sowie Maxima als Extremwerte und Standardabweichungen sowie Interquartilsabstände als Dispersionsmaße berechnet. Anhand des Chi2-Vierfeldertests oder exakten Tests nach Fisher bei geringer Zellenbesetzung wurden die Häufigkeitsunterschiede auf Signifikanz geprüft. Die Signifikanzprüfung bei Unterschieden der zentralen Tendenz wurde für unabhängige Stichproben anhand des t‑Tests und für nichtparametrische mit dem Mann-Whitney-U-Test durchgeführt.

Bei einem grundsätzlich auf α = 0,05 festgesetzten Signifikanzniveau wurde zur Ergebnisinterpretation bei multiplem Testen eine Korrektur gemäß Bonferroni für abhängige Variablen vorgenommen [2].

Ergebnisse

Vom 1. Januar bis 31. Mai der Jahre 2018, 2019 und 2020 wurden n = 497 Patienten, die einen OHCA erlitten, eingeschlossen. Die Rate an primären Todesfeststellungen bewegte sich jeweils auf einem vergleichbaren Niveau. Dies entspräche 85–99 Reanimationen/100.000 Einwohner pro Jahr. Die genauen Ergebnisse sind in Tab. 1 aufgeführt und anhand der Abb. 123 und 4 verdeutlicht.

Tab. 1 Daten der OHCA-Patienten von 01.01.–31.05. in 2018, 2019 und 2020
Abb. 1
figure 1

Häufigkeiten in Bezug auf OHCA in den untersuchten Zeiträumen 1. Januar bis 31. Mai der Jahre 2018, 2019 und 2020. CPR kardiopulmonale Reanimation, KH Krankenhaus, OHCA „out-of-hospital cardiac arrest“

Abb. 2
figure 2

Ausgangssituation der OHCA-Patienten bei Eintreffen Rettungsdienst/Notarzt, links: Kollaps beobachtet, rechts: Laien-CPR. CPR kardiopulmonale Reanimation, OHCA „out-of-hospital cardiac arrest“

Abb. 3
figure 3

Präklinische Befunde der OHCA-Patienten. Links: vermutete Ursache (%), rechts: EKG-Rhythmus. OHCA „out-of-hospital cardiac arrest“

Abb. 4
figure 4

Neurologisches Outcome der OHCA-Patienten, CPC bei Entlassung. OHCA „out-of-hospital cardiac arrest“, CPC Cerebral Performance Category. 1 gute zerebrale Funktion ohne Schäden; 2 mäßige zerebrale Eisnchränkungen, unabhängiges tägliches Leben möglich; 3 schwere zerebrale Einschränkungen, tägliches Leben nur mit Hilfe möglich; 4 Koma/vegetativer Zustand; 5 Hirntod

In den untersuchten Zeiträumen wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Anzahl an beobachteten OHCA, der Häufigkeit an Laienreanimationen, den vermuteten Ursachen des OHCA, den initialen EKG-Rhythmen, den Einsatzzeiten, der ROSC-Wahrscheinlichkeit, der Krankenhausaufnahme sowie der Überlebensrate bis zur Krankenhausentlassung und dem neurologischen Outcome gefunden.

In 2018 wurde bei 12 reanimierten Patienten ein Influenzaschnelltest durchgeführt, wobei drei ein positives Ergebnis boten, und bei zwei weiteren ergab sich radiologisch der Verdacht auf eine Viruspneumonie mit atypischen Infiltraten. Bei keinem der OHCA-Patienten aus 2020 ergab die standardgemäß nach Aufnahme im Schockraum durchgeführte Whole-body-Computertomographie atypische oder COVID-typische pulmonale Infiltrate. Auch die Polymerase-Kettenreaktion (PCR-Untersuchung) der nasopharyngealen Abstriche ergab keine SARS-CoV-2-Nachweise. Von Januar bis einschließlich Mai 2020 lag im beschriebenen Untersuchungsgebiet die durchschnittliche 7‑Tage-Inzidenz von SARS-CoV‑2 bei 10,4/100.000 Einwohner, insgesamt wurden 10 Patienten auf einer Intensivstation behandelt und es wurden insgesamt 3 Todesfälle in Zusammenhang mit SARS-CoV‑2 registriert.

Diskussion

Insgesamt wurde in den untersuchten Zeitfenstern der drei Jahre eine lokal übliche Anzahl an OHCA bei einer ebenso üblichen Patientenklientel in Bezug auf Alter, Geschlecht und Vorerkrankungsstatus gefunden. Es zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Rate an beobachteten OHCA, Laienreanimationen, Krankenhausaufnahmen sowie Entlassungen. Auch der neurologische Status bei Entlassung unterschied sich nicht statistisch signifikant. Die Anzahl an schockbaren EKG-Rhythmen bei der initialen Analyse stieg von 2018 auf 2020 um 13 % (p = 0,04; Tab. 1). Bei multipler Testung im gleichen Datensatz ergab sich nach Korrektur jedoch keine statistische Signifikanz (α* < 0,0125).

Bei den hypothetischen Überlegungen über eventuelle Nachteile für Patienten mit außerklinischem Kreislaufstillstand aufgrund der aktuellen politisch-gesellschaftlich und medizinisch eingeleiteten Maßnahmen zur Pandemieeindämmung und Infektionsprävention deuten die hiesigen Ergebnisse also auf eher gleichbleibende Behandlungsverläufe hin. Da bei keinem der Patienten abschließend eine SARS-CoV-2-Infektion nachgewiesen wurde, betrifft dies bisher nur Patienten, die aus anderweitigen Ursachen einen außerklinischen Kreislaufstillstand erlitten.

Zwar ist das Patientenkollektiv klein und es existiert keine direkte Vergleichsgruppe in dieser Arbeit, jedoch können durch solche Erkenntnisse die bestehenden Modifikationen von Vorgehensweisen im Gesundheitssystem hierzulande weiter unterstützt werden.

In Niedrigprävalenzgebieten scheint sich dieses Bild, den Kollegen Elmer et al. aus diesem Jahr zu Folge, auch an anderer Stelle zu bestätigen [4].

Jedoch zeigen sich in der vorliegenden Untersuchung einige Trends. In 2018 und 2020 ereigneten sich etwas mehr außerklinische Kreislaufstillstände. Bereits in der Einleitung wurde auf eine eventuelle Zustandsverschlechterung vorerkrankter Patienten hingedeutet, auch unabhängig von einer COVID-19-Erkrankung. Weiter lag eine höhere Rate an beobachteten OHCA vor, was aus der Hypothese der gesteigerten Präsenz der Menschen in ihren Wohnungen abgeleitet werden könnte. Dies wäre ebenso eine Erklärung für die häufiger diagnostizierten schockbaren EKG-Rhythmen, da der Notarzt im Sinne eines beobachteten Kreislaufstillstand wahrscheinlich zügiger alarmiert wurde und so auch die Prognose günstig beeinflusst wird [5, 7].

Gemäß der oben aufgestellten Hypothese wurden in den Infektionslagen von 2018 und 2020 trotzdem etwas weniger Laienreanimationen durchgeführt. Da keine systematische Nachbefragung der Laienhelfer erfolgte, lassen sich Gründe, wie die Angst vor Ansteckung, nur vermuten.

Bei gleichbleibender Rate an durchgeführten Reanimationen durch den Rettungsdienst wurden trotzdem weniger Patienten ins Krankenhaus transportiert. Eventuelle Gründe hierfür könnten Hemmung gegen den Transport unter Isolationsbedingungen bei nicht auszuschließender SARS-CoV-2- bzw. Influenzainfektion oder eine schlechtere Prognoseeinschätzung aufgrund von prolongierten oder modifizierten Maßnahmen während der präklinischen Reanimation sein. Trotzdem konnte eine steigende Zahl an Krankenhausentlassungen nach OHCA über die Studienzeiträume verzeichnet werden. Das häufigere Auftreten von schockbaren EKG-Rhythmen ist eine denkbare Ursache. Ebenso könnten aber auch der fortwährende Optimierungsprozess bestehender Leitlinien mit differenzierten Entscheidungspfaden und zunehmendes Training von notfallmedizinischem Personal, unabhängig vom Infektionsgeschehen, ihre angestrebte Wirkung zeigen.

Auch wenn ebenso keine statistische Signifikanz vorlag, zeigten sich mehr Patienten mit einem schlechteren neurologischen Outcome (CPC 3 + 4). Ob bei schlechter Ausgangsprognose eine frühere Therapieeinleitung bei häufigeren schockbaren EKG-Rhythmen oder der Ausfall des First-Responder-Systems hier ursächlich ist, kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden.

Die Angaben über die Dauer vom Eintreffen an der Einsatzstelle bis zur Ankunft beim Patienten zeigten keine größeren Schwankungen, trotz des vorigen Anlegens von erweiterter persönlicher Schutzausrüstung im Jahr 2020. Da speziell dieses Zeitintervall vom präklinischen Personal selten genau aufgezeichnet, sondern mutmaßlich eher geschätzt wird, könnte sich das hiesige Ergebnis als nicht reliabel erweisen oder auf die gute Vorbereitung und Organisation des Anlegens von Schutzausrüstung im Einsatz hindeuten.

Andere Studien aus schwerer betroffenen Pandemiegebieten der Welt zeigen deutlich gestiegene OHCA-Inzidenzen und reduzierte Überlebenswahrscheinlichkeiten. Diese Ergebnisse werden dort jedoch als klar SARS-CoV-2- bzw. COVID-19-korreliert beschrieben [1, 8].

Der Vergleich der letzten Influenzaepidemie und der jetzigen SARS-CoV-2-Pandemie ist dabei brisant sowie interessant, da diese beiden Geschehnisse und die dabei getroffenen Infektionspräventionsmaßnahmen mitunter vergleichend gegenübergestellt und bewertet werden.

Die hier gewonnen Ergebnisse sollten also abschließend als Hinweise aus einem Niedrigprävalenzbereich in Bezug auf allgemeine OHCA-Patienten ohne SARS-CoV-2-Infektion interpretiert werden. Um die verschiedenen Einflüsse genauer und über einen längeren Zeitraum bewerten zu können, sind weitere Untersuchungen bei insgesamt gestiegener COVID-19-Inzidenz notwendig und werden von den Autoren in dem hier beschriebenen Bereich aktuell konzeptioniert.

Fazit für die Praxis

  • Die ergriffenen Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie scheinen in Niedrigprävalenzgebieten zum aktuellen Zeitpunkt keine größeren Auswirkungen auf den Behandlungsverlauf von Patienten mit außerklinischem Kreislaufstillstand ohne SARS-CoV-2-Infektion zu haben.

  • In schwerer betroffenen Gebieten der SARS-CoV-2-Pandemie zeigte sich jedoch ein deutlicher Anstieg der OHCA-Inzidenz sowie eine Outcomeverschlechterung.

  • Medizinisches Fachpersonal sollte nach wie vor den Eigenschutz in größeren Infektionslagen priorisieren und darunter eine leitlinienkonforme Behandlung anstreben.