Hintergrund

Die unkontrollierte posttraumatische Blutung ist weiterhin eine führende potenziell vermeidbare Todesursache im Rahmen schwerer Verletzungen [1, 2]. So treten bei etwa einem Drittel dieser Patienten im Rahmen des massiven Blutverlusts frühzeitig relevante Gerinnungsstörungen auf, die bereits zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme detektierbar sind [3].

Bei Patienten mit vergleichbaren Verletzungsmustern, jedoch ohne das Vorliegen einer Gerinnungsstörung tritt in diesem Zusammenhang häufiger ein Multiorganversagen mit erhöhter Gesamtsterblichkeit auf [4].

Aus diesem Grund ist neben der chirurgischen Blutstillung eine frühzeitige, zielgerichtete Therapie notwendig, welche regelhaft im Rahmen der sog. „damage control resuscitation“ den Mitarbeitern der Anästhesiologie innerhalb des Traumateams zukommt [5].

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Vorbereitung für eine differenzierte Hämotherapie im Rahmen der Schwerstverletztenbehandlung in Kliniken verschiedener Versorgungsstufen innerhalb der Struktur des TraumaNetzwerks DGU® bezogen auf Infrastruktur und Prozessplanung zur Versorgung des akut blutenden Traumapatienten zu evaluieren.

Die durchgeführte Online-Umfrage orientiert sich inhaltlich an der S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung (AWMF Reg.-Nr. 012/019) mit dem Schwerpunkt auf die klinische Versorgung der akuten Hämorrhagie [6].

Methoden

In Kooperation mit der Online-Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) wurden unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und der DGOU in der Zeit von 12. August 2020 bis 15. November 2020 anhand eines 20 Fragen umfassenden Fragebogens gezielt Diagnose- und Therapiestrategien sowie vorhandene Ressourcen innerhalb der Kliniken erfragt. Die Fragen wurden unter Berücksichtigung der aktuellen Publikationen zu Massentransfusionsprotokollen bzw. Hämotherapie entwickelt (Zusatzmaterial online).

Die Daten wurden einer deskriptiven statistischen Analyse unterzogen und neben der Gesamtbetrachtung einer Subgruppenanalyse unterzogen, um herauszuarbeiten, ob es relevante Unterschiede bezüglich infrastruktureller Voraussetzungen und des diagnostischen bzw. therapeutischen Vorgehens innerhalb der Versorgungsstufen des TraumaNetzwerks DGU® gibt.

Die Rohdaten wurden in einer Excel-Tabelle (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) bereitgestellt. Die statistische Auswertung erfolgte mittels SPSS V. 26.0 (Armonk, NY, USA). Die Testung auf signifikante Unterschiede erfolgte für kategoriale Variablen mittels des Chi-Quadrat-Tests. Das Signifikanzniveau wurde mit 5 % (p < 0,05) für alle Tests definiert.

Ergebnisse

Die Gesamtheit der beantworteten Fragebögen repräsentiert sämtliche Versorgungsebenen der Kliniken innerhalb des TraumaNetzwerks DGU®. Der Anteil der überregionalen Traumazentren (ÜTZ) ist mit ca. 44 % der vollständig ausgefüllten Online-Fragebögen (regionale Traumazentren [RTZ] = 26 %, lokale Traumazentren [LTZ] = 30 %) überproportional hoch (Tab. 1).

Tab. 1 Darstellung der Rahmendaten der durchgeführten Online-Umfrage

Die Frage nach der Existenz eines Massivtransfusionsprotokolls in den Kliniken wurde lediglich von 56 % (n = 74) aller Teilnehmer der Umfrage überhaupt beantwortet, und diese arbeiten zu etwa 50 % an ÜTZ. Bezogen auf die Versorgungsstufe der Kliniken ist in ÜTZ zu 80 % ein Massivtransfusionsprotokoll etabliert, 76 % der Teilnehmer aus regionalen Traumazentren und 64 % der Teilnehmer aus lokalen Traumazentren gaben an, dass dies auch für ihre jeweiligen Kliniken zutrifft.

Die Aktivierung des Massivtransfusionsprotokolls (MTP) erfolgt überwiegend durch den Trauma-Leader (64 %) bzw. den behandelnden Anästhesisten (55 %).

Als Definition der Massivtransfusion wird in der Mehrzahl der Fälle die Transfusion von 10 Erythrozytenkonzentraten/24 h durch die Teilnehmer angegeben.

Zur frühzeitigen Abschätzung eines zu erwartenden massiven Transfusionsbedarfs verwenden die Teilnehmer mehrheitlich den modifizierten ABC-Score bzw. den TASH-Score.

Um diese klinischen Entscheidungen besser nachvollziehen zu können, haben wir nach der persönlichen Gewichtung einzelner klinischer Parameter im Zusammenhang mit der Transfusionsentscheidung gefragt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Darstellung der individuell gewichteten klinischen Parameter im Rahmen der Transfusionsentscheidung

Die Befragten sehen demnach in einem positiven FAST in 80 % einen starken Transfusionstrigger. Weiterhin werden ein Pulsdruck < 45 mm Hg (60 %) sowie Antikoagulanzien in der Vormedikation (58 %) als sehr relevant betrachtet.

Mit einem tendenziell geringeren Einfluss wurden ein Schockindex > 1 sowie ein Laktat > 5 mg/dl bewertet.

Es gaben 97 % der Teilnehmer an, dass grundsätzlich die Möglichkeit zur Point-of-Care(PoC)-Diagnostik gegeben ist. In 66 % ist diese im Schockraum und in 77 % entweder zusätzlich oder ausschließlich auf der Intensivstation möglich (Abb. 2). In den Kliniken dieser Teilnehmer steht mindestens ein Blutgasanalysegerät im Schockraum und/oder der Intensivstation zur Verfügung. Eine PoC-Gerinnungsdiagnostik ist lediglich in 60 % aller Kliniken verfügbar, wobei in unserem Kollektiv der Anteil der ROTEM-PoC-Geräte im Schockraum in den ÜTZ (75 %) im Vergleich zu den RTZ und LTZ deutlich überwiegt (Abb. 3a,b).

Abb. 2
figure 2

Angabe zur Verfügbarkeit von PoC-Diagnostik im Schockraum und auf der Intensivstation (ICU) über alle Versorgungsstufen hinweg

Abb. 3
figure 3

a,b Differenzierung der verfügbaren PoC-Geräte nach Versorgungsstufe des Krankenhauses und Gerätetyp im Schockraum (a) und auf den Intensivstationen (b). BGA Blutgasanalyse, ROTEM Rotationsthrombelastometrie, Multiplate® In-vitro-Bestimmung der Thrombozytenfunktion bei Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern

Bezüglich der verwendeten Blutprodukte und deren Applikationsverhältnis im Rahmen eines existierenden MTP erfolgt gemäß der Mehrzahl der beantworteten Fragebögen die Transfusion der Blutkomponenten in 50 % ohne vorgegebenes Verhältnis. Lediglich in 30 % der Fälle gaben die Teilnehmer an, dass standardisiert im Verhältnis 4 : 4 : 1 [7] transfundiert wird (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Angabe zur Verwendung vorgegebener Transfusionsschemata (EK:FFP:TK)

Aus den erhobenen Daten geht hervor, dass benötigte Blutprodukte, welche nicht unmittelbar in der Blutbank des Krankenhauses vorrätig sind, in etwa 45 % der Kliniken in 30–60 min eintreffen. In ca. 25 % der Fälle treffen die Blutprodukte bereits binnen 30 min ein und in den übrigen 30 % der Fälle erfolgt die Lieferung nach über einer Stunde.

Bezogen auf die Versorgungsebene des Krankenhauses zeigt sich, dass ÜTZ im Vergleich zu RTZ und LTZ ihre Anforderung frühzeitiger bekommen als RTZ und LTZ (p 0,025).

Adjuvant zu den bereits erwähnten Blutprodukten gaben die Teilnehmer an, dass Tranexamsäure, Kalzium, Faktorenkonzentrate und Desmopressin die Therapie der akuten Hämorrhagie ergänzen.

Im abschließenden Themenblock wurden die Kenntnisse der Teilnehmer der Umfrage zum Thema Vollblutpräparate abgefragt. Hier gaben in 22 % der Fragebögen die Teilnehmer an, dass sie Erfahrung in der Anwendung von Vollblutpräparaten haben.

Diskussion

Die akute Hämorrhagie ist weiterhin die führende vermeidbare Todesursache bei Traumapatienten [8, 9].

Das Verbluten nach Trauma tritt bei Erreichen der Klinik im Median nach 1,65 h ein [10]. Bereits frühzeitig weist etwa ein Drittel der Patienten Zeichen einer traumainduzierten Gerinnungsstörung auf, welche bei den Betroffenen zu einer erhöhten Rate an Multiorganversagen und letztlich einer ungünstigeren Prognose führt [8, 11].

Eine frühzeitige, aggressive und zielgerichtete Therapie der Blutung als Ursache der Gerinnungsstörung sowie die Korrektur der Gerinnungsstörung als eigener Entität verbessern die Überlebenschancen der verletzten Patienten [12, 13].

Die Etablierung fester Diagnose- und Therapieschemata für den „blutenden Patienten“ im Sinne einer standardisierten Gerinnungsdiagnostik und eines Massivtransfusionsprotokolls ist fester Bestandteil verschiedener Leitlinien und speziell für den Bereich der Anästhesiologie auf europäischer Ebene bereits seit 2010 gefordert und in den Leitlinien zum perioperativen Management von Blutungen und Massivblutungen nach Trauma konkretisiert [6, 14, 15].

Point-of-Care-Diagnostik

Die traumainduzierte Koagulopathie (TIK) ist ein multifaktorielles Geschehen, welches unmittelbar nach dem Eintritt des Traumas induziert wird und bereits sehr früh zu klinisch relevanten Gerinnungsstörungen führt [16]. Aufgrund der hohen Outcome-Relevanz empfiehlt die Leitlinie bereits im Schockraum eine Gerinnungsdiagnostik zu beginnen (GoR A; [6]).

Neben der Basislabordiagnostik wird die Durchführung viskoelastischer Tests im Rahmen einer Point-of-Care(PoC)-Diagnostik im Schockraum empfohlen (GoR GPP, GoR 1B), da diese Verfahren zu einer Zeitersparnis in der Diagnostik beitragen und als valide Marker für das Vorliegen einer traumainduzierten Koagulopathie (TIK) bzw. prädiktiv für die Notwendigkeit einer Massivtransfusion verwendet werden können [15, 17, 18].

Die Blutgasanalyse liefert als weiteres PoC-Verfahren schnell eine große Anzahl von Parametern, welche nicht nur zur Einschätzung der Schwere der Minderperfusion im Schock, sondern auch prognostisch (initial erniedrigter Hb/Hkt-Wert) sowie diagnostisch (Azidose, Hypokalzämie) für eine individuelle Therapieentscheidung Verwendung finden.

In unserer Umfrage berichteten nur 67 % der Teilnehmer, dass Sie direkt im Schockraum über eine PoC-Möglichkeit verfügen, wenn nicht waren auf den Intensivstationen entsprechende Geräte verfügbar.

Im Sinne der Leitlinienempfehlungen ist es jedoch wünschenswert, wenn mindestens Blutgasanalysen in allen Kliniken im Schockraum möglich wären, um unnötige Zeitverluste durch den Probentransport und die Befundübermittlung zu vermeiden.

Gerinnungsprodukte

Im Rahmen eines schweren Traumas erfolgt eine starke Aktivierung der Gerinnungskaskade mit einem konsekutiven Verbrauch an Gerinnungsfaktoren. Weiter verstärkt werden kann dieser Zustand durch eine Dilution der Gerinnungsfaktoren zum Beispiel durch eine liberale Infusionstherapie mittels rein volumenersetzender, meist kristalloider Infusionslösungen. Speziell der Fibrinogenspiegel kann bereits in der Frühphase nach dem Trauma drastisch abfallen, weshalb bereits Untersuchungen zur prähospitalen Fibrinogengabe durchgeführt worden sind [19]. Neben dem Verbrauch der Gerinnungsfaktoren kann eine gezielte Zufuhr auch zur Antagonisierung der Wirkung von oralen Antikoagulanzien, z. B. bei Vitamin-K-Antagonisten, eingesetzt werden.

Die Therapie mit Gerinnungsfaktoren sollte mittels geeigneter Testverfahren wiederholt überwacht werden (GPP).

Rund 80 % der Teilnehmer gaben an, dass unter anderem Fibrinogen und PPSB zur Behandlung unmittelbar verfügbar sind. Um stets eine differenzierte Gerinnungstherapie durchführen zu können, wäre hier eine „Aufrüstung“ wünschenswert. Als weitere Quelle von Gerinnungsfaktoren stehen Plasmaprodukte (FFP, lyophilisiertes Plasma) zur Verfügung. Gemäß der in 2020 novellierten Querschnittsleitlinie der Bundesärztekammer ist die Therapie der Gerinnungsstörung im Rahmen des massiven Blutverlusts u. a. eine Indikation zur FFP-Gabe [20]. Daher besteht gegenwärtig die Empfehlung, dass bei starken Blutungen frühzeitig die Applikation von FFP initiiert werden soll (GoR B; [6, 15]).

Massivtransfusionsprotokoll

In einem Massivtransfusionsprotokoll (MTP) werden – an die lokalen Verhältnisse adaptiert – diagnostische und therapeutische Maßnahmen zusammengefasst. Sie bilden die Grundlage für organisatorische Vorbereitungen und können einen positiven Effekt auf das Outcome schwer verletzter, blutender Patienten haben [21]. Eine zu frühe Aktivierung des MTP stellt andererseits eine inadäquate Therapie dar, welche einen gegenteiligen Effekt auf das Outcome haben kann [22]. Die Implementierung solcher Protokolle wird sowohl von den deutschen als auch von den europäischen Fachgesellschaften nachdrücklich befürwortet (GoR B, LoE 1B; [6, 15]), MTP beschleunigen nachweislich die Zeit bis zur ersten Transfusion und helfen dabei, unnötige Bereitstellungen von Blutkomponenten zu reduzieren.

Die Häufigkeit der Aktivierung des MTP variiert in den uns vorliegenden Daten erheblich, ist bezogen auf das Gesamtaufkommen an Schwerverletzten mit einem ISS > 16 (2019: 15.651) jedoch gering [23]. So wurden von allen Teilnehmern insgesamt 272 Aktivierungen eines MTP angegeben, wobei jedoch nur in etwa 75 % der Kliniken der von uns befragten Personen ein solches MTP überhaupt etabliert ist.

Die Definition der „Massivtransfusion“ ist in der Literatur uneinheitlich. Dies spiegelt sich auch in den Antworten unserer Umfrage wider. Den größten Konsens gab es bei den Definitionen 10 EK/24 h (42 %), 3 EK/h (16 %), 3 Blutprodukte/h (16 %) und 10 Blutprodukte/24 h (15 %).

Als Aktivierungsgründe wurde in der Mehrzahl der Fälle die „Anforderung aus der Präklinik“ (63 %) genannt, was die Bedeutung dieser Schnittstelle im Rahmen der Schwerverletztenversorgung verdeutlicht.

Zur reproduzierbaren Entscheidungsfindung stehen verschiedene Prädiktionsscores zur Verfügung [24]. In den Ausführungen zum MTP in der S3-Leitlinie wird explizit der TASH-Score genannt [6, 25]. Dies mag eine Erklärung dafür sein, weshalb dieser Score mit 28 % der Nennungen am häufigsten verwendet wird. Weiterhin wurden der ABC-Score und der Larsen-Score mit 21 % und 7 % als oft verwendete Alternativen angegeben.

Insgesamt wird jedoch deutlich, dass diese Scores aktuell gegenüber der „Anforderung aus der Präklinik“ sowie individuellen Entscheidungen der verantwortlichen Behandler in den Hintergrund treten. Tatsächlich weist jedoch gerade die klinisch schnell zu erhebende Kombination aus Schockindex und Pulsdruck eine vergleichsweise hohe Sensitivität zur Prädiktion einer Massivtransfusion auf [26].

Vorhandene Blutprodukte

Voraussetzung für eine frühzeitige aggressive Therapie des hämorrhagischen Schocks und die häufig assoziierte TIK ist neben der schnellen Diagnosestellung auch das Vorhandensein der benötigten Blutprodukte und Gerinnungsfaktoren.

In den europäischen und deutschen Leitlinien wird im Rahmen der Massivtransfusion ein möglichst physiologisches Verhältnis der Blutkomponenten (EK : FFP : TK = 1 : 1 : 1 bzw. 4 : 4 : 1 bei Verwendung von gepoolten TK) empfohlen [7].

Durch diese Strategie wird versucht, aus den einzelnen Komponenten die physiologische Zusammensetzung von Blut wiederherzustellen. Aufgrund der im Rahmen der Prozessierung notwendigen Additivlösungen, ist dies jedoch nicht möglich. Es wird bei diesem Vorgehen stets eine Hämodilution im Vergleich zum ursprünglichen Vollblut entstehen [27].

Ubiquitär vorhanden sind in Kliniken aller Versorgungsstufen Erythrozytenkonzentrate (EK). Ähnlich verhält es sich mit gefrorenem Frischplasma (FFP), das immerhin in etwa 92 % der Kliniken ständig verfügbar ist. Fibrinogen und andere Faktorenkonzentrate werden hingegen nur noch in ca. 80 % der Kliniken vorgehalten.

Thrombozytenkonzentrate sind lediglich in etwa 56 % der Kliniken sofort verfügbar, wobei hier zudem ein relevanter Unterschied in der Versorgungsstufe des Krankenhauses besteht. Bei diesen 56 % handelt es sich in etwa 65 % der Fälle um ÜTZ, in 25 % der Fälle um RTZ und in lediglich 10 % der Fälle um LTZ.

Benötigte Blutprodukte werden in 70 % binnen 60 min und in 30 % nach mehr als einer Stunde geliefert. Ob dies aufgrund infrastruktureller Gegebenheiten der Fall ist, lässt sich nicht feststellen. Ziel sollte jedoch sein, dass Blutprodukte stets binnen 60 min verfügbar sind.

Vollblut

Seit der Entwicklung des Konzepts der „damage control resuscitation“ ist in den vergangenen 10–15 Jahren das wissenschaftliche Interesse an Vollblutprodukten wieder gestiegen. Von Vorteil ist bei diesem Blutprodukt, dass sämtliche Blutbestandteile inklusive der Gerinnungsfaktoren und der Thrombozyten in physiologischer Zusammensetzung vorliegen und es sich somit um ein nahezu optimales Substitutionsprodukt bei akuter Hämorrhagie handelt [28].

Die Wirksamkeit des Einsatzes solcher Produkte wurde zwischenzeitlich auch im zivilen Sektor erfolgreich untersucht [29, 30].

Favorisiert wird das sog. „Low-titer-Blutgruppe-O-Vollblut“ („Low titer O whole blood“ [LTOWB]). Es handelt sich dabei um Vollblut der Blutgruppe O, welches sich zudem durch niedrige Titer an Anti-A- und Anti-B-Antigenen auszeichnet. Ein weiterer Vorteil ist, dass die enthaltenen Thrombozyten über die gesamte Haltbarkeit des Produkts von ca. 30 Tagen bei 5–8 °C stabil bleiben und dass die biologische Aktivität sowohl der Thrombozyten als auch der Gerinnungsfaktoren erst nach mehr als 14 Tagen im Vergleich zu frischem Vollblut deutlich abnimmt [31].

Da LTOWB ebenso wie die Transfusion von frischem Vollblut („Warmblutspende“) in Deutschland nicht zugelassen ist, überrascht es nicht, dass bei unserer Umfrage lediglich 22 % der Teilnehmer, die diese Frage beantwortet haben (n = 17), noch über Kenntnisse bzw. Erfahrungen mit Vollblutpräparaten verfügen. Inwieweit zumindest für Krisen- und Katastrophenfälle diese hoch wirksame Therapieoption erlaubt werden kann, sollte aus Sicht der Autoren Gegenstand zukünftiger Diskussionen sein.

Limitierungen

Die Rücklaufquote der Umfrage unter den Mitgliedern der DGOU und den Klinikadministratoren des TraumaRegisters DGU® war mit 1,9 % im Vergleich zu anderen Umfragen mit Rücklaufquoten von 4 % gering. Es ist daher nicht von einer repräsentativen Stichprobe auszugehen. Die Autoren sind unabhängig davon der Ansicht, dass die vorliegenden Daten grundsätzlich die diskutierten Rückschlüsse auf die allgemeine Versorgungssituation für Traumapatienten mit manifester Hämorrhagie zulassen und die Optimierungsmöglichkeiten insbesondere in der Vorbereitung offensichtlich werden.

Zusammenfassung

Der massive Blutverlust ist im Rahmen der Versorgung von Traumapatienten ein seltenes Ereignis, welches nach wie vor mit einer hohen Letalität vergesellschaftet sein kann.

Über alle Versorgungsstufen hinweg sind in mehr als 75 % der Kliniken MTP etabliert. Diese bilden die Grundlage für eine frühe, zielgerichtete Therapie der TIK im Rahmen eines großen Blutverlusts und tragen zur Verbesserung der Überlebenschancen der Patienten bei.

Durch die regelmäßigen Zertifizierungen der Kliniken des TraumaNetzwerks DGU® kann sichergestellt werden, dass alle Kliniken eine solide Basis an diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung haben.

Trotzdem kann ein deutlicher Unterschied in den diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in den einzelnen Versorgungsebenen festgestellt werden, sodass ÜTZ mehrheitlich über die umfangreichsten Optionen verfügen, gefolgt von den RTZ.

Weiterhin kann postuliert werden, dass die Lieferdauer von extern anzufordernden Blutprodukten umgekehrt proportional zur Ebene des Traumazentrums ist, was bei LTZ in Lieferzeiten > 60 min resultieren kann.

Auffällig ist, dass speziell Thrombozytenkonzentrate auch in ÜTZ nicht ad hoc verfügbar sind, was durch ihre aufwendige Lagerung und die kurze Haltbarkeit erklärt werden kann.

Low-titer-Blutgruppe-O-Vollblut könnte hier aus Sicht der Autoren eine sinnvolle Ergänzung zur gezielten, initialen Therapie im Portfolio der verfügbaren Blutprodukte sein, da es bis zur Verbreitung der Blutkomponententherapie etabliertes Therapeutikum für den hämorrhagischen Schock war, mit 35 Tagen eine lange Lagerungsdauer besitzt und alle Komponenten – inklusive der Thrombozyten – in physiologischer Zusammensetzung beinhaltet.