Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir freuen uns sehr, Ihnen in dieser Ausgabe von Notfall + Rettungsmedizin die komplette deutsche Übersetzung der Reanimationsleitlinien 2021 präsentieren zu dürfen.

Die Reanimationsleitlinien des European Resuscitation Council (ERC) werden alle fünf Jahre aktualisiert – diesmal wegen der COVID-19-Pandemie ein wenig später – und basieren auf dem International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR), also auf der weltweit vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz mit allen dazugehörenden wissenschaftlichen Publikationen.

Für das Überleben zentrale Themen wie Laienreanimation und Ersthelfersysteme rücken mehr in den Fokus

In dieser Ausgabe finden Sie nun die durch den Deutschen Rat für Wiederbelebung (GRC), Österreichischen Rat für Wiederbelebung (ARC), Schweizer Rat für Wiederbelebung (SRC) und Luxemburgischen Rat für Wiederbelebung (LRC) autorisierte deutsche Übersetzung.

Zentrale Aussagen zur Durchführung einer Wiederbelebung und zur Postreanimationsbehandlung wurden 2021 weitgehend beibehalten. Gleichzeitig wurden viele Empfehlungen durch neue Literatur und aktuelle wissenschaftliche Evidenz noch besser begründet. Neu hinzugekommen sind die Kapitel „Epidemiologie“ und „Systeme, die Leben retten“. Dadurch rücken zentral für das Überleben wichtige Themen wie Laienreanimation, Telefonreanimation, Ersthelfersysteme (z. B. durch Apps), KIDS SAVE LIVES (die Schülerausbildung in Wiederbelebung) und Cardiac Arrest Zentren deutlich mehr in den Vordergrund.

Im Kapitel „Epidemiologie“ stellen wir die aktuellen europäischen Zahlen zur Reanimation dar. Dabei zeigt sich, dass Deutschland im europäischen Vergleich mit einer Laienreanimationsquote von 40,2 % – im Vergleich zu 58 % im europäischen Durchschnitt und auch beim Überleben mit 11,2 % im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, die bis zu 18 % Überleben erreichen – gerade mal im Mittelfeld liegt [1, 2].

Das Kapitel „Systeme, die Leben retten“ zeigt auf, dass es ein ganzes System und ein Zusammenspiel vieler Faktoren braucht, um das Überleben bestmöglich zu verbessern [3].

Damit passen die neuen Leitlinien auch perfekt zu den im letzten Jahr veröffentlichten BIG-FIVE-Überlebensstrategien nach Kreislaufstillstand, also fünf Strategien, mit denen die größte Verbesserung des Überlebens erreicht werden kann [4].

Die Erhöhung der Laienreanimationsquote – Punkt 1 der BIG FIVE [4], von der eine Verdreifachung des Überlebens erwartet wird, spielt im Kapitel „Systeme, die Leben retten“ in den fünf Kernaussagen direkt eine doppelte Rolle. Hier wird gefordert, das Bewusstsein für Laienreanimation zu erhöhen, z. B. durch Beteiligung an Aktionstagen wie dem „World Restart a Heart Day“ (WRAH), sowie alle Schülerinnen und Schüler in Laienreanimation zu unterrichten (KIDS SAVE LIVES). Während die Beteiligung am WRAH in Deutschland sehr intensiv betrieben wird (selbst in Pandemiezeiten z. B. durch die Social-Media-Kampagne #MySongCanSaveLives), besteht bei der Schülerausbildung noch erheblicher Handlungsbedarf. Obwohl seit 2014 eine Empfehlung des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz existiert, fehlt es nahezu überall an einer flächendeckenden Umsetzung.

Von der Telefonreanimation – Punkt 2 der BIG FIVE [4] – wird eine Verdopplung des Überlebens erwartet, von Ersthelfersystemen – Punkt 3 der BIG FIVE [4] – eine 1,2- bis 2‑fachen Verbesserung. Beide werden in den Kernaussagen des neuen Leitlinienkapitels gefordert. In Deutschland sind mehrere Ersthelfersysteme etabliert, doch eine flächendeckende Umsetzung fehlt hier genauso wie bei der Telefonreanimation (nur 23,4 % Telefonreanimation in 2019 [2]).

Punkt 4 der BIG FIVE [4] ist eine gute und flächendeckende Advanced-Life-Support(ALS)-Versorgung, von der eine Verdopplung des Überlebens erwartet wird. Hierzu zählen u. a. gute Notarztsysteme, wie sie bei uns flächendeckend umgesetzt sind.

Punkt 5 [4] sind sogenannte Cardiac Arrest Zentren, also spezialisierte Kliniken zur Versorgung von Patientinnen und Patienten nach präklinischem Kreislauf-Stillstand. Von ihnen wird eine Verdopplung des Überlebens erwartet, deshalb werden sie in den Kernaussagen des Leitlinienkapitels ebenfalls gefordert [3]. Kriterien für Cardiac Arrest Zentren sind in Deutschland seit 2017 vorhanden, Zertifizierungsaudits werden seit Ende 2018 durchgeführt und die Zahl der zertifizierten Zentren wächst stetig an [5, 6].

Die BIG-FIVE-Überlebensstrategien – und dabei insbesondere die ersten Glieder der Überlebenskette, damit Patientinnen und Patienten die Klinik erreichen – gewinnen zunehmend und weiter an Bedeutung. Die Politik ist gefordert, eine flächendecke Umsetzung der hocheffektiven und das Überleben verbessernden Maßnahmen auch in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum voranzutreiben.

Die Kapitel der neuen Leitlinien behandeln folgende Themen:

  • Epidemiologie [1]

  • Systeme, die Leben retten [3]

  • Basismaßnahmen zur Wiederbelebung Erwachsener (Basic Life Support [BLS]) [7]

  • Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene (Advanced Life Support [ALS]) [8]

  • Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen [9]

  • Postreanimationsbehandlung [10]

  • Erste Hilfe [11]

  • Versorgung und Reanimation des Neugeborenen nach der Geburt (Newborn Life Support [NLS] [12]

  • Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern (Pediatric Life Support [PLS]) [13]

  • Ethik [14]

  • Ausbildung [15]

Eine Kurzversion „Leitlinien kompakt“ in deutscher Sprache war bereits zeitgleich zur Veröffentlichung der englischsprachigen Leitlinien (https://www.cprguidelines.eu/) auf der Website des GRC zu finden und ist dort weiterhin kostenfrei für alle abrufbar (https://www.grc-org.de/wissenschaft/leitlinien).

Wir danken allen Übersetzerinnen und Übersetzern, die diese zeitnahe Publikation der deutschsprachigen Leitlinien ermöglicht haben, sehr herzlich und wünschen Ihnen nun viel Vergnügen bei der Lektüre und natürlich sehr viel Erfolg bei Ihrer klinischen Patientenversorgung auf aktuellstem Niveau.

Und bitte helfen Sie alle mit, die BIG FIVE auch auf politischer Ebene in unseren Ländern voranzubringen. Unser Ziel ist es, in naher Zukunft in Europa nicht mehr nur „Mittelmaß“ zu sein.

Es grüßen Sie sehr herzlich

Nadine Rott

Burkhard Dirks

Bernd Böttiger

Köln und Ulm, im April 2021