Die vorliegende Untersuchung hat drei wesentliche Ergebnisse hervorgebracht: (i) Die Ausbildung von Lehrkräften als Multiplikatoren fördert erfolgreich die Implementierung des Wiederbelebungsunterrichts an Schulen. (ii) Der Multiplikationsfaktor einer Lehrkraft liegt im Mittel bei 38 und ist schulindividuell unterschiedlich (Min./Max.: 10/1747). (iii) Schulintern projektverantwortliche Lehrkräfte geben an, sich „sehr sicher“ in der eigenständigen Durchführung des Reanimationsunterrichts zu fühlen.
Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass Lehrkräfte, die als Multiplikatoren ausgebildet wurden, sehr zuverlässig den Wiederbelebungsunterricht in ihren Schulen einführen. In einer Untersuchung von Schroeder et al. aus dem Jahr 2017 wurde bekannt, dass der Wiederbelebungsunterricht in Schulen bundesweit bisher nicht flächendeckend umgesetzt ist, obwohl bereits seit dem Jahr 2014 ein entsprechender Erlass der Kultusministerkonferenz der Länder vorliegt [25]. Dabei ist weniger die organisatorische Durchführung der Trainings als vielmehr die initiale Überzeugung der Schule zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichts entscheidend [10]. Speziell in Wiederbelebung ausgebildete Lehrkräfte können hier eine wichtige Schlüsselposition einnehmen, indem sie die Einführung des Wiederbelebungsunterrichts in ihren Schulen vor Ort initiieren.
Unsere Daten zeigen, dass die schulindividuellen Multiplikationsfaktoren (Anzahl der trainierten Schülerinnen und Schüler pro Lehrkraft) unterschiedlich und teils weiter ausbaufähig sind. Eine hohe Anzahl ausgebildeter Lehrkräfte an einer Schule führt nicht immer auch zu einer hohen Multiplikation des Wiederbelebungsunterrichts innerhalb der Schülerschaft. Der Europäische Rat für Wiederbelebung/European Resuscitation Council (ERC) empfiehlt in seinem Positionspapier zur Lehrerausbildung, die Anzahl der für den Wiederbelebungsunterricht qualifizierten Lehrkräfte an der Anzahl der Schüler zu bemessen [6]. Für Schulen mit bis zu 1000 Schülerinnen und Schülern sollten demnach zehn Lehrerinnen und Lehrer als Multiplikatoren zur Verfügung stehen [6]. Zusätzlich empfiehlt der ERC die Benennung eines Projektverantwortlichen pro Schule [6]. Bei Betrachtung der Multiplikationsfaktoren auf schulindividueller Ebene zeigt sich, dass es bei entsprechender Organisation möglich ist, 1747 Schüler pro Lehrkraft über zwei Jahre auszubilden. Bei der Abfrage des zusätzlichen Unterstützungsbedarfs wurde von den Teilnehmerschulen der Befragung am häufigsten der Wunsch nach zusätzlich ausgebildeten Lehrkräften angegeben, was für eine nachhaltige Implementierung des Wiederbelebungsunterrichts Berücksichtigung finden sollte. Darüber hinaus sollten auch andere Unterstützungsmöglichkeiten (z. B. Kooperationen mit Hilfsorganisationen, Nutzung von E‑Learning-Modulen) sowie ein stetiger Austausch zum Thema Wiederbelebung z. B. mittels eines Onlineportals dazu beitragen, dass der Wiederbelebungsunterricht nachhaltig umgesetzt wird [9]. Der Aufbau einer solchen Informations- und Kommunikationsplattform für ausgebildete Lehrkräfte befindet sich beim GRC bereits in Planung. Auch sieht das Kurskonzept für die Ausbildung von Lehrkräften des GRC vor, dass die Schulungsinhalte wenn möglich alle zwei Jahre aufgefrischt werden [9].
Die Befragung der Teilnehmerschulen in unserer Studie hat ergeben, dass sich die schulintern projektverantwortlichen Lehrkräfte sehr sicher in der eigenständigen Durchführung des Wiederbelebungsunterrichts fühlen. Iserbyt et al. verweisen darauf, dass dies bei der Qualifizierung von Lehrkräften besonders wichtig ist [17]. Theoretische und praktische Reanimationskompetenzen sollen derart effektiv vermittelt werden, dass ein hohes Selbstvertrauen der Lehrkräfte in ihre Reanimationsfähigkeit erreicht wird [17].
Neben der Lehrerausbildung bestehen auch andere erfolgreiche Ansätze, um Schülerinnen und Schüler in Wiederbelebung zu trainieren [3, 10, 22, 25]. Ein weitverbreitetes Konzept ist dabei die Durchführung des Wiederbelebungsunterrichts durch medizinisches Fachpersonal [4, 10, 26]. Felzen et al. entsandten speziell geschulte Notärzte an Schulen in der Städteregion Aachen, die dort ein kostenfreies 45-minütiges Wiederbelebungstraining für Schüler durchführten. Innerhalb von 1,5 Jahren wurden so über 10.000 Schülerinnen und Schüler an 25 Schulen in Wiederbelebung trainiert. Im Vergleich erreichten speziell qualifizierte Lehrkräfte in unserer Studie 8612 trainierte Schülerinnen und Schüler an 22 Schulen über einen Zeitraum von zwei Jahren. Sowohl Lukas et al. als auch Bohn et al. zeigen, dass der Trainingserfolg in der Schülerschaft, gemessen anhand von theoretischen und praktischen Endpunkten (z. B. Reanimationswissen, Durchführung einer suffizienten Reanimation), bei einer Schulung durch Notärzte sowie durch speziell qualifizierte Lehrkräfte insgesamt vergleichbar ist [3, 22]. Schülerinnen und Schüler, die den Wiederbelebungsunterricht durch ihre Lehrkräfte erhielten, zeigten jedoch ein signifikant höheres Reanimationswissen (92,86 ± 8,38 % vs. 90,10 ± 8,63 %, P = 0,04) sowie eine bessere Beatmungsrate (4,84 ± 4,05/min vs. 3,76 ± 2,37/min, P = 0,04) als die Schüler aus der Notärztegruppe [22]. Fragt man die Schüler selbst, dann präferieren diese die Durchführung des Wiederbelebungsunterrichts durch ärztliches Personal, weil sie diesem eine höhere Kompetenz und Glaubwürdigkeit beim Themenkomplex Reanimation beimessen [10]. Letztlich kommen Felzen et al. zu dem Ergebnis, dass jede Schule selbst das für sie passendste Konzept für die Umsetzung des Wiederbelebungsunterrichts auswählen sollte [11]. Fachgesellschaften und Organisationen bundesweit stellen Schulen umfangreiche, kostenfreie Informationen zu Trainingskonzepten, Materialien und Kursen zur Verfügung (z. B. www.einlebenretten.de, www.grc-org.de, www.herzensretter.info, www.loewen-retten-leben.de, www.schulsanitaetsdienst.com, www.steiger-stiftung.de, www.wiederbelebung.de).
Das Vorliegen einer administrativen Empfehlung zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichts sowie das Angebot von kostenfreien Qualifizierungsmöglichkeiten und Materialien allein ist jedoch nicht ausreichend, um alle Schulen zu erreichen. Dies bestätigen die Erfahrungen aus nationalen und internationalen Projekten [10, 23]. Es ist wichtig, dass schulintern die entsprechenden Rahmenbedingungen für den Wiederbelebungsunterricht geschaffen werden. Insbesondere die personelle Ausstattung, der Zeitaufwand, das verfügbare Ausbildungsequipment sowie die Kosten werden von Lehrerinnen und Lehrern als Hürden bei der Einführung des Reanimationsunterrichts gesehen [16]. Durch die Benennung eines Lehrers als schulinterner Projektkoordinator für den Reanimationsunterricht kann die Chance auf eine erfolgreiche Implementierung in den Schulen verdreifacht werden [23]. Ein leichter Zugang zu Trainingsmaterialien sowie die Schulung des richtigen Umgangs mit diesen Materialien stellen weitere Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Umsetzung der Reanimationsausbildung in Schulen dar und sollten bei der Lehrerausbildung berücksichtigt werden [23, 27].
Berufsschulen haben sich in unserer Untersuchung als besonders interessierte Zielgruppe für den Wiederbelebungsunterricht gezeigt. Derzeit ist diese Schulform in der wissenschaftlichen Diskussion noch unterrepräsentiert, da sich Studien zu Trainingserfolgen primär auf jüngere Schülerinnen und Schüler anderer Schulformen beziehen [3, 22, 25, 26]. Projekte und wissenschaftliche Studien sollten sich zukünftig noch stärker auch an diese Zielgruppe richten. Berufsschüler tragen ihre Reanimationskompetenzen dann auch in ihre Ausbildungsbetriebe, was ein wichtiger Baustein zur Erhöhung der Laienreanimationsquote darstellt.
Bei der Interpretation der Daten muss berücksichtigt werden, dass die Beteiligung an diesem Projekt freiwillig erfolgt ist. Die untersuchten Schulen haben dementsprechend bereits eine hohe Eigenmotivation und -initiative zur Einführung des Wiederbelebungsunterrichts, was bei der Interpretation und Übertragbarkeit der Ergebnisse in andere Settings berücksichtigt werden muss. Darüber hinaus erhielten die Schulen im Rahmen des Modellprojekts (https://www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Ministerium/Presse/Pressemitteilungen/2018_17_LegPer/PM20180615_Reanimationskenntnisse/index.html) kostenfreie Reanimationspuppen (Practi-Man, Vimetecsa, Alicante, Spanien) durch Spenden des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales und des BKK Landesverbands Nordwest, wodurch die Umsetzung des Wiederbelebungsunterrichts vereinfacht und unterstützt wurde. Finanzierung und Bereitstellung von Trainingsmaterialien stellen wichtige Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Implementierung des Wiederbelebungsunterrichts dar [23, 27]. Für die abschließende und vollumfängliche Bewertung der Wirksamkeit der Lehrkräfteausbildung bedarf es ferner der Evaluation von theoretischen und praktischen Endpunkten zum Themenkomplex Reanimation bei den trainierten Schülern, was nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war. Im Gesamtprojekt hat diese Evaluation jedoch nach der 3‑jährigen Projektlaufzeit stattgefunden und es konnte gezeigt werden, dass der Wiederbelebungsunterricht durch Lehrkräfte effektiv ist [11].