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Pulst A, Fassmer AM, Hoffmann F et al. Vom Pflegeheim ins Krankenhaus – Erfahrungen und potenzielle Maßnahmen zur Reduktion der Transporte aus Sicht von Rettungskräften. Notfall Rettungsmed 23:575–577 (2020). https://doi.org/10.1007/s10049-020-00800-w.

Mit der Fokussierung auf die Perspektive der Rettungskräfte adressieren Pulst et al. ein wichtiges Forschungsdesiderat bei Rettungsdiensteinsätzen im Pflegeheim [1]. Die Sichtweise der Rettungskräfte erlaubt allerdings keine Rückschlüsse auf Situationen, in die der Rettungsdienst nicht eingebunden ist. Die Häufigkeit der Beteiligung von Rettungskräften an der Notfallversorgung in Pflegeheimen ist unklar, zwischen den Einrichtungen zeigen sich erhebliche Unterschiede [2]. Pulst et al. diskutieren u. a. Gründe für die Alarmierung des Rettungsdiensts, ebenso wie Maßnahmen zur Reduzierung von vermeidbaren Einsätzen. Diesen Fragen nähern wir uns im Projekt NOVELLE [3] über die Sichtweise der Pflegefachkräfte (PFK).

In der Wahrnehmung von Notfallszenarien existieren zwischen den involvierten Berufsgruppen große interprofessionelle Unterschiede [4]. Dies gilt auch für die Definition der als vermeidbar anzusehenden Einsätze. Erste Zwischenergebnisse unserer semistrukturierten Interviews mit PFK in Pflegeheimen legen nahe, dass diese keineswegs „vorschnell“ den Rettungsdienst rufen, sondern dies aufgrund ihrer Verantwortung für das Wohl und den Willen der Bewohner*innen nur tun, wenn alle anderen Handlungsoptionen ausgeschöpft sind (u. a. Bedarfsmedikation, Kontaktierung ärztlicher Ansprechpartner*innen). Häufig führen personelle Unterbesetzung, schlechte Erreichbarkeit von Hausärzten und des ärztlichen Bereitschaftsdiensts, eine mangelhafte Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren oder auch fehlende Befugnisse von Pflegekräften zu einem Szenario, in dem die 112 gewählt wird. Dabei zählt nicht nur, ob eine Situation aus medizinischer Perspektive als Notfall zu werten ist, sondern auch, ob bei einer pflegerischen Versorgung des Notfalls alle anderen Bewohner*innen weiterhin sicher versorgt werden können. Eine Vielzahl an „Notfällen“ wird ohne Beteiligung des Rettungsdiensts bearbeitet, sofern den PFK die hierfür notwendigen Mittel und Handlungskompetenzen zur Verfügung stehen. Der geäußerte Wille der Bewohner*innen wird von PFK hierbei als sehr hohes Gut eingeschätzt, das soweit möglich bei der Entscheidung für oder gegen die Kontaktierung des Rettungsdiensts beachtet werden sollte.

Mehrere der befragten PFK nennen bei der Frage nach potenziell vermeidbaren Krankenhaustransporten ebenfalls „Katheterprobleme“ (Katheter ist verstopft, „läuft para“). Als Gründe für diese als unnötig empfundenen Krankenhauszuweisungen werden von befragten PFK allerdings weniger die mangelnden Kompetenzen und Fähigkeiten der PFK selbst, sondern vornehmlich heiminterne Anweisungen, die den PFK einen Katheterwechsel insbesondere bei männlichen Bewohnern untersagen, oder auch die Tatsache genannt, dass Ärzt*innen Katheter nicht immer in ausreichend großer Stückzahl verschreiben. Nicht beobachtete Stürze werden von den PFK hingegen weniger als vermeidbare Krankenhaustransporte wahrgenommen, insbesondere wenn es sich um nicht hinreichend persönlich bekannte Bewohner*innen handelt. Potenzial zur Reduktion von Krankenhaustransporten wird vonseiten der PFK vornehmlich in der schnellen und niederschwelligen Erreichbarkeit von ärztlichen Ansprechpartner*innen gesehen, was sich mit der Thematisierung von telemedizinischen Lösungen seitens Pulst et al. [1] deckt.

Zugleich wird von PFK beklagt, dass bei Beteiligung des Rettungsdiensts dieser häufig die Fachkompetenz der PFK während der Übergabe infrage stellt und die pflegerische Einschätzung der Situation nicht ernst genommen wird. Die Interaktion und Kommunikation mit dem Rettungsdienst vor Ort wird von PFK als besonderer Stressfaktor im Umgang mit Notfallsituationen genannt. Daher unterstützen wir den Vorschlag von Pulst et al. [1], dass eine Verbesserung der Notfallversorgung in Pflegeeinrichtungen vornehmlich beim fachlichen Austausch zwischen PFK und Rettungsdienst ansetzen sollte. Auch ein einheitliches Übergabeprotokoll wird aus der Perspektive von NOVELLE [3] als sinnvoll erachtet. Dieses sollte die pflegerische Perspektive auf Notfallsituationen miteinbeziehen und an der Schnittstelle zwischen PFK, involvierten Fachärzt*innen, ärztlichem Bereitschaftsdienst und Rettungsdienst implementiert werden. Es könnte wesentlich zur Verbesserung der interprofessionellen Kommunikation beitragen.