Einleitung

Durch Muskelkontraktionen in der tonischen Phase von Krampfanfällen oder auch Stromunfälle kann es zu Frakturen oder Gelenkluxationen kommen. Verletzungen nach epileptischen Krampfanfällen können asymptomatisch sein und aufgrund des postiktalen Status bei einer fehlenden Sturzanamnese übersehen werden.

Falldarstellung

Anamnese

Der Patient wurde auf dem Klinikparkplatz in seinem Auto sitzend von seiner Ehefrau generalisiert krampfend vorgefunden. Es erfolgte die Alarmierung des Notfallteams. Beim Eintreffen des Notfallteams war der Patient wach, ansprechbar, postiktal verlangsamt und erschöpft. Kardiopulmonal stabil wurde er dann in den Schockraum unserer interdisziplinären Notaufnahme verbracht. Hier kam es während der kranialen Computertomographie (CCT) auf der Liege des CT erneut zu einem generalisierten Krampfanfall ohne Sturzereignis, welcher medikamentös durchbrochen werden konnte.

Der Patient hatte in der Vorgeschichte bereits einen epileptischen Krampfanfall nach transarterieller Embolisation einer arteriovenösen Malformation (AVM) bei intrazerebraler Blutung erlitten. Eine Dauermedikation mit Antikonvulsivum oder anderen Medikamenten bestand nicht.

Befund

Klinisch-neurologisch zeigte sich initial ein nur zur Person orientierter Patient ohne fokalneurologische Defizite. Der Patient war leicht somnolent mit GCS („Glasgow Coma Scale“) von 13. Die Pupillen waren beidseits isokor und prompt lichtreagibel. Trotz retrograder Amnesie war der Patient innerhalb einer Stunde wieder vollständig orientiert. In der ersten körperlichen Untersuchung im Schockraum waren der Thorax und das Becken stabil, es zeigten sich keine äußeren Verletzungen. Der Patient hatte keine Druckschmerzen über der Wirbelsäule und bewegte alle Extremitäten frei. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren intakt. Die Kraft der unteren und oberen Extremität war beidseits regelrecht. Nach erfolgter CT-Bildgebung wurde im Schockraum der „secondary survey“ des noch leicht somnolenten Patienten mit GCS von 15 durchgeführt. Dieser ergab ebenfalls keine akute Traumafolge und der Patient äußerte keine Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule.

Therapie und Verlauf

Es erfolgte das Schockraummanagement in einem interdisziplinären Team aus Unfallchirurgie, Anästhesie, Neurologie und Neurochirurgie. Der zweite generalisierte Krampfanfall auf der Liege des CT wurde durch die Gabe von 3 mg Midazolam i.v. (intravenös) durchbrochen. Die Laborwerte des Patienten waren regelrecht. Bei unauffälliger CCT und körperlicher Untersuchung wurde der Patient zur weiteren Behandlung von den Kollegen der Neurologie stationär aufgenommen und Levetiracetam als Dauermedikation begonnen. Der Patient klagte am ersten Tag nach Aufnahme über lumbale Rückenschmerzen. In der CT-Bildgebung der Lendenwirbelsäule zeigte sich eine instabile LWK(Lendenwirbelkörper)-5-Berstungsfraktur (Abb. 1). Am zweiten Tag nach Aufnahme erfolgte dann die komplikationslose operative Versorgung mittels dorsaler transmuskulär navigierter Stabilisierung LW(Lendenwirbel)4-5-SW(Sakralwirbel)1.

Abb. 1
figure 1

Computertomographie der LWS/Sakrum. Sagittal- (a), Koronar- (b) und Axialschnitt (c). Instabile LWK-5-Berstungsfraktur (A4 N0 nach AO-Spine) mit Dislokation der Hinterkante, konsekutiver Spinalkanalstenose und geringer Dislokation des rechten Facettengelenks

Diagnose

Die durchgeführte CCT zeigte keinen Nachweis einer Subarachnoidalblutung, intrakraniellen Traumafolge oder einer sich demarkierenden Ischämie. Das eingebrachte Fremdmaterial rechts okzipital nach Embolisation der AVM kam regelrecht zur Darstellung.

In der CT-Bildgebung der LWS zeigte sich im Verlauf eine Berstungsfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers mit Dislokation der Hinterkante, konsekutiver Spinalkanalstenose und geringer Dislokation des rechten Facettengelenks (Abb. 1).

Diskussion

Das Frakturrisiko bei Epileptikern ist im Vergleich zur Normalpopulation um das 2‑ bis 6‑fache erhöht [7]. Die Frakturen sind meist durch einen Sturz oder Unfall während des Krampfanfalls bedingt [20]. Erstmals wurden nur durch Muskelkontraktion bedingte Wirbelkörperfrakturen bei psychiatrischen Patienten während der Elektrokrampftherapie beschrieben [6, 18]. Hier wurden auch Humeruskopf‑, Femurkopf- oder Skapulafrakturen beobachtet [2]. Es gibt auch Fallberichte über multiple Wirbelkörperfrakturen im Rahmen eines Stromunfalls [5]. Wirbelkörperfrakturen ohne Trauma, welche durch die paraspinale Muskelkontraktion während eines generalisierten Krampfanfalls verursacht werden, sind selten [19]. Die Prävalenz von symptomatischen Wirbelkörperfrakturen nach einem generalisierten Krampfanfall liegt bei etwa 1 % [18]. Jedoch kann bei bis zu 16 % der beschwerdefreien Patienten nach einem generalisierten Krampfanfall eine Wirbelkörperfraktur vorliegen [12, 18]. In der postiktalen Phase ist die Wahrnehmung beeinträchtigt und in manchen Fällen klagt der Patient erst mehrere Tage nach dem Krampfanfall über Beschwerden [3, 8, 21].

Entsprechend der Literatur seien aufgrund der Brustwirbelsäulenkyphose Wirbelkörperfrakturen infolge von generalisierten Krampfanfällen meist in der Brustwirbelsäule lokalisiert [8, 18]. Dies beruht einerseits auf der Arbeit von Vasconcelos (1973), welcher 1487 Patienten mit epileptischem Krampfanfall und Wirbelkörperfraktur betrachtet hat [18], sowie auf der Arbeit von Kelly (1954), welcher 2200 Patienten nachuntersucht hat [2]. Bei den aktuellsten Fallberichten aus Tab. 1 ist festzuhalten, dass die Anzahl der Lendenwirbelkörperfrakturen überwiegt. Jedoch sind diese meist im thorakolumbalen Übergangsbereich lokalisiert. Eine LWK-5-Berstungsfraktur ist bis dato in der Literatur nicht beschrieben. Eine mögliche Erklärung hierfür kann die sitzende Haltung des Patienten im Auto gewesen sein, welche während des Krampfanfalls zu einer Verletzung im lumbosakralen Übergangsbereich geführt hat.

Tab. 1 Übersicht der Fallberichte von atraumatischen Wirbelkörperfrakturen im Rahmen von generalisierten Krampfanfällen

Es sind hauptsächlich Männer im dritten bis vierten Lebensjahrzehnt bei einem Median von 35 Jahren, welche im Rahmen eines generalisierten Krampfanfalls eine Wirbelkörperfraktur aufgrund der Muskelkontraktion erleiden. Diese Beobachtung lässt sich durch die erhöhte Muskelmasse im Vergleich zu Frauen gleichen Alters oder älteren Männern erklären. Die Kontraktion der autochthonen Rücken- und ventralen Bauchmuskulatur führt zu einer Kompression im Bereich der Lendenwirbelsäule, die im ungünstigsten Fall zu einer Wirbelfraktur führen kann [1].

Ein weiterer Risikofaktor ist die Einnahme von Antikonvulsiva. Bei langjährigem Gebrauch kann dies zu einer Reduktion der Knochendichte führen [11, 16]. Unser Patient hatte jedoch keine antikonvulsive Dauermedikation.

In den aufgeführten Fallberichten ist hervorzuheben, dass die Beschwerden meist erst verzögert eingesetzt haben (Tab. 1). In unserem Fallbericht klagte der Patient ebenfalls erst nach stationärer Aufnahme über lumbale Rückenschmerzen. Umso wichtiger ist nach stattgehabtem generalisiertem tonisch-klonischem Krampfanfall nach postiktalem Status eine erneute körperliche Untersuchung.

Fazit für die Praxis

  • Wirbelkörperfrakturen im Rahmen von generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfällen können aufgrund der fehlenden Traumaanamnese und des postiktalen Status übersehen werden.

  • Vor allem Männer im mittleren Alter erleiden Wirbelkörperfrakturen aufgrund der Muskelkontraktion im Rahmen eines generalisierten Krampfanfalls.

  • Nach generalisiertem tonisch-klonischem Krampfanfall sollte nach der postiktalen Phase eine erneute umfassende körperliche Untersuchung im Sinne eines „tertiary survey“ durchgeführt werden.