Notfallmedikamente kommen an sämtlichen Orten dieser Erde und unter verschiedensten Umweltbedingungen zum Einsatz. Sie stellen einen elementaren Bestandteil der Ausrüstungslisten in der beruflich organisierten Rettungsmedizin sowie bei Expeditionen oder Fernreisen dar. Selbst bei Reisen in den Weltraum zur Erforschung extraterrestrischen Lebensraums gehören Notfallmedikamente zur Standardausrüstung der Astronauten [27]. Durch die zum Teil extremen Temperaturunterschiede an diesen Orten werden hohe Anforderungen an die Stabilität und die pharmakologischen Eigenschaften dieser Medikamente gestellt. In den Westalpen werden etwa zwei Drittel aller Rettungseinsätze bei Temperaturen <0 ℃ durchgeführt [18], wobei auch in den Ostalpen gelegentlich Lufttemperaturen von <−50 ℃ (Grünloch, Österreich) gemessen werden. In Spanien hingegen betragen die Temperaturen regelmäßig >45 ℃ und können in Notfalltaschen von Rettungshubschraubern sogar bis auf +80 ℃ ansteigen [28]. Auch in den Medikamentenampullen deutscher Rettungswagen treten mitunter Temperaturschwankungen von −13,2 ℃ bis +50,6 ℃ auf [14]. Solche Temperaturen beeinflussen nicht nur die Stabilität der Medikamente, sondern auch die Funktionen des menschlichen Organismus. Entsprechend können sich die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik einer verabreichten Substanz an verschiedenen Orten dieser Erde erheblich unterscheiden. Über die konkreten Effekte extremer Umweltbedingungen auf die pharmakologischen Eigenschaften von Notfallmedikamenten gibt es kaum Daten, obwohl diese von erheblicher klinischer Relevanz sind. Diese Übersicht soll dazu dienen, den aktuellen Kenntnisstand der notfallmedizinischen Pharmakotherapie unter Extrembedingungen darzustellen.

Medikamentenhaltbarkeit

Die meisten Notfallmedikamente sind gemäß ihrer Zulassungsauflagen innerhalb eines Temperaturbereichs zwischen +8 und +25 ℃ zu lagern und zu verabreichen. Außerhalb dieses Temperaturbereichs können chemische Reaktionen wie Oxidation, Hydrolyse und Dekarboxylierung auftreten und die Haltbarkeit von Medikamenten unvorhersehbar verkürzen [19]. Definiert ist die Haltbarkeit eines Medikaments als ein Wirkverlust von maximal 5 % unter den für das Medikament vorgesehenen standardisierten Lagerungsbedingungen [12]. In Anbetracht der extremen Temperaturschwankungen in Rettungsmitteln ist die Haltbarkeit der mitgeführten Medikamente vielfach unklar. Diese Unsicherheit findet bei der Medikamentenapplikation jedoch kaum Berücksichtigung. Zwar kann die Haltbarkeit eines Medikaments durch In-vitro-Tests unter definierten Bedingungen bestimmt werden. Inwieweit die unter standardisierten Bedingungen bestimmte Haltbarkeit auch unter den täglich variierenden präklinischen – und zum Teil extremen – Umweltbedingungen zutrifft, ist jedoch weitgehend unbekannt.

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik bei Hypo- und Hyperthermie

Umweltfaktoren wie Hitze oder Kälte beeinflussen nicht nur die Haltbarkeit sowie die Wirkung einer Substanz im Organismus (Pharmakodynamik), sondern ebenso die Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt (Pharmakokinetik). Beispielsweise kommt es bei unterkühlten Patienten zu einer Vasokonstriktion mit Zentralisation des Blutvolumens bei gleichzeitig gestörter Mikroperfusion. Diese Blutumverteilung führt in den zentral noch perfundierten Kompartimenten zu einer relativen Hypervolämie mit entsprechenden Effekten auf die Plasmakonzentration applizierter hydrophiler und lipophiler Medikamente [25]. Diese zentrale relative Hypervolämie scheint die Ausschüttung des Antidiuretischen Hormons (ADH) zu unterdrücken, wodurch bei längerer Kälteexposition neben tubulären Wasser- und Elektrolytverlusten eine „Kältediurese“ (bis zu 3,5-fache Zunahme der Urinmenge) auftritt [4, 23]. Weiterhin kommt es zur Flüssigkeitsverschiebung von intra- nach extravaskulär [5], was zu einem weiteren Anstieg hydrophil gelöster Substanzen im Plasma mit potenziell toxischer Medikamentenwirkung führt. Im Rahmen einer Wiedererwärmung kommt es dann zu einer zunehmenden Vasodilatation, mit Wiedereröffnung zuvor verengter peripherer Gefäße. Dadurch vergrößert sich das Verteilungsvolumen und kann eine Unterdosierung an den zentralen Organen resultieren. Bei Hypothermie ist zusätzlich der hepatische Metabolismus reduziert, wodurch die Medikamentenelimination in Abhängigkeit des hepatischen Blutflusses, der intrinsischen Clearance und der Rate der Proteinbindung verlangsamt und eine Überdosierung weiter begünstigt wird [31]. Wird unter diesen Bedingungen ein Prodrug (z. B. Tramadol und Codein) verabreicht, kann durch eine unzureichende Umwandlung der verabreichten Substanz in die eigentliche Wirksubstanz jedoch auch eine Unterdosierung resultieren. Das Risiko entsprechender Fehldosierungen ist insbesondere bei Medikamenten mit hoher Metabolisierungsrate und geringer therapeutischer Breite erhöht [31]. So wurde beispielsweise für Morphin bei einer Körpertemperatur von 30 ℃ eine höhere Rate an Nebenwirkungen im Sinne einer arteriellen Hypotension beobachtet [2]. Ein Abschätzen der unter hypothermen Bedingungen mit einer bestimmten Dosis zu erreichenden Plasmakonzentrationen ist unter präklinischen Bedingungen nahezu unmöglich. Um toxische Wirkungen zu minimieren, ist somit das vorsichtige Titrieren anhand der klinischen Wirkung sinnvoll. Dies gilt insbesondere für Medikamente mit mehreren aktiven Metaboliten, wie z. B. Lidocain und Midazolam. Deshalb sind Pharmaka, die nicht inaktiviert oder nur durch einen einzigen hepatischen Metabolisierungsschritt inaktiviert werden, in einer solchen Situation zu bevorzugen (z. B. Lorazepam und Clonazepam im Gegensatz zu den meisten anderen Benzodiazepinen; [31]). Trotz dieser Überlegungen ist die Applikation von Medikamenten bei hypothermen Patienten vielfach unumgänglich. In den aktuellen Leitlinien des European Resuscitation Councils ist dieser Aspekt dahingehend verankert, dass es unter Reanimation hypothermer Patienten mit einer Körperkerntemperatur (KKT) von <30 ℃ gerechtfertigt ist, Reanimationsmedikamente wie Adrenalin nicht zu applizieren und bei einer KKT von 30–35 ℃ die Applikationsintervalle zu verdoppeln [29].

Einen klinischen Ansatz, der Rückschlüsse auf die Pharmakokinetik und -dynamik bei unterkühlten Patienten erlaubt, stellt die therapeutische Hypothermie dar, wie sie beispielsweise in der Kardioanästhesie durchgeführt wird. So ist die Clearance von Medikamenten mit hoher Eliminationsrate, wie z. B. von Fentanyl oder Propofol, unter Hypothermiebedingungen signifikant reduziert, was auf eine Reduktion der Leberperfusion und des hepatischen Stoffwechsels zurückzuführen ist [33]. Ferner weist Propofol bei kontinuierlicher Applikation und einer KKT von 34 ℃ eine im Vergleich zu Normothermie um 28 % erhöhte Plasmakonzentration auf [20].

Unter Hyperthermie finden sich grundsätzlich die gegenteiligen Effekte, die oben für die Hypothermie beschrieben wurden. Zusätzlich gilt zu berücksichtigen, dass das mit Sonnenstrahlung einhergehende UV-Licht bei einigen Medikamenten, wie Nifedipin, Nitroglycerin, Theophyllin und Insulin, abhängig von der Dauer der Lichteinwirkung zur Wirkungsabschwächung bis hin zum Wirkverlust führen kann [19]. Dies ist insbesondere bei einer kontinuierlichen Applikation im Vergleich zu einer Bolusgabe zu beachten. Auch können thermischer Stress sowie UV-Licht die Entstehung untypischer und ggf. toxischer Abbauprodukte begünstigen. Garg et al. analysierten die Abbauprodukte, die nach thermischer Schädigung von Fentanyl entstanden [9]. Dabei zeigte sich, dass 3 von 5 entstandenen Abbauprodukten bisher unbekannt waren. Ob diese Abbauprodukte mögliche toxische Wirkungen entfalten können ist jedoch unklar [9]. Auch die beschleunigte Degradation von Midazolam zeigte, dass thermischer Einfluss zu einem signifikanten Wirkverlust führt und bisher nicht beschriebene Abbauprodukte hervorrufen kann [8].

Austauschintervalle

Da die Effekte thermischen Stresses und weiterer Umwelteinflüsse auf die Haltbarkeit von Medikamenten kaum abgeschätzt werden können, sollten präklinisch mitgeführte Medikamente in kürzeren Zeitintervallen ausgetauscht werden, als dies von den Herstellern für Standardbedingungen empfohlen wird [19]. Dies erscheint umso wichtiger, als dass zum Teil erhebliche Kontroversen bezüglich der Auswirkungen eines thermischen Stresses auf die Medikamentenwirkung bestehen. Während einige Autoren davon ausgehen, dass Midazolam eine hohe Temperaturstabilität aufweist [19, 21], postulieren andere Autoren eine geringe Stabilität und beschreiben einen Wirkverlust von 50 % nach 4 Wochen bei 45 ℃ [1]. Im Gegensatz dazu scheint Einigkeit über die relativ große Hitzestabilität von Hydromorphon und Morphin zu bestehen [1]. Auch Adrenalin ist trotz hitzeinduzierter Wirkabschwächung [26] bis +70 ℃ relativ stabil [19]. Die Potenz von Atropin nimmt nach bereits 2 Wochen bei Hitzeexposition von 45 ℃ hingegen soweit ab, dass keine Wirkung mehr nachweisbar ist [1]. Demgegenüber sind Präparate in Pulverform, wie z. B. Thiopental und Antibiotika, welche vor der Applikation aufgelöst werden müssen, kälteresistenter als flüssige Medikamente. Die Hitzeresistenz hingegen hängt primär von dem jeweiligen Wirkstoff selbst ab [19]. Die Tab. 12 und 3 geben eine Übersicht über die thermische Stabilität der wichtigsten Medikamente.

Tab. 1 Ausgewählte Narkosemittel
Tab. 2 Kardiovaskuläre Medikamente
Tab. 3 Weitere ausgewählte Notfallmedikamente

Zusätzlich zum regelmäßigen Austausch der Medikamente sollten weitere allgemeine Regeln beachtet werden. Glasampullen, die einmal gefroren waren, sollten ersetzt werden, da durch das Frieren des Glases feine Haarrisse entstehen können, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind und das Risiko feiner Glassplitter im Ampulleninhalt erhöhen. Ist das Ersetzen der Ampulle nicht möglich, so sollte diese gründlich auf Haarrisse inspiziert und anschließend langsam wiedererwärmt werden. Auf eine Wiedererwärmung im Mund sollte selbstverständlich verzichtet werden, da die Wiedererwärmung zu einer Ausdehnung des Ampulleninhalts führt und die vorgeschädigte Ampulle leicht bersten kann.

Ebenso ist vor der intravenösen Applikation von einmal gefrorenen und wiedererwärmten Emulsionen Vorsicht geboten, wie beispielsweise Propofol, da durch das Gefrieren Konglomerate der lipophilen Phase entstehen können, die nach Injektion Lungenembolien auslösen können [13, 17]. Auch proteinhaltige Medikamente sollten nach Exposition <4 ℃ nicht verwendet werden. Dies gilt beispielsweise für Insulin, welches als Protein nicht nur bei Kälteexposition denaturiert, sondern zusätzlich UV-Licht- sensitiv ist und bei Temperaturen >40 ℃ seine Wirkung verliert [19]. Auf diese Eigenschaften sollten insulinpflichtige Diabetiker aufmerksam gemacht werden, insbesondere wenn ein Aufenthalt in entsprechend kalten oder warmen Gegenden bevorsteht.

Weitere Besonderheiten unter Extrembedingungen

Temperaturabhängige Dosierunterschiede finden sich bei Druckgasinhalatoren, die zur Therapie des Asthmas oder bei chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen zum Einsatz kommen. So nimmt die Applikationsdosis eines Sprühstoßes mit zunehmender Umgebungs- und Inhalatortemperatur zu, und bei fallender Temperatur um bis zu 70 % ab [22]. Die Verwendung unter Raumtemperatur nach vorangegangenem Hitzestress ist in der Regel jedoch sicher und zuverlässig möglich [15]. Zu beachten ist ferner die Explosionsgefahr, welche besteht, wenn im Inhalator eine Temperatur von >50 ℃ erreicht wird [19].

Bezüglich der Anwendung von Infusionen gilt zu beachten, dass in einer kalten Umgebung die Infusionsleitung inklusive der darin befindlichen Flüssigkeit gefrieren kann. In der präklinischen Notfallmedizin im Gebirge wird zumindest bei winterlichen Temperaturen auf den Einsatz von Infusionslösungen daher weitestgehend verzichtet, zumal die Wiedererwärmung eines Patienten durch Infusionslösungen nicht möglich ist. Auch gilt zu bedenken, dass ein suffizienter Volumenersatz aus einer Rucksackapotheke im Falle einer präklinischen Hypovolämie nicht praktikabel ist [19]. So führt die intravenöse Gabe von 500 ml einer 40 ℃ warmen Flüssigkeit bei einem Patienten mit einer Körpertemperatur von 30 ℃ und einem Körpergewicht von ca. 70 kg zu einer Aufwärmung von weniger als 0,2 ℃ [24].

Nur wenig Daten bestehen dazu, inwieweit die Art des Transports die Pharmakodynamik und -kinetik eines Medikaments beeinflussen kann. De Winter et al. untersuchten den Einfluss von Vibration, wie sie für Helikopterflüge typisch ist, auf die Medikamentenwirkung von Cisatracurium, Succinylcholin und Albumin, wobei sie keinen Wirkungsverlust feststellen konnten [6]. Auch der rekombinante Plasminogenaktivator (rPTA) zeigte nach Helikopterflügen keine Wirkungsveränderungen [7]. Ob die pharmakologischen Eigenschaften anderer Medikamente durch Vibration bzw. durch andere Transportmethoden klinisch relevant verändert werden, ist bis dato nicht untersucht.

Fazit

Über die Effekte von thermischem Stress, UV-Licht und anderen Umweltfaktoren auf die pharmakologischen Eigenschaften von Notfallmedikamenten liegen trotz der erheblichen klinischen Relevanz kaum Daten oder Erfahrungen vor. Hitze und Kälte stellen wichtige Stressoren dar, welche die Pharmakokinetik und -dynamik der meisten Medikamente erheblich beeinflussen können. Aufgrund fehlender Möglichkeiten, Änderungen der pharmakologischen Eigenschaften präklinisch zu erfassen, sind einige Grundsätze zu beachten: Notfallmedikamente sollten nicht der prallen Sonne oder heißen Oberflächen ausgesetzt werden. Insbesondere bei kalten Temperaturen sollte eine Lagerung der Medikamente auf dem Boden vermieden werden, da die Bodentemperatur im Winter deutlich niedriger als die Lufttemperatur sein kann. Die klinische Beurteilung der Medikamentenwirkung mit Titration der Dosis ist unter diesen Bedingungen von besonderer Bedeutung. In jedem Fall sollten nach thermischem Stress verkürzte Intervalle eingehalten werden, nach denen ein Austausch der Medikamente erfolgt.