Zusammenfassung
FOAM steht für Free Open Access Medical Education und stellt eine neue Möglichkeit zur Fortbildung in der Notfallmedizin dar. Online können unabhängig von Zeit und Ort gratis Artikel, Blogbeiträge, Podcasts oder Videos zur Weiterbildung genutzt werden. Neben vielen Vorteilen wie eben der ubiquitären Verfügbarkeit, einer attraktiven Aufbereitung und der Möglichkeit für die Leser, mitzudiskutieren, müssen manche Aspekte von FOAM auch kritisch betrachtet werden. Dazu zählen unter anderem noch eine fehlende Konstanz wie bei klassischen Journals, aber auch die fehlende professionelle Peer-Review oder Qualitätskontrolle. Dieser Beitrag soll die Vor- und Nachteile von FOAM genauer beleuchten und zeigen, wie Leser diese neue Wissensressource nutzen und deren Qualität beurteilen können.
Abstract
Free Open-Access Meducation (FOAM) is a new option for emergency medicine education. Articles, blog posts, podcasts or videos can be used for further education regardless of time and location. There are other advantages of FOAM besides the ubiquitous availability: an attractive presentation and the possibility for users to discuss topics with the author, for example. But some aspects must be viewed critically. This includes, for example, a lack of continuity when compared to classical journals but also the absence of professional peer-review or quality checks. The main objective of this article is to look at the advantages and disadvantges of FOAM in more detail in order to help users benefit from this new knowledge resource and assess its quality.
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Ob Rettungsassistentin, Notärztin, Pfleger in der Notaufnahme oder Schockraumleader – all diese Berufsgruppen eint neben der Tätigkeit an der Schnittstelle Rettungsdienst/Schockraum ein Problem: viele Neuigkeiten in den regelmäßig erscheinenden neuen Guidelines, Algorithmen und Handlungsempfehlungen, viele spannende Kongresse, Workshops und Seminare und vor allem viel zu wenig Zeit, um alle Journals und Artikel jeden Monat zu lesen und jeden spannenden Kongress zu besuchen. Wie kann aber moderne interdisziplinäre Fortbildung in Zeiten von Facebook, Twitter und Web 2.0 noch aussehen? Welche Möglichkeiten bietet uns das Internet, uns qualitätsvoll, unabhängig von Tageszeit und Aufenthaltsort fortzubilden und unser Wissen up to date zu halten?
In einem Pub in Dublin im Jahr 2012 wurde FOAM geboren, Mike Cadogan und Sean Rotwell, Notfallmediziner aus Australien, erfanden das Akronym: FOAM steht für Free Open Access Meducation (= „medical education“). Seither haben sich Hunderte medizinische Blogs, Podcasts und Onlinevideos weltweit entwickelt. Die Erfolgreichsten unter ihnen haben Tausende regelmäßige User. Der Großteil der Angebote kommt aus dem angloamerikanischen Raum, vereinzelt sind inzwischen jedoch auch anderssprachige Kanäle und Seiten vorhanden.
Ein Ethos des offenen Austausches und der Zusammenarbeit eint die FOAM-Gemeinschaft: medizinische Ausbildung, die gratis nutzbar und (fast) überall zugänglich ist [1].
Seit 2012 sind sowohl Angebot als auch Interesse an der social-media-begleiteten medizinischen Weiterbildung stark gewachsen, was sich auch zum Beispiel an den Teilnehmerzahlen des „FOAM-Kongresses“ SMACC (Social-Media-and-Critical-Care-Konferenz) zeigt: 2013 wurde die erste SMACC in Sydney abgehalten. 700 Teilnehmer zählte diese erste Veranstaltung. 2016 in Dublin waren 2000 Tickets innerhalb von Minuten vergriffen.
Was spricht für, was spricht gegen FOAM?
Für FOAM spricht auf jeden Fall die freie, kostenlose und ubiquitäre Verfügbarkeit.
Die Geschwindigkeit, mit der FOAM-Inhalte erstellt werden, ist atemberaubend: Inhalte werden meist dezentral von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen unter Nutzung aktueller Technik (auch für beste technische Qualität reichen eine aktuelle Smartphonekamera und ein mittelmäßiger PC) in unheimlich kurzer Zeit produziert und publiziert. Genauso schnell, wie sie aus der Taufe gehoben und mit Inhalten befüllt werden, können FOAM-Webseiten aber auch wieder verschwinden. Saubere (sprich unabhängige) Finanzierungsmodelle sind schwer zu realisieren und so werden die Kosten (Webseiten und Medienproduktion kosten Geld) meist von engagierten Privatpersonen getragen, die für die Idee „brennen“ – eine Finanzierung über Werbung wird in weiten Kreisen abgelehnt. In puncto Beständigkeit kann FOAM mit klassischen Journals allerdings noch nicht konkurrieren.
Der FOAM-Bewegung ist eine gewisse Tendenz zur „Heldenverehrung“ nicht abzusprechen: Selfies mit prominenten Vertretern der FOAM-Szene erfreuen sich auf Kongressen, wie z. B. SMACC, fast derselben Beliebtheit wie Selfies mit Popstars auf Popkonzerten. Die Gefahr eines „Persönlichkeitskultbias“ ist nicht wegzudiskutieren. Immer wieder wird in medizinischen Diskussionen von FOAM-Anhängern ein FOAM-Beitrag mit der gleichen Wertigkeit wie eine große randomisierte doppelblinde Studie oder eine aktuelle Leitlinie gewichtet.
Verlässliche und objektive FOAM-Qualitätsindikatoren sind allerdings noch nicht vorhanden. In einem internationalen Expertenkonsensus wurden zwar 14 solcher Indikatoren für Blogs und 26 für Podcasts definiert, aber dennoch wird eine benutzerfreundlichere Möglichkeit, Qualität zu beurteilen, gefordert [2]. Interessanterweise umfassen die von diesem Expertenkonsortium gefundenen Qualitätsindikatoren hauptsächlich Charakteristika, welche auch in traditionellen Medien als besonders wertvoll eingeschätzt werden, wie etwa das Offenlegen von möglichen Interessenskonflikten.
Wenn auch nicht als solcher konzipiert, so wird für klassische Journals doch oftmals ein hoher Impact Factor als Qualitätsmerkmal herangezogen. Als Pendant für Onlineressourcen wurde der Social Media Index (SMi, abrufbar auf https://www.aliem.com/social-media-index) ebenfalls als indirektes Qualitätsmerkmal vorgeschlagen [3]. Dieser Score versucht den „Impact“ anhand von Kennzahlen wie etwa Websitebesuchen oder Facebook- bzw. Twitter-Follower zu quantifizieren. Im Gegensatz zu klassischen Journals erfolgt der Peer Review hier erst nach der Veröffentlichung, dafür aber durch eine wesentlich größere Anzahl an „Reviewern“, es kommt zum sogenannten Post-publication Peer Review. Diese Schwarmintelligenz hat unter anderem schon dazu geführt, dass ein Blogpost eine Korrektur eines Artikels im New England Journal of Medicine ausgelöst hat [4]. Ein integraler Bestandteil von FOAM ist nämlich die aktive Teilnahme und vor allem kritische Diskussion der Beiträge. So ist es oft nicht nur der einzelne FOAM-Beitrag, der lehrreich ist, sondern in den meisten Fällen sind es die Kommentare und Diskussionsbeiträge der User.
Auch wenn diese Methode zur Qualitätssicherung natürlich nicht unfehlbar ist, so führt eine große Menge an Korrektiven doch zu einer ausgezeichneten Qualität des Inhalts, wie auch am bekannten Beispiel Wikipedia bewiesen wurde [5]. In der Praxis überleben schlecht recherchierte oder inhaltlich fragwürdige Inhalte nicht lange und die Qualitätskontrolle durch die Community funktioniert auf weiten Strecken fast in Echtzeit. Auffallend ist auch, dass FOAM-Beiträge in den letzten Jahren immer mehr Verweise auf etablierte und hochwertig publizierte wissenschaftliche Arbeiten enthalten, welche klassisch „peer reviewed“ und oft hochrangig publiziert sind. Hier entwickelt sich die FOAM-Bewegung klar von den in der Anfangszeit oft „eminence based“-Ansätzen hin in Richtung „evidence based“ und die „rules of good scientific practice“ finden immer konsequenter Einzug in die FOAM-Bewegung.
Wie kann nun der einzelne User die Qualität des Blogs oder einzelner Beiträge erkennen? In erster Linie ist das sicher durch die Qualität der Referenzierung, die Bezugnahme auf klassische, gut fundierte Studien, die wissenschaftlichen Qualitätskriterien standhalten, möglich. Zusätzlich ist aber auch die Größe des Blogs – erkenn- und beurteilbar durch die Anzahl an Follower, Likes etc. – ein guter Hinweis: Je mehr Leute mitdiskutieren und mitlesen, umso kleiner ist durch die oben genannte Schwarmintelligenz die Wahrscheinlichkeit, Falschinformationen aufzusitzen (Tab. 1).
Die FOAM-Bewegung stellt eine interessante und zukunftsträchtige Neuerung im Bereich der medizinischen Weiterbildung dar, soll aber keinesfalls die in den letzten Jahren im notfallmedizinischen Bereich etablierte Leitlinienkultur unterminieren. Gerade die aufwendige Erarbeitung von Leitlinien mit ihrer wissenschaftlichen Stringenz, dem Bezug auf Levels of Evidence und der Kontrolle der Conflicts of Interest – wie zum Beispiel im Rahmen des ILCOR-Prozesses (International Liaison Committee on Resuscitation) – wäre in FOAM nur schwer möglich.
Das medizinische Wissen entwickelt sich rasant weiter und die Anzahl der täglich neuen Publikationen hat das menschenmöglich Les- und Verarbeitbare in vielen Bereichen überschritten. Wir benötigen und verwenden also humane Filter (anerkannte Spezialisten auf einem Gebiet), auf deren Qualifikation wir vertrauen, um nach deren Empfehlungen ausgewählte medizinische Informationen effizient und gerichtet konsumieren zu können. Die FOAM-Bewegung hat sich hier mit ihren Proponenten den Platz eines Filters erarbeitet, der mit allen Vor- und Nachteilen doch wieder auf gewisse Weise eminenzbasiert ist (Tab. 2). Die gefilterten Ergebnisse werden wie kaum anderswo leicht konsumierbar und ansprechend gestaltet. Aufgabe der Zukunft wird es sein, die Vorteile von FOAM und die Vorteile von „klassischen“ Medien zu kombinieren und daraus Modelle für die zukünftige medizinische Wissensvermittlung zu kreieren. Dabei muss aber immer klar sein, dass die einzelnen Formen der medizinischen Wissensvermittlung in keiner Konkurrenz zueinander stehen dürfen, sondern sich gegenseitig ergänzen. So soll FOAM niemals Artikel in klassischen Journals oder Guidelines obsolet machen, sondern im Idealfall eine Ergänzung zur Wissensvertiefung oder Diskussion darstellen.
Fazit für die Praxis
FOAM stellt mit all seinen Vor- und Nachteilen eine spannende neue Möglichkeit zu Wissenserwerb und -vertiefung gerade im notfallmedizinischen Bereich dar, die kostenlos überall und jederzeit verfügbar ist.
Literatur
Nickson CP, Cadogan MD (2014) Free Open Access Medical education (FOAM) for the emergency physician. Emerg Med Australas 26(1):76–83
Thoma B, Chan TM, Paterson QS, Milne WK, Sanders JL, Lin M (2015) Emergency medicine and critical care blogs and podcasts: establishing an international consensus on quality. Ann Emerg Med 66:396–402.e4. doi:10.1016/j.annemergmed.2015.03.002
Thoma B, Sanders JL, Lin M, Paterson QS, Steeg J, Chan TM (2015) The social media index: measuring the impact of emergency medicine and critical care websites. West J Emerg Med 16:242–249. doi:10.5811/westjem.2015.1.24860
http://intensivecarenetwork.com/711-nejm-decolonization-paper-stats-wrong/. Zugegriffen: 22.5.2017
Giles J (2005) Internet encyclopaedias go head to head. Nature 438:900–901. doi:10.1038/438900a
https://www.aliem.com/social-media-index. Zugegriffen: 22.5.2017
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Zoidl, P., Sacherer, F., Heschl, S. et al. Schaumschlägerei oder Qualitätsfortbildung?. Notfall Rettungsmed 21, 317–319 (2018). https://doi.org/10.1007/s10049-017-0317-3
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