2012 wurden im New England Journal of Medicine die Daten aus zwei groß angelegten klinischen Studien zu HES publiziert [1, 2]. Im Vergleich zu kristalloiden Infusionslösungen war die Anwendung von HES u. a. mit größeren Risiken assoziiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sah daher die Notwendigkeit einer umfassenden Überprüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses HES-haltiger Infusionslösungen und publizierte die Empfehlung, HES bei Patienten mit schwerer Sepsis nicht mehr anzuwenden. Bei intensivmedizinischen Patienten sollten wegen des Risikosignals aus der CHEST-Studie kristalloide Lösungen gegenüber HES aus Gründen der Patientensicherheit bevorzugt angewendet werden, bis eine endgültige Evaluation aller vorliegenden Daten zu HES erfolgt ist [3]. Aufgrund gesetzlicher Vorgaben wurde ein Risikobewertungsverfahren auf europäischer Ebene initiiert, ein sog. Referral. Die Verfahrensführung hierfür obliegt der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, die inhaltliche Bewertung dem Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), da es sich um Pharmakovigilanzdaten handelt.

Der PRAC wurde im Juli 2012 als Nachfolgegremium der früheren Pharmakovigilanz-Arbeitsgruppe (PhVWP) im Rahmen des Inkrafttretens der neuen europäischen Pharmakovigilanzgesetzgebung etabliert und mit umfassenderen Rechten zur Stärkung der Patientensicherheit ausgestattet. Als wissenschaftlicher Ausschuss der EMA ist er für alle Aspekte des Risikomanagements in Verbindung mit der Anwendung von Humanarzneimitteln zuständig, einschließlich der Ermittlung, Bewertung, Minimierung und Kommunikation der Risiken von Nebenwirkungen, unter gebührender Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens. Der PRAC setzt sich aus Vertretern aller EU-Staaten (plus Norwegen und Island), 6 weiteren wissenschaftlichen Experten sowie Vertretern der Gesundheitsberufe und der Patienten zusammen.

Im November 2012 wurde das Referral zu HES offiziell im PRAC gestartet [4]. Hierbei wurde neben der schwedischen Behörde das BfArM als Initiator des Referrals zum Berichterstatter ernannt; beide übernahmen die federführende inhaltliche Bewertung. Des Weiteren wurde eine konkrete Fragenliste zur Beantwortung durch die Zulassungsinhaber HES-haltiger Infusionslösungen und der Zeitplan für das Verfahren – unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben – verabschiedet. Daten aus der wissenschaftlichen Literatur sowie von den Zulassungsinhabern eingereichte umfangreiche Unterlagen zu klinischen Prüfungen, epidemiologischen Auswertungen und zur Spontanberichterfassung wurden eingehend geprüft und bewertet. Zudem konsultierte der PRAC eine Gruppe unabhängiger klinischer externer Experten (Anästhesie, Intensivmedizin, Chirurgie, Nephrologie, Infektiologie) in einem eigens zu diesem Zweck einberufenen Treffen. Die Zulassungsinhaber hatten im Rahmen einer mündlichen Anhörung eine weitere Möglichkeit zur ausführlichen Stellungnahme und Darstellung ihrer Einschätzung. Nach umfassender Diskussion und Beurteilung der vorliegenden Bewertungsberichte und Stellungnahmen kam der PRAC im Juni 2013 zu dem Schluss, dass der Nutzen von HES-haltigen Infusionslösungen in den zugelassenen Indikationen die potenziellen Risiken nicht länger überwiegt und empfahl daher ein Ruhen der entsprechenden Zulassungen. Das BfArM sieht sich dadurch in seiner primären Einschätzung bestätigt und hat diesbezüglich auf seiner Website informiert und eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen [5].

Bei den Schlussfolgerungen des PRAC handelt es sich jedoch zunächst um eine Empfehlung, die noch nicht bindend ist. Einige Zulassungsinhaber haben von ihrem Recht Gebrauch gemacht, eine Überprüfung dieser PRAC-Empfehlung zu beantragen. Nach Vorlage einer ausführlichen Begründung wird der PRAC innerhalb einer gesetzlich vorgegeben Zeitspanne seine bisherige Empfehlung mit neuen Berichterstattern überprüfen und dann eine finale Empfehlung aussprechen, die für Oktober 2013 erwartet wird.

Als Folge zwischenzeitlich ergriffener nationaler Maßnahmen in Großbritannien (Suspendierung der Anwendung HES-haltiger Infusionslösungen) wurde im Juli 2013 ein weiteres Referral gestartet.

Die Initiierung eines solchen Verfahrens ist unter bestimmten Umständen zwingend vorgeschrieben

Die Initiierung eines solchen Verfahrens ist aufgrund der derzeitigen Vorgaben der europäischen Gesetzgebung bei der Ergreifung von bestimmten nationalen Maßnahmen zwingend vorgeschrieben. Das neue Referral wird parallel zum oben genannten Überprüfungsverfahren geführt und abgestimmt.

Die PRAC-Empfehlungen aus beiden Verfahren werden dann an die Koordinierungsgruppe der nationalen Zulassungsbehörden (CMDh) weitergeleitet. Werden die Empfehlungen von der CMDh einstimmig angenommen, erfolgt direkt im Anschluss die nationale Umsetzung durch die zuständigen Behörden der einzelnen europäischen Länder (in Deutschland durch das BfArM). Handelt es sich um einen Mehrheitsbeschluss, so obliegt es der Europäischen Kommission, eine verbindliche Entscheidung zu erlassen. Diese ist dann durch die nationalen Behörden umzusetzen. In Deutschland erfolgt dies im Regelfall in einem sog. Stufenplanverfahren. Bis zu einer verbindlichen europäisch abgestimmten Entscheidung hält das BfArM seine Empfehlung, von der Anwendung HES-haltiger Infusionslösungen abzusehen, aufrecht [5].

M. Huber

K. Broich