Chantler beschreibt diese Entwicklung in Lancet mit deutlichen Worten [1]:

Medicine used to be simple, ineffective and relatively safe. Now it is complex, effective and potentially dangerous.

Die Politik spricht derzeit die Sprache des sog. Patientenrechtegesetzes – möglicherweise aus vielen guten Gründen, von denen einige nur mittelbar mit Medizin sowie Ärzten, Rettungs- und Pflegepersonal zu tun haben. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung wirft immer wieder Ärzten „immanente Pfründesicherung“ vor, verwirft offensichtlich ein in Österreich von allen Seiten hoch akzeptiertes und willkommenes Modell eines verschuldensunabhängigen Patientenentschädigungsfonds.

Reichen demnach in der heutigen Zeit beispielsweise ärztliche Codices, wie u. a. die Berufsordnung für die Ärzte sowie weitere bisherige rechtliche Rahmenbedingungen, Leitlinien, evidenzbasierte Medizin, von Ethikkommissionen genehmigte Studien auch zur Versorgungsforschung für die Versorgung der Patienten nicht mehr aus? Obendrein ist man schließlich zertifiziert. Auch hier wurde inzwischen reagiert: Hält die medizinische Versorgung in einer Gesundheitseinrichtung in praxi nicht das, was ein oftmals goldfarben umrahmtes Qualitätszertifikat verspricht, so hat beispielsweise beim DIN-EN-ISO-Verfahren die DAKKS (Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (www.dakks.de) als Akkreditierungsstelle die Verpflichtung, bei begründeten Zweifeln bezüglich der Funktionalität eines (angeblich) vorhandenen Qualitätsmanagementsystems die Zertifizierungsstelle aufzufordern, die zertifizierte Institution im Sinne einer Qualitätsverbesserung neuerlich zu überprüfen.

Im Mittelpunkt jeder qualitätsorientierten Gesundheitsversorgung steht die Sicherheit des Patienten. Unerwünschte Ereignisse, die das ungewollte Ergebnis einer Behandlung sind, gefährden die Patientensicherheit.

Dies ist ein wörtliches Zitat von der Homepage des Aktionsbündnisses Patientensicherheit.

Während man vor Jahren in schöner Tradition des „name-blame-shame“ [2] noch um die Definition des Fehlers in der Medizin und die Interpretation der Unerwünschtheit von Ereignissen gerungen und räsoniert hat, Protagonisten sich des Status von Nestbeschmutzern erwehren mussten, ist das Thema Patientensicherheit und Risikomanagement längst im Alltag angekommen, bei (Not-)Ärzten, Rettungs- und Pflegepersonal und bei den Patienten selbst; kein Wunder – beim täglichen Gang vorbei an prominent platzierten großformatigen Zertifizierungsurkunden und der anschließend erlebten zunehmenden Arbeitsverdichtung und Ressourceneinsparung. Es ist gelebte Realität, dass die Notfall- und die Akutmedizin ein Hochrisikoumfeld ist.

Es wird als hilfreich erkannt, wenn die (Ad-hoc-)Beteiligten bei akutmedizinischen Versorgungen ganz einfach so handeln, wie man selbst gerne in der entsprechenden Situation behandelt werden würde. Dabei steht der (Medizin-)Mensch bisweilen sich selbst, dem Team und damit letztlich dem Behandlungserfolg ohne Absicht im Wege. Aber auch viele Rahmenbedingungen tragen hier erschwerend dazu bei, das Behandlungsziel nur mit Mühen zu erreichen. Die Schnittstelle Mensch ↔ Maschine ist hier nur ein Bespiel.

Präventives und systemorientiertes Risikomanagement ist in der Lage, Patientensicherheit positiv und nachhaltig zu beeinflussen

Lange wurde der Begriff Risikomanagement nur als Terminus der Finanz- und Versicherungswirtschaft abgetan und war der Medizin sehr fremd. Innovative und vorausschauende Einrichtungen im Gesundheitswesen haben inzwischen verstanden, dass präventives und systemorientiertes Risikomanagement in der Lage ist, Patientensicherheit positiv und nachhaltig zu beeinflussen. Dies wird zu Recht einer der zentralen Wettbewerbsvorteile der dynamisch-wachsenden Gesundheitsbranche. Wohlüberlegt fordert die UCLA bereits auf ihrer Website Patienten auf: „Involve yourself in your care at UCLA“ (www.uclahealth.org). Ein grundsätzlich partnerschaftliches Verständnis in der medizinischen Versorgung hat bei der Komplexität heutiger Versorgungsabläufe in modernen Kliniken sicher Zukunft.

Es wird bald zur Selbstverständlichkeit geworden sein, dass die Identität des Patienten samt zutreffender OP-Region (nach Möglichkeit im Gespräch mit dem Patienten) bestätigt und markiert wird und die Überprüfung unmittelbar präoperativ im Team-Time-Out evaluiert wird. Dies gilt auch für das mehrfache Überprüfen einer Zytostatikazubereitung für einen Patienten bis zur Applikation der entsprechenden Lösung und die schriftliche Dokumentation von auf Station erhobenen Befunden mit sorgfältiger Übergabe beispielsweise bei Schichtwechsel einschließlich Kommentierung für Patienten besonders relevante Befunde. Ebenso gilt dies auch für die Teamabsprache bei komplexen Rettungssituationen mit Sicherheitsfeedback („closing the loop“) – wie in anderen Risiokobranchen seit Jahrzehnten üblich und unverzichtbar. Nachhaltige Handlungssicherheit wird eine zentrale Bedeutung erlangen, dies insbesondere in dynamischen und unübersichtlichen Situationen, welche integraler Bestandteil der Akut- und Rettungsmedizin sind und auch bleiben werden.

In diesem Heft finden Sie im Leitthema teils erstaunliche Zahlen, Ansichten, Lösungswege, auch hintergründige Reflexionen sowie pragmatische Rezepte für Ihren ganz persönlichen Alltag. Den Autoren dieses Themenschwerpunkts ist es aus unserer Wahrnehmung wunderbar und überzeugend gelungen, die theoretischen Fundamente mit praktischen Handlungsbeispielen anschaulich zu verdeutlichen.

Burghofer (Risikomanagement und Human Factor in der Akutmedizin) und Koppenberg und Moecke (Strukturiertes klinisches Risikomanagement in einer Akutklinik) bieten in ihren Beiträgen einen aktuellen Überblick über die wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie erfolgreiche Lösungen und Anwendungsbeispiele für die tägliche Praxis. Thomeczek et al. stellen den derzeitigen Umgang mit Fehlern dar und beschreiben den spezifischen Beitrag, den ein CIRS zum Risikomanagement leisten kann, um das systematische Lernen aus Fehlern sowie die Entwicklung Sicherheitskultur zu unterstützen. Ein wesentlicher systemorientierter Baustein stellt das Risikoassessment in der Schadensprävention dar. Meilwies und Petry stellen Ihre Erfahrungen aus Risikoauditierungen in der Präklinik, Notaufnahme und Akutmedizin dar.

In Zeiten der Arbeitsverdichtung und Ressourcenknappheit stellt die Delegation – nicht Substitution – ärztlichen Handelns ein immer bedeutsameres Handlungsfeld dar. Die Medikamentengabe durch nichtärztliches Rettungsfachpersonal ist ein gleichermaßen sehr kontrovers diskutiertes wie vielschichtiges Thema. Lott et. al. stellen die Ergebnisse einer Expertengruppe zusammen, deren Ziel es war, den Ist-Zustand zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten zur Optimierung der Versorgung von Notfallpatienten zu erarbeiten. Der Artikel und die Ergebnisse laden zur Diskussion ein. Hier sind die Bücher aus dem Blickwinkel der Patientensicherheit und den juristischen Aspekten des Risikomanagements sicher noch nicht geschlossen.

Die Herausgeber des Leitthemas danken der Schriftleitung und den Verantwortlichen im Springer-Verlag, dass man sich aktuell in einem Schwerpunktheft dieses immer noch etwas sperrigen Themenkomplexes in der Akutmedizin offen und ohne Vorbehalte angenommen hat. Autoren und Leitthema-Herausgeber sind außerordentlich an Ihrem Feedback interessiert, wollen einen Plan-Do-Check-Act-Zyklus wohl verstanden leben: Gemeinsam mit anderen zum Nutzen Dritter!

Ihre

Christian K. Lackner

Johann-Wilhelm Weidringer