Medikamente, also die Instrumente der Pharmakotherapie, spielen in der Notfallmedizin eine bedeutende Rolle, sei es präklinisch oder in der Notaufnahme. Ihre Bedeutung konnten Fischer et al. [1] beim Vergleich europäischer Rettungssysteme quantifizieren, als sie den Therapieerfolg eines „paramedic“- und eines arztbasierten Systems verglichen. Ohne Pharmakotherapie blieb der Zustand der Patienten in >90% der Fälle gleich, mit Pharmakotherapie war im „paramedic“-basierten System in etwa 12%, im arztbasierten sogar in 39% der Fälle eine Verbesserung des Patientenzustandes zu erreichen.

Notärzte sind auf dem Gebiet der Pharmakotherapie häufig nicht sicher, Rettungsassistenten wohl noch weniger. Dies zeigt sich schon bei den Fachgesprächen zur Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und den Abschlussgesprächen der Rettungsassistenten-Ausbildung. Speziell die Einleitung von Narkosen und die Behandlung der Kreislaufinsuffizienz mit der Interaktion von Inotropika, Vasopressoren, Volumen- und Flüssigkeitsersatz stellen komplexe Wissensgebiete dar, die sich zudem ständig weiterentwickeln. Auf beiden Gebieten ist es wünschenswert, klare Kochrezepte zur Verfügung zu haben – man wird aber nicht ohne profundes Hintergrundwissen auskommen. Hier sei angemerkt, dass die Zeiten eines ungefährlichen Einsatzes von Medikamenten in der Notfallmedizin endgültig vorbei sind – die modernen Pharmaka haben sehr potente Wirkungen. Sie müssen aber gerade deswegen präzise eingesetzt werden, um sicher zu sein. Dazu kommt, dass pharmakologisches Wissen allein ebenfalls nicht ausreicht, um erfolgreich zu arbeiten. Muss z. B. ein Patient mit einem schwierigen Luftweg notfallmäßig intubiert werden, entscheidet die Kombination aus pharmakologischem Wissen und manuellem Geschick, ob ein Leben gerettet wird oder eine Tragödie entsteht. So haben Göttinger Notärzte gezeigt, dass unbemerkte Fehlintubationen (teilweise mit tödlichem Ausgang) durch Notärzte in bis zu 10% der Fälle vorkommen können – das ist zweifellos besser als in anderen, meist nichtnotärztlich geführten Rettungssystemen, aber immer noch eine zu verhindernde Tragödie [7].

Die Zeiten eines ungefährlichen Einsatzes von Medikamenten in der Notfallmedizin sind endgültig vorbei

Kühnelt-Leddihn und Paal [5] beschreiben in ihrem Artikel über die Notfallnarkose deshalb nicht nur die Pharmaka, sondern sie geben einen kompletten Überblick über den Ablauf der Anästhesie-Einleitung des Notfallpatienten. Während sich bislang (abgesehen von kardialen Reanimationen) für die Sicherung des Atemweges die Entscheidung auf die Frage Relaxation ja/nein und die Wahl des Einleitungs-Hypnotikums reduzierte, ist durch die Verwendung von Propofol in der Präklinik, die Verfügbarkeit der Larynxmaske aber vor allem aktuell durch den Einsatz des Larynxtubus zur Atemwegssicherung das Spektrum deutlich breiter geworden. Die Autoren stellen den Larynxtubus als Rückzugsbasis bei Intubationsschwierigkeiten dar, inzwischen gehen andere Untersucher sogar schon weiter. Es erscheinen die ersten Untersuchungen über den Larynxtubus als Alternative zur Maskenbeatmung. Bei der Intubation scheint sich mit Sugammadex möglicherweise das Problem der Relaxation mit Suxamethonium (Succinylcholin) zu lösen. Man darf annehmen, dass der Notfallmediziner in Zukunft den Patienten mit Rocuronium relaxiert und bei Intubationsproblemen die Relaxation mit Sugammadex antagonisiert. Während zur Kontrolle der sicheren Tubuslage noch vor wenigen Jahren die Auskultation reichen musste, ist heute auch in der Präklinik die Kapnometrie Stand der Technik [6]. Es scheint, dass die präklinische Narkose durch die Weiterentwicklung der Medikation und die Möglichkeit, mit einem supraglottischem Atemweg ausreichend zuverlässig zu beatmen, für den Nicht-Anästhesisten einfacher wird. Die Autoren stufen die Kompetenz des Helfers dazu kochbuchmäßig von Gold bis Bronze ein, was eingängig und amüsant ist.

Die Kreislaufinsuffizienz, beginnend mit verschiedenen Schockformen bis hin zur Reanimationssituation, stellt in der Notfallmedizin wohl den größten Anteil der Patienten. Umso mehr bedauern Jacob und Chappell [3], dass Infusionslösungen – Elektrolyt- wie Volumenlösungen – und auf der anderen Seite Inotropika und Vasopressoren wenig differenziert gegeben werden. Die pathophysiologische Grundlage der notärztlichen Werkzeuge, die sie beschreiben, werden sich die meisten Leser so nicht klar gemacht haben. Darüber hinaus ziehen die Autoren die Grenze zur Therapie mit Inotropika und Vasopressoren. Weiterentwicklungen der letzten Zeit sind vor allem die Verwendung einer balancierten Zusammensetzung von Elektrolytlösungen und Volumenersatz. Zur Pharmakotherapie wird die Verwendung von Noradrenalin in der Präklinik selbstverständlich, während für Dopamin keine notfallmäßige Indikation mehr gesehen wird. Während es an der Wirksamkeit hypertoner Volumenlösungen keinen Zweifel gibt, darf nach Jacob und Chappell am bisher angenommenen Wirkungsmechanismus gezweifelt werden. Der Artikel schärft den Blick für den Einfluss der verschiedenen Lösungen auf die Kompartimente intravasaler, interstitieller und intrazellulärer Raum. Er schärft auch den Blick für die unerwünschten Wirkungen der Lösungen. In diesem Zusammenhang sei dem Leser auch die Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft perioperative Gerinnung der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin zur Lektüre empfohlen, die in diesem Heft in der Rubrik Stellungnahmen, Leitlinien erscheint [2]. In dieser liegt der Schwerpunkt auf dem Gerinnungsmangement schwerverletzter und massiv blutender Patienten, so dass sich beide Artikel gut ergänzen.

In vielen Notfallsituationen haben sich Katecholamine bewährt. Offen bleibt aber meist, wie weit die betamimetischen Wirkungen (bzw. Nebenwirkungen) ihren vasopressorischen Nutzen schmälern. Da Vasopressin wie Adrenalin und Noradrenalin zur physiologischen neuroendokrinen Stressantwort zu zählen ist, lag es für die Innsbrucker Arbeitsgruppe nahe, seine therapeutische Potenz auszuloten [4]. In den letzten zehn Jahren untersuchten mehrere Arbeitsgruppen weltweit die Vasopressinwirkung bei unterschiedlichen Schockformen. Kreutzinger und Wenzel [4] fassen das aktuelle Wissen zusammen und zeigen dem Leser die aktuell möglichen Indikationen auf. Auffällig bleibt die Diskrepanz zwischen tierexperimentellen Studien und klinischen Ergebnissen. Sie legt nahe, dass die richtige Indikation noch nicht ganz verstanden ist.

Das Thema Medikamente in der Notfallmedizin gibt Ihnen einen Einblick in aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet notfallmedizinischer Pharmakotherapie. Auch in der Notfallmedizin können interessante therapeutische Entwicklungen erwartet werden. Wenn wir und die von uns betreuten Rettungssysteme dieses Wissen optimal verwerten, können wir die Sicherheit und möglicherweise auch die Überlebenschancen der uns anvertrauten Notfallpatienten erhöhen.

Ihre

B. Dirks

V. Wenzel