Mit dem demografischen Wandel zu einer älteren und aktiveren Gesellschaft steigt die Inzidenz von osteoporotischen Frakturen. Proximale Humerusfrakturen stellen etwa 10 % aller Frakturen bei betroffenen Patienten über 65 Jahren dar und sind somit nach Hüft- und Radiusfrakturen die dritthäufigste Frakturlokalisation [1,2,3,4].

Bei 50–80 % aller proximalen Humerusfrakturen liegt keine oder eine geringe Dislokation vor, und sie können konservativ behandelt werden [5]. Dislozierte und instabile Frakturen werden häufig osteosynthetisch (winkelstabile Plattenosteosynthese, proximaler Humerusnagel) oder in Abhängigkeit von der Rekonstruierbarkeit der Gelenkfläche und der Knochenqualität endoprothetisch versorgt [6, 7]. Das Patientenalter und der Aktivitätsgrad des Patienten sind neben dem Erfahrungsgrad des Chirurgen, Repositionsmöglichkeit der Fraktur und operativer Präferenz Entscheidungsfaktoren der operativen Vorgehensweise. Bis heute liegt keine ausreichende Evidenz vor, die die beste Behandlung von proximalen Humerusfrakturen unterstützt [8]. Etwa 21 % aller proximalen Humerusfrakturen werden operativ versorgt [9]. Unverändert stellen die winkelstabile Plattenosteosynthese und die intramedulläre Marknagelung den Goldstandard in der operativen Versorgung proximaler Humerusfrakturen dar [10]. Nach aktueller Studienlage ist eine primäre endoprothetische Frakturversorgung bei komplexen 3‑ und 4‑Part-Humeruskopffrakturen mit Head-split-Komponente, fortgeschrittener Osteoporose oder gescheiterter Osteosynthese indiziert. Die betroffenen Patienten mit einem gescheiterten Osteosyntheseverfahren werden im weiteren Verlauf zunehmend auf ein prothetisches Verfahren konvertiert [6, 11].

Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick und eine Zusammenfassung der aktuellen Therapiemöglichkeiten mit Empfehlung der operativen Verfahrensweise bei komplexen, proximalen Humerusfrakturen geben.

Indikationsentscheidung: konservativ vs. offene Reposition und interne Fixation vs. Frakturprothese

Die Behandlung komplexer proximaler Humerusfrakturen richtet sich nach dem Patientenalter. Bei älteren Patienten >75 Jahren sollte bei Behandlungsbeginn eine konservative Therapie gegen eine operative Intervention eingehend diskutiert und abgewogen werden. Oftmals ist eine funktionale Rekonstruktion des Humeruskopfes aufgrund der Knochenqualität, insbesondere der Tuberkula und der Beschaffenheit der Rotatorenmanschette nicht aussichtsreich, sodass die Implantation einer inversen Frakturprothese zunehmend zur operativen Versorgung der ersten Wahl bei älteren Patienten mit 3‑/4-Part-Humeruskopffrakturen wird. Die Entscheidung der chirurgischen Vorgehensweise bei komplexen, proximalen Humerusfrakturen bei jüngeren Patient <75 Jahren ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Hier sollte bei dislozierten Frakturen weiterhin eine Rekonstruktion angestrebt werden. Dies erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn die Gelenkfläche und/oder die Tuberkula deutlich disloziert sind. Besondere Berücksichtigung finden polytraumatisierte Patienten mit Begleitverletzungen des Thorax oder der unteren Extremität, sowie Mehretagenverletzungen der oberen Extremität, um eine rasche Mobilisation zu ermöglichen. Zwischenzeitlich konnten verschiedene Prediktoren herausgearbeitet werden, die helfen, einen komplikationsbehafteten Heilungsverlauf, der u. a. mit einem Scheitern der Osteosynthese einhergehen kann, abzuschätzen. Ein besonderes Augenmerk kommt dabei der Knochenqualität zu. Eine osteoporotische Knochenqualität und/oder geringer Knochenstock bieten auch modernen, zementaugmentierten Fixationssystemen wenig Halt. Dies wird durch eine Varus-Dislokation des Humeruskopfes und durch eine Zerstörung der medialen Säule (Kalkarregion) weiter kompliziert. Zudem sind mehrfragmentäre Tuberkula – auch unter Nutzung von Fadenzuggurtungen der Rotatorenmanschette – weiterhin schwierig zu fixieren. Sie neigen zur sekundären Dislokation. Häufig lässt sich dieses schon im konventionellen Röntgenbild erkennen. Im Zweifelsfall sollte nicht gezögert werden, eine weitere Computertomographie(CT)-Diagnostik einzuleiten. Darüber hinaus gelten weiterhin die Hertel-Kriterien zur Beurteilung der Humeruskopfdurchblutung zum Zeitpunkt der Fraktur (Humeruskopf-4-Part-Fraktur, Zerstörung des medialen Scharniers, sowie Länge der posteromedialen Extension von weniger als 8 mm [12]). Sie helfen, das Risiko einer avaskulären Humeruskopfnekrose abzuschätzen. Komplikationsträchtige Verläufe kommen gehäuft bei älteren, über 75 Jahre alten Patienten vor, da diese vermehrt die oben genannten Prediktoren vereinen. Umgekehrt ist man gerade bei diesem Patientenkollektiv bestrebt, die Schulterfunktion mit nur einer Operation, die möglichst zuverlässig ist, wieder herzustellen, sodass sich die inverse Schulterprothese bei diesen Patienten zunehmend anbietet. Dies führt zu einer deutlichen Ausweitung der Indikation zur Implantation der inversen Frakturprothese und beschränkt sich nicht mehr nur noch auf Fraktursituationen mit einer vorbestehenden Defektsituation der Rotatorenmanschette.

Entscheidet man sich zu einer Osteosynthese, so scheint es klinisch keine wesentliche Rolle zu spielen, ob ein proximaler Humerusnagel oder ein winkelstabiles Plattensytem gewählt wird. Beide Osteosyntheseverfahren zeigen vergleichbare Ergebnisse. In einer multizentrischen Studie mit der Erfassung von instabilen, dislozierten proximalen Humerusfrakturen konnte dokumentiert werden, dass sowohl mit proximalen Humerusnägeln als auch mit winkelstabilen Plattensystemen eine signifikante Verbesserung der Bewegungsamplitude und des Constant Scores mit vergleichbaren Werten zur gesunden Gegenseite erreicht werden können [7]. Eine Komplikationsrate von 34 % wurde in derselben Studie nachgewiesen, wobei die kortikale Schraubenperforation die häufigste war (14 %). Das Auftreten von avaskulären Humeruskopfnekrosen wird mit 34 % bei 3- und 4-Part-Frakturen angegeben, bis zu 42 % bei 4-Part-Frakturen unabhängig von der internen Fixationsmethode und bis hin zu 100 % bei 4-Part-Luxationsfrakturen ([13]; Fallbeispiel 1 und 2, Abb. 1a–c und 2a–f).

Eine prospektive, multizentrische Studie hat die konservative Behandlung gegenüber der operativen Behandlung mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese und proximalem Humerusnagel bei 2-Part-Humeruskopffrakturen ausgewertet [14]. Sowohl die konservative als auch die operative Vorgehensweise wurden als sichere und effektive Behandlungsmethoden beschrieben, wobei die operative Versorgung in der Frühphase eine schnellere Schmerzfreiheit und bessere Bewegungsamplitude zeigte.

Abb. 1
figure 1

Fallbeispiel 1. Konsiliarische Vorstellung einer 74-jährigen Patientin mit extern versorgter 3‑Part-Humeruskopffraktur und sekundärer Frakturdislokation 10 Tage postoperativ (ab). 4 Wochen nach Indexoperation Konversion auf eine inverse Schulterprothese (c)

Abb. 2
figure 2

Fallbeispiel 2. Zunächst konservativer Therapieversuch einer 4‑Part-, funktionellen 2‑Part-Humeruskopffraktur bei einer 85-jährigen Patientin (a). Im Verlauf sekundäre Dislokation und Entscheid zur winkelstabilen Plattenosteosynthese (bc). 6 Monate postoperativ Nachweis der posttraumatischen Humeruskopfnekrose und Schraubenperforation sowie sekundärer Lyse des Glenoids (de). Konversion auf eine inverse Schulterprothese 6 Monate nach Indexoperation (f)

Indikationen für die anatomische Frakturprothese

Mit der Entwicklung der inversen Frakturprothese sowie deren hervorragenden klinischen Ergebnissen ergibt sich immer seltener die Indikation zur Implantation einer primären, anatomischen Frakturprothese. Ein „idealer“ Patient ist durch folgende Kriterien gekennzeichnet:

  • Patientenalter zwischen 50 und 70 Jahren,

  • keine metaphysäre Trümmerzone,

  • intaktes Kalkarfragment,

  • irreparable Humeruskopffraktur mit hohem Risiko einer posttraumatischen Humeruskopfischämie,

  • intakte Tuberkelfragmente,

  • fehlende Omarthrosezeichen,

  • fehlende Rotatorenmanschettenpathologie (prätraumatisch aktive glenohumerale Abduktion bis 90°).

In den letzten Jahren wurde das Design der anatomischen Frakturprothesen weiterentwickelt, um insbesondere die verschiedenen Offsets des Humerus individuell anzupassen und die Fixation der Tuberkelfragmente zu verbessern. Gerade der letzte Gesichtspunkt scheint vor dem Hintergrund einer sekundären Dislokation der Tuberkelfragmente wichtig zu sein.

In einer retrospektiven, multizentrischen Studie konnte gezeigt werden, dass das klinische Ergebnis maßgeblich von der Qualität der Tuberkeleinheilung abhängt [15]. Zwar gaben die Patienten nach 1 Jahr überwiegend keine oder nur geringe Beschwerden an, jedoch gelang die Flexion der Schulter über 90° nur bei 41,9 % aller Patienten [15]. Im Vergleich zu konservativ behandelten Patienten konnte eine randomisiert kontrollierte Studie signifikant bessere Ergebnisse im Quality of Live Score für die Patienten mit anatomischer Frakturprothese nachweisen, wobei der Hauptvorteil in der Schmerzreduktion lag [16]. Eine retrospektive Kohortenstudie verglich die offene Reposition und winkelstabile Plattenosteosynthese mit anatomischen Frakturprothesen bei 3‑ und 4‑Part-Humeruskopffrakturen und konnte mit der anatomischen Frakturprothese ein besseres klinisches Ergebnis bei insgesamt höherer Komplikationsrate zeigen [17]. Die häufigsten Komplikationen in der Frakturendoprothetik sind sekundäre Tuberkeldislokation (23 %), Instabilität (15 %), Infektion (5 %) und Arthrofibrose (5 %) als Frühkomplikation, gefolgt von iatrogenen periprothetischen Frakturen (5 %) und Verletzungen des N. axillaris (5 %; [10]).

Sekundäre Tuberkelinsuffizienz

Die Tuberkel des Humeruskopfes sind die anatomischen Ansatzpunkte der Rotatorenmanschette. Sobald das Tuberculum majus und/oder Tuberculum minus bei einer komplexen, proximalen Humerusfraktur disloziert, ist das zu beobachtende funktionelle Ergebnis schlecht. Dieses gilt insbesondere auch nach operativer Intervention mit winkelstabiler Plattenosteosynthese (Fallbeispiel 3, Abb. 3). Als Risikofaktoren für eine derartige Tuberkelinsuffizienz gelten mehrfragmentär frakturierte Tuberkula, sowie Avulsions- und Impressionsfrakturen derselben. In einer Metaanalyse von 16 Studien über komplexe proximale Humerusfrakturen konnte eine Korrelation zwischen hohem Patientenalter und schlechteren postoperativen Constant Scores (r = −0,60, p = 0,0142) nachgewiesen werden. In allen eingeschlossenen Studien hatte die Tuberkeleinheilung das funktionelle Ergebnis relevant beeinflusst und wurde von den Autoren als frustrierend eingeschätzt [18].

Abb. 3
figure 3

Fallbeispiel 3. 95-jähriger Patient mit valgisch impaktierter 4‑Part-Humeruskopfluxationsfraktur links (ab), die zunächst mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese und Zementaugmentation der Schrauben versorgt wurde (c). 7 Monate postoperativ beklagte der Patient eine zunehmende Kraftminderung und Funktionseinschränkung. Radiologisch Nachweis der sekundären Tuberkeldislokation (Tuberculum majus nach medial, Tuberculum minus nach distal) (de) und Konversion auf inverse Schulterprothese (f)

In einer klinikeigenen, retrospektiven Studie wurden 96 Patienten nach Implantation einer primären, anatomischen Frakturprothese (Typ EPOCA, Synthes®, Oberdorf, Schweiz) während 30 Monaten nachkontrolliert. Eine zementierte Schaftverankerung erfolgte in 58 Fällen. Zur Refixation der Tuberkula wurden Tubercable® (Argomedical, Cham, Schweiz) verwendet. Unmittelbar postoperativ zeigte sich eine korrekte Tuberkelreposition bei 63 % der behandelten Patienten, eine inkorrekte Tuberkelreposition in 37 % der Fälle. Von den initial anatomisch reponierten Tuberkelfragmenten waren zum spätesten Nachkontrolltermin nur 44 % der Tuberkel in anatomischer Position vollständig eingeheilt und korrekt positioniert, bei 17 % waren die Tuberkel eingewachsen jedoch sekundär disloziert, und in 40 % waren die Tuberkel sekundär disloziert und nicht eingeheilt. Das Ergebnis scheint altersabhängig zu sein. So konnte nach durchschnittlich 30 Monaten bei den Patienten über 70 Jahren von den initial anatomisch reponierten Tuberkelfragmenten nur noch bei 38,7 % eine weiterhin korrekte, anatomische Einheilung beobachtet werden.

In einer biomechanischen Kadaverstudie wurden unter zyklischen Zugbelastungen der Rotatorenmanschettenmuskulatur und gleichzeitiger glenohumeraler Bewegung nach Implantation einer anatomischen Frakturprothese bei 4‑Part-Humeruskopffrakturen die Integrität der Tuberkula nach Fadenrefixation getestet [19]. Eine 100 %ige Fehlerquote konnte aufgezeigt werden, da die Tuberkula im Schnitt um 1 cm in allen Bewegungsebenen disloziert waren. Die Fäden waren nicht gerissen, jedoch gelockert und hatten die Sehnen eingekerbt und den Knochen teilweise eingeschnitten. Der spongiöse Kollaps führte zu einer Lockerung und Wanderung der Nähte. Alle Fadensysteme waren gelockert und konnten leicht von der knöchernen Oberfläche gelöst werden. Das Fazit dieser biomechanischen Studie ist, dass eine Fadenrefixation der Tuberkula eine mechanisch instabile Lösung ist.

Sowohl biomechanische als auch retrospektive Studien zeigen die Relevanz der Berücksichtigung der Frakturmorphologie der Tubercula humeri. Ist eine stabile und anatomische Refixation der Tuberkula perioperativ nicht möglich, sollte ein inverses Prothesenmodell zur Frakturversorgung gewählt werden.

Anatomische vs. inverse Schulterprothese

Die Entscheidung, ob eine anatomische oder inverse Schulterprothese verwendet werden soll, hängt maßgeblich von der Qualität der Tuberkula ab. Sind diese mehrfragmentär, dünn, klein und zeigen eine schlechte, osteoporotische Knochenqualität, so ist eine anatomische Einheilung der Tuberkula nach Osteosynthese derselben im Rahmen einer anatomischen frakturprothethischen Versorgung eher unwahrscheinlich. Eine sekundäre Dislokation und/oder Resorption der Tuberkula kann in derartigen Situtationen fast regelhaft beobachtet werden. Dies hat zur Konsequenz, dass die Rotatorenmanschette die anatomische Prothese nicht mehr zentrieren kann und sich ein sekundärer Humeruskopfhochstand entwickelt. Dieser geht wiederum sehr häufig mit einer schlechten, schmerzhaften Schulterfunktion einher. Auf der anderen Seite ist die inverse Schutlerprothese nicht mehr in gleichem Maß wie früher von der Einheilung der Tuberkula abhängig, da sich diese aus bautechnischen Gründen selbst zentriert. Auch bei ausbleibender Einheilung der Tuberkula lassen sich daher noch häufig sehr gute, schmerzfreie Schulterfunktionen beobachten, die zumindest die selbstständige Versorgung und somit die vorbestehende Autonomie des Patienten erhalten.

Verschiedene Studien haben die anatomische Frakturprothese mit der inversen Schulterfrakturprothese verglichen. Eine prospektiv randomisierte Studie mit 62 Patienten wurde 2014 vorgestellt [20]. In dieser Studie wurden 31 Patienten mit einer inversen Schulterprothese versorgt und mit 31 Patienten mit anatomischer Frakturprothese verglichen. Der Nachkontrollzeitraum betrug im Schnitt 28,5 Monate. Die Gruppe der Patienten mit inverser Schulterprothese hatte einen signifikant besseren Constant Score postoperativ (p = 0,001), die Gruppe der Patienten mit anatomischer Frakturprothese ein signifikant schlechteres, funktionelles Ergebnis postoperativ für die Funktion der Schulter, des Armes und der Hand (p = 0,001). Auffallend war insbesondere, dass alle klinischen Ergebnisse unter Verwendung einer inversen Frakturprothese eine deutlich kleinere Streubreite zeigten, d. h. unter Verwendung dieses Prothesensystems wesentlich besser prognostizierbar sind. Die Einheilungsrate der refixierten Tuberkula war trotz subtiler Fixationstechniken schwierig und betrug in der Gruppe der inversen Schulterprothese 64,5 %. Sie war bei den anatomischen Frakturprothesen deutlich schlechter und betrug nur noch 56,6 %. Alarmierend erscheinen die Überlebensraten der anatomischen Frakturprothesen. Zwar betrug die Überlebensrate der anatomischen Prothesen nach 40 Monaten 80 %, sofern jegliche Revision als Endpunkt gewählt wird. Wird zusätzlich noch das klinische Versagen der Prothese berücksichtigt, sinkt die Überlebensrate der anatomischen Prothesen auf nur noch 43,3 %. Zusammenfassend zeigte diese Studie ein signifikant besseres funktionelles Ergebnis nach inverser Schulterprothesenversorgung mit einer geringen Komplikationsrate [20].

Eine vergleichbare, prospektive Studie bei Patienten über 70 Jahren mit 3‑ oder 4‑Part-Humeruskopffraktur und mehrfragmentärer Tuberculum-majus-Fraktur oder Head-split-Komponente konnte im Vergleich zwischen anatomischer und inverser Schulterfrakturprothese ebenfalls eine signifikant bessere postoperative Funktion bei den ASES (American Shoulder and Elbow Surgeons) Scores und SST (Simple Shoulder Test; p = 0,0001) nachweisen [21]. Eine Tuberkeleinheilung wurde in 61 % bei der anatomischen Frakturprothese und in 83 % bei der inversen Frakturprothese beobachtet [21]. Dabei zeigte sich, dass bei ausbleibender Einheilung der Tuberkelfragmente die klinischen Ergebnisse unter Verwendung der inversen Schulterprothesen signifikant besser sind.

In Zusammenschau der aktuellen Studienlage sind die postoperativen Ergebnisse nach inverser Schulterfrakturprothese gegenüber der anatomischen Frakturprothese in der Funktion als auch Schmerzfreiheit signifikant besser.

Retrospektive Datenanalyse

Im Zeitraum Januar 2014 bis Dezember 2016 wurden 246 Patienten zwischen 15 und 95 Jahren mit 3‑ und 4‑Part-Humeruskopffrakturen an unserer Klinik operativ behandelt. Die Anzahl über 70-jähriger Patienten repräsentierte 30 % des gesamten betroffenen Patientengutes; 25 der 73 über 70-jährigen Patienten wurden mit einer winkelstabilen Plattenosteosynthese (PHILOS, Synthes®) versorgt. Die postoperative, aktive Bewegungsamplitude für Abduktion und Anteversion betrug im Durchschnitt 94° bzw. 96° nach einer durchschnittlichen Nachkontrollzeit von etwa 6 Monaten (Tab. 1). Eine inverse Frakturprothese wurde als primäre Frakturversorgung bei 38 Patienten gewählt. Das Durchschnittsalter dieser betroffenen Patienten betrug 81 Jahre, die durchschnittliche Abduktions- bzw. Anteversionsfähigkeit nach einem durchschnittlichen Nachkontrollzeitraum von 9 Monaten war 97° bzw. 101° (Tab. 1). Insgesamt 10 Patienten im mittleren Alter von 79 Jahren wurden nach durchschnittlich 13 Monaten nach erfolgter offener Frakturreposition und Plattenosteosynthese während des Zeitraumes der retrospektiven Datenauswertung auf eine inverse Frakturprothese konvertiert. Die Ursachen waren in 2 Fällen eine sekundäre Tuberkelinsuffizienz nach anatomischer Frakturprothese, sekundäre Frakturdislokation in 4 Fällen, avaskuläre Humeruskopfnekrose bei 3 Patienten und in einem Fall ein Low-grade-Infekt. Die durchschnittliche, aktive Abduktion und Anteversion betrug nach Konversion auf eine inverse Schulterprothese nach einem Nachkontrollzeitraum von durchschnittlich 11 Monaten 89° bzw. 94°. Es konnte in der statistischen Analyse mittels unverbundenen t‑Tests keine Signifikanz in der postoperativen Abduktion (p = 0,8788) oder Anteversion (p = 0,6489) zwischen PHILOS-Plattenosteosynthese und primärer, inverser Frakturprothese gefunden werden.

Tab. 1 Postoperative Bewegungsumfänge nach verschiedenen operativen Verfahrensweisen bei 3‑ und 4‑Part-Humeruskopffrakturen bei Patienten über 70 Jahren im Vergleich

Die retrospektive Datenanalyse zeigt, dass die inverse Frakturprothese als primäre Frakturversorgung – trotz älteren Patientengutes – bei komplexen 3‑ und 4‑Part-Humeruskopffrakturen eine bessere Bewegungsamplitude der aktiven Abduktion und Anteversion im Vergleich zur winkelstabilen Plattenosteosynthese erzielt.

Schlussfolgerung

Bei Patienten unter 70 Jahren sollte grundsätzlich die Rekonstruktion des Humeruskopfes angestrebt werden. Dabei ist die anatomische Reposition und stabile Osteosynthese der Humeruskopffraktur entscheidend für die postoperative Schultergelenkfunktion. Verschiedene Studien haben enttäuschende Ergebnisse nach Implantation primärer, anatomischer Schulterprothesen aufgezeigt, am häufigsten bedingt durch eine sekundäre Tuberkelinsuffizienz. Im Gegensatz dazu sind mit der Implantation inverser Schulterfrakturprothesen häufig sehr gute, gut vorhersehbare und gut reproduzierbare Ergebnisse mit einer in der Regel sehr guten Schulterfunktion und Beschwerdefreiheit zu erzielen. Dabei wird das klinische Ergebnis weniger stark von einer sekundären Tuberkelinsuffizienz beeinflusst. Insgesamt deutet sich ein Trend zur primären Implantation einer inversen Frakturprothese bei älteren Patienten an, unabhängig vom zugrundeliegenden Frakturmuster.

Fazit für die Praxis

  • Die Versorgung von Humeruskopffrakturen ist vom Patientenalter abhängig.

  • Wird eine Osteosynthese vorgenommen, sind die anatomische Reposition und korrekte, stabile Osteosynthese entscheidend.

  • Wenn eine irreparable Fraktursituation vorliegt und/oder das Risiko einer posttraumatischen Humeruskopfnekrose sehr hoch ist, wird bei älteren Patienten die Implantation einer primären Frakturprothese empfohlen.

  • Die Indikation zur inversen Prothese ist nicht mehr nur den sehr alten Patienten mit begleitender Pathologie der Rotatorenmanschette vorbehalten. Sie ist zunehmend auch dann gegeben, wenn eine stabile Osteosynthese der Tuberkelfragmente, insbesondere bei osteoporotischer und/oder mehrfragmentärer Situation derselben, kritisch erscheint und eine spätere Dezentrierung des Humeruskopfes bzw. der anatomischen Prothese droht.