Unverkennbar ist im Untertitel des Beitrags eine Vorausschau im Rahmen eines 10-Jahres-Planes zu lesen. Dies ist umso erstaunlicher, da die bisher bekannten 5‑Jahres-Pläne unserer östlichen Nachbarn allesamt in den Augen eines politischen Laien so erfolgreich waren, dass sie jährlich überarbeitet werden mussten. Aber vielleicht läuft es ja bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) besser.

Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und damit auch einer alternden Ärzteschaft muss jetzt die Weichenstellung für das weitere Überleben des medizinischen (ambulanten) Systems in Deutschland erfolgen und nicht erst in 10 Jahren.

Es gilt, die Frage „Wie ändert sich die Ärzteschaft?“ unter folgenden Gesichtspunkten zu beantworten:

  • steigendes Durchschnittsalter,

  • niedergelassene angestellte Ärzte mit eigener oder abgetretener Zulassung,

  • zunehmendes Erbringen der ärztlichen Tätigkeit in Teilzeit,

  • steigender Anteil an Ärztinnen.

Steigendes Durchschnittsalter

Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte in Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) ist zwischen 2009 und 2017 von 50,7 auf 53,4 Jahre gestiegen. Dabei ist im Jahr 2017 die Zahl der Ärzte und Ärztinnen über 50 Lebensjahre doppelt so hoch (3331) wie die Zahl der Ärzte und Ärztinnen unter 50 Jahre (1616). Wahrscheinlich wird in den anderen KV Bezirken ein ähnliches Zahlenverhältnis vorliegen.

Diese Verschiebung der Anzahl der Ärzte und Ärztinnen in das höhere Lebensalter findet sich auch in der Altersverteilung der D‑Ärzte sowohl in Deutschland als auch in Nordrhein-Westfalen (NRW) wieder ([3]; Tab. 1, Abb. 1) und lässt für die Zukunft einen Mangel an D‑Ärzten und Ärztinnen vorhersehen.

Tab. 1 Altersgruppen der D‑Ärzte (Stand: März 2017) [3]
Abb. 1
figure 1

Altersgruppen der D‑Ärzte (Stand: März 2017) [3]

Während die Zahl der niedergelassenen D‑Ärzte durch die Umwandlung des Facharztes für Orthopädie/Unfallchirurgie leicht gestiegen ist, liegen die Zahlen durch die Umwandlung des H‑Arztes in D‑Ärzte in der offiziellen DGUV-Statistik noch nicht vor. Sicherlich auch bedingt durch die landes- und bundesweiten Klinikschließungen, sind die Zahlen der D‑Ärzte, die an Krankenhäusern beschäftigt sind, rückläufig (Tab. 2). Es liegen jedoch keine Zahlen vor, wie viele D‑Ärzte im ambulanten und im stationären Bereich noch eine eigene Abrechnung mit den berufsgenossenschaftlichen Verwaltungen durchführen.

Tab. 2 Zahl der D‑Ärzte zum Jahresende 2009 bis 2015 [3]

Niedergelassene angestellte Ärzte mit eigener oder abgetretener Zulassung

In den Vortragsunterlagen des stellvertretenden Vorsitzenden der KVNo Herrn Dr. C. Königs [2] zeigt sich eindeutig der Wandel im ambulanten Gesundheitssystem weg von der Einzel‑/Gemeinschaftspraxis hin zum angestellten Arzt. Die Anzahl der angestellten Ärzte ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf derzeit 18 % gestiegen, die Zahl der selbstständigen Ärzte in der Einzelpraxis oder einer Berufsausübungsgemeinschaft ist dagegen konstant geblieben (Abb. 2). Auch wenn dies wiederum nur die Zahlen aus dem Bezirk der KVNo darstellt, handelt es sich dabei sicherlich um ein deutschlandweites Phänomen.

Abb. 2
figure 2

Beschäftigung der niedergelassenen Ärzte im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo). MVZ Medizinisches Versorgungszentrum, BAG Berufsausübungsgemeinschaft [2]

Zunehmendes Erbringen der ärztlichen Tätigkeit in Teilzeit

Wir wissen, dass die Generation „Y“ ihre Zukunft und ihre Bestimmung mit anderen Schwerpunkten als die vorherigen Generationen sieht. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2016 sind im Bezirk der KVNo über die Hälfte der weiblichen und ca. ein Viertel der männlichen Fachärzte und 17 % der zugelassenen und 71 % der angestellten Fachärzte (Gesamtzahl 2250) ausgeschieden und haben ihre vertragsärztliche Tätigkeit in diesem Zeitraum nicht wieder aufgenommen. Diese Ärzte und Ärztinnen waren zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens unter 55 Jahre alt [2]. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.

Steigender Anteil an Ärztinnen

Zwischen dem Jahr 1998 und 1999 ist es zu einem Wandel in der Verteilung der Medizinstudenten gekommen, auf den bislang weder die Politik noch die Ärzteverbände und auch nicht die DGUV reagiert haben. Während 1998 die Zahl der männlichen Medizinstudenten in Deutschland – wenn auch verschwindend gering – noch höher als die der Medizinstudentinnen war, so war erstmals 1999 die Zahl der Medizinstudentinnen größer als die der männlichen Studenten. Dieser Vorsprung hat sich in den nächsten Jahren kontinuierlich ausgeweitet, sodass 2015 bereits 60 % der Medizinstudenten weiblich waren [1]. Eine weitere steigende Tendenz ist in den Hörsälen deutlich sichtbar.

Während in NRW nur 4,6 % der D‑Ärzte weiblich sind, sind es deutschlandweit immerhin 5,5 % (Tab. 3). Dies sind erschreckende Zahlen vor dem Hintergrund der Ausführungen des Statistischen Bundesamtes.

Tab. 3 Zahl der D‑Ärzte im März 2017 nach Geschlecht [3]

Während zwischen 2009 und 2017 der Gesamtärztinnenanteil im Bereich der Psychotherapie von 69 auf 73 %, der Gynäkologinnen von 52 auf 66 %, der Pädiaterinnen von 46 auf 52 %, der Dermatologinnen von 45 auf 55 % und der Allgemeinmedizinerinnen von 36 auf 43 % gestiegen ist, zeigt sich bei den Orthopädinnen nur eine Steigerung von 8 auf 9 % und bei den Chirurginnen von 10 auf 18 % im genannten Zeitraum [2].

Wünsche (Forderungen) für die nächsten Jahre

Vor dem Hintergrund der oben genannten Ausführungen und der Notwendigkeit der Anpassung der Zusammenarbeit der DGUV mit den D‑Ärzten ergeben sich die nachfolgend aufgeführten Wünsche (Forderungen), die spätestens bis 2027 umgesetzt sein sollten.

Eindeutige Stellungnahme der DGUV zur Diskussion um die Abschaffung der doppelten Facharztschiene

In der politischen Diskussion wird immer wieder über eine Abschaffung der doppelten Facharztschiene unter dem Vorwand der Qualitätsverbesserung diskutiert. Tatsächlich soll dadurch – wie es sich in benachbarten Ländern gezeigt hat – der Zugang zum Facharzt erschwert und damit die Anzahl der Patienten beim Facharzt reduziert werden. Dies würde auch für berufsgenossenschaftlich versicherte Unfallverletzte bedeuten, dass es den D‑Arzt „um die Ecke“ nicht mehr geben wird.

Arbeiten an und mit alternativen Praxismodellen

Zulassung zur D‑Arzt-Zweigpraxis.

Bevor kein D‑Arzt in einer Stadt vorhanden ist, sollte eine D‑ärztliche Zweigpraxis eingerichtet werden können.

Auslagerung von Teilen der Diagnostik und Therapie.

Warum muss jeder D‑Arzt eine komplette Praxisausstattung, wie sie von der DGUV gefordert wird, vorhalten? Auch in einer Hausarztpraxis kann eine Wundversorgung durchgeführt werden. Für größere Eingriffe wie Repositionen, Sehnennähte und kleine Frakturversorgung ist es dem Unfallverletzten zuzumuten, sich auch an einem zentralen ambulanten Operationszentrum vorzustellen, das von mehreren niedergelassenen D‑Ärzten genutzt würde.

D-ärztliche Teilzeitarbeit.

Warum muss eine D‑Arzt-Praxis 50 h in der Woche eine Patientenversorgung anbieten? Dies ist familienfeindlich. Zukünftig sollte eine D‑Arzt-Praxis auch in Teilzeit ausgeübt werden können.

Leben als D‑Arzt ohne KV-Zulassung.

Derzeit ist eine D‑Arzt Zulassung nur mit gleichzeitigem Kassensitz finanziell durchführbar. Bei dem Vorhandensein der derzeitigen Möglichkeiten im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren (Versorgung Arbeits‑, Wege- und Schulunfälle, Rehasprechstunde, Schuhsprechstunde, Gutachtenerstellung) wäre auch eine D‑ärztliche Praxis ohne KV-Zulassung überlegenswert und überlebensfähig.

Überarbeitung der UV-GOÄ auf den aktuellen Stand der Medizin und der tatsächlichen Kosten

Die derzeitige UV-GOÄ beruht in den größten Teilen auf dem Stand von 1992. Es ist in den vergangenen 25 Jahren nur zu einer marginalen Verbesserung (u. a. Nachbesserung bei kleinen operativen Leistungen [2013] und der Gutachten [2014, 2015]) gekommen. Einen Inflationsausgleich vermisst der D‑Arzt genauso wie die Anpassung der Gebührenziffern an die Steigerung der Mitarbeiterlöhne, der Kosten für Miete, Nebenkosten, Versicherungen usw. In vielen Bereichen der gesetzlichen Krankenversicherungen sind die Gebühren – wenn auch zu wenig – aber immerhin moderat angestiegen.

Einführung eines „Hygienezuschlages“ bei ambulanten Operationen

Durch die gesetzlichen Vorgaben ist es zu einer Flut von Verordnungen und Forderungen nicht nur an den niedergelassenen Arzt, sondern auch an den D‑Arzt gekommen. Diese Kosten, die aufgrund von Begehungen (durch Gesundheitsämter und Bezirksregierung), Validierung, Qualitätsmaßnahmen einschließlich der Schulungen, Zertifizierung und Rezertifizierungen des Praxispersonals in den vergangenen Jahren entstanden sind, finden sich im UV-GOÄ nicht wieder. In einer Studie für den Bundesverband für Ambulantes Operieren (BAO e. V.) hat Dr. Woischke genauestens aufgelistet, dass allein daraus bei einer Operationskapazität von 1000 ambulanten Operationen im Jahr Mehrkosten von € 55,- pro Operation entstehen, die in keiner Weise refinanziert werden (Dr. med. R.Woischke, Kulmbach, Vortrag „Hygienezuschlag“, 2014 persönliche Mitteilungen). Es wird ein Standard gefordert, aber niemand sieht sich in der Pflicht, die dadurch entstandenen Kosten zu übernehmen.

Die Umsetzung der oben genannten Punkte wird nicht alle Verantwortlichen in den Berufsgenossenschaftlichen Verwaltungen, den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Ärztekammern, den ärztlichen Berufsverbänden sowie alle Ärzte und Ärztinnen glücklich machen. Die Umsetzung wird jedoch dazu führen, dass der Beruf des D‑Arztes wieder attraktiver werden wird und auch im Jahr 2027 noch existieren wird.