Inzidenz und Pathophysiologie

Frakturen des Femurschaftes machen etwa 1–3 % aller Frakturen im Wachstumsalter aus [1, 2]. Hierbei zeigt die Altersverteilung 2 wesentliche Altersgipfel: Der erste Gipfel liegt zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr, der zweite im Alter der Pubertät [3].

Etwa ein Drittel aller Femurschaftfrakturen findet sich bei Kindern bis zum 3. Lebensjahr. Dieser Häufigkeitsgipfel erklärt sich durch den primär weichen Aufbau des Femur beim Neugeborenen und den erst in den ersten Lebensjahren vollzogenen Umbau zum laminären Knochen. Daher kommen Femurschaftfrakturen beim Kleinkind in der Regel auch als Monotrauma bei verhältnismäßig kleinen Krafteinwirkungen vor, während sie bei älteren Kindern analog zum Erwachsenenalter Verletzungen im Rahmen von Hochrasanztraumen sind und entsprechend häufig Begleitverletzungen aufweisen [4].

Unter den Frakturen des Femurschaftes des ersten Altersgipfels, also der Kleinkinder, spielen 2 Frakturmechanismen, neben den typischen Unfällen, beim Spielen eine wichtige Rolle: Zum einen stellt die Femurschaftfraktur nach der Klavikulafraktur die zweithäufigste geburtstraumatische Fraktur eines Röhrenknochens dar, zum anderen sind 15–80 % der Frakturen bei noch nicht gehfähigen Kindern auf eine Kindesmisshandlung zurückzuführen, wobei sich die große statistische Breite durch die hohe Dunkelziffer erklären lässt [5, 6]. Daher gelten alle Femurschaftfrakturen bei nicht gehfähigen Kindern primär als misshandlungsverdächtig und benötigen eine entsprechende Abklärung bzw. die Identifikation einer Differenzialdiagnose, wie z. B. einer Osteogenesis imperfecta.

In allen Altersklassen kommen Femurschaftfrakturen auch als pathologische Frakturen bei benignen (z. B. juvenile Knochenzyste) und malignen Knochenerkrankungen vor.

Wachstumsprognose

Wie überall im kindlichen Skelett führt der Knochen im Rahmen der Frakturheilung unterschiedliche Umbauvorgänge (Remodeling) durch.

Hierbei werden Seit-zu-Seit-Verschiebungen einwandfrei korrigiert, und auch Varusfehlstellungen erfahren insbesondere bei sehr jungen Kindern und entsprechend viel verbleibendem Wachstum eine gewisse Korrektur. Daneben werden Valgus- und Rekurvationsfehlstellungen nur unzureichend korrigiert [7, S. 298–314].

Die Frage nach der Korrektur verbliebener Rotationsfehlstellungen ist ein häufig diskutiertes Thema und kann nach der aktuellen Studienlage nicht abschließend beantwortet werden. Da es bis etwa zum 10. Lebensjahr auch physiologischerseits zu einer Detorsion des Schenkelhalses während des Längenwachstums kommt – die Schenkelhalsantetorsion beträgt bei Geburt 40–50° und reduziert sich auf 10–15° –, scheint dies auch eine Korrektur einer posttraumatisch bedingten Rotationsfehlstellung zu ermöglichen. Allerdings ist diese Form des Remodelings nicht ausreichend zuverlässig, als dass es in unser Therapiekonzept integriert werden könnte. Andererseits kommen asymmetrische Rotationsverhältnisse des Femurs auch physiologisch vor und sind bis zu einem Ausmaß von 25° [3] klinisch irrelevant.

Wachstumsstörungen hemmender Art, also vorzeitige Verschlüsse der Wachstumsfuge, spielen bei diaphysären Femurfrakturen keine Rolle, während es obligat zu einer Stimulation des Wachstums durch die Fraktur kommt.

Wie auch an anderen Lokalisationen im wachsenden Skelett ist das Ausmaß der Wachstumsstimulation umso größer, je mehr Remodeling stattfinden muss [7, S. 52–54]. Das heißt, je mehr Achsabweichung im Rahmen der primären Frakturbehandlung verblieben ist und je länger die Heilung des Knochens dauert, desto ausgeprägter ist die zu erwartende Verlängerung der betroffenen Extremität.

Diagnostik

Eine gründliche Anamnese des Unfallmechanismus spielt insbesondere bei Kindern in den ersten 3 Lebensjahren eine wesentliche Rolle, da sich hier bereits erste Verdachtsmomente einer Kindesmisshandlung ergeben können. Daneben stellen die Inspektion der betroffenen Extremität und die Untersuchung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität die einzigen klinischen Untersuchungen dar.

Das konventionelle Röntgenbild in 2 Ebenen ist die Standardbildgebung bei Femurschaftfrakturen im Kindesalter [8]. Hiervon kann abgewichen werden, wenn sich bereits in der ersten angefertigten Ebene die Indikation zur operativen Therapie ergibt.

Eine ausgedehntere Diagnostik ist bei Verdacht auf Kindesmisshandlung oder bei pathologischen Frakturen nach den entsprechenden Leitlinien indiziert.

Therapie

Im Wesentlichen wird die Entscheidung zwischen konservativer und operativer Therapie nicht aufgrund des Frakturtyps oder des Dislokationsausmaßes, sondern aufgrund des Alters des Patienten getroffen [9].

Kinder bis zum 3. Lebensjahr

Nach der aktuellen Leitlinie zur Behandlung kindlicher Femurschaftfrakturen [8] und den gängigen kindertraumatologischen Lehrbüchern werden Oberschenkelfrakturen bei Kindern jünger als 3 Jahre prinzipiell konservativ behandelt.

Grundlagen dieser Therapieentscheidung sind das hohe Remodelingpotenzial und die schnelle Konsolidierung (Abb. 1) in dieser jungen Altersklasse, wenn auch eine potenzielle stimulative Wachstumsstörung durch die verbliebenen Achsabweichungen in Kauf genommen wird.

Abb. 1
figure 1

Konservative Behandlung einer misshandlungsbedingten Femurschaftfraktur mit Overheadextension bei einem 7 Monate alten Kind. Nach 2 1/2 Wochen zeigt sich bereits eine ausreichende Konsolidierung. a Röntgen am Aufnahmetag, b Konsolidation nach 2 1/2 Wochen in der Overhead-Extension

Prinzipiell stehen für die konservative Therapie 2 Methoden zur Verfügung:

  • die Overheadextension und

  • der Becken-Bein-Gips.

Die Wahl der Methode obliegt dem behandelnden Arzt und basiert meist auf der vorhandenen Kliniklogistik und persönlichen Erfahrung. Vergleichende Studien der beiden Methoden liegen nicht vor.

Die Overheadextension wird in der Regel in Analgosedierung oder kurzer Narkose als Pflasterextension angelegt. Im Anschluss wird das betroffene Bein mit einem Fünftel bis einem Sechstel des Körpergewichtes extendiert (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Overheadextension bei einem 2‑jährigen Kind

Die Dauer dieser Behandlung beträgt je nach Alter des Kindes 2 bis 3 Wochen und wird stationär durchgeführt.

Der Becken-Bein-Gips wird ebenfalls in Sedierung oder Narkose angelegt. In der Regel erfolgt auf der frakturierten Seite ein Fußeinschluss, um zumindest partiell eine Kontrolle der Rotation zu erreichen, während auf der gesunden Seite ein Gips bis proximal des Kniegelenkes ausreichend ist. Der Becken-Bein-Gips kann aus Kunststoffcast angefertigt werden. Dies reduziert das Gewicht und macht die Versorgung im Vergleich zum klassischen Weißgips weniger anfällig für Verschmutzungen und Nässe.

Bei beiden Verfahren sind radiologische Kontrollen während der Therapie nicht zwingend erforderlich, eine Konsolidationskontrolle nach 14 bzw. 21 Tagen wird jedoch empfohlen. Ebenso sollte eine Kontrolle in der ersten Woche nach Therapiebeginn erfolgen, wenn ein Therapiewechsel daraus resultieren könnte.

Bereits in der Leitlinie [8] wird darauf hingewiesen, dass im „Einzelfall [die operative Therapie] auch bei Kindern unterhalb des 3. Lebensjahres angewendet werden“ kann. In einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zeigte sich, dass die Hälfte aller teilnehmenden Behandler in Deutschland auch bei Kindern vor dem 3. Lebensjahr eine operative Therapie durchführt [10]. Da hierzu jedoch keine Evidenz vorliegt, ist eine entsprechende prospektive Studie durch die Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie in Arbeit.

Nichtsdestotrotz steht nach wie vor die konservative Therapie bei den Kleinkindern aufgrund der schnellen Konsolidation und des Remodelings klar im Vordergrund.

Aus Sicht des Autors kann die operative Therapieoption bei bereits gehfähigen Patienten mit dessen Eltern im Sinne der umfassenden Aufklärung diskutiert werden. Mögliche Gründe für die operative Therapiealternative stellen insbesondere soziale Faktoren sowie potenziell klinisch relevante stimulative Wachstumsstörungen und eine Kontrolle über die Rotationsverhältnisse dar.

Kinder älter als 3 Jahre

Ab dem 3. Lebensjahr stellt die elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) die Therapie der Wahl dar. Diese wird bei Frakturen im proximalen und mittleren Drittel antegrad, im distalen Drittel retrograd (Abb. 3) durchgeführt [11].

Abb. 3
figure 3

Antegrade ESIN (elastisch stabile intramedulläre Nagelung)-Osteosynthese bei einem 5‑jährigen Jungen mit Femurspiralfraktur im distalen Drittel

Bei der Durchführung der ESIN-Osteosynthese ist auf die Wahl des korrekten Nagedurchmessers (ein Drittel des Markraumdurchmessers je Nagel) und einer guten Aufspannung in Frakturhöhe zu achten ([11, 12]; Abb. 4). Ideal eignet sich die ESIN-Osteosynthese bei Quer- oder kurzen Schrägfrakturen.

Abb. 4
figure 4

Korrekte Platzierung der Nägel bei der retrograden Technik. Beide Nägel füllen gemeinsam zwei Drittel des Markraumes aus und spannen sich auf Frakturhöhe auf

Kann bei längeren Querfrakturen oder Mehrfragmentfrakturen durch die ESIN-Osteosynthese keine ausreichende Längsstabilität erreicht werden, so kann dies durch die Verwendung von Verriegelungsschraubkappen erreicht werden. Die Verwendung einer distalen Verriegelung, z. B. End-Cap (Abb. 5), ermöglicht jedoch auch bei längsinstabilen Frakturen in vielen Fällen eine sichere Osteosynthese. Diese Modifikation wurde sowohl biomechanisch als auch klinisch evaluiert [13, 14].

Abb. 5
figure 5

Versorgung einer längsinstabilen Femurfraktur bei einem 6‑jährigen Mädchen unter Verwendung von Verriegelungsschraubkappen

Radiologische Kontrollen werden an den ersten postoperativen Tagen, sofern keine adäquaten Durchleuchtungsbilder vorhanden sind, nach 4 Wochen und nach 3 bis 6 Monaten vor der Metallentfernung empfohlen [8]. Zur Reduktion des Refrakturrisikos wird empfohlen, die Metallentfernung erst 6 Monate nach der Frakturversorgung durchzuführen.

Nachbehandlung

Völlig unabhängig von der primären Therapie muss bei allen Kindern mit stattgehabter Femurschaftfraktur eine adäquate klinische Nachkontrolle erfolgen. Diese wird erstmalig zum Zeitpunkt der Konsolidationskontrolle durchgeführt und wird anschließend halbjährlich, mindestens jedoch jährlich für weitere 2 Jahre fortgesetzt. Die Nachkontrollen beinhalten die klinische Kontrolle der Beinachse, der Rotationsverhältnisse im Seitenvergleich sowie der Beinlänge bzw. des Beckenstandes im Stehen. Ergeben sich hier Auffälligkeiten, so müssen die Nachkontrollen jährlich bis zum Wachstumsabschluss erfolgen. Radiologische Kontrollen sind nur bei Auffälligkeiten und bei Planung einer Therapie notwendig.

Fazit für die Praxis

  • Bei Femurschaftfrakturen noch nicht frei gehfähiger Kinder muss stets an eine Kindesmisshandlung als Ursache gedacht und diese ausgeschlossen werden.

  • Femurschaftfrakturen kommen bei Vorschulkindern meist als Monotrauma, im höheren Alter häufig im Rahmen von Hochrasanztraumen mit Begleitverletzungen vor.

  • Die Therapie von Femurschaftfrakturen bis zum Alter von 3 Jahren kann konservativ erfolgen.

  • Ab dem Alter von 3 Jahren ist die Behandlung kindlicher Femurschaftfrakturen die Domäne der elastisch stabilen intramedullären Nagelung.