Die Weiterbildung in der speziellen Unfallchirurgie spielt für die berufsgenossenschaftlichen (BG-lichen) Heilverfahren schon immer eine besondere Rolle, so war die frühere Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie z. B. nach Weiterbildungsordnung 1993 Voraussetzung, um als Durchgangsarzt im stationären Heilverfahren zugelassen zu werden. Dies hat sich mit der weitgehenden Reform der Weiterbildungsordnung im Jahr 2004 nicht geändert. Die Schwerpunktbezeichnung ist nunmehr durch die Zusatzweiterbildung „spezielle Unfallchirurgie“ ersetzt worden. Lediglich in den ambulanten Verfahren ist es möglich, sich als Durchgangsarzt mit beschränktem operativem Spektrum auch ohne Zusatzbezeichnung niederlassen zu können. Die Anforderungen lassen für diesen Fall alternativ eine 1‑jährige Tätigkeit nach der Facharzterlangung in einem zum Verletzungsartenverfahren (VAV) oder Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) zugelassenen Haus zu.

Die Sicht der BG-Kliniken geht naturgemäß deutlich über die vorgenannten Mindestanforderungen hinaus. Spätestens seit Einführung des SAV ist deutlich, dass das Versorgungsspektrum einer BG-Klinik über den Weiterbildungsgang Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie die Erlangung der Zusatzbezeichnung „spezielle Unfallchirurgie“ nicht umfassend abgebildet ist. Insbesondere die Traumatologie der Körperhöhlen, aber auch andere spezielle Verletzungsformen, wie z. B. Gefäßverletzungen, werden im aktuell gelebten Weiterbildungsgang nicht mehr suffizient abgebildet. Die ursprünglich auf das muskuloskeletale Trauma ausgerichteten BG-Kliniken waren somit gefordert, Lösungen zur Abdeckung einer viszeralchirurgischen Kompetenz zu finden. Dies konnte über den Aufbau einer hauseigenen Fachabteilung erfolgen, aber bei geeigneten Partnern auch über eine Kooperation mit dann allerdings in nächster Nähe befindlichen Partnerkliniken. Aktuell stellt sich die Situation für die BG-Kliniken allerdings so dar, dass in den meisten Häusern noch genügend Chirurgen im Dienst sind, die über die Weiterbildungsordnung der 1990er-Jahre als Allgemeinchirurgen ausgebildet und trainiert worden sind.

Was wollen die Berufsgenossenschaften?

Die Berufsgenossenschaften fordern entsprechend ihrem definierten gesetzlichen Auftrag eine Behandlung mit „allen geeigneten Mitteln“ – und dies „alles aus einer Hand“. Letztendlich geht es den Unfallversicherungsträgern um eine optimale Behandlung insbesondere im Notfall, um eine stringente Berichterstattung, ohne die eine Steuerung für die Verwaltung nicht möglich ist, und um eine konsequente Rehabilitation, um unnötige Rentenentwicklungen zu vermeiden. Selbstverständlich ist jedem klar, dass alle geeigneten Mittel in der heutigen Wirklichkeit nicht mehr buchstäblich aus einer Hand geleistet werden können. Für die BG-Kliniken besteht somit die Herausforderung, auf der einen Seite alle nach aktuellem Stand geeigneten Behandlungsmöglichkeiten differenziert anzubieten, auf der anderen Seite aber straff organisierte und verbindliche Abläufe über alle Fachabteilungen hinweg zu gewährleisten [1]. Für die Weiterbildung bedeutet dies, dass auf der einen Seite die Grundlagen für das Beherrschen standardisierter Abläufe differenziert für alle relevanten Notfälle vermittelt werden, auf der anderen Seite aber spezielle Fähigkeiten insbesondere in operativen Verfahren angeboten werden müssen. Für den Notfallbetrieb außerhalb der Dienstzeiten führt kein Weg an einer Reduktion der operativen Verfahren auf für jeden Chirurgen sicher zu beherrschende und den weiteren Verlauf nicht störende Techniken vorbei. Spezialisierte operative Techniken werden dann sekundär von den jeweils zuständigen Teams durchgeführt.

Spezialisierung versus Globalisierung

Vor dem Jahrtausendwechsel existierten quantitativ überwiegend 3 Versorgungsformen in der Orthopädie und in der Unfallchirurgie. Konservative Orthopädie wurde ganz vorwiegend in der Niederlassung geleistet. Vorwiegend in Kliniken wurden operativ rekonstruktive orthopädische Eingriffe durchgeführt. Die akut versorgende Unfallchirurgie ab einer gewissen Verletzungsschwere wurde ebenfalls ganz überwiegend in Kliniken durchgeführt. Die 3 vorgenannten Betätigungsfelder haben sich in den letzten Jahren wesentlich gewandelt. Hinzugekommen sind spezialisierte Fachärzte aus dem Gesamtgebiet der Orthopädie und Unfallchirurgie, die ihre operative Tätigkeit in speziell ausgewiesenen Fachkliniken, immer häufiger aber auch als niedergelassene Orthopäden und Unfallchirurgen mit angeschlossener Tätigkeit als Beleger oder Honorarärzte in entsprechend ausgerichteten Kliniken ausüben. Auch ein zunehmend großer Anteil von Monoverletzungen der Extremitäten wird in dieser Organisationsform versorgt.

Für die übrig gebliebenen voll versorgenden Krankenhäuser hat diese Praxis weitreichende Konsequenzen. Zum einen sind die Häuser gezwungen, aus ökonomischen Gründen ebenfalls eine Hochspezialisierung z. B. für arthroskopische Sportorthopädie oder Fußchirurgie anzubieten. Auf der anderen Seite muss im Dienst ein weites Spektrum muskuloskeletaler Verletzungen umfassend versorgt werden, gleichzeitig besteht durch die etablierte Arbeitsteilung zwischen den Fächern ein Zwang zu einem umfassenden interdisziplinären Vorgehen.

Die Wunschvorstellung der Unfallversicherungsträger drückt sich in den Anforderungen für VAV und SAV aus. Der Unfallchirurg soll zusätzlich fakultativ Fertigkeiten in der plastischen Chirurgie, in der Handchirurgie, in der Kindertraumatologie, in der Notfallmedizin, in der speziellen chirurgischen Intensivmedizin und für die physikalische und rehabilitative Medizin erwerben. Angeregt werden Tätigkeitszeiten in der Gefäßchirurgie, Viszeralchirurgie, Thoraxchirurgie und Kinderchirurgie [2]. Diese Aufzählungen erinnern an die eierlegende Wollmilchsau. Sie sind so in der Praxis für niemanden in einem realistischen Weiterbildungsgang organisierbar und schon gar nicht zeitlich umsetzbar.

Lösungsmöglichkeiten

Das Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie eröffnet ein weites Feld beruflicher Möglichkeiten. Angestrebt werden kann weiterhin eine klassische orthopädisch-unfallchirurgische Niederlassung mit vorwiegend konservativer Tätigkeit. Im Spektrum sind alle Möglichkeiten einer methodisch und anatomisch definierten Spezialisierung oder sogar Subspezialisierung [3]. Etablierte Bezeichnungen, teilweise auch als Zusatzbezeichnung sind die Handchirurgie, die Kinderorthopädie und für die Endoprothetik die spezielle operative Orthopädie. Daneben existiert eine Vielzahl von bedeutenden Spezialisierungen, die sich auch über die anhaltenden Neugründungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften manifestieren: Fußchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie, Schulter-Ellenbogen-Chirurgie, Kniechirurgie, Hüftchirurgie. Eine Spezialisierung in der Viszeraltraumatologie einschließlich Gefäßchirurgie ist bisher nur an wenigen Kliniken angedacht. Die entsprechenden Kompetenzen werden vorzugsweise von der Bundeswehr im Auslandseinsatz gebraucht. Für die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland wird in aller Regel ein diensthabender Viszeralchirurg zur Verfügung stehen, der entsprechende Verletzungen mit besserer operativer Übungshaltung behandeln kann.

Wenn die BG-Kliniken konkurrenzfähig für Monoverletzungen und Rekonstruktionen am gesamten Bewegungsapparat einerseits wie auch für die umfassende Polytraumaversorgung andererseits tätig sein wollen, müssen sie ihre Strukturen und damit auch die Weiterbildung der Fachärzte und Fachärztinnen entsprechend anpassen. Neben eigenständigen Vollabteilungen z. B. für die Neurochirurgie und die Viszeralchirurgie müssen Funktionskompetenzen organisatorisch so abgebildet werden, dass sie für eine strukturierte und umfassende Weiterbildung genutzt werden können. Dies setzt insbesondere die Ablösung herkömmlicher, an der Weiterbildungsordnung orientierter Chefarztstrukturen zugunsten flexibler Lösungen mit leitenden Ärzten in den Spezialisierungen, die mit attraktiven Verträgen an den Kliniken gehalten werden müssen, voraus. Derartig aufgestellte Kliniken sind auch im Wettbewerb um chirurgische Talente ein nicht zu unterschätzender Vorteil, da für den spezialisierten Weiterbildungsgang nach dem Facharzt eine breite Wahlmöglichkeit entsteht.

Fazit für die Praxis

  • Spezialisierungen in der Orthopädie und Unfallchirurgie müssen in den BG-Kliniken über Abteilungen und Sektionen abgedeckt werden.

  • Für die umfassende Versorgung aller Notfälle auch im Bereitschaftsdienst ist eine stringente Standardisierung und Anpassung der Notfallmaßnahmen notwendig.

  • Die Weiterbildung „spezielle Unfallchirurgie“ schafft für die vorgenannten Ziele zwar wesentliche Grundlagen, Hochspezialisierungen müssen aber individuell erworben werden.