Hintergrund

Die demografische Entwicklung in den Industrienationen und die zunehmenden schweren Unfälle im Rahmen von Freizeitaktivitäten mit hoher Gewalteinwirkung erklären die in den gängigen Registern gefundene stete Zunahme an endoprothetischen Versorgungen am Knie bei sekundärer posttraumatischer Gonarthrose in den letzten 4 Dekaden [13].

Durch verbesserte Operationstechniken und Implantate insbesondere der Osteosynthesematerialien ist eine Rekonstruktion traumatisch bedingter Schädigungen an den Extremitäten häufiger zu gewährleisten als noch vor wenigen Jahrzehnten. Das Ziel der Wiederherstellung der anatomischen Strukturen sowie der physiologischen und biomechanischen Verhältnisse unter Schonung der Weichteile und damit der Funktion der Extremität kann kurzfristig häufig erreicht werden.

Nichtsdestotrotz kommt es im weiteren Verlauf häufig zur Ausbildung von sekundären posttraumatischen Arthrosen am Kniegelenk. Die Entwicklung einer Gonarthrose kann von verbliebenen ligamentären Schäden über extraartikuläre Fehlstellungen mit entsprechender Fehlstatik bis hin zu direkten Gelenkschäden nach intraartikulären Frakturen und ggf. Komplikationen im Verlauf der Primärversorgung, wie z. B. Infektverläufe, herrühren. Auch ist die Zeitspanne bis zur Ausbildung der Gonarthrose variabel und hängt von diesen Ursachen ab, die auch häufig in Kombination auftreten können.

Die endoprothetische Versorgung dieser Patienten stellt oftmals eine Herausforderung dar und muss sorgfältig geplant werden. Neben verbliebenen Implantaten, weichteiligen und muskulären sowie ligamentären Schäden sind Fehlstellungen und Knochendefekte einschließlich Pseudoarthrosen zu berücksichtigen. Im Weiteren werden die einzelnen Gesichtspunkte erläutert und deren therapeutische Optionen dargelegt.

Methoden und Diskussion

Infektdiagnostik

Im Vorfeld einer endoprothetischen Versorgung des Kniegelenkes nach osteosynthetisch versorgter, kniegelenknaher Fraktur spielt die Infektdiagnostik eine übergeordnete Rolle. Nicht nur nach einer bekannten, initialen Infektion nach Frakturosteosynthese, die implantaterhaltend ausgeheilt werden konnte, sondern auch bei asymptomatischem postoperativem Verlauf nach Osteosynthese muss mit einer hohen Anzahl an bakterieller Kontamination des Situs gerechnet werden [46]. Die Infektdiagnostik mittels Ultraschall-Sonification und/oder „polymerase chain reaction“ (PCR) von explantiertem Osteosynthesematerial zeigen beängstigende Raten an Kontamination. Die mikrobiologische Untersuchung des Gelenkpunktates bei noch einliegendem, gelenknahem Osteosynthesematerial hat im Vergleich zu einer Gewebeuntersuchung eine geringere Spezifität und Sensitivität. Insbesondere Problemkeime, die für sog. Low-grade-Infektionen verantwortlich sind, wie z. B. Propionibakterien, können mittels Punktat im Vergleich zu einer Gewebeprobe auch nach hinreichend langer Bebrütung über wenigstens 10, besser 14 Tage weniger sicher nachgewiesen werden. Insofern sollte bei noch vorhandenem, gelenknahem Osteosynthesematerial eine zweizeitige Endoprothesenimplantation nach Metallentfernung und hinreichender Infektdiagnostik anhand von Gewebeproben mit histopathologischer und mikrobiologischer Aufarbeitung erfolgen. Zusätzlich kann im Rahmen der Metallentfernung bei makroskopisch auffälligem Situs eine lokale Infektbehandlung gleichzeitig vorgenommen werden. Bei positivem Infektnachweis wird im Weiteren nach septischen, chirurgischen Gesichtspunkten verfahren (ggf. weitere Revisionen mit lokaler und systemischer Infekttherapie nach Antibiogramm; zweizeitige Reimplantation im Intervall). Im Falle eines sterilen Befundes erfolgt die frühelektive Knieprothesenimplantation.

Weichteile und Zugangswahl

Prinzipiell sollte aufgrund der Nekrosegefahr keine zusätzliche Inzision im Sinne eines Wechsels des Zuganges zum Gelenk erfolgen, falls ein Zugang existiert, der ausreichende Exposition für die Implantation bietet bzw. eine Erweiterung für eine zureichende Exposition zulässt (Abb. 1). Weiterhin gilt grundsätzlich, dass die zuletzt verwendete Inzision oder die lateralste die geringste Nekroserate besitzt und deshalb zu bevorzugen ist [7]. Sicherlich spielen auch das Alter der Narbe mit entsprechend besserer Reperfusion und der Abstand zwischen den Inzisionen hinsichtlich des Nekroserisikos eine Rolle. Grundsätzlich sollte aber ein Wechsel des Zuganges im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden. Ein lateraler Zugang kann beliebig nach proximal erweitert werden und ist insbesondere für die Versorgung mittels Tumorersatzprothesen besser geeignet als ein medialer, parapatellarer Zugang, der aufgrund der Anatomie des Streckapparates nach proximal nur eine limitierte Erweiterung ermöglicht. Auch dieses muss im Vorfeld ggf. gegeneinander abgewogen werden. Im Falle von Erweiterungen nach distal für Ersatzoperationen der Tibia sind beide Zugänge verwend- und erweiterbar.

Abb. 1
figure 1

56 Jahre alte Patientin: a Vollhautnekrose nach Implantation einer bikondylären Oberflächenersatzprothese über einen parapatellaren Zugang bei vorhandenem lateralem Zugang nach osteosynthetisch versorgter distaler Femurfraktur. b Lappenversorgung 14 Tage nach Implantation der Endoprothese und Nekrosektomie mittels freiem, vaskularisiertem Paraskapularlappen (Situs 1,5 Jahre postoperativ)

Eine weitere Schädigung der Weichteile bei vorhandenen (multiplen) Inzisionen ist zu vermeiden. Gleiches gilt für die Schädigung der Muskulatur und dabei insbesondere des Streckapparates, der schlussendlich hauptsächlich über die Funktion der Endoprothese entscheidet.

Bei hohem Nekroserisiko ist frühzeitig die Lappenplastik zu planen. Eine lokale (mediale oder laterale Gastrocnemius-)Lappenplastik kann in Abhängigkeit der Defektgröße und Lokalisation ausreichend sein. Eine interdisziplinäre Operation (direkte Lappenplastik; Anlage arteriovenöse Schlinge, sogenannter a.-v. Loop für eine zweizeitige Versorgung im Rahmen der prothetischen Versorgung) ist im Falle einer Versorgung mittels freiem Lappen einschließlich der im Vorfeld notwendigen Diagnostik (Gefäßdarstellung, MRT-Angio) zu planen.

Streckapparat und Funktionsdefizit

Bei Vorliegen einer Insuffizienz des Streckapparates muss eine neurogene von einer strukturellen Schädigung unterschieden werden. Im Falle einer neurogenen Ursache mit Schädigung des N. femoralis sind in der Regel Rekonstruktionen nicht Erfolg versprechend, und eine Arthrodese ist angezeigt. Strukturelle Schädigungen und Residualzustände müssen unterteilt werden in Schädigungen der Weichteile bzw. Sehnen (Quadrizeps- oder Patellasehne) und knöcherne Verletzungen wie die Fraktur der Patella oder im Bereich der Tuberositas tibiae. Häufige Folgezustände nach obigen Verletzungen sind entsprechende Insuffizienzen des Streckapparates oder Fehlstellungen der Patella (Patella alta oder baja).

Diese strukturellen Schäden sind in der Regel zum Zeitpunkt der Indikationsstellung zur Endoprothese schon älterer Genese. Entsprechend sind die Rekonstruktionen im Bereich der Quadrizepssehne mittels Umkehrplastik oder durch Sehnentransposition der Harmstrings mit oder ohne zusätzliche Materialien (Trevira-Band, Prolenemesh etc.) realisierbar. Bei einliegender Prothese sind diese Techniken zur Rekonstruktion der Patellasehne meist nicht Erfolg versprechend. Zur Rekonstruktion einer Patellasehne sind bei intaktem restlichem Streckapparat Techniken aus der Tumorchirurgie, wie sie nach extraartikulärer Resektion von primären Malignomen angewendet werden, Erfolg versprechend (Gastrocnemius-Flap mit oder ohne Anbindung mittels Trevira-Band o. ä.). Mit einem funktionellen Defizit ist allerdings zu rechnen, eine ausreichende Stabilisierung für die Mobilisierung ohne zusätzliche Hilfsmittel aber prinzipiell erreichbar [8]. Eine derartige Operation sollte bei älteren Patienten jenseits der 5. Dekade sowie bei mangelnder Compliance oder anderweitigen Risikofaktoren nicht mehr durchgeführt werden.

Die kraniale Versetzung der Tuberositas tibiae bei Patella baja oder mangelnder Expositionsoption im Rahmen von Revisionseingriffen bei liegender Knietotalendoprothese ist ein etabliertes Verfahren mit allerdings hoher Komplikationsrate von bis zu 10 % im Sinne von Frakturen oder Weichteilschäden [9, 10].

Im Zweifelsfall stellt die Arthrodese die therapeutische Option der Wahl dar.

Prothesenwahl, knöcherne Defekte und Fehlstellungen

Für den Grad der benötigten Kopplung des Implantates sind einerseits die Stabilität des Gelenkes nach Verletzung des Kapsel-/Bandapparates und andererseits das Ausmaß und die Lokalisation vorliegender Knochendefekte und Fehlstatiken ausschlaggebend. Eine isolierte Patellafraktur oder auch eine reine Impressionsfraktur der Tibia (AO 41.B2) kann mit einem alleinigen Femoropatellarersatz, einem medialen oder lateralen Schlitten adäquat adressiert werden (Abb. 2). Zur Augmentation von kleineren Defekten kann ggf. der autologe Knochen, der bei der Präparation der Prothese anfällt, zur biologischen Rekonstruktion verwendet werden.

Abb. 2
figure 2

60 Jahre alter Patient: b Die tangentiale Aufnahme der Patella vor der Endoprothesenimplantation zeigt eine unikompartimentelle femoropatellare Arthrose nach osteosynthetischer Versorgung einer Patellafraktur. Die a a.-p.-Aufnahme, c laterale Aufnahme und d tangentiale Aufnahme der Patella des rechten Kniegelenkes zeigen den Situs nach isoliertem femoropatellaren Ersatz 1,5 Jahre postoperativ

Durch Verwendung von semi- oder „constrained“ Gelenken können mittels Augmenten und sog. Sleeves größere Defekte aufgebaut werden. Für knöcherne Defekte, die die Statik gefährden, müssen ggf. auch Tumorsysteme im Sinne von partiellen Knochenrekonstruktionen eingesetzt werden (Abb. 3 und 4).

Abb. 3
figure 3

54 Jahre alter Patient a Seitliche Aufnahme des linken Kniegelenkes und b a.-p.-Aufnahme ganzes Bein links: Die Aufnahmen zeigen eine Pseudarthrose nach offener Reposition und interner Fixation (ORIF) mittels lateraler Platte bei Hoffa-Fraktur (AO 33-B3). Im Verlauf bildete sich aufgrund der Dislokation des Kondylenfragmentes eine Valgusfehlstellung aus

Abb. 4
figure 4

a Seitliches Bild des linken Kniegelenkes und b ganzes Bein a.-p.: Die Bilder zeigen einen teilgekoppelte Endoprothese mit femoraler Defektüberbrückung mittels dorsalem, lateralem Augment, metaphysärem Sleeve und zementfreiem Schaft in Hybridverankerungstechnik (2,5 Jahre postoperativ)

Im Falle von extraartikulären Fehlstellungen können diese nur bedingt mittels intraartikulärer Anpassung allein im Rahmen der Endoprothesenimplantation ausgeglichen werden. Eine verbliebene Fehlstatik in der a.-p.-Richtung von bis zu 3° Valgus und maximal 3° Varus sind ohne relevante Auswirkung der Haltbarkeit von z. B. ungekoppelten Prothesensystemen [11]. Anderenfalls muss ggf. ein zweizeitiges Vorgehen mit primärem Ausgleich der Fehlstellung mittels Umstellung in Betracht gezogen werden. Ein einzeitiges Vorgehen stellt aufgrund des hohen Komplikationsrisikos und der längerfristigen Einschränkung der Nachbehandlung nur im Einzelfall eine Option dar (Abb. 5 und 6). Hingegen muss abgewogen werden, ob die deutlich längere Vorlaufzeit bis zur definitiven endoprothetischen Versorgung dem Patienten zugemutet werden kann. Die Einschränkungen hinsichtlich der Haltbarkeit der Prothese im Falle einer deutlichen verbliebenen Fehlstellung müssen dem Patienten mitgeteilt und die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden. Auch für ein zweizeitiges Vorgehen müssen ggf. weitere Aspekte und deren mögliche Konsequenzen berücksichtigt werden, wie z. B. das potenzielle Risiko einer Weichteilnekrose durch die Umstellung, da die Fehlstellungen und damit die Lokalisation der Umstellung nicht selten multiple Voroperationen aufzeigen.

Abb. 5
figure 5

54 Jahre alte Patientin: a Seitliches Bild des linken Kniegelenkes und b ganzes Bein a.-p.: Die Bilder zeigen eine verbliebene deutliche Valgusfehlstellung und metaphysäre, statikgefährdende Defektsituation nach osteosynthetisch versorgter mehrfragmentärer Femurfraktur mit Pseudarthrosenverlauf und konsekutiven mehrfachen Revisionen

Abb. 6
figure 6

a Seitliche Bilder des linken Kniegelenkes und b ganzes Bein a.-p.: Situation nach Verwendung eines modularen Tumorsystems (femoral: zementfrei, tibial: Hybridverankerung) für die Überbrückung des Defektes und Neutralisierung der Fehlstellung

Funktionelles und implantatspezifisches Ergebnis

Prinzipiell gelten die gleichen Voraussetzungen wie bei primären Arthrosen. Das postoperative Ergebnis ist abhängig vom präoperativen Zustand. Erhebliche, langzeitige Beweglichkeitseinschränkungen sind muskulär häufig auch durch massive Nachbehandlung nicht wieder komplett rekompensierbar. Schädigungen am Streckapparat hinterlassen in der Regel ein eingeschränktes postoperatives Ergebnis allein aufgrund der Krafteinschränkung. Auch Anschlussdegenerationen spielen nicht selten eine Rolle, da auf dem Boden einer Fehlstellung auch die weiteren Gelenke häufig geschädigt sind (Koxarthrose, Arthrose des unteren und/oder oberen Sprunggelenkes).

Auch seitens der Haltbarkeit der Kunstgelenke ergeben sich erhöhte Risiken. Das Versagen auf dem Boden einer Infektion ist im Vergleich zu primären Arthrosen höher [12]. In Abhängigkeit der verschiedenen Kopplungsgrade haben sicherlich die partiellen Gelenkersätze, also proximaler Tibia- und distaler Femurersatz, die schlechtesten Überlebensraten für das Worst-Case-Kriterium als Versagensgrund. Insgesamt sind die Revisionsraten höher, auch ohne den Prothesenausbau als Endpunkt anzusetzen. Hämatomrevisionen und Wundheilungsstörungen sind signifikant höher [1214].

Schlussfolgerung

Bei der Versorgung von posttraumatischen Arthrosen am Kniegelenk mittels Endoprothese muss mit einer höheren Komplikationsrate gerechnet werden. Die Zugangswahl ist in Abhängigkeit der ggf. schon kompromittierten Weichteile, des Defektes und der entsprechend notwendigen Art der Prothese sorgfältig zu wählen, um einerseits Komplikationen wie Nekrosen zu verhindern und andererseits eine ausreichende Exposition für eine korrekte Ausrichtung zu erhalten. Eine potenziell notwendige plastische Deckung ist im Vorfeld zu planen und ggf. interdisziplinär anzugehen. Eine Rekonstruktion des Streckapparates macht unter bestimmten Bedingungen Sinn, es stehen u. a. die in dem Text beschriebenen Techniken zur Verfügung. Im Zweifelsfall sollte der Arthrodese der Vorzug gegeben werden. Vonseiten der knöchernen Situation sind Deformitäten von Defekten zu unterscheiden. Knochendefekte können ggf. biologisch mittels autologer und/oder allogener Transplantate, mit metallischen Augmenten und Sleeves rekonstruiert werden. Durch die Verwendung von Tumorprothesen im Sinne von partiellen Knochenersätzen können große Defekte überbrückt werden. Verbliebene, extraartikuläre Fehlstellungen sollten ggf. zweizeitig nach durchgeführter und konsolidierter Umstellungsosteotomie endoprothetisch versorgt werden. Die Haltbarkeit der Endoprothese ist von der verbliebenen Fehlstellung abhängig und z. B. bei mehr als 3° Abweichung in der a.-p.-Richtung mutmaßlich reduziert.