Einleitung

Für die Ehre, hier den Festvortrag zu halten, danke ich den Veranstaltern ganz herzlich. Meine Ausführungen basieren auf fast 50 Jahren erlebter Chirurgie in verschiedenen Ländern, Gesundheitssystemen und Positionen. Im Vortrag spiegeln sich naturgemäß meine persönlichen Erfahrungen und Eindrücke wider – getreu dem Aphorismus von Heraklit: „Dem, was ich gesehen, gehört, gelernt habe, gebe ich den Vorrang“ – und nicht die offiziellen Meinungen der einschlägigen Fachgesellschaften und deren berufspolitischen Akteure. Dabei will ich nicht polarisieren, aber ich möchte Sie provozieren, die eigene Gewissheit infrage zu stellen und darüber nachzudenken, ob ein „Weiter-so“ wirklich „alternativlos“ ist.

Anspruch

Die Versorgung von Verletzten ist die älteste Wurzel der Chirurgie und war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts wohl auch die Hauptbeschäftigung der Chirurgen, wie man im Wappen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am Trepanationsbohrer und der Amputationssäge noch sehen kann. Der Begriff der Unfallchirurgie begann sich aber erst einzubürgern, nachdem 1951 in Österreich auf Drängen von Lorenz Böhler der „Facharzt für Unfallchirurgie“ offiziell eingeführt worden war. Es folgten in Deutschland 1972 die Schaffung des Teilgebietes „Unfallchirurgie“ und 1992 des gleichnamigen Schwerpunktes.

Außerhalb des deutschen Sprachraumes stößt die Bezeichnung „Unfallchirurg“ auf Unverständnis und wird oft als Emergency Physician oder Orthopedic Surgeon missinterpretiert. Im deutschsprachigen Raum versteht man darunter Chirurgen, die eine bestimmte Weiterbildung durchlaufen haben und im hier dominanten Traumaspektrum tätig sind. Dabei sind die Chirurgen, die dank ihrer polyvalenten Weiterbildung oder ihrer Spezialisierung auch einen wesentlichen Teil der Versorgung von Verletzten leisten, in der Regel nicht gemeint. Der Unfallchirurg – ähnlich wie der Allgemeinchirurg – wird in der Öffentlichkeit und den Medien meist nicht als „Spezialist“ wahrgenommen und ist nicht deckungsgleich mit den englischsprachigen Pendants. Um mich nicht in divergierenden Bezeichnungen zu verlieren, wähle ich im Weiteren die heutige „Lingua franca“ der Medizin und spreche vom Trauma Surgeon und vom General Surgeon.

Da ich in meiner eigenen Weiterbildungszeit den Wandel vom General Surgeon zum Trauma Surgeon hautnah miterlebt habe, mögen Sie mir gestatten, Ihnen kurz etwas über diese turbulente Zeit der Roaring Seventies zu berichten:

Damals bestanden an den meisten chirurgischen Kliniken ziemlich erstarrte hierarchische Strukturen – ich erinnere an die damaligen Medien – Attacken gegen Edgar Ungeheuer („Halbgott in Weiß“). Gleichzeitig griff die Spezialisierung in der Chirurgie von USA mit „full swing“ nach Europa über – bei bereits laufenden Protesten der akademischen Jugend von Berkeley bis Westberlin und Frankfurt. In den Präsidentenreden der chirurgischen Gesellschaften wurde damals wie heute zwar die Einheit der Chirurgie beschworen, doch der Glanz der Chirurgie wurde auf den Kongressen zunehmend von chirurgischen Spezialisten vermittelt.

Spezialisierung ist selbstverständlich notwendig – als Werkzeug der Evolution und des Fortschrittes, für die Pionierarbeit in Wissenschaft und chirurgischer Technik, sie soll die Standards erhöhen, sich aber nicht in „turf-battles“ verlieren und keine Monopole anstreben. Im klinischen Alltag aber drohte damals wie heute das „Maverick“-Syndrom: Zentrifugale Kräfte nahmen überhand, das Streben nach Autonomie und eigener Infrastruktur ging zulasten der General Surgery.

Die Unfallchirurgie konnte in diesem Wettbewerb auf gute Startbedingungen und langjährige Vorleistungen rückgreifen: Ich nenne hier nur die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung (1883), die Entstehung von speziellen Unfallkrankenhäusern (Bergmannsheil – Bochum 1890, Böhler Klinik – Webergasse Wien 1925) und die Entwicklungen der operativen Frakturbehandlung, die überwiegend in chirurgischen Kliniken erfolgten. Dies erklärt auch, warum die Frakturversorgung im deutschen Sprachraum vorwiegend in chirurgischen Händen blieb, während sie im romanischen und englischen Sprachraum frühzeitig in der Orthopädie angesiedelt wurde. Für uns junge Chirurgen – zurück zum Jahr 1970 – war damals eine weitere Spezialisierung sehr verlockend – zumal in der Unfallchirurgie: Hohe Unfallzahlen, neue technische Möglichkeiten und eine wirtschaftliche Entwicklung, die neue Fachabteilungen wie Pilze aus dem Boden schießen ließ.

Nachdem ich einen Teil meiner chirurgischen Weiterbildung in ungeteilten Kliniken absolviert hatte – deren Chefs chirurgische Allrounder waren, alle noch mit reichlich Erfahrung in der Kriegschirurgie – kam ich an die Medizinische Hochschule Hannover (MHH). Sie war eine sogenannte Reformhochschule, mit der ersten unfallchirurgischen Universitätsklinik, mit für damalige Verhältnisse ungewöhnlich jungen Chefs und einem Departmentsystem – misstrauisch beobachtet vom chirurgischen Establishment.

Hans Georg Borst hatte – nach Medizinstudium in Stanford und Harvard und chirurgischer Weiterbildung bei Zenker in München – die Größe, ungeachtet seines Rufes auf einen ungeteilten Lehrstuhl für Chirurgie in Hannover, von Anfang an ein Department Chirurgie aufzubauen, das er 25 Jahre höchst erfolgreich leitete. Harald Tscherne kam aus der Grazer Chirurgie – unfallchirurgisch geprägt von der Böhler-Schule und seiner Zeit bei Maurice Müller in der Schweiz. Damals gab es an der MHH noch einen ungeteilten chirurgischen Dienst und etliche Oberärzte mit breiter chirurgischer Basis, was der Weiterbildung sehr zugutekam.

Harald Tscherne baute seine Klinik einschließlich Unfallrettung und experimenteller Forschung rasch und mit System aus. Es wurden dann auch bald an anderen deutschen Universitätskliniken eigenständige unfallchirurgische Abteilungen geschaffen, die – wie übrigens auch die Berufsgenossenschaftlichen (BG) Kliniken – noch alle von breit ausgebildeten Chirurgen geleitet wurden – wie etwa Leonhard Schweiberer und Jörg Rehn.

Ich wurde nach abgeschlossener chirurgischer Weiterbildung dann erst bei Tscherne – als erster in seiner Klinik herangezogener Oberarzt – unfallchirurgisch geprägt – u. a. durch Stipendien an der Böhler-Klinik in Wien und an Schweizer AO(Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen)-Kliniken. Als Schlüsselerlebnis besonderer Art empfand ich 1976 meinen ersten Besuch verschiedener US-Traumazentren, deren Versorgungsstandards, Organisationsformen und Forschungsaktivitäten mich sehr beeindruckt haben. Die damals geknüpften Kontakte habe ich weitergepflegt durch wissenschaftliche Zusammenarbeit, regelmäßige Kongressbesuche und Assistentenaustausch.

Mit einer gewissen Enttäuschung habe ich in den letzten Jahren beobachtet, wie der „Mainstream“ der deutschen Unfallchirurgie („horribile dictu“) in Richtung „O und U“ lief. Kürzlich ist nun leider auch Österreich diesem Beispiel gefolgt. In der Schweiz konnte dieser Trend zum Glück vermieden werden durch die Schaffung des Schwerpunktes „Allgemeinchirurgie und Traumatologie“, der nach mindestens 8 Jahren chirurgischer Weiterbildung die nötige Kompetenz für die „Chirurgie des Häufigen“ vermitteln kann.

Die aus meiner Sicht bedauerliche Entwicklung in Richtung „O und U“ war teils technik- und industriegetrieben, teils diktiert von der sozioökonomischen Entwicklung des Gesundheitswesens, aber auch Folge des Wilderns der Unfallchirurgen im lukrativen Revier der Orthopäden und – last, not least – vom Zeitgeist der Generation Y, der mit seinem Trend zur Selbstverwirklichung die bewährte Werteskala im Traumateam auf den Kopf zu stellen droht.

Eine Unfallchirurgie mit holistischem Anspruch als Teilgebiet oder Schwerpunkt der Chirurgie mit autonomer Organisation und Infrastruktur, die vom „Know-how“ der chirurgischen und orthopädischen Spezialisierung schöpfen kann, hat sich damit leider weitgehend als Utopie der 1970er-Jahre erwiesen.

So viel zum Entstehen des Istzustandes.

Nun zum Sollzustand, dem Anspruch der Unfallchirurgie und den Anforderungen an den Unfallchirurgen: Das Anforderungsprofil des Trauma Surgeons aus internationaler chirurgischer Sicht sieht in etwa so aus, wie es im Shock Trauma Manual [1] des „Maryland Institute for Emergency Medical Services Systems“ (MIEMS1979) beschrieben ist: „General surgeon who is capable of performing expert resuscitation and all the immediate surgical maneuvers necessary to sustain life regardless of the body system involved“. Die idealen Ausbildungsstellen dazu waren in den USA die in den 1960er-Jahren geschaffenen Trauma Centers und die großen City und County Hospitals – in Europa die großen öffentlichen Krankenanstalten und Universitätskliniken.

Mit Zunahme der Spezialisierung und Fragmentierung der Chirurgie sowie dem dadurch bedingten Wegbrechen der General Surgery in den großen chirurgischen Kliniken entstanden sowohl in den USA als auch in Europa Defizite und Engpässe bei der Ausbildung zum General Surgeon und Trauma Surgeon. Die Notfallversorgung in den großen öffentlichen Krankenanstalten bekam Probleme und sowohl nach Terrorattacken und Katastrophen als auch bei militärischen Einsätzen traten Defizite beim chirurgischen Training zutage.

Don Trunkey und viele andere machten Vorschläge zur Reform der chirurgischen Weiterbildung, die einen allerseits einsetzbaren General and Trauma Surgeon zum Ziel hatte [3, 4]. Dies führte in den USA schließlich – allerdings mit bedauerlichen Abstrichen nach erheblichen „turf-battles“ mit den Orthopäden und Neurochirurgen – zum Acute Care Surgeon. In Großbritannien ist mit ähnlicher Intention der Emergency General Surgeon im Aufbau, den Alastair Wilson kürzlich auf dem diesjährigen ESTES-Kongress in Wien vorgestellt hat [5, 6].

Trotz der gegebenen unterschiedlichen Gesundheits- und Weiterbildungssysteme zeichnen den Trauma Surgeon typische Kernkompetenzen aus, die nicht durch „Schnellbleichen“ und Minimalanforderungen der Weiterbildungsordnungen (WBO) erlangt werden können: Breitbasige Erfahrung in General Surgery, Kenntnisse der Traumamechanismen und Pathophysiologie, Expertise in zielorientierter Wiederbelebung durch Blutungs- und Kontaminationskontrolle, Erfahrung und Handfertigkeit in lebensrettender Chirurgie und Beherrschung der Schlüsselmanöver beim schweren Trauma. Schließlich kommen dazu noch erhebliche Soft Skills wie Führungsqualität und Kommunikationskompetenz, um mit den erforderlichen Nachbardisziplinen ein synergistisches Team zu bilden. Dabei gilt es, eine vernünftige Balance zu finden zwischen den akut vorhandenen chirurgischen Fähigkeiten und dem gezielten Einsatz von verfügbaren Spezialisten.

Kompetenz und Souveränität zeichnen den guten Trauma Leader aus und verhindern Organisationschaos und Verzögerungen durch „Komiteeentscheidungen“ – wie schon mein Vorgänger in Zürich Hans-Ulrich Buff treffend bemerkte. Der Trauma Surgeon mit diesen Kernkompetenzen bietet viele Vorteile in der Versorgung des schweren Traumas verglichen mit multidisziplinären Organisationsformen.

Betrachtet man die Ansprüche an den Trauma Surgeons unter den verschiedenen Umfeldbedingungen, so sieht man, dass die breite chirurgische Basis für alle Szenarien unerlässlich ist: Im gewaltdominierten Umfeld mit Krieg, Terror und Gewaltkriminalität ist ein Trauma Surgeon mit hoher Höhlen- und Gefäßkompetenz gefordert. Im ressourcenlimitierten Umfeld, in dem über 95 % der Erdbevölkerung leben, bewährt sich der Trauma Surgeon als Allrounder mit Improvisationstalent, hoher Frusttoleranz und Kompetenz in septischer Chirurgie. Als Negativbeispiel habe ich in den vergangenen 8 Jahren die Trauma Epidemic in Indien erlebt, wo dringend chirurgische Allrounder gebraucht würden – sich aber der chirurgische Nachwuchs in die frühestmögliche und enge Subspezialisierung drängt [2].

Auch in unserer Wohlstandsgesellschaft mit „Luxus“-Medizin bietet der Trauma Surgeon für die Akutversorgung erhebliche Vorteile gegenüber einer strikt multidisziplinären Versorgungsdoktrin. Zudem kann es sich keine Volkswirtschaft leisten, eine flächendeckende Traumaversorgung nur auf Spezialistenbasis zu unterhalten.

Wirklichkeit

Wie sehen nun die Wirklichkeit und der Istzustand aus?

Zweifellos hat die Unfallchirurgie im deutschsprachigen Raum einen vergleichsweise hohen Standard beim hier vorherrschenden Traumaspektrum erreicht. Die Fortschritte basieren im Wesentlichen auf der präklinischen Unfallrettung, der Schaffung von Traumanetzwerken, Verbesserungen in Anästhesie und Intensivmedizin und im Besonderen auf der Revolution bei der bildgebenden Diagnostik – übrigens alles Faktoren, die primär nichts mit der chirurgischen Spezialisierung zu tun haben.

Am Beispiel der CT-Diagnostik, die erst Mitte der 1980er-Jahre ihren breiten Einzug in die Kliniken fand, versteht man am besten, welchen Quantensprung das in der Traumaversorgung brachte. Dies gilt in gleichem Maße auch für die Nutzung der Sonographie und Magnetresonanztomographie seit Anfang der 1990er-Jahre. Die eigentliche unfallchirurgische Spezialisierung fokussierte sich auf die operative Behandlung von Frakturen und Gelenkverletzungen und das wurde noch begünstigt durch starke Zunahmen in der Sport- und Alterstraumatologie.

War der „common trunk“ schon bei früheren Novellen der WBO wie auch beim UEMS-Examen zur „quantité négligeable“ geschrumpft, so ist mit der neuen WBO in Deutschland und jetzt auch in Österreich zum Basisfacharzt Orthopädie und Unfallchirurgie keine nennenswerte Kompetenz mehr in General Surgery erforderlich. Auch der vorgesehene Zusatz „spezielle Unfallchirurgie“ und ergänzende Kurse – wie etwa DSTC und Ähnliche – werden daran nichts ändern. Ein DSTC(Definitive Surgical Trauma Care)-Kurs ist nur für fertige Chirurgen sinnvoll.

De facto wird mit diesem „Schmalspur“-Unfallchirurgen eine Situation geschaffen, in der man zur Versorgung des Schwerverletzten unbedingt den General Surgeon braucht – diesen fürs Killing Trauma, den O und U Orthopaedic Trauma Surgeon fürs Disabling Trauma. Das Problem wird sein, in der Zukunft den General Surgeon verfügbar zu haben, wenn es überwiegend nur noch HBP, Upper GI, Colorectal, Transplant und Vascular Surgeons geben wird, die zunehmend auch auf hochtechnisiertes Equipment zur Ausübung ihrer Kunst angewiesen sind. Es bewahrheitet sich das Statement von Jörg Rüdiger Siewert: „Allgemeinchirurgie – keiner wollte sie – und als sie weg war – fingen alle das Jammern an!“

Wenn wir den deutschsprachigen Unfallchirurgen der letzten Jahrzehnte einer kritischen SWOT-Analyse unterziehen, so werden wir sehen, dass er höchstens bedingt zukunftstauglich ist:

Stärken bestehen bei der Organisation der Verletztenversorgung durch den Unfallchirurgen als Trauma Leader und Process Owner, bei seiner Kompetenz in der operativen Behandlung von Frakturen und Gelenkverletzungen und – allerdings in abnehmendem Maße – seiner genossenen chirurgischen Weiterbildung.

Schwächen : Kopflastige Orientierung auf den Bewegungsapparat mit geringer bis fehlender chirurgischer Kompetenz bei Höhlen- und Gefäßtraumen, als „mulus germanicus“ (Martin Allgöwer) und somit Hybride nicht fortpflanzungsfähig, hat eine „randomisierte“, ja häufig erratische Weiterbildung, seine geringe Präsenz in der akademischen Chirurgie, schwache Wahrnehmung bei den Stakeholdern unseres Gesundheitssystems, Übungshaltung und CME werden nicht konsequent überprüft.

Chancen : Die weitere Subspezialisierung im „orthopaedic trauma“ und unsere ebenso betroffenen Leidensgenossen in der „General Surgery“ dringen auf eine Weiterbildungsreform, die auch die entstandenen Probleme löst. Sozioökonomische Zwänge werden eine solche Reform unterstützen.

Bedrohungen : Spitalökonomen, Versicherer, Juristen und Medien fordern zunehmend die Versorgung durch den Superspezialisten, Weiterbildung wird nicht honoriert, die Unfallchirurgie hat sich zu Tode proliferiert bzw. „zu Tode gesiegt“ (Gert Muhr), d. h. zu viele und zu kleine Fachabteilungen mit zu vielen WB-Assistenten, das „Reimbursement“ im gewinnoptimierten Gesundheitsmarkt.

„Mc Donald’s-Syndrom“ („focussed spectrum, large numbers, good and constant quality, shareholders value“): fördert Wahleingriffe einschließlich der sogenannten Lifestyle Surgery, Work-Life-Balance der Generation Y. Vor allem aber droht die zunehmende Fokussierung auf die Chirurgie des Bewegungsapparates und die Vereinnahmung durch die Orthopädie.

Die Zukunftsperspektiven der Unfallchirurgie sehen somit nicht günstig aus und es drängt sich die Frage auf, ob der Unfallchirurg deutschsprachiger Provenienz letztendlich nur als „Chronospezies des Chirurgen“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben wird.

Ausblick

Wo sind nun Alternativen für die Zukunft?

Zweifellos brauchen wir den Spezialisten für das schwere Trauma, der schnell und effizient chirurgisch eingreifen kann und das Akutmanagement dirigiert. Die Weiterbildung zum Trauma Surgeon muss daher die Erlangung einer breiten chirurgischen Kompetenz garantieren – oder aber es muss eine konsequente Teilung von Verantwortlichkeit und Kompetenz erfolgen zwischen dem General Surgeon und dem Orthopaedic Trauma Surgeon – wobei dann auch beide jederzeit verfügbar sein müssen.

Systeme, die auf einer kompletten Weiterbildung zum Chirurgen basieren – wie etwa in der Schweiz und bis vor Kurzem in den Niederlanden – können weiterentwickelt werden bezüglich Kontrolle der Übungshaltung und CME durch zeitlich limitierte Lizenzen. Das Gleiche gilt für den doppelten Facharzt Chirurgie und Orthopädie. Andere Optionen liegen in Eigeninitiativen und extracurricularen, modularen Weiterbildungen, wie etwa die zum Einsatzchirurgen der Bundeswehr oder aber in ausländischen High-Volume-Traumazentren (USA, Südafrika). Leider werden von Trägern hiesiger Diplome dazu erhebliche Investitionen in Form nachzuholender Examina für die erforderlichen Lizenzen verlangt.

Neben den traditionellen Kontakten zum wissenschaftlichen transatlantischen Austausch über die Chirurgie des Verletzten hat sich für Europa in den letzten Jahren die European Society for Trauma and Emergency Surgery in enger Zusammenarbeit mit der „American Association for the Surgery of Trauma“ (AAST) etabliert. Diese freundschaftlichen Verbindungen könnten zunehmend für die Schaffung einer Austauschplattform genutzt werden. Langfristig aber werden unsere Fachgesellschaften und die schwerfälligen WBO-Gremien nicht umhin kommen, die Weiterbildung der entstandenen Situation und dem vergleichbaren internationalen Standard anzupassen – und zwar ohne sich auf das niedrigste konsensfähige Niveau herunter nivellieren zu lassen.

Wenn die Orthopädie ihre de facto heute schon existierende Subspezialisierung endlich auch offiziell vollziehen würde, dann könnte der heutige deutschsprachige Unfallchirurg auch definitiv zum Orthopaedic Trauma Surgeon mutieren und die Chirurgie sollte einen klar definierten Schwerpunkt für den General Surgeon schaffen – nicht als pejorativ wahrgenommener Feld-Wald- und Wiesen-Chirurg, dem nur das bleibt, was nicht in den Kanon der Organspezialisten gehört, sondern als Zusatzweiterbildung und Analogon zum Acute Care Surgeon der USA oder aber zum geplanten Emergency General Surgeon der Briten (Infobox 1, [5, 6]).

Dies würde auch das Problem der notwendigen Übungshaltung am ehesten lösen. Der Ball für eine solche Initiative liegt eindeutig im Feld der chirurgischen Fachgesellschaften. Der Name dieses Spezialisten spielt dabei keine Rolle – es wird nur auf die notwendige chirurgische Kompetenz ankommen. Was sagt schon ein Name – oder wie Shakespeare Juliet sagen lässt: „What’s in a name? That which we call a rose … By any other word would smell as sweet …“?

Meine Damen und Herren, die „Chirurgie des Verletzten“ ist eine wertvolle und schöne Blume im bunten Bouquet der Chirurgie, sie würde auch unter anderem Namen weiterhin duften und blühen.

Ich danke Ihnen für Ihr geduldiges Zuhören und hoffe, Sie zum Nachdenken animiert und für das Höhlentrauma einigen Diskussionsstoff geliefert zu haben.

Infobox 1 Emergency General Surgeon

Breit ausgebildeter Chirurg

Erfahrung im vorherrschenden Traumamuster

Beherrschung der lebensrettenden Soforteingriffe

Erfahrung in Damage Control Surgery

Kenntnis der Pathophysiologie des Traumas

Ausreichende Übungshaltung