Defekte der langen Röhrenknochen stellen trotz moderner Implantate und Operationsmethoden weiterhin eine große Herausforderung in der unfallchirurgisch-orthopädischen Chirurgie dar. Trotz der unterschiedlichen Genese von Knochendefekten an langen Röhrenknochen besteht bei allen Patienten die Gemeinsamkeit in der Besonderheit des Knochengewebes, bestehend aus einer Kombination von lebenden Knochenzellen und der avitalen Knochenmatrix, die dem Skelett die nötige Stabilität verleiht. Beim operativen Ersatz der verloren gegangenen Knochensubstanz stellt deshalb die Rekonstruktion der avitalen Knochenmatrix durch vitale Strukturen eine besondere Herausforderung dar. Wesentlicher Gesichtspunkt der therapeutischen Überlegungen ist die Gewährleistung der Knochenregeneration bei den oft immungeschwächten Patienten in Anwesenheit eines Implantates über einen Zeitraum von mehreren Monaten.

Während Defekte von kleiner als 3 cm meist mit Verkürzung und ohne Knochenrekonstruktion behandelt werden können, stellt sich bei größeren Defekten die Frage der Stabilisierung und Defektrekonstruktion. Dabei gilt die Regel, dass mit Zunahme der Defektstrecke auch die Behandlungsdauer zunimmt. Je nach Begleitumständen ist von 40 bis 60 Tagen Behandlung pro cm Defektstrecke auszugehen [1, 2].

Verschiedene Verfahrenskombinationen zwischen Stabilisierung und Knochenrekonstruktion versuchen der jeweiligen Situation gerecht zu werden. Das Ziel besteht in der Rekonstruktion des langen Röhrenknochens. Abhängig von Lokalisation, Weichteilsituation, Defektgröße und Alter des Patienten ist die geeignete Therapieoption individuell festzulegen. Alle Verfahren zeichnen sich durch eine lange Behandlungsdauer mit möglichen Funktionseinschränkungen und Komplikationen aus [35].

In der klinischen Praxis ist die Kallusdistraktion das Verfahren der Wahl zur Defektrekonstruktion an langen Röhrenknochen mit einigen Vor- und Nachteilen [37]. Der freie Fibulatransfer führt zwar unmittelbar zur Defektfüllung mit vitalem Knochengewebe, allerdings wird aufgrund der vergleichsweise geringen Dimension die Belastungsfähigkeit erst nach einem langen Intervall erreicht [8]. Daher stellt die Kombination zwischen Kallusdistraktion und vaskularisiertem Knochentransfer eine zukunftweisende Technologie zur Optimierung der chirurgischen Behandlung bei der Defektrekonstruktion an langen Röhrenknochen dar.

Epidemiologie segmentaler Knochendefekte

Exakte Angaben über die Häufigkeit von segmentalen Defekten an langen Röhrenknochen, die einer Rekonstruktion zugeführt werden müssen, liegen nicht vor. Bei den Knochentumoren stellen das Osteosarkom mit ca. 30 % und das Chondrosarkom mit ca. 20 % nahezu die Hälfte aller bösartigen Knochentumore [9]. Bei den Ewing-Sarkomen, die einen Häufigkeitsgipfel in der 2. Lebensdekade aufweisen, sind in ca. 30 % ebenfalls die unteren Extremitäten betroffen [10].

Eine wesentliche weitere Ursache für Defekte an langen Röhrenknochen ist die Resektion von infizierten Knochensegmenten im Rahmen der Infektsanierung bei chronischer Osteomyelitis [11]. Exakte Angaben über die Häufigkeit der chronischen Osteomyelitis an langen Röhrenknochen liegen bislang nicht vor. Das Risiko einer posttraumatischen Infektion ist bei offenen Frakturen mit bis zu 40 % deutlich höher als bei geschlossenen Frakturen [12]. Die Inzidenz offener Frakturen ist mit ca. 11/100.000 Einwohner pro Jahr zu beziffern, wobei Männer häufiger betroffen sind [13]. Besonders an der Tibia besteht wegen der limitierten Weichteildeckung und oft limitierten Durchblutung ein erhöhtes Infektionsrisiko. Das Therapieprinzip der Infektsanierung besteht in der radikalen (ähnlich der Tumorchirurgie) Resektion des betroffenen Knochensegmentes mit daraus resultierenden Defekten.

Indikationen zur Knochenrekonstruktion

Unterschieden wird zwischen segmentalen zirkulären und partiellen Knochendefekten. Während bei Partialdefekten die Kontinuität auf bis zur Hälfte der Zirkumferenz nicht unterbrochen ist und durch den Defekt die mechanische Stabilität reduziert ist, ist bei zirkulären Defekten keine mechanische Stabilität des Restknochens gegeben.

Daher kann bei Partialdefekten die Rekonstruktion bei ausreichender Weichteildeckung mit autologer Spongiosa und Knochenersatzstoffen vorgenommen werden. Am Unterschenkel bietet sich die Stabilisierung über den vorhandenen Zugangsweg mit einer Platte oder dem Fixateur externe an. Die Marknagelung würde in diesen Fällen trotz des vorhandenen Zuganges eine zusätzliche Beeinträchtigung der enostalen Durchblutung und Gewebeschädigung bedeuten, sodass hier die Indikation für die Marknagelosteosynthese kritisch gestellt werden muss. Am Femur ist der Marknagel das Implantat der Wahl. Ein ausreichender Durchmesser (13 mm) erhöht durch die Markraumfüllung die Stabilität des Knochens. Die retrograde Marknagelung ist wegen der Kniegelenkeröffnung möglichst zu vermeiden.

Bei zirkulären Defekten am Unterschenkel kleiner als 3 cm ist die primäre Verkürzung oder die Auffüllung des Defektes mit autologer Spongiosa möglich, sofern die Fibula intakt ist und somit die Länge erhalten werden kann. Die Osteosynthese wird idealerweise mit einem Marknagel vorgenommen. Am Unterschenkel kann bei intakter Fibula zugangsbedingt auch eine mediale Plattenosteosynthese durchgeführt werden. Die Osteosynthese mit einem Fixateur externe ist alternativ zumeist möglich.

Zum Funktions- und Beinlängenerhalt sollten zirkuläre Defekte an der unteren Extremität von mehr als 4 cm rekonstruiert werden. Bei langem Heilverlauf und reduzierter Knochendichte ist die primäre Verkürzung mit Konsolidierung der Defektzone und anschließender sekundärer Verlängerung des Knochens mitunter der einzeitigen Rekonstruktion vorzuziehen, da die Aufbelastung des Knochens während der ausschließlichen Konsolidierung früher erfolgen kann und die biologischen Voraussetzungen für die spätere Kallusdistraktion zur Verlängerung damit günstiger sind. Trotz der Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie und bei den verfügbaren Implantaten muss die Indikation für die Extremitätenverlängerung unter Beachtung der Kontraindikationen streng gestellt werden [14, 15], obwohl die heute zur Verfügung stehenden Implantate anwenderfreundliche Verlängerungsosteotomien an Tibia und Femur erlauben [16].

Rekonstruktionsverfahren

Die Rekonstruktionsverfahren nach Knochenresektion sind vielfältig und hängen u. a. neben der Größe (Länge und Umfang des Defektes) von der Lokalisation, der Durchblutung, den Nebenerkrankungen und der Compliance des Patienten ab. Die autologe Spongiosaplastik stellt ein universelles Verfahren der Defektauffüllung am Knochen dar, wenn die Stabilität und Kontinuität des noch vorhandenen Knochens mehr als zwei Drittel der Zirkumferenz betragen. Die häufig durchgeführte Zumischung von lokal wirkenden Antibiotika hat sich als zuverlässiges Verfahren zur Infektionsprophylaxe bewährt. Allerdings benötigt die amorphe Struktur der transplantierten Spongiosa mehrere Monate, bis ein mechanisch belastbarer (Röhren-)Knochen resultiert. Die Stabilisierung des Knochens hängt vom Ausmaß der Instabilität ab und reicht von der äußeren Gipsschienung über interne Osteosynthesen bis hin zum Fixateur externe [17, 18]. Bei größeren Defekten, besonders im metaphysären Bereich, bedingen die eingeschränkte Fixierungsmöglichkeit des gelenknahen Abschnitts und der Kalibersprung zwischen Diaphyse und Metaphyse besondere Überlegungen [19, 20].

Besonders bei größeren Defektvolumina, die mit Spongiosa aufgefüllt werden sollen, werden in den letzten Jahren zunehmend Knochenersatzstoffe zur „Streckung“ der Spongiosamasse verwendet. Dabei kann sowohl nach der Herkunft, Vitalität, biologischen Wertigkeit und Zusammensetzung der Knochenersatzstoffe unterschieden werden. Neben autologem Knochenmarkaspirat, Spongiosaplastik und Knochentransplantat stehen u. a. auch demineralisierte Knochenmatrix, alloplastische und xenogene Materialien, Biogläser, Keramiken und resorbierbare/nichtresorbierbare Polymere sowie verschiedene Kombinationen der einzelnen Materialien zur Verfügung. Der „ideale“ Knochenersatzstoff ist bisher jedoch nicht verfügbar [21, 22].

Eine Modifikation der Spongiosaplastik wird bei der Masquelet-Technik [23] umgesetzt, wobei hier das Knochendefektlager nach der Resektion des infizierten Knochens mit einem temporär eingesetzten Zementplatzhalter aufgefüllt wird. Dadurch wird periimplantär eine Membran induziert, die für die nach ca. 6 bis 16 Wochen zu transplantierende Spongiosa als Transplantatlager dient. In dieser Membran wurden Knochenwachstumsfaktoren in hoher Konzentration festgestellt [24, 25]. Die Osteosynthese erfolgt meist mit einer Platte, Marknagelung oder Fixateur externe [26, 27]. Von klinischen Erfolgen bei der Knochenrekonstruktion wurde berichtet, wobei die Vorteile in der relativ einfachen und universellen Anwendung gesehen werden [28].

Segmenttransport/Kallusdistraktion

Biologische Grundlagen

Bei der physiologischen Kallusbildung wird im Frakturhämatom durch Freisetzung von Mediatoren das Einwandern von Fibroblasten als Vorläuferzellen von Osteoblasten die Bildung von Osteid und Kollagen vorgenommen. Ab dem 10. Tag kommt es zur Gefäßeinsprossung, weiterer Kollageneinlagerung und Bildung von Glykoproteinen, welche Calciumapatit einlagern. Damit wird die perichondrale Ossifikation initiiert [29, 30].

Wird in der ersten Phase der Knochenbruchheilung und Kallusbildung eine Traktion an den Frakturfragmenten ausgeübt, so kommt es in dem sich bildenden Raum zu einem bindegewebigen Ersatz, sodass hier Fibroblasten einwandern können und über die Differenzierung zu Osteoblasten den Neokallus bilden können. Aus zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Kallusformation entlang der Distraktionsrichtung erfolgt. Außerdem hängt die Bildung des Kallusvolumens von endostalen und periostalen Faktoren ab. Einen wesentlichen Einfluss haben das Alter des Patienten, der Ernährungszustand, der Allgemeinzustand, der Knochendurchmesser, das Verhältnis zwischen Kortikalis und Mark, die Art der Kortikotomievorbehandlung und die Durchblutungssituation [6, 29].

Technische Umsetzung

Der Segmenttransport an langen Röhrenknochen kann mit verschiedenen technischen Systemen realisiert werden. Zum einen kann durch Stabilisierung mit einem Ringfixateur ein Segmenttransport vorgenommen werden, zum anderen mit einem monolateralen Fixateur oder über einen Marknagel mit Seilzugsystem (Abb. 1ac). Für den Segmenttransport muss neben einem Fixationssystem auch ein Transportsystem integriert werden. Während der Fixateur universell einsetzbar ist, erfordert die Verwendung des Marknagels als Fixierungssystem eine ausreichende Verankerung im epiphysären Bereich. Der wesentliche Vorteil des Marknagels besteht in der gewebeschonenden Stabilisierung und dem Tragekomfort. Allerdings erfordert der Segmenttransport über den Nagel die temporäre zusätzliche Montage eines Fixateursystems zum Transport. Die Herausforderung besteht darin, neben dem einliegenden Marknagel die Fixateur-Pins tangential in der Kortikalis so zu platzieren, dass einerseits der Transport durch Reibung am Nagel nicht behindert, andererseits die Pins ausreichend im Knochen fixiert sind. Beim Transport mit dem Seilzug ist die Montage intraoperativ sehr anspruchsvoll, bedeutet aber besonders bei längeren Distanzen eine erhebliche Schonung der Weichteile, da kein Durchschneiden der Drähte durch die Weichteile stattfindet. Eine wesentliche Korrektur von Achsfehlstellungen ist mit dem Marknagelverfahren nicht möglich.

Abb. 1
figure 1

a Segmenttransport an der Tibia mit Ringfixateur und Seilzug. b Tandemtransport am Femur mit monolateralem Fixateur externe. c Tandemtransport an der Tibia mit Ringfixateur

Behandlungsphasen des Segmenttransportes

Kortikotomie

Nach der Fixierung des zu behandelnden Extremitätenabschnittes erfolgt die Kortikotomie des Transportsegmentes, um eine entsprechende Kallusbildung zu generieren. Im Vorfeld der Kortikotomie sollte das zu transportierende Knochensegment am Transportsystem fixiert werden. Die Ausrichtung der Transportrichtung sollte entsprechend dem Fixationssystem entlang der Knochenlängsachse orthograd erfolgen [31].

Die Ebene der Kortikotomie richtet sich nach der Defektlokalisation. Wenn möglich, ist der metaphysäre Bereich zu bevorzugen. Bei Segmenttransport über einen liegenden Marknagel am Oberschenkel kann im Vorfeld der Marknagelung und des Segmenttransportes die Kortikotomie durch eine Innenraumsäge realisiert werden.

Latenzphase

Nach der Kortikotomie ist eine Latenzphase zur Ausbildung des Kallus von ca. 7 bis 10 Tagen erforderlich.

Distraktionsphase

In der anschließenden Distraktionsphase wird mit einer Geschwindigkeit von 4-mal 0,25 mm/Tag die Distraktion des Transportsegmentes vorgenommen. Bei längeren Defekten eignet sich der Seilzug, da das Durchschneiden der Drähte über die lange Distanz in den Weichteilen vermieden wird (Abb. 2ac). Während des Transportes erfolgen die sonographische und/oder röntgenologische Kontrolle des Fortschrittes des Segmenttransportes und parallel dazu Pinpflege zur Verhinderung von Pin-track-Infektionen. Am Ende der Distraktion ist das Andocken des Transportsegmentes an dem verbliebenen Resektionsende durch Kompression erforderlich. In der klinischen Praxis hat sich die Durchführung einer Spongiosaplastik zum Zeitpunkt des Andockens bewährt. Bei der Verwendung von Marknägeln kann die Fixierung des Transportsegmentes entweder über eine Platte oder aber ein zuvor in dem Nagel platzierten Bohrloch erfolgen.

Abb. 2
figure 2

a Osteomyelitis der distalen Tibia mit Destruktion des OSG. b Segmenttransport 12 cm nach Resektion. c Ausheilung mit Arthrodese des oberen Sprunggelenks (OSG) nach 18 Monaten

Konsolidierungsphase

Im Anschluss an das Docking folgt die Konsolidierungsphase. Während dieser Zeit sind die Reifung des Kallus und die Konsolidierung der Andockstelle Schwerpunkte der Behandlung.

Zur Stimulation der Kallusreifung ist die mechanische Belastung evident, wobei die Kallusmassage am einfachsten durch äußere Belastung der Extremität oder durch einen entsprechend einstellbaren Fixateur vorgenommen werden kann. Als nichtinvasive unterstützende Methode zur Kallusreifung hat sich die Anwendung niederenergetisch gepulster Ultraschallbehandlungen bewährt [32].

Es sind auch positive Effekte durch die Anwendung elektromagnetischer Felder zur Kallusreifung beschrieben [3335], jedoch fehlen bislang vergleichende Studien mit der entsprechenden Evidenz. Auch die lokale Anwendung von Wachstumsfaktoren wurde beschrieben [36]. Allerdings handelte es sich dabei um ein invasives Verfahren und in ersten klinischen Anwendungen wurde auch über eine Infektion im gebildeten Kallus berichtet [37].

Als Parameter für die Kallusreifung hat sich der Heilungsindex etabliert. Darunter versteht man den Zeitpunkt von der Kortikotomie bis zur Konsolidierung pro Zentimeter. Als Normwert wird eine Zeitspanne von ca. 50 Tagen pro Zentimeter angegeben [38].

Komplikationen

Neben der ausbleibenden Kallusbildung ist die Infektion des Neokallus eine der wesentlichen Komplikationen während der Kallusreifung. Angaben über die Häufigkeit von Komplikationen bei der Kallusbildung sind in der Literatur selten. Nicht in allen Fällen kann mit einer röhrenförmigen Kallusform nach Abschluss der Kallusdistraktion gerechnet werden. Es wird von Kallusdefekten in der Konsolidierungsphase in bis zu 42 % der Fälle berichtet [39].

Vaskularisierter Knochentransfer

Der vaskularisierte Knochentransfer ist ein weiteres Verfahren zur Rekonstruktion von größeren Knochendefekten besonders im diaphysären Bereich. Ein wesentlicher Vorteil besteht in der Füllung des Defektes mit vitalem, kortikalem Knochen über eine größere Distanz. Für die Überbrückung von segmentalen kortikalen Defekten eignet sich besonders die Fibula, die kompakt oder halbiert, lokal oder frei transplantiert werden kann. Auch die Kombination mit Allograft-Knochen ist möglich. Da die Entnahme der autologen Fibula bis zu einer Länge von ca. 20 cm keine gravierenden Auswirkungen auf die Funktionalität des Beines mit sich bringt, ergeben sich deutliche Vorteile gegenüber den anderen Methoden. Allerdings muss bedacht werden, dass die Dimension der transplantierten Fibula erheblich geringer als die im Empfängerbereich ist (Abb. 3ad). Dadurch relativieren sich die Vorteile dieses Verfahrens. Neben der zusätzlichen Stabilisierung mit einer Platte oder Fixateur externe muss bis zum Erreichen einer ausreichenden Stabilität ein ähnlich langer Zeitraum einkalkuliert werden, analog zu den genannten Operationsverfahren [4042]. Zusätzlich ist zu beachten, dass für die Umsetzung dieses Therapiekonzeptes eine enge Zusammenarbeit zwischen plastischen Chirurgen, Unfallchirurgen und den anderen beteiligten Fachrichtungen etabliert sein muss.

Abb. 3
figure 3

ad 12 cm Defekt an der Tibia nach Sequestrektomie, Rekonstruktion mit freiem osteomyokutanem Fibulatransfer und monolateralem Fixateur externe. Röntgenbild nach 16 Monaten, noch deutliche Differenz zwischen Empfänger- und Spenderdimension. a Freier Fibulatransfer bei Tibiadefekt nach Osteomyelitis, b resezierte Tibiainfektpseudarthrose, c intraoperativer Situs (transplantierte Fibula im Tibiadefekt), d Weichteilsituation nach freiem Fibulatransfer mit Hautinsel

Therapiealternativen

Synthetisch hergestellte Knochenwachstumsfaktoren (Bone-Morphogenic-Protein, BMP) wurden in den letzten Jahren überwiegend experimentell erforscht und klinisch bei unterschiedlichen Indikationen, besonders bei Pseudarthrosen, eingesetzt [43]. Trotz des Knochenbildungspotenzials ist bei dem aktuellen Evidenzlevel ein breiter Einsatz noch nicht zu erwarten, da umfassende Studienergebnisse aus randomisierten klinischen Studien nicht vorliegen. Zudem existieren bislang keine eindeutigen Indikationen für den effizienten Einsatz und Erfahrungen bei größeren segmentalen Defekten [37, 43, 44].

Erfahrungen zum Tissue Engineering des Knochens bestehen bisher nur experimentell. Für den klinischen Einsatz bei segmentalen Defekten im diaphysären Bereich sind ein relativ großes Volumen und eine röhrenförmige Struktur, die bisher nicht realisiert werden konnte, zur erfolgreichen Applikation zu fordern [45].

Ähnliches gilt für synthetische Knochenersatzstoffe [46, 47]. Zahlreiche Präparate sind auf dem Markt erhältlich. Jedoch liegen reproduzierbare Ergebnisse bei der Behandlung großer Knochendefekte nicht vor. Neben der Tatsache, dass bei den Knochenersatzstoffen avitale Substanzen verwendet werden, existieren keine verwertbaren Produkte, die eine segmentale Überbrückung im Sinne eines vitalen Röhrenknochens erwarten lassen [22, 27, 48].

Perspektiven

Für die Umsetzung einer realistischen Methode zur Defektrekonstruktion an langen Röhrenknochen erscheint es sinnvoll, die Vorteile der bereits etablierten und klinisch erfolgreichen Methoden zu verknüpfen und damit eine Reduktion der bekannten Nachteile anzustreben. Weder der Einsatz des Tissue Engineering, der Wachstumsfaktoren und der Knochenersatzstoffe lassen derzeit einen wesentlichen Therapiefortschritt für diese Herausforderung in mittelfristiger Perspektive erwarten. Die Vielzahl der therapeutischen Ansätze ist ein Beleg dafür, dass ein singuläres Verfahren zur Behandlung der segmentalen Defekte an langen Röhrenknochen eine Lösung dieses komplexen Krankheitsbildes nicht darstellen kann. Die Kombination eines neuartigen Ansatzes von Segmenttransport und freiem Fibulatransfer [49] könnte sich der Erfüllung dieser Erwartungen nähern und ein zuverlässiges und klinisch verfügbares Modul für den langstreckigen Ersatz von großen Röhrenknochen darstellen. Die eigenen experimentellen Untersuchungen zur Fibulaexpansion sind vielversprechend [50]. Dies könnte ein neuer zeitsparender Ansatz zur Rekonstruktion großer Knochendefekte sein.

Fazit für die Praxis

  • Die Rekonstruktion von großen Segmentdefekten an langen Röhrenknochen stellt bis heute eine große Herausforderung in der rekonstruktiven Chirurgie dar.

  • Für die Wiederherstellung des Röhrenknochens an der unteren Extremität ist die Kallusdistraktion das Verfahren der Wahl, da im Ergebnis ein belastbarer Röhrenknochen aus körpereigenem Gewebe resultiert.

  • Der freie vaskularisierte Fibulatransfer besticht durch den eleganten Ersatz des fehlenden Röhrenknochens in relativ kurzer Zeit.

  • Nachteilig ist bei beiden Verfahren das lange Zeitintervall bis zur stabilen Belastungsfähigkeit, welche die zusätzliche Stabilisierung mit verschiedenen Osteosyntheseverfahren erfordert.

  • Auch die Kombination mit angelagertem autologem Knochen, Knochenersatzmaterialien und Knochenwachstumsfaktoren konnte bislang nicht zur Etablierung dieses Verfahrens als Therapiestandard beitragen.

  • Daher erscheint die Kombination bewährter Verfahren für den Segmenttransport und Fibulatransfer eine Möglichkeit zu sein, im klinischen Einsatz die Zeitdauer der Behandlung auf einen überschaubaren Zeitrahmen verkürzen, die Komplikationen reduzieren und den Patientenkomfort verbessern zu können.

  • Die bisherigen experimentellen Untersuchungen zur Knochenexpansion sind vielversprechend, jedoch sind noch weiterführende Untersuchungen bis zur klinischen Anwendung des Verfahrens notwendig.