Am 01.01.2014 kam es bezüglich der neuen Heilverfahren der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) zu einer entscheidenden Veränderung: Das neu eingeführte Schwerstverletztenartenverfahren (SAV) trat in Kraft, d. h. für zum Verletzungsartenverfahren (VAV) zugelassene Krankenhäuser besteht eine Verlegungspflicht für Patienten mit Verletzungen aus dem Verletzungsartenkatalog, die unter Schwerstverletzungen fallen (im derzeit gültigen VAV-Katalog fett gedruckt). Dies trifft für alle Häuser zu, auch wenn ein Antrag auf die Beteiligung am SAV gestellt wurde, der noch nicht abschließend überprüft ist. Bis Ende April 2014 sollen alle vorliegenden Anträge abschließend abgehandelt sein.

Entwicklung und Ursprung der neuen Heilverfahren

Aus den Statistiken der DGUV geht hervor, dass sich die Zahl der meldepflichtigen Unfälle bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften in den letzten 20 Jahren halbierte, die der Unfallkassen der öffentlichen Hand jedoch in etwa unverändert blieb. Dagegen fand sich bezüglich der Entschädigungsleistungen im gleichen Zeitraum ungefähr eine Verdoppelung, von 4,5 auf etwa 9 Mrd. (Abb. 1, Abb. 2).

Eine Analyse dieser Zahlen ergab, dass wenige, besonders schwere Verletzungen sehr hohe Entschädigungsleistungen nach sich ziehen, einschließlich hoher Behandlungs- und Rehabilitationskosten. Für diese Fälle führte die DGUV das SAV ein: Sie sollen in hochspezialisierten Unfallkliniken mit besonderen Vorhaltungen an Diagnostik, Personal, Interdisziplinarität und damit besten Therapiemöglichkeiten aller an der Unfallbehandlung beteiligter Spezialisten konzentriert werden. Denn nur die bestmögliche Therapie und Rehabilitation können niedrige Folgekosten ermöglichen.

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Arbeits- und Schulunfälle seit 1986. (Aus [1, 3], mit freundl. Genehmigung)

Abb. 2
figure 2

Entwicklung der Entschädigungsleistungen der DGUV über fast 30 Jahre. (Aus [2], mit freundl. Genehmigung)

TraumaNetzwerk DGU® (DGU: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie)

Den jetzigen Bestrebungen und Umsetzungen der DGUV vorausgegangen war seit etwa 2005 die Entwicklung des TraumaNetzwerk DGU® mit seiner dreigliedrigen Konstellation der lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren, die nach ähnlichen Qualifikationsmerkmalen zertifiziert wurden und seit Jahren ein erfolgreiches Modell vorgeben. Die Ziele der DGU sind der Erhalt und die Verbesserung der flächendeckenden Versorgungsqualität von Schwerverletzten sowie die Steigerung der Effizienz durch Nutzung vorhandener Ressourcen durch die Bildung von lokalen, regionalen und überregionalen Traumazentren. Die Ziele sind also vergleichbar. Es war aus diesem Grund naheliegend, das entsprechende Grundmodell zu übernehmen und für die speziellen Anforderungen der DGUV abzuwandeln.

Zusammenschluss von Gesellschaften/Weiterbildung/Übergangsregelungen

Im oben genannten Zeitraum kam es auch zum Zusammenschluss der wissenschaftlichen Gesellschaften DGU und DGOOC (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie) zur DGOU (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie) im Jahr 2007 und zur Etablierung der Weiterbildung des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie nach der MWBO (Musterweiterbildungsordnung) von 2003. Auf der Basis dieser neuen Facharztqualifikation wurde in den Gremien der wissenschaftlichen Gesellschaften in Abstimmung mit Vertretern der DGUV und der Berufsverbände [BVOU (Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V.), BDD (Berufsverband der Durchgangsärzte)] in der Übergangsphase (Union DGOOC und DGU) ein tragfähiger Konsens für die notwendigen Weiterbildungsqualifikationen zum ambulant tätigen D-Arzt (Durchgangsarzt) mit und ohne operative Tätigkeit und den stationär tätigen D-Ärzten im DAV- (Durchgangsarztverfahren), im VAV- und im SAV-Krankenhaus gefunden.

Anhand der Behandlungszahlen wurde das Fortbestehen des H-Arztes (am Heilverfahren beteiligter Arzt) nicht mehr als notwendig angesehen. Für die bisher als H-Arzt tätigen Kollegen wurde ab 01.01.2011 ein Überleitungsverfahren zur Qualifikation als D-Arzt ohne operative Tätigkeit eingerichtet, welches sächliche und personelle Anforderungen sowie die Behandlungszahl von 250 Neufällen in einem Jahr oder gemittelt über 3 Jahre an einem Praxisort voraussetzt. Die diesbezügliche Antragstellung ist bis Ende 2014 befristet. Das H-Arzt-Verfahren läuft Ende 2015 aus.

Änderungen im neuen Heilverfahren

Aus obiger Regelung leiteten sich folgende Änderungen ab:

Durchgangsarzt

Er kann jetzt mit dem neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie schon nach 7 und nicht wie bisher mindestens 8 Weiterbildungsjahren tätig werden, der operativ tätige D-Arzt nach 9 Jahren, wenn er die Spezielle Unfallchirurgie abgeschlossen hat und 3 Jahre lang in einem VAV-Haus tätig war. Dies gilt auch für den jetzt im DAV-Krankenhaus organisatorisch selbstständig tätigen speziellen Unfallchirurgen als Voraussetzung.

Für das VAV muss der D-Arzt weitere 3 Jahre zusätzliche Erfahrung in einer VAV-Klinik erworben haben. Für den im SAV beteiligten D-Arzt sind zusätzliche Qualifikationen in der Kindertraumatologie nach einem speziellen Katalog gefordert.

Dreistufiges Heilverfahren

Wie aus den neuen D-Arzt-Anforderungen ersichtlich nehmen die neuen stationären Heilverfahren die oben angeführten Entwicklungen im Vorfeld der wissenschaftlichen Gesellschaften als Grundlage für die Versorgung ihrer Versicherten in einem 3-stufigen stationären Heilverfahren. Sie fordern zusätzlich qualitätssichernde Maßnahmen und Nachweise. Ausgehend von einer geforderten Fallzahl von 75 Schwerverletzten pro Jahr nach dem VAV-Katalog ist von einer ausreichenden Erfahrung und Übungshaltung seitens der DGUV die Mindestmenge festgelegt. Bis dato besteht noch Bestandsschutz für die VAV-Häuser, dieser aber läuft bei Neubesetzung des D-Arztes oder spätestens Ende 2018 aus. Dann werden die Anforderungen neu überprüft. Trotz dieser Übergangszeit ist anhand der jetzt vorliegenden Zahlen mit einer Reduktion der VAV-Häuser um mehr als die Hälfte zu rechnen.

Die neu installierten SAV-Häuser müssen noch höhere Anforderungen erfüllen als die überregionalen Traumazentren im TraumaNetzwerk DGU®. So wird beispielsweise die Existenz einer neurochirurgischen Abteilung mit 24-h-Präsenz eines Arztes in der Klinik gefordert. Dies bedeutet für nicht wenige Kliniken ein Problem. Die Anforderungen können auf der Homepage der DGUV detailliert nachgelesen werden.

Zulassungsverfahren

Bei der Überprüfung der Anforderungen in den Kliniken, die sich um das VAV bzw. SAV bewarben, wurden auch für jetzt bereits beteiligte Kliniken Auflagen von der Prüfungskommission vergeben, die bis zur nächsten Überprüfung im Jahr 2019 erfüllt sein müssen.

Von der DGUV wird angegeben, dass alle Kliniken, die die Anforderungen erfüllen, zugelassen werden müssen, unabhängig von allen anderen Voraussetzungen.

In NRW (Nordrhein-Westfalen) sind die Zulassungsverfahren noch nicht alle abgeschlossen, sodass sich auch die Universitätskliniken in Köln, Bonn, Aachen und Düsseldorf noch in einem schwebenden Verfahren befinden. Die Ursachen hierfür sind unterschiedlich, organisatorische Selbstständigkeit und Unabhängigkeit sind eine wesentliche Bedingung. Diesbezüglich ist die Entwicklung abzuwarten.

Verlegungspflicht

Die Verlegungspflichten der DAV-Krankenhäuser in VAV- oder SAV-Kliniken und der VAV-Häuser in SAV-Kliniken sind nach dem Verletzungsartenkatalog (Homepage des BDD: http://www.bv-d-arzt.de) festgelegt. Von der DGUV werden Sanktionen bei Übergehen dieser Vorgaben vorgehalten, z. B. die Zurückweisung von Erlösanforderungen.

Derzeit müssen alle erstversorgenden Kliniken nach dem Verletzungsartenkatalog nach sichergestellter Transportfähigkeit verlegen, auch wenn das Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Diese Tatsache kann zu schwer nachvollziehbaren Situationen führen. Allerdings ist die Notfallversorgung zum Erhalt der lebenswichtigen Funktionen auch weiterhin bei entsprechender Kompetenz in jedem Krankenhaus möglich (Schädel-Hirn-Trauma, Bauch- oder Thoraxtrauma).

Das neue Verletzungsartenverfahren erlaubt den D-Häusern im Katalog durchaus auch die Primärversorgung von offenen Frakturen oder schweren Dislokationen von Brüchen und deren Erststabilisierung z. B. mit Fixateur externe, verlangt dann aber die Verlegung nach Katalog.

Fortbildungspflicht

Neu in den Verfahren ist für alle Beteiligten die kontinuierliche Fortbildung mit Nachweis des Besuchs zweier UMED (Unfallmedizinische Tagung), einer Fortbildung in Gutachtertätigkeit, einer Fortbildung in Rehabilitationsmedizin und -management sowie einer Fortbildung in Kindertraumatologie innerhalb von 5 Jahren, die jeweils von der DGUV anerkannt sein müssen.

Ausblick

Es stellt sich die Frage, was man von diesen Regelungen für die Entwicklung der Krankenhäuser, die mit der DGUV vertraglich verbunden sind, erwarten kann.

Der Aufwand an struktureller und personeller Vorhaltung ist jetzt bereits gestiegen, ohne dass eine Erlösverbesserung für die Krankenhäuser vorgesehen ist. Deshalb wurde bereits in einigen Kliniken entschieden, diese Anforderungen in Zukunft nicht mehr vorzuhalten und sich mehr dem elektiven Versorgungsbereich zuzuwenden. Das ist verständlich und führt zu einer Konzentration derjenigen Krankenhäuser, in denen man sich für Unfallversorgung einsetzt und hierin eine Zukunft gesehen wird. Vor allem in Ballungsgebieten und städtischen Regionen werden sich Akutkliniken herauskristallisieren, aber auch elektiv orientierte Häuser der Versorgung verloren gehen. Auf dem Land lohnt sich eine Beteiligung wegen der hohen Vorhaltekosten und geringen Fallzahl kaum noch. Die erwünschte flächendeckende, qualitativ hochwertige Versorgung ist somit in Frage gestellt.

Zur Sicherung kurzer Rettungs-und Transportzeiten müssen Netzwerke wie im TraumaNetzwerk DGU® genutzt werden. Aber es müssen auch finanzielle Anreize geschaffen werden, um die notwendige Verletzungskette auch dort zu sichern, wo Ausnahmen notwendig werden. Bisher ist dies von der DGUV zugesagt.

An manchen Kliniken führten die hohen Anforderungen zweifelsohne auch tatsächlich zu Verbesserungen für die Versorgung schwer- und schwerstverletzter Patienten. Das stärkt auch die Position der an der Akutversorgung beteiligten Ärzte, führt aber zu keiner Verbesserung der Finanzierung.

Die Zusammenarbeit auf klinischer und ambulanter Ebene muss optimiert werden. Das ist auch eine Anforderung der neuen Heilverfahren, in denen die Rehabilitation sektorenübergreifend auf eine neue Ebene gestellt wurde. Regelmäßiger Austausch und Beratungen werden hoffentlich zu neuen Formen der (erlösunterstützten) Kommunikation führen. Nicht nur hierfür wird sich unser Verband einsetzen.