Verletzungen des Fußes – ob operativ oder konservativ behandelt – haben für den Patienten oft einen langwierigen Heilungsverlauf zur Folge, und es dauert mehrere Wochen oder Monate, bis dieser seine gewohnten Tätigkeiten wieder in vollem Umfang aufnehmen kann. In dieser Rehabilitationsphase bestehen – abhängig vom Ausmaß der Verletzung – mehr oder minder ausgeprägte funktionelle Einschränkungen am Fuß, Sprunggelenk und in der gesamten betroffenen unteren Extremität bzw. Auswirkungen auf den gesamten Bewegungsapparat. Dies muss in der Therapie berücksichtigt werden.

Ziele der Physiotherapie

Die Therapie versteht sich als ein Prozess, der die Genesung des Patienten und die Verbesserung (Restitutio ad optimum) oder Wiederherstellung (Restitutio ad integrum) seiner Wahrnehmungs-, Handlungs- und Leistungsfähigkeit in Alltag, Beruf und Freizeit bezweckt.

Jede therapeutische Maßnahme basiert auf einer Indikation und im Mittelpunkt jeder dieser therapeutischen Schritte muss der Patient stehen, der weit mehr ist als eine verletzte bzw. erkrankte Struktur. Folglich muss die Therapie neben den physischen und indikationsspezifischen auch die psychischen und psychosozialen Aspekte des Patienten einbeziehen, um für ihn langfristige und umfassende positive Veränderungen zu erreichen. Im Idealfall stimmen die Ziele des Patienten mit den therapeutischen Zielen überein!

Diagnostik – Funktion intakt („functioning“) vs. Unfähigkeit („disability“)

Es finden eine ICF-orientierte (ICF: „international classification of functioning, disability and health“) Anamnese und Befundung von sowohl der Struktur und Funktion als auch der Aktivität und Partizipation mit Evaluierung des Fortschritts in regelmäßigen Zeitabständen statt. Sie bilden die Basis der physiotherapeutischen Arbeit und sind für die ganzheitliche Behandlung des Patienten und die Berücksichtigung seiner Bedürfnisse unverzichtbar.

Beim ICF handelt es sich um einen 2001 von der WHO („World Health Organization“) veröffentlichten Katalog, in welchem die einzelnen Gesundheitskomponenten in Körperstruktur, Körperfunktion, Aktivität und Partizipation (Teilhabe) sowie umwelt- und personenbezogene Faktoren unterschieden werden (Infobox 1). Alle diese gesammelten Informationen dienen dem Rehabilitationsteam zur Feststellung des Rehabilitationspotenzials und der Definition der Rehabilitationsziele. Veränderungen im Behandlungsverlauf werden dokumentiert und in gemeinsamen Teambesprechungen, in welchen Vertreter verschiedener Berufsgruppen anwesend sind, evaluiert. Somit ist sichergestellt, dass der Patient entsprechend seiner jeweils aktuellen Konstitution bzw. bedürfnisgerecht behandelt wird.

Frühfunktionelle Mobilisation

Ein Ziel der Physiotherapie ist die frühfunktionelle Mobilisation der betroffenen Strukturen unter Berücksichtigung der Wundheilungsphasen.

Belastung und Belastbarkeit

Wichtig ist ein adäquater Belastungsaufbau, um den Heilungsprozess des Gewebes nicht unnötig zu verzögern bzw. zu gefährden, sondern den Aufbau eines neuen, funktionsfähigen Gewebes zu erreichen (Abb. 1). Wenn auf das verletzte Gewebe adäquate Belastungsreize zum richtigen Zeitpunkt gesetzt werden

  • kann eine Narbe zum voll funktionierenden Gewebe ausheilen,

  • wird die Dauer der Entzündung verkürzt,

  • bilden sich keine pathologischen Crosslinks.

Was das im Einzelnen für die verletzten Strukturen wie den Kapsel-, Band- und Sehnenapparat sowie Muskeln, Knochen und neurale Strukturen bedeutet, soll anhand der im Folgenden aufgeführten Beispiele verdeutlicht werden.

Abb. 1
figure 1

Frühfunktionelle Mobilisation

Entzündungsphase, 0. bis 5. Tag

Befunde

Leukozyten und Makrophagen ↑↑, pH-Wert ↑, Bildung von Fibro- und Myofibroblasten

Physiologische Bedeutung

Ziel der Entzündungsphase ist das schnellstmögliche Schließen der Wunde. Da dabei wenig Grundsubstanz produziert wird, ist die Stabilität des Gewebes sehr gering!

Physiotherapeutisches Fazit

  • Bewegung/Belastung im schmerzfreien Bereich bzw. keine bis wenig Bewegung im betroffenen Gelenk durch passives/assistives/aktives Bewegen, heiße Rolle und/oder Funktionsmassage außerhalb des Operationsgebiets sind möglich.

  • Folgen durch die Ruhigstellung, wie die Kontraktur und die allgemeine muskuläre und kardiovaskuläre Dekonditionierung, sind manchmal nicht vermeidbar, sollten aber möglichst minimiert werden.

Proliferationsphase, 6. bis 21. Tag

Befunde

Fast nur noch Fibro- und Myofibroblasten, Bildung von Kollagen Typ III, Kollagensyntheserate ↑↑

Physiologische Bedeutung

Der Aufbau und die Organisation des Gewebes hängen in dieser Phase vom Belastungsreiz ab. Die Grundsubstanzproduktion ist immer noch gering.

Physiotherapeutisches Fazit

Indiziert sind:

  • dosierte physiologische Belastungsreize weiterhin im schmerzfreien Bereich,

  • funktionelles Bewegen mit Druck- und Zugbelastungen sowie

  • Kurzzeiteisanwendungen.

Konsolidierungsphase, 22. bis 60. Tag

Befunde

Weiterhin Synthese von Kollagen Typ III und Umwandlung in Kollagen Typ I

Physiologische Bedeutung

Die Stabilität nimmt zu. Es wird mehr Grundsubstanz synthetisiert. Das kollagene Netzwerk bildet sich aus, die Wunddurchblutung nimmt ab.

Physiotherapeutisches Fazit

s. unten

Organisierungs- und Umbauphase, 61. bis 360. Tag

Befunde

Die Kollagensyntheseleistung bleibt über etwa 4 Monate auf hohem Niveau, und etwa 85% der Kollagen-Typ-III-Bindegewebsfasern werden in Kollagen-Typ-I-Fasern umgewandelt.

Physiotherapeutisches Fazit für den Zeitraum 22. bis 360. Tag

Da die Belastungsfähigkeit des Gewebes steigt, sind physiologische und funktionelle Reize mit höherer Intensität und mehr Widerstand möglich.

Weitere für die Wundheilung wesentliche Faktoren

Neben dem geschilderten Aufbau von Bewegung und Belastung spielen auch noch andere Faktoren für die Wundheilung eine Rolle:

Isometrie

Sie hat einen positiven Einfluss auf die Matrixsynthese, denn durch isometrisches Anspannen wird Druck auf den Gelenkpartner ausgeübt, was die Knorpelernährung beeinflusst (Abb. 2). Matrix besteht aus Kollagenen und elastischen Fasern, Grundsubstanz, Wasser und Verbindungsproteinen.

Abb. 2
figure 2

Isometrische Anspannungsübung

Ernährung

Immunsystem

Compliance des Patienten

Medikation und länger dauernde Ruhigstellung einer Extremität

Sie induzieren eine Reihe von Veränderungen im zentralen Nervensystem (s. unten).

Veränderungen im zentralen Nervensystem bei Patienten ohne neurologische Erkrankungen

In Studien wurden eine Verminderung der motorischen Repräsentanz der Extremität im motorischen Kortex nach Ruhigstellung, eine Reduktion der kortikalen Reizbarkeit und eine verminderte Aktivierbarkeit motorischer Einheiten auch während motorischer Vorstellungen nachgewiesen [3, 5]. Diese Tatsachen sprechen für die neuronale Plastizität des ZNS (zentrales Nervensystem). Hierunter versteht man die Fähigkeit, in Reaktion auf morphologische Veränderungen oder auch veränderte Umgebungsbedingungen modifizierte Organisationsstrukturen zu entwickeln [4]. Das Nervensystem ist praktisch in der Lage, sich situationsabhängig zu verändern bzw. zu adaptieren, mit anderen Worten: Neuroplastizität ermöglicht Lernvorgänge bzw. motorisches Lernen!

Voraussetzungen für motorisches Lernen

Input/Information

Sie sollten variabel, für den Lernenden von Bedeutung und alltagsnah sein. Nach manualtherapeutischer Vorarbeit erfolgt das aktive Training durch den Patienten (Abb. 3). Beim funktionellen Training werden keine einzelnen Muskelgruppen beansprucht, sondern Synergismen, d. h. es werden Funktionen, nicht Muskeln beübt [1].

Abb. 3
figure 3

Fußgewölbeaufbau

Repetition

Es sollte nicht stereotyp geübt werden, d. h. es werden zwar gleiche Bewegungen durchgeführt, jedoch mit unterschiedlichen Ausgangsstellungen, Untergründen und Materialien. Verschiedene Aufgaben- oder Umgebungsbedingungen führen zu Problem lösenden Fähigkeiten, z. B. Gehschule unter Ent-, Teil- oder Vollbelastung, Gehen bzw. Laufen auf dem Laufband, Üben im Gehparcour.

Shaping

Es erfolgen eine systematische Trainingsanpassung und Steigerung bis nah an die Leistungsgrenze [2]. Das Training steigert sich von der selektiven Physiotherapie am Gerät/MTT (medizinische Trainingstherapie), PNF (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) bis hin zu komplexen Bewegungsabläufen.

Zur Ergebnissicherung ist die Gehschule – auch mit Orthesen – indiziert. Dies ist sowohl mit rein mechanischen Orthesen als auch mit Orthesen mit integrierter Elektrostimulation möglich, z. B. zur Behandlung von Fußheberparesen. Sowohl in Einzel- als auch in Gruppentherapien, z. B. Beingruppen, werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Gehschule an der Treppe

Mentales Training

Das Hören einer verbalen Bewegungsanleitung, die Vorstellung oder lediglich die Betrachtung von Bewegung führen zu Veränderungen im neuromuskulären System (zentrale Erregung des motorischen Rindenfeldes im Kortex).

Die Anwendung ist bei einfachen bis komplexen Bewegungsabläufen, als Vorbereitung, in Pausen oder im Anschluss an das Training möglich.

Biomechanik und Ökonomie

Beim Erlernen motorischer Handlungen müssen das Alignment, die Stellung der Gelenke zueinander sowie die Muskellängenverhältnisse beachtet werden (Abb. 5). Bei Patienten ist häufig das biomechanische Alignment zur Durchführung von Bewegungen nicht mehr optimal, z. B. aufgrund von Verkürzungen, Schonhaltung, Paresen oder Tonusveränderungen. Diese biomechanischen Voraussetzungen müssen jedoch erfüllt sein, um motorisches Lernen zu optimieren.

Abb. 5
figure 5

Optimales Alignment

Externer Fokus

Im Vordergrund steht die Konzentration auf den Effekt. Der Patient wird angewiesen, sich auf ein Ziel oder den Bewegungseffekt zu konzentrieren. Hierfür eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten im therapeutischen Klettern oder in der Arbeit mit dem Sling Trainer (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Therapeutisches Klettern und Einsatz des Sling Trainer

Erfolg

Bei erfolgreicher Durchführung der Übung werden die angewendeten Strategien im ZNS gespeichert. Erfolg bedeutet für den Lernprozess eine positive Verstärkung, d. h. Motivation als Voraussetzung für weitere Aufgaben (Abb. 7)!

Abb. 7
figure 7

Slack Line

Pausen!

Sie dienen der Regeneration und auch der Gewinnung neuer Kreativität – alles im Sinne des Leistungszuwachses.

Barfußlaufen

Die Eigenschaft, sich auf 2 Füßen fortzubewegen, hat sich bereits vor Millionen Jahren in der Entwicklung zum moderneren Menschen ausgebildet. Zudem sind die Füße ausgezeichnete Informationssammler. Unzählige Rezeptoren in ihnen senden wertvolle Rückmeldungen über die Bodenbeschaffenheit an das Gehirn – Meldungen, welche für die Sensomotorik wichtig sind! Die Besonderheit der Füße spiegelt sich auch in ihrer speziellen Konstruktion wider. Im Alltag jedoch werden sie oft in Schuhen versteckt – als Folge sind sie häufig vernachlässigt und in ihrer ZNS-Repräsentation sowie ihrer sensorischen Funktionalität geschwächt. Umso wichtiger ist es, dass der Patient mit der Funktion seiner Füße wieder vertraut gemacht wird und ihm bewusst ist, wie er deren Kraft und Beweglichkeit pflegen kann – natürlich auch im Sinne der Verletzungsprophylaxe!

Stimuliert man diese Rezeptoren aktiv, verbessert sich u. a. der Gleichgewichtssinn, der Kreislauf wird angeregt und die Gesundheit der Füße wird generell unterstützt! Der Schwierigkeitsgrad des Sensomotoriktrainings wird in der Therapie bestimmt durch die Größe der Standfläche, die Stabilität der USF (Unterstützungsfläche), die Höhe des KSP (Körperschwerpunkt), die visuelle und sensorische Kontrolle sowie die Anzahl der Aufgaben.

Fivefingers kommen dem Barfußlaufen näher, ersetzen es jedoch nicht!

Prävention/Eigenverantwortung des Patienten

Die Compliance des Patienten ist ein wichtiger Faktor für den Wundheilungsprozess. Es ist in jedem Fall sinnvoll, ihm zu erklären, warum es keinen Sinn macht, zu früh mit hoher Belastung anzufangen. Erst wenn er dies versteht, wird er bereit sein, die Belastung angemessen zu dosieren.

Die Gewebeversorgung ist durch die Entzündung gewährleistet. Eine Entzündung ist physiologisch und für eine optimale Heilung notwendig. Im Therapieverlauf sollten das Bewegungsverhalten im Alltag, die Ernährungssituation, Nebendiagnosen sowie eine evtl. Medikation thematisiert werden, um dem Verständnis einer ganzheitlichen Behandlung gerecht zu werden – denn der Patient steht im Mittelpunkt der Behandlung!