Kindliche Frakturen sind bis heute eine Domäne der konservativen Behandlung. So beschrieb Allgöwer [1] 1973 in seinem Lehrbuch der Chirurgie das Behandlungskonzept bei kindlichen Frakturen in einer kurzen Übersicht von 2 Seiten mit der wesentlichen Aussage, dass in aller Regel eine konservative Therapie möglich sei.

Neue Behandlungsmöglichkeiten und auch geänderte gesellschaftliche Einstellungen schufen Konstellationen, die dazu führten, dass heute Fragestellungen aktuell sind wie

  • Gibt es bei dislozierten Frakturen überhaupt noch eine Indikation zur konservativen Therapie?

Therapieziele und Indikationsstellung

Grundsätzlich änderte sich die Indikation zur Behandlung von Frakturen im Bereich der oberen Extremität in den letzten Jahren schrittweise. So formulierten bereits Weber et al. [10] in ihrem Lehrbuch zur Frakturbehandlung bei Kindern und Jugendlichen im Jahr 1978, dass

“… bei Schaftfrakturen ausnahmsweise operativ vorgegangen wird,

… bei Oberarmschaftfrakturen bei konservativer Behandlung weitgehend problemlos behandelt werden kann,

… bei Unterarmschaftfrakturen meistens konservativ, nur ausnahmsweise eine operative Behandlung gestattet sei.“

Auch die Definition des Behandlungskonzepts bei kindlichen Frakturen wandelte bzw. modifizierte sich. Heute sollten im Wesentlichen die folgenden Richtlinien erfüllt sein:

  • kindgerechtes Behandlungskonzept,

  • Beachtung des Korrekturprotenzials bezüglich

    • Achse und

    • Rotation,

  • Erzielen eines primär definitiven Therapiekonzepts unter Vermeiden von Nachrepositionen.

Gerade letztere Empfehlung der Vermeidung von Nachrepositionen, die nicht zuletzt durch vermehrte Manipulationen auch zu einer Wachstumsstimulation führen können, änderte die Behandlungspfade bei dislozierten Frakturen.

Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Unterschiede bei der Behandlung von Frakturen im Wachstumsalter gegenüber der bei Erwachsenen [8].

  • Der Knochen heilt bei Kindern wesentlich schneller, als bei einem Erwachsenen. Die Immobilisation im Gipsverband hinterlässt normalerweise keinen Schaden (Frakturkrankheit).

  • Das weitere Wachstum kann durch die Verletzung und die Behandlung beeinflusst werden.

  • Es sind Korrekturmechanismen des Wachstums möglich, die es beim Erwachsenen nicht gibt.

Somit kann heute als Therapieziel formuliert werden, dass eine dislozierte Fraktur an der oberen Extremität dann konservativ behandelbar ist, wenn sie nach der Reposition definitiv (ohne weitere Eingriffe) reponierbar ist (innerhalb der akzeptablen Korrekturgrenzen). Die Korrekturgrenzen sind v. a. in der Region der proximalen Oberarm- bzw. distalen Unterarmepiphyse großzügig zu sehen, da diese Wachstumsfugen für 80% des Wachstums verantwortlich sind und somit hier auch ein hohes Korrekturpotenzial besteht. Bei ellenbogennahen Frakturen dagegen ist diese Prognose mit Vorsicht einzuschätzen.

Oberarmfrakturen

Beispielfall 1

Der in Abb. 1 dargestellte Fall eines 10-jährigen Mädchens mit einer subkapitalen Oberarmfraktur rechts zeigt, dass bei konservativer Behandlung nach entsprechender Reposition und Ruhigstellung im vorliegenden Fall (15 Jahre zurückliegend) im Thoraxabduktionsgipsverband ein radiologisch und funktionell gutes Spätergebnis erzielt werden konnte.

Abb. 1
figure 1

a Unfallbild, b Kontrolle im Thoraxabduktionsgipsverband, c Ausheilungsergebnis

Das im Beispielfall (Abb. 1) veranschaulichte konservative Behandlungskonzept ist auch heute gut möglich und durchführbar, wird aber wegen der erforderlichen Ruhigstellungszeit von mindestens 4 Wochen nicht immer akzeptiert, und es wird ein operativer Behandlungsweg gewählt.

Auf der anderen Seite führen v. a. um halbe Schaftbreite versetzte Frakturen (Abb. 2) sicherlich im klinischen Alltag zu einer Befunddiskussion. Das Therapiegespräch muss insbesondere auch mit den Erziehungsberechtigten früh und intensiv geführt werden, um eine Akzeptanz für eine konservative Behandlung zu erreichen. Die passager bei konservativen Behandlungen bestehenden Einschränkungen sind hierbei mit in die Überlegung einzubeziehen.

Abb. 2
figure 2

a,b Unfallbilder, c Verlaufskontrolle mit Kallusbildung und beginnender Korrektur

Die Einführung von wenig belastenden, in der Regel minimalinvasiv durchführbaren Operationsmethoden bei Schaftfrakturen auch an der oberen Extremität führte zu einem Umdenken in der Indikationsentscheidung. Die intramedulläre Markraumschienung [3, 6] setzte sich in wenigen Jahren durch, zumal Sekundärschäden im Bereich der Wachstumsfugen vermieden und eine rasche Übungsstabilität bei einer standardisierten Operationsmethode mit sehr geringer Komplikationsrate erreicht werden kann.

Unterarmfrakturen

Kritischer und strenger sind Fehlstellungen bei dislozierten Unterarmfrakturen zu sehen. Diesbezüglich formulierte bereits Rang [7] 1983, dass eine perfekte Funktion bei Unterarmschaftfrakturen beim Kind nur dann erreicht werden kann, wenn der Bruch in einem perfekten Alignment nach der Reposition steht. Ansonsten sind bei Heilungen in Fehlstellung entsprechende funktionelle Einschränkungen zu erwarten (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

In Fehlstellung konsolidierte komplette Unterarmschaftfraktur

Die Membrana interossea, die als sehniger Bindegewebszug Radius und Ulna verbindet, kann v. a. bei verkürzenden Fehlstellungen nach Ruhigstellung so vernarben, dass trotz adäquater Physiotherapie im Anschluss ein gutes funktionelles Ergebnis nicht mehr zu erreichen ist. Aus diesen Überlegungen heraus ist eine frühfunktionelle Behandlung im Verlauf als wesentlich günstiger anzusehen.

Darüber hinaus ist unter Berücksichtigung dieser Faktoren die Unterarmfraktur im Schaftbereich unter deskriptiv anatomischen Gesichtspunkten zwar als Schaftfraktur anzusehen, unter funktionellen anatomischen Gesichtspunkten handelt es sich jedoch eher um eine Verletzung, die den Kriterien einer Gelenkfraktur entspricht. Somit sollte auch die Therapiewahl nach den gleichen Überlegungen und Prinzipien wie bei Gelenkfrakturen erfolgen.

Gerade die Einführung und Weiterentwicklung der intramedullären Markraumschienung führte auch hier zu einem Paradigmenwechsel in den Behandlungskonzepten. So wird in unserem Zuständigkeitsbereich eine Unterarmfraktur grundsätzlich in Operationsbereitschaft reponiert, sodass, wenn keine stabile Retention nach Reposition erreicht werden kann, in gleicher Narkose die Versorgung mit intramedullären Markraumnägeln erfolgt.

Literaturdaten

Von Laer et al. [2] unterschieden 2007 bei der Indikation zur Behandlung von Frakturen der oberen Extremität auch zwischen Ober- und Unterarmfrakturen. Die Extensionsbehandlung an der oberen Extremität bezeichneten sie heutzutage grundsätzlich als eine Falschbehandlung, und sie empfahlen bei Oberarmschaftfrakturen weiterhin grundsätzlich eine konservative Therapie. Einschränkend führten sie aus, dass in Fällen, in denen sich primär oder sekundär die Indikation zur Reposition in Narkose stellt, eine bewegungsstabile, definitive Versorgung (operativ) anzustreben sei. Für den Unterarm führten sie aus:

“... haben wir angesichts der Komplikationen unsere Taktik und Technik... geändert.“

Ein Repositionsversuch sei nur gerechtfertigt, wenn einer der beiden Knochen stabil sei, bei instabilen Frakturen sahen sie a priori die Indikation zur primären Osteosynthese gegeben.

Laut der Veröffentlichung von Lienhart u. Schneider [4] aus dem Jahr 2010 ist die konservative Behandlung am Oberarm bei unverschobenen Schräg- oder Spiralfrakturen bis zur Korrekturgrenze indiziert. Bei diesen Verletzungen sahen sie nur die relative Indikation zur Operation und zur frühfunktionellen Behandlung. Die klare Indikation zur operativen Behandlung definierten sie bei offenen, instabilen oder nicht retinierbaren Frakturen.

Marzi [5] definierte im gleichen Jahr (2010) beim Unterarm die Therapiegrenzen zur konservativen Behandlung bei einer Achsabweichung von unter 10°. Bei Achsabweichungen über 10°, bei Rotationsfehlern oder auch Verkürzungen sah er die Indikation zur operativen Behandlung gegeben.

Diskussion

Insgesamt ist heute im Gegensatz zur Einschätzung von Allgöwer [1] aus dem Jahr 1973 auch an der oberen Extremität die Frage zu stellen, ob bei kindlichen Frakturen die konservative Behandlung vertretbar ist. Diese ist nach adäquater Diagnostik und Klassifikation [9] bei nicht dislozierten epiphysären Frakturen und bei nach Reposition stabilen meta- und diaphysären Frakturen indiziert (Abb. 4). Zusammenfassend sollte grundsätzlich immer ein primär definitives Therapiekonzept gewählt werden, d. h. Nachrepositionen in Narkose sind zu vermeiden.

Abb. 4
figure 4

Behandlungsalgorithmus bei Frakturen im Wachstumsalter an der oberen Extremität, ap a.-p., CT Computertomographie, diaphys. diaphysär, metaphys. metaphysär, MRT Magnetresonanztomographie

Fazit für die Praxis

Die Frage:

  • Gibt es überhaupt noch eine Indikation zur konservativen Therapie bei dislozierten Frakturen an der oberen Extremität?

kann bejaht werden,

  • aber nur, wenn zeitgemäße Anforderungen an die Behandlungen von Frakturen im Kindesalter auch erfüllt werden können.