Hintergrund

In Deutschland ist eine jährlich zunehmende Zahl primärer Knieendoprothesenimplantationen zu beobachten. Demzufolge steigt auch die Zahl notwendiger Knie-TEP-Revisions- (TEP: Totalendoprothese) und Wechseloperationen, wobei intra- und postoperative Komplikationsraten von bis zu 31,0% angegeben wurden [2, 3, 7, 10, 11].

Periprothetische Femurfrakturen sind sowohl nach Hüft- als auch nach Knie-TEP-Implantation problematisch zu behandeln. Darüber hinaus haben die Patienten, insbesondere nach Knie-TEP-Revisionsoperation, in aller Regel bereits einen langen Leidensweg zu beklagen.

Klassifikation der distalen Femurfrakturen bei einliegender Knieendoprothese

Für die Fraktureinteilung nach Knie-TEP wird derzeit der relativ grobe Score nach Rorabeck u. Taylor ([9], Tab. 1) verwendet, da sich alternative Klassifikationen jeweils auf Oberflächenersatzendoprothesen beziehen und für die Situation nach Revisionsoperation nicht zu verwenden sind [7, 9].

Tab. 1 Klassifikation periprothetischer Frakturen des distalen Femurs bei Knieendoprothese. (Nach [9])

Therapieoptionen

Zur Behandlung periprothetischer Femurfrakturen kommt bei stabiler Prothese meist die Plattenosteosynthese zum Einsatz, ggf. mit additiver Anlage einer Drahtcerclage. Auch die Anlagerung von Allografts wird in Einzelfällen durchgeführt. Beides sind Verfahren, die in aller Regel nur zu einer übungsstabilen Situation führen und keine Primärbelastung erlauben. Dennoch sind hohe Komplikationsraten, in erster Linie eine hohe Pseudarthroserate, beschrieben. Bei gelockerter Endoprothese ist der Prothesenwechsel indiziert [1, 4, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15].

Das Operationsverfahren der In-situ-Kopplung der einliegenden Hüft- oder Kniegelenkendoprothese mit einem intramedullären Kraftträger stellt eine weitere Behandlungsalternative dar und kann in geeigneten Fällen durch Verlängerung der Prothese zu einer primären Belastungsstabilität in Verbindung mit einer zuverlässigen kallösen Frakturheilung führen [5, 6, 13, 14]. Hierzu sind eine exakte präoperative Planung mit Größenbestimmung des Prothesenstiels, der Länge und des Durchmessers des Schaftfragments sowie die individuelle Herstellung eines Sonderimplantats erforderlich.

Fall und Methode

Es wird über einen 59-jährigen Patienten berichtet, der nach berufsgenossenschaftlich versichertem Unfallereignis eine Kreuzbandruptur erlitten und in der Folge eine posttraumatische Arthrose entwickelt hatte. Es folgte die Implantation eine Knie-TEP, welche aufgrund eines Infekts mehrfach revidiert wurde, einschließlich TEP-Ausbau und sekundärer Implantation einer Revisions-TEP. Im Rahmen der BGSW (berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung) stürzte der Mann während der Physiotherapie und zog sich eine periprothetische Femurfraktur zu (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Periprothetische Femurschaftfraktur nach Revisionsknieendoprothetik, Typ 2 nach Rorabeck u. Taylor [9]

Nach radiologischer Diagnostik wurden die exakten Längen und Durchmesser mittels CT-Untersuchung (CT: Computertomographie) bestimmt (Abb. 2). Auf Basis dieser Daten wurde ein geschlitzter Hohlnagel mit Verriegelungsmöglichkeit der entsprechenden Länge (2–3 cm Überlappung mit dem Prothesenstiel) und passendem Innendurchmesser (entsprechend dem Durchmesser des Prothesenstiels nach 2 cm) angefertigt (Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

Bestimmung der Fraktur- und Prothesendimensionen mittels Computertomogramm: Länge des proximalen Fragments, des Markraum- und Prothesendurchmessers

Abb. 3
figure 3

Technische Zeichnung zur Herstellung des Sonderimplantats

Am 5. Tag nach dem Trauma erfolgte die operative Versorgung durch offene Freilegung der Fraktur, Abstrichentnahme, Befreiung des Prothesenstiels auf einer Strecke von etwa 4 cm von Knochenzement, offenem Aufbohren des Schaftfragments und Einbringen des geschlitzten Hohlnagels. Dieser wurde unter Sicht- und radiologischer Kontrolle dem Prothesenstiel übergestülpt und mittels wohldosierter Hammerschläge stabil mit der Prothese verklemmt (Abb. 4). Nach proximaler Verriegelung über das Zielgerät wurde der Eingriff mit dem schichtweisen Wundverschluss beendet.

Abb. 4
figure 4

Intraoperative Bildwandlerdarstellung des Dockingmanövers

Postoperativ wurde der Unfallverletzte unter schmerzadaptierter Belastungssteigerung bis zur Vollbelastung mobilisiert. Bei regelrechtem klinischem Verlauf zeigten die radiologischen Kontrollen eine deutliche Kallusbildung mit knöcherner Konsolidierung nach 12 Wochen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Knöcherne Konsolidierung der Fraktur

Diskussion

Die Behandlung periprothetischer Femurfrakturen nach Kniegelenkendoprothese ist ausgesprochen problematisch und komplikationsträchtig [3, 7, 10, 12]. Die klassischen Prinzipien der Verriegelungsnagelosteosynthese, die nach Oberflächenersatz in der Regel angewendet werden, können nach Revisionsendoprothetik bzw. bei achsgekoppelter Prothese mit intramedullärer Verankerung nicht eingesetzt werden. Bei der Stabilisierung mittels Plattenosteosynthese ist die sichere Fixierung des verwendeten Implantats am distalen Fragment problematisch. Des Weiteren wird aufgrund der biomechanischen Nachteile der extramedullären Implantatlage lediglich Übungsstabilität erreicht.

Das Operationsverfahren der In-situ-Verlängerung der einliegenden Prothese kombiniert den Vorteil der stabilen intramedullären Osteosynthese mit dem Erhalt der intakten TEP. Der operative Eingriff ist im Vergleich zum Prothesenwechsel weniger belastend, die erreichte Stabilität ist aus der klinischen Erfahrung der einer Plattenosteosynthese deutlich überlegen.

Trotz der Kompromittierung der Durchblutung des Knochens (offenes Operationsverfahren bei bereits beeinträchtigter intramedullärer Zirkulation) wird regelmäßig eine zeitgerechte kallöse Konsolidierung der Fraktur erreicht [5, 6, 13, 14].

Die Indikation zur In-situ-Verlängerung einer Endoprothese wird unter folgenden strengen Kriterien gestellt [5, 6]:

  • Frakturen des Typs 1 oder 2 der Rorabeck-Klassifikation [9], d. h. stabile Prothese,

  • geeignete Dimensionen des proximalen Femurfragments zur Aufnahme eines passenden großvolumigen Nagels (ausreichender Markraumdurchmesser) sowie des Prothesendurchmessers,

  • konisch zulaufende Spitze des einliegenden Prothesenschafts, die das Aufstülpen eines kurzen geschlitzten Verriegelungsnagels erlaubt (exakte präoperative Planung mittels CT bzw. Überprüfung am identischen Prothesenmodell),

  • Ausschluss einer Prothesenlockerung oder fortbestehenden Protheseninfektion sowie einer symptomatischen Koxarthrose,

  • ausführliche präoperative Aufklärung über die Behandlungsmethode, die ein vom Standard der operativen Versorgung abweichendes Verfahren darstellt, einschließlich des Einsatzes eines sog. Custom-Made-Implantats.

Fazit für die Praxis

Die In-situ-Verlängerung der einliegenden Endoprothese mittels sonderangefertigem Marknagel stellt unter Berücksichtigung der Indikationskriterien eine wertvolle Behandlungsoption dar.