Frakturen und Luxationen der oberen Extremität stellen im Kindesalter ein Problemfeld dar, das durch ein hohes Potenzial möglicher Behandlungsfehler gekennzeichnet ist. In der norddeutschen Schlichtungsstelle wurden in einem 11-Jahres-Zeitraum in 173 Fällen Behandlungen entsprechender Verletzungen bei Kindern im Alter unter 15 Jahren beanstandet. In 110 Fällen (63,6%) bestätigte die Schlichtungsstelle Fehler in der Diagnostik und Therapie. Schwerpunkte lagen bei suprakondylären Humerusfrakturen und bei Verletzungen mit Ellenbogengelenkbeteiligung.

Schlichtungsstelle Hannover, Zeitraum 2000–2010

Vorgestellte Fälle

In den Jahren von 2000–2010 wurden durch die Schlichtungsstelle der 9 norddeutschen Ärztekammern in Hannover 260 beanstandete Behandlungen kindlicher Frakturen und Luxationen bearbeitet. 173 (67%) betrafen die obere Extremität, was in etwa der epidemiologischen Häufigkeit (74%) [2] entspricht. Alle Patienten hatten das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet.

Die Bearbeitung durch die Schlichtungsstelle erfolgte in Zusammenarbeit eines kindertraumatologisch erfahrenen ärztlichen Mitarbeiters mit einem Juristen und in der Regel einem zusätzlichen externen ärztlichen Fachgutachter.

In 110 Fällen (63,6%) stellte die Schlichtungsstelle ärztliche Behandlungsfehler fest. Das entspricht einer mehr als doppelt so hohen Fehlerquote als der aller durch die Norddeutsche Schlichtungsstelle bearbeiteten jährlich mehr als 4000 Fälle, bei welchen die Quote etwa 30% beträgt. Die Erhebung gestattet wegen der spezifischen Auswahl der Fälle (die Beanstandungen erfolgten durch Patienten/Eltern) keinen Vergleich mit klinischen Studien.

Ergebnisse

Tab. 1 zeigt die prozentuale Aufteilung der beanstandeten Behandlungen auf die verschiedenen Bereiche des kindlichen Armes im Vergleich zur epidemiologischen Häufigkeit der entsprechenden Verletzungen in der untersuchten Altersgruppe [2]. Auffallend ist die überproportionale Beteiligung von suprakondylären Humerusfrakturen und von Verletzungen mit Beteiligung des Ellenbogengelenks an den Schlichtungsverfahren (Abb. 1). Sie weist darauf hin, dass es sich bei kindlichen Verletzungen rund um das Ellenbogengelenk um Problemverletzungen handelt, bei denen das Behandlungsergebnis oft nicht den Erwartungen der Beteiligten entspricht. Auch aus einer Auflistung aller beanstandeter Behandlungen von Frakturen und Luxationen im Kindesalter ist die ausgeprägte Bedeutung dieser Verletzungen der oberen Extremität ersichtlich Tab. 2.

Tab. 1 Lokalisation der beanstandeten Behandlungen – Vergleich zur epidemiologischen Häufigkeit
Abb. 1
figure 1

Häufigkeit von suprakondylären Frakturen (SHF) und von Verletzungen mit Ellenbogengelenkbeteiligung – beanstandete (beanst.) Behandlungen vs. epidemiologisches (epidem.) Auftreten in Prozent kindlicher Armfrakturen

Tab. 2 Häufigste Schlichtungsverfahren bei 260 kindlichen Frakturen und Luxationen

Nach Prüfung der Beanstandungen wurden durch die Norddeutsche Schlichtungsstelle 110 von 173 (63,6%) Behandlungen von kindlichen Frakturen und Luxationen der oberen Extremität als fehlerhaft bewertet. Im Vergleich zur Gesamtanerkennungsquote (etwa 30%) scheinen Fehler bei Behandlungen kindlicher Armfrakturen deutlich häufiger zu sein, auch wenn eine besondere Sensibilität der Eltern betroffener Kinder mit zweifelsfrei besonders komplikationsgefährdeten Ellenbogenverletzungen im Wachstumsalter in Rechnung gestellt werden muss. Eine Analyse der von der Schlichtungsstelle gerügten Behandlungsfehler ist auf jeden Fall sinnvoll – v. a. zur künftigen Vermeidung entsprechender Fehler.

Auswertung

Die Analyse der 173 beanstandeten Behandlungen und der 110 anerkannten Fehlbehandlungen zeigte bezogen auf die Lokalisation der Verletzung an der oberen Extremität ein differenziertes Bild (Tab. 3). Während sich bei langen Schaftfrakturen (Ober- bzw. Unterarm) die Quote anerkannter Fehlbehandlungen in Grenzen hielt, waren die gelenknahen Verletzungen besonders fehlerbelastet. Am höchsten lag die Fehlerquote mit 79% bei Frakturen und Luxationen mit Ellenbogengelenkbeteiligung.

Tab. 3 Bestätigte Behandlungsfehler kindlicher Armfrakturen

Frakturen im Kindesalter werden durch Vertreter unterschiedlicher Fachgebiete versorgt. Wie aus Tab. 4 hevorgeht, war die Quote der anerkannten Behandlungsfehler der 173 von der Schlichtungsstelle bearbeiteten Armfrakturen und -luxationen bei den einzelnen Fachgebieten nicht wesentlich unterschiedlich.

Tab. 4 An der Behandlung der geschlichteten Armverletzungen beteiligte Fachgebiete

Wie im Folgenden dargestellt, fand sich bezogen auf die bestätigten Behandlungsfehler und die Folgen für die betroffenen Kinder ein differenziertes Fehlermuster.

Humerusfrakturen (Kopf, Schaft)

Fehlerschwerpunkte waren unterlassene Röntgenaufnahmen beim Vorliegen eines adäquaten Traumas mit Frakturverdacht, ebenso nicht fachgerecht angefertigte Röntgenaufnahmen, z. B. Aufnahmen nicht in 2 korrekt rechtwinklig aufeinander stehenden Ebenen oder fehlerhaft beurteilte Röntgenbilder.

Als Folgen wurden unnötige Schmerzen, verlängert anhaltende Funktionseinschränkungen, unberechtigte und mit Schmerzen verbundene Physiotherapieanwendungen und unberechtigte Immobilisierungen anerkannt.

Suprakondyläre Humerusfrakturen

Als fehlerhaft eingestuft wurden 11-mal Behandlungen, bei denen nach Reposition der Fraktur Retentionen in nicht tolerabler Stellung durchgeführt worden waren. Diese waren zudem oft mit deutlichen Torsionsfehlern erfolgt, sodass Varus- und Valgusdeformitäten resultierten und zu Korrekturoperationen führten.

Eine Ausheilung in Fehlstellung hatten 3 unterlassene Repositionen bei Extensionsfrakturen mit deutlicher Reduzierung des Diaphysen-Epiphysen-Winkels zur Folge, die, wiederum fehlerhaft, durch Physiotherapie zu beseitigen versucht wurden. Die Folge waren unnötige Schmerzen und Funktionseinschränkungen.

In weiteren 4 Fällen hatte eine instabile ulnare Osteosynthese (Trümmerfraktur des ulnaren Pfeilers!) zum sekundären Rotationsfehler mit Varusdeformität geführt.

Als besonders gravierend waren 3 Volkmann-Kontrakturen zu bewerten, die jeweils durch Verkennung klinischer Symptome und unterlassenes rechtzeitiges Handeln zustande kamen und schwerwiegende Folgen für die betroffenen Patienten hatten.

Nervenläsionen im Zusammenhang mit suprakondylären Frakturen waren in 10 Fällen Anlass zur Beanstandung, aber alle wurden von der Schlichtungsstelle nicht als Behandlungsfehler bewertet. Sie waren nicht eindeutig auf die Behandlungsmaßnahmen zurückzuführen, oder es war unklar, ob sie nicht bereits unfallbedingt vor Beginn des ärztlichen Eingreifens bestanden hatten. Die meisten Nervenläsionen bildeten sich spontan zurück.

Frakturen und Luxationen mit Beteiligung des Ellenbogengelenks

In dieser Gruppe lag die von der Schlichtungsstelle ermittelte Fehlerquote mit 79% bei 53 beanstandeten Behandlungen am höchsten [3]. Tab. 5 zeigt die Verteilung der verschiedenen Verletzungsformen. Transkondyläre Frakturen und Monteggia-Läsionen stehen zahlenmäßig und bezüglich der Fehlerquote im Vordergrund.

Tab. 5 Beanstandete Behandlungen und bestätigte Behandlungsfehler bei Ellenbogenverletzungena

Condylus-radialis-Frakturen wurden röntgenologisch nicht erkannt oder es wurden Kontrollen bei instabilen Frakturformen versäumt. Die Folgen waren Pseudarthrosen und Valgusdeformitäten mit progressiver Zerstörung kongruenter Gelenkflächen und zunehmenden Funktionseinschränkungen.

Überraschend war die hohe Zahl (n =17) meist übersehener oder falsch behandelter Radiusluxationen bei Verletzungen aus dem Monteggia-Formenkreis, obwohl immer wieder auf diese Kadiläsion [1] hingewiesen wird. Wenn keine rechtzeitige Diagnose und Korrektur der Luxation erfolgen, ist eine zunehmende Valgusdeformität mit Gelenkzerstörung und progressiver Funktionseinschränkung die Folge. Im Einzelfall zu entscheiden ist, bis zu welchem Zeitpunkt nach einer nicht erkannten und behandelten Radiusluxation ein operativer Korrekturversuch angezeigt ist oder ob dieser bei fortgeschrittener Gelenkdestruktion und nicht mehr zu erwartender Funktionsverbesserung kontraindiziert ist.

Bei Ellenbogenluxationen kann das Übersehen einer simultanen Fraktur des Epicondylus ulnaris mit Dislokation in das Gelenk hinein zu schwerwiegenden Funktionseinschränkungen führen. Bei diesen Verletzungen muss daher nach dem Epicondylus ulnaris gesucht werden, wenn dessen Apophyse auf dem Röntgenbild fehlt.

Eine partielle oder totale Nekrose des Radiusköpfchens nach stark dislozierten und operativ geschlossen oder auch offen reponierten und retinierten Frakturen ist nicht per se als Behandlungsfehlerfolge zu werten, weil sie auch durch eine unfallbedingte Unterbrechung der Gefäßversorgung des Köpfchens verursacht sein kann.

Bei den Behandlungsfehlern von Olekranonfrakturen handelte es sich jeweils um röntgenologisch dokumentierte, aber übersehene und damit verspätet behandelte apophysäre Ausrisse der Trizepssehne.

Eine temporäre axiale Kirschner-Draht-Arthrodese nach der Reposition von Radiusköpfchen- bzw. -halsfrakturen mit typischem nachfolgendem Drahtbruch und entsprechenden Folgen wurde stets als Behandlungsfehler aufgrund der Anwendung eines obsoleten Therapieverfahrens bewertet.

Frakturen der Unterarmknochen

Bei 50 beanstandeten Behandlungen wurden durch die Schlichtungsstelle 28-mal (56%) Fehler in der Diagnostik und Therapie festgestellt. Meist handelte es sich um unterlassene Röntgenkontrollen konservativ behandelter instabiler und redislozierter Brüche, auch um unterlassene Korrekturen von Frakturen mit Achsenfehlstellungen – in der unberechtigten Erwartung einer spontanen Wachstumskorrektur. Bei Grünholzfrakturen waren sich progressiv entwickelnde Sekundärdislokationen aufgrund der Unterlassung der Brechung der Gegenkortikalis im Rahmen der Frakturreposition zu beanstanden.

Handwurzelfrakturen

Unterlassene Röntgenuntersuchungen primär oder sekundär bei fortbestehender klinischer Symptomatik mussten bei Handwurzelfrakturen (Os scaphoideum) mit typischem Unfallmechanismus in 2 Fällen als fehlerhaft bewertet werden.

Mittelhand- und Fingerfrakturen

Zu beanstanden waren unterlassene Achsenkorrekturen bei Fehlstellungen in der Frontalebene.