Zusammenfassung
Luxationen und Luxationsfrakturen des Ellenbogengelenks stellen nach denjenigen des Schultergelenks die zweithäufigste Verrenkung großer Gelenke dar. Im klinischen Erscheinungsbild finden sich typische wiederkehrende Verletzungsmuster, welche die therapeutischen Konsequenzen bestimmen. Knöcherne Begleitverletzungen bedeuten im Rahmen von osteoligamentären Kombinationsverletzungen eine ernste Prognose und dürfen bei der Diagnostik keinesfalls als isolierte Verletzung fehlgedeutet werden. Die überwiegende Zahl der Ellenbogenluxationen erweist sich jedoch als eine einfache Verletzung, welche nach Reposition meist konservativ behandelt werden kann. Hierbei ist die Ruhigstellung des Ellenbogens auf ein Minimum zu begrenzen. Komplexere Verletzungen ohne stabilen Bogen nach Reposition bedürfen einer differenzierten operativen Therapie. Die therapeutischen Eckpfeiler stellen dabei die Wiederherstellung der knöchernen Stabilisatoren sowie die Refixation der verletzten Kollateralbänder dar.
Abstract
The elbow joint is the second most commonly dislocated joint in adults. Dislocations and fracture-dislocations with their typical injury patterns substantially determine therapeutic consequences. Osteoligamentous combination injuries have a poor prognosis if the corresponding injury patterns are not adequately recognized and addressed. Standardized diagnostic algorithms help to avoid misinterpretations regarding the severity of the injury and the subsequent complications. The vast majority of simple elbow dislocations have a good prognosis and can be managed without operative intervention by early functional motion. Complex injury patterns require a mostly technically demanding surgical treatment. A standardized surgical algorithm may be the cornerstone to achieve satisfactory functional results.
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Epidemiologie
Die traumatische Luxation des Ellenbogengelenks stellt mit einer Häufigkeit von 20% aller Verrenkungen nach der Schulterluxation die zweithäufigste Verrenkung großer Gelenke dar [4, 6, 17]. Fast die Hälfte aller Ellenbogenluxationen treten im Rahmen von Sportverletzungen auf [5]. Als Unfallmechanismus wird der Sturz auf den gestreckten bzw. hyperextendierten Ellenbogen angenommen. Anatomische Normvarianten (Cubitus varus oder valgus) sowie Residuen vorangegangener Unfälle mit entsprechenden Achsabweichungen stellen daher prädisponierende Faktoren für eine Ellenbogenluxation dar [7].
Chronische Instabilitäten treten sehr viel seltener auf und sind entsprechend schwierig zu diagnostizieren. Häufig sind chronisch repetitive Mikrotraumen Ursache der Instabilität, wie sie z. B. bei Wurfsportarten im Bereich des medialen Kollateralbandes auftreten („pitcher ellbow“).
Anatomie
Die Stabilität des Ellenbogengelenks wird sowohl über knöcherne als auch ligamentäre Strukturen gewährleistet. Insbesondere dem Humeroulnargelenk kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu [2, 3]. Das Radiusköpfchen wird nach Schädigung des medialen Kollateralbandapparats zum sekundären Stabilisator des Ellenbogengelenks, da in diesem Fall ein Anteil von 75% der Valgusstabilität über das Radiusköpfchen vermittelt wird.
Die ligamentären Stabilisatoren des Ellenbogengelenks entsprechen medialseitig dem ulnaren Seitenbandkomplex (MUCL), welcher im Wesentlichen mit 2 Komponenten, dem anterioren und dem posterioren Bündel, zur Valgusstabilität beiträgt, wobei das anteriore Bündel mit bis zu 70% die Hauptlast trägt ([2, 13, 15], Abb. 1).
Der radiale bzw. laterale Seitenbandkomplex (LCL), als Stabilisator gegen den Varusstress, umfasst 3 wesentliche Komponenten:
-
das Lig. anulare radii,
-
das radiale Seitenband und
-
das laterale ulnare Seitenband (LUCL).
Gerade Letzterem kommt eine besondere Bedeutung bei der chronischen posterolateralen Rotationsinstabilität zu (Abb. 2).
Neben knöchernen und ligamentären Stabilisatoren wird das Ellenbogengelenk auch wesentlich dynamisch durch Gelenk übergreifende Extensoren und Flexoren stabilisiert [14].
Pathomechanismus
Wie eingangs beschrieben, stellt der Sturz auf den gestreckten bzw. überstreckten Ellenbogen den häufigsten Luxationsmechanismus dar. Dabei kommt es üblicherweise zu einer posterioren oder posterolateralen Luxation. Seltener findet man auch isoliert radiale und ulnare sowie ventrale und divergierende Luxationen [7].
Ausgehend von der Ringtheorie von O’Driscoll et al. [14], welche sich auf biomechanische Untersuchungen stützt [12, 13, 14], beginnt der Luxationsmechanismus lateralseitig und breitet sich nach medial aus (Abb. 3). Auf diesem Weg können sowohl ligamentäre als auch knöcherne Stabilisatoren (Radiusköpfchen, Processus coronoideus) geschädigt werden. Mit Fortschreiten des Schadens können 3 Luxationsstadien unterschieden werden. Im Stadium 1 kommt es zu einer posterolateralen Subluxation bzw. Rotationsinstabilität, welche auf eine Schädigung des LUCL zurückzuführen ist. Sind darüber hinaus ventrale und dorsale Kapselstrukturen durch den Luxationsmechanismus betroffen, kann auch das humeroulnare Gelenk nach dorsal subluxieren, und es kommt zu einem Aufreiten des Processus coronoideus auf der Trochlea humeri, was im Stadium 2 als sog. „perched dislocation“ bezeichnet wird. Liegt im Stadium 3 eine vollständige Luxation vor, müssen sowohl der laterale als auch der mediale Bandapparat geschädigt sein [14].
Neben den rein ligamentären Verletzungsmechanismen können insbesondere im Rahmen von höhergradigen Instabilitäten auch knöcherne Strukturen durch die Luxation betroffen sein. In diesem Zusammenhang sind v. a. das Radiusköpfchen und der Processus coronoideus von großer Bedeutung. Bei der Beurteilung von Frakturen des Radiusköpfchens ist immer nach einer begleitenden Instabilität, v. a. des medialen Kollateralbandes, zu suchen. Wird das Radiusköpfchen als sekundärer Stabilisator trotz Instabilität reseziert, droht dem Ellenbogengelenk ein schlechtes funktionelles Behandlungsergebnis. Die Schwere dieser osteoligamentären Kombinationsverletzung prägte den Begriff der „terrible triade“, worunter die Kombination aus Radiusköpfchenfraktur, Fraktur des Processus coronoideus und Ellenbogenluxation subsumiert wird [9, 8, 18, 19].
Diagnostik
Aufgrund der markanten Weichteildeformität kann die Ellenbogengelenkluxation häufig bereits klinisch diagnostiziert werden. Zum Ausschluss knöcherner Begleitverletzungen ist jedoch vor der Reposition die Durchführung der Röntgendiagnostik zu empfehlen. Weiterhin sind die klinischen Parameter wie Pulsstatus und Sensomotorik vor und nach der Reposition zu erheben und zu dokumentieren. Insbesondere ist hier dem N. ulnaris Beachtung zu schenken, der aufgrund seiner anatomischen Lage für Dehnungsschäden besonders gefährdet ist [7].
Bildgebung
Die Röntgendiagnostik beinhaltet die Standarduntersuchung in 2 Ebenen. Hierbei können die Luxationsrichtung und ggf. auch bereits knöcherne Begleitverletzungen diagnostiziert werden. Nach jeder Reposition ist das erfolgreiche Repositionsergebnis ebenfalls in 2 Ebenen zu dokumentieren. Darüber hinaus erlaubt die dynamische Untersuchung unter dem Röntgenbildverstärker (Abb. 4) die Dokumentation eines stabilen Bogens oder kann eine mediale oder laterale Instabilität durch Ausübung von Varus- und Valgusstress belegen [2].
Beim Vorliegen knöcherner Verletzungen oder dem Verdacht auf intraartikulär gelegene knöcherne Fragmente kann die CT-Schnittbilddiagnostik (CT: Computertomographie) wertvolle Informationen liefern und dient zur Planung des weiteren therapeutischen Vorgehens.
Die MRT (Magnetresonanztomographie) spielt bei der Diagnostik akuter Bandinstabilitäten am Ellenbogengelenk nur eine untergeordnete Rolle und ist allenfalls bei chronischen Instabilitäten zum differenzialdiagnostischen Ausschluss intraartikulärer freier Gelenkkörper und zur Beurteilung des medialen Bandapparats sinnvoll einsetzbar [16].
Reposition bei akuter Luxation
Die Reposition einer akuten Ellenbogengelenkluxation gelingt nahezu immer ohne Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie, im Regelfall ist allenfalls eine Analgosedierung notwendig. Beschrieben sind eine Ein- oder Zweihelfermethode, wobei es im Wesentlichen darauf ankommt, den Oberarm zu fixieren, während ein Längszug auf den Unterarm bei gleichzeitiger Flexion im Ellenbogengelenk ausgeübt wird [7]. Der Repositionserfolg ist in den allermeisten Fällen durch ein deutlich spürbares Einrasten des Gelenks zu erkennen.
Unmittelbar nach erfolgter Reposition und Dokumentation von Pulsstatus und Sensibilität kann die Stabilität des funktionellen Bogens geprüft werden. Hierunter versteht man ein stabiles Ellenbogengelenk zwischen 30° und 120° Flexion [11]. Für diese Untersuchung kann die dynamische Untersuchung unter Bildverstärkerkontrolle hilfreich sein. Ist eine Prüfung des funktionellen Bogens unmittelbar nach Reposition – z. B. schmerzbedingt – nicht möglich, kann diese auch wenige Tage verzögert, nach initialer Ruhigstellung in einer Oberarmgipsschiene, erfolgen.
Ligamentäre Stabilität
Die klinische Untersuchung der ligamentären Stabilität des Ellenbogengelenks umfasst zum Einen die Überprüfung der Varus- und Valgusstabilität, zum Anderen die der leicht zu übersehenden posterolateralen Rotationsinstabilität (PLRI). Dabei ist zu beachten, dass die Valgusstabilität unbedingt bei proniertem Unterarm getestet werden muss, um nicht irrtümlicherweise eine laterale Instabilität als sog. Pseudovalgusinstabilität zu interpretieren. Die PLRI ist auf eine isolierte Verletzung des LUCL zurückzuführen und führt zu einer Subluxation des Radiusköpfchens, welche sich häufig durch sehr unspezifische Beschwerden manifestiert.
Für die Untersuchung der PLRI, sowohl im Rahmen akuter als auch chronischer Instabilitäten, stellt das laterale Pivot-shift-Manöver den sensitivsten klinischen Untersuchungshandgriff dar (Abb. 5, [14]): Der Untersucher steht hierbei am Kopfende des auf dem Rücken liegenden Patienten, und der betroffene Arm wird durch den Untersucher in Überkopfstellung gehalten. In Supinationsstellung wird ein Valgusstress auf den Ellenbogen ausgeübt und das Ellenbogengelenk gebeugt. Hierbei kommt es zu einer Subluxation des Radiusköpfchens nach dorsal. Gelegentlich kann sogar eine Veränderung der Hautkontur wahrgenommen werden. Die weitere Beugung führt zur Reposition des Radiusköpfchens, was sich hör- und fühlbar als Schnappphänomen darstellt.
Ein weiteres hilfreiches Untersuchungswerkzeug stellt der „table top relocation test“ dar, welcher ebenfalls, vergleichbar dem Pivot-shift-Test, ein Subluxationsphänomen provoziert und sich aufgrund der einfacheren Durchführbarkeit besonders für chronische PLRI eignet [1].
Therapie
Therapiewahl
Das luxierte Ellenbogengelenk mit stabilem funktionellem Bogen nach Reposition und ohne knöcherne Begleitverletzungen kann problemlos konservativ behandelt werden. Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, dass die Ruhigstellung in der Oberarmgipsschiene auf keinen Fall 3 Wochen überschreitet und ab der 2. Woche eine Übungsbehandlung aus der Schiene heraus erfolgt [5, 14]. Zeigt sich jedoch eine Reluxationstendenz zwischen 30° und 45°, sollte eine operative Stabilisierung in Erwägung gezogen werden [10]. Weiterhin stellen Repositionshindernisse, intraartikuläre Fragmente, ausgedehnte knöcherne Begleitverletzungen, rezidivierende/veraltete Luxationen und offene Verletzungen Gründe dar, um primär eine operative Therapie zu empfehlen [2, 7, 14].
Operative Behandlung
Da, wie eingangs beschrieben, von einem radialseitigen Beginn der Luxation ausgegangen werden muss, erfolgen die chirurgische Exploration und Rekonstruktion zunächst über einen radialen Zugang zwischen M. anconeus und M. carpi ulnaris (Kocher-Intervall). Hierzu wird der Arm in Rückenlage des Patienten auf dem Armtisch ausgelagert. Zeigt sich bei der Exploration eine wesentliche Verletzung der ulnaren Bandstrukturen oder verbleibt eine Instabilität nach Rekonstruktion des radialen Bandkomplexes, ist ein zusätzlicher medialer Zugang unter Darstellung und Schonung des N. ulnaris notwendig. Alternativ sind auch posteriore Zugangswege beschrieben, welche eine Versorgung der radialen und ulnaren Bandstrukturen über einen singulären Zugang erlauben [14].
Nach Ausspülen des Hämatoms und Refixation größerer osteochondraler Fragmente mit resorbierbaren Stiften oder Herbert-Schrauben erfolgt die ligamentäre Rekonstruktion des Bandapparats. Seltene intraligamentäre Rupturen können ggf. durch eine Nahtaugmentation rekonstruiert werden. Häufiger findet sich jedoch eine Bandläsion an der proximalen knöchernen Anheftungsstelle. In diesen Fällen erwies sich die Verwendung von Nahtankern als mechanisch sichere Refixationstechnik.
Kleine Abscherfragmente des Processus coronoideus müssen bei stabilem funktionellem Bogen nicht zwingend refixiert werden. Größere Typ-II- und -III-Frakturen sollten zur Wiederherstellung der knöchernen Stabilisatoren rekonstruiert werden. Dies kann entweder über eine Zugschraube oder bei mehrfragmentären Frakturen über eine transossär nach dorsal ausgeleitete Nahtrefixation (Lassotechnik) erfolgen. Bleibt, trotz erfolgreicher Rekonstruktion der Kollateralbänder, eine persistierende Instabilität bestehen, kann zusätzlich die Verwendung eines externen Bewegungsfixateurs notwendig sein, um eine übungsstabile Situation zu erreichen.
Liegt eine Kombinationsverletzung aus LCL-Läsion, Fraktur des Processus coronoideus und Fraktur des Radiusköpfchens vor („terrible triad“), muss Letzteres zwingend rekonstruiert werden. Ist aufgrund der ausgedehnten Zerstörung des Radiusköpfchens dessen Erhalt nicht möglich, muss es durch eine entsprechende Endoprothese ersetzt werden. Eine primäre Radiusköpfchenresektion verbietet sich in dieser Situation, da durch den Wegfall eines knöchernen Stabilisators unweigerlich eine Reinstabilität mit schlechter funktioneller Prognose resultieren würde [19].
Chronische Instabilitäten sind seltener als akute Luxationen, in der klinischen Symptomatik oft sehr variabel und subtil und damit in der klinischen Untersuchung schwerer zu diagnostizieren. Mediale Instabilitäten, welche sich gehäuft bei Wurfsportlern finden, sind noch seltener als laterale Instabilitäten mit Schädigung des LUCL. Für die Ersatzplastik sowohl des lateralen als auch des medialen Kollateralbandkomplexes wird, unter Beachtung der Isometriepunkte, ein Palmaris-longus-Transplantat verwendet [2]. Alternativ besteht auch die Möglichkeit, ein entsprechend langes Transplantat aus dem medialen Anteil der Achillessehne zu gewinnen.
Fazit für die Praxis
Die meisten akuten Luxationen des Ellenbogengelenks sind nach primärer, notfallmäßiger Reposition stabil und können konservativ mit überwiegend guten und sehr guten Ergebnissen behandelt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die Ruhigstellung des Ellenbogengelenks auf ein Minimum begrenzt wird.
Verletzungen mit instabilem Bogen nach zunächst erfolgreicher Reposition bedürfen einer differenzierten Therapie, welche durch eine Rekonstruktion der verletzten Strukturen gekennzeichnet ist. Insbesondere kommt der Wiederherstellung der knöchernen Stabilisatoren und der Rekonstruktion der radialen und, falls notwendig, medialen Kollateralbänder eine Schlüsselrolle zu. Ist das Radiusköpfchen nicht osteosynthetisch rekonstruierbar, muss zwingend, zumindest bis zur Ausheilung der ulnaren Kollateralbänder, eine Radiusköpfchenprothese implantiert werden. Chronische Instabilitäten bedürfen einer subtilen klinischen Untersuchung, um richtig diagnostiziert zu werden. Die operative Stabilisierung durch Sehnentransplantate kann, in der Hand eines erfahrenen Chirurgen, zufrieden stellende Ergebnisse erbringen.
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Gierer, P., Beck, M., Gradl, G. et al. Bandinstabilitäten am Ellenbogengelenk. Trauma Berufskrankh 14 (Suppl 2), 203–207 (2012). https://doi.org/10.1007/s10039-011-1812-2
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