Die Surveillance, d. h. die regelmäßige Analyse der auftretenden Wundinfektionen und die Ableitung von geeigneten Schlussfolgerungen, ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Prävention von Wundinfektionen. Dabei ist es besonders hilfreich, nicht nur die Entwicklung der Infektionsraten im eigenen Krankenhaus über die Zeit zu verfolgen, sondern sich auch mit anderen Krankenhäusern zu vergleichen, die dieselben Definitionen für postoperative Wundinfektionen verwenden und dieselben Bezugsgrößen berücksichtigen. Deshalb begann das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für nosokomiale Infektionen im Jahr 1996, ein Krankenhausinfektionssurveillancesystem (KISS) für ausgewählte Infektionsarten in verschiedenen Risikopatientengruppen aufzubauen. Eines der ersten Module war das für die Surveillance von postoperativen Wundinfektionen bei Indikatoroperationen. Darunter sind auch einige Indikatoroperationen aus dem Bereich der Traumatologie/Orthopädie, wie Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen, Reposition bei Fraktur des oberen Femurs und Eingriffe am oberen Sprunggelenk.

Die Zahl der auf freiwilliger Basis an KISS teilnehmenden Abteilungen nahm seit dessen Etablierung kontinuierlich zu. Im Zeitraum von 2006–2010 waren es insgesamt 616 Abteilungen aus 495 Krankenhäusern, darin enthalten sind 172 traumatologisch-orthopädische Abteilungen aus 142 Krankenhäusern.

Methode

Im Rahmen von KISS werden für die Diagnostik die Definitionen der CDC („Centers for Disease Control and Prevention“) verwendet [6]. Sie unterscheiden nach oberflächlichen und tiefen Wundinfektionen sowie Infektionen von Organen und Körperhöhlen.

Alle neuen KISS-Teilnehmer werden ausführlich in die praktische Anwendung dieser Diagnosekriterien eingewiesen. Außerdem führt das NRZ jährliche Qualitätskontrollen zur Beurteilung der Diagnosegenauigkeit der Teilnehmer bei der Festlegung von postoperativen Wundinfektionen durch. Diese erfolgen mit Hilfe von klinischen Fallbeispielen. Somit wird eine einheitliche und vergleichbare Diagnostik von postoperativen Wundinfektionen in KISS gewährleistet.

Infektionsarten nach CDC

Postoperative oberflächliche Wundinfektion (A)

Sie ist definiert als Infektion an der Inzisionsstelle innerhalb von 30 Tagen nach der Operation, die nur Haut oder subkutanes Gewebe mit einbezieht, und eines der folgenden Kriterien erfüllt:

  1. 1.

    eitrige Sekretion aus der oberflächlichen Inzision,

  2. 2.

    kultureller Nachweis von Erregern aus einem aseptisch entnommenen Wundsekret oder Gewebe von der oberflächlichen Inzision,

  3. 3.

    eines der folgenden Anzeichen:

    • Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit, lokalisierte Schwellung, Rötung oder Überwärmung,

    • und

    • bewusste Eröffnung der oberflächlichen Inzision durch den Chirurgen – dieses Kriterium gilt jedoch nicht bei Vorliegen einer negativen mikrobiologischen Kultur von der oberflächlichen Inzision,

  4. 4.

    Diagnose des behandelnden Arztes.

Postoperative tiefe Wundinfektion (B)

Sie wird diagnostiziert bei einer Infektion, die innerhalb von 30 Tagen nach der Operation (innerhalb von 1 Jahr, wenn ein Implantat in situ belassen wurde) auftritt und mit dieser in Verbindung zu stehen scheint und die Faszienschicht und Muskelgewebe erfasst und eines der folgenden Kriterien erfüllt:

  1. 1.

    eitrige Sekretion aus der Tiefe der Inzision, aber nicht aus dem operierten Organ bzw. der Körperhöhle, da solche Infektionen zur Kategorie A3 gehören würden,

  2. 2.

    spontane oder vom Chirurgen bewusste Eröffnung, wenn der Patient mindestens eines der nachfolgenden Symptome zeigt: Fieber (>38°C), lokalisierter Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit – dieses Kriterium gilt jedoch nicht bei Vorliegen einer negativen mikrobiologischen Kultur aus der Tiefe der Inzision,

  3. 3.

    Vorhandensein eines Abszesses oder sonstiger Zeichen der Infektion, die tieferen Schichten betreffend, bei der klinischen Untersuchung, während der erneuten Operation, bei der histopathologischen Befundung oder bei radiologischen Untersuchungen,

  4. 4.

    Diagnose des behandelnden Arztes.

Infektion von Organen und Körperhöhlen im Operationsgebiet (C)

Sie sind definiert als Infektionen, die innerhalb von 30 Tagen nach der Operation (innerhalb von 1 Jahr, wenn ein Implantat in situ belassen wurde) auftreten und mit der Operation in Verbindung zu stehen scheinen und Organe oder Körperhöhlen erfassen, die während der Operation geöffnet oder an denen während dieser manipuliert wurde, und die eines der folgenden Kriterien erfüllen:

  1. 1.

    eitrige Sekretion aus einer Drainage, die Zugang zu dem Organ bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet hat,

  2. 2.

    kultureller Nachweis von Erregern aus einem aseptisch entnommenen Wundsekret oder Gewebe aus einem Organ bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet,

  3. 3.

    Abszess oder sonstiges Zeichen einer Infektion des Organs bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet bei klinischer Untersuchung, während der erneuten Operation, bei der histopathologischen Befundung oder bei radiologischen Untersuchungen,

  4. 4.

    Diagnose des behandelnden Arztes.

Kasuistik

Ein 79-jähriger Patient wurde nach Sturz mit Oberschenkelhalsbruch rechts aus einem Altenpflegeheim in ein Krankenhaus eingewiesen. Bei der Aufnahme wies das Altenheim auf eine MRSA-Besiedlung (MRSA: methicillinresistenter Staphylococcus aureus) des Patienten hin, worauf noch in der Notaufnahme Abstriche von Nase, Rachen, Perineum und Leisten entnommen wurden.

Die Entzündungsparameter lagen im Normbereich.

Verlauf

Tag 1 – Operation

Dem Patienten wurde rechts eine Hüfttotalendoprothese implantiert. Perioperativ wurde eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt.

Tag 2

Der Patient war sehr verwirrt. Die Temperatur war unauffällig, die Wunde reizlos.

Tag 3

Das Ergebnis der Abstrichuntersuchung vom Aufnahmetag zeigte eine Besiedlung von Nase und Leiste mit MRSA.

In der Krankenakte findet sich der Eintrag: „Patient hat sich zum wiederholten Male den Verband entfernt und an den Drainagen manipuliert. Rezidivierende Verwirrtheitszustände.“

Tag 5

Die Wundränder waren stark gerötet und gespannt.

Tag 6

Durch den behandelnden Chirurgen wurde eine Abszessspaltung durchgeführt. Dabei erwies sich die Muskulatur als mit infiltriert. Zur mikrobiologischen Untersuchung wurde ein Wundabstrich entnommen.

Tag 8

Das Ergebnis der Wundabstrichuntersuchung von Tag 6 ergab eine Besiedlung mit MRSA. Es wurde eine lokale Wundbehandlung durchgeführt.

Tag 12

Es kam zu einer Besserung der Wundverhältnisse, und der Patienten wies ein zunehmend adäquates Verhalten auf.

Tag 19

Der Patient wurde bei gebessertem Allgemeinzustand in das Altenpflegeheim zurückverlegt. MRSA waren bis zur Entlassung immer wieder an verschiedenen Stellen nachweisbar.

Diagnose

Laut CDC-Definition handelte es sich um eine tiefe postoperative Wundinfektion.

Auswertung – Surveillanceprotokoll

Pro Indikatoroperationsart werden die sog. rohen Wundinfektionsraten berechnet (Anzahl Wundinfektionen pro 100 Operationen), zusätzlich werden die Daten stratifiziert nach oberflächlichen und tiefen Wundinfektionen bzw. Organinfektionen und nach der Anzahl der Risikopunkte, die sich aus dem Vorliegen eines hohen ASA-Scores (>2, ASA: „American Society for Anesthesiologists“), einer langen Operationsdauer (>75. Perzentile) und einer Wundkontaminationsklasse kontaminiert oder septisch ergeben. Zusätzlich wird für jede Abteilung bestimmt, wie hoch der Anteil der Wundinfektionen während des Krankenhausaufenthalts bzw. nach Entlassung war. Ferner wird die sog. standardisierte Wundinfektionszahl berechnet, die auch nach den wichtigsten Risikofaktoren adjustiert.

Das ausführliche Surveillanceprotokoll ist auf der Website http://www.nrz-hygiene.de zu finden.

Aktuelle Surveillancedaten

Tab. 1 zeigt die Häufigkeit des Auftretens von postoperativen Wundinfektionen bei Indikatoroperationen aus dem Gebiet der Traumatologie/Orthopädie im Zeitraum von 2006–2010.

Tab. 1 Rohe Wundinfektionsraten für Indikatorinfektionena

Dabei ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den teilnehmenden Abteilungen. Aus Abb. 1 geht die Verteilung der Abteilungen bezüglich ihrer postoperativen Wundinfektionsraten nach Hüftendoprothesen bei Arthrose hervor, aus Abb. 2 die entsprechende Verteilung bezüglich Knieendoprothesen. Durch die Darstellung als Funnel-Plot wird berücksichtigt, dass die Wundinfektionsraten teilweise auf sehr großen Zahlen an operierten Patienten beruhen (z. B. Abteilung A mit etwa 1300 Operationen; unterer rechter Kreis in Abb. 1), aber teilweise auch erst eine geringe Anzahl von Operationen für die Analyse berücksichtigt werden konnte (Abteilung B mit nur etwa 200 Operationen, oberer linker Kreis in Abb. 1). Die grau hinterlegte Fläche in Abb. 1 und Abb. 2 zeigt, dass die besonders hohen und besonders niedrigen Wundinfektionsraten durch Zufallseffekte v. a. dann zu beobachten sind, wenn insgesamt bisher weniger als 500 Operationen in die Analyse eingingen, bei weniger als 100 eingeschlossenen Operationen sollte man wegen der Zufallseffekte vollständig auf eine Interpretation verzichten.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Abteilungen bezüglich ihrer postoperativen Wundinfektionsraten nach Hüftendoprothesen bei Arthrose, 2006–2010, rechter unterer Kreis Abteilung A mit etwa 1300 Operationen; linker oberer Kreis Abteilung B mit nur etwa 200 Operationen, weitere Erläuterungen s. Text

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Abteilungen bezüglich ihrer postoperativen Wundinfektionsraten nach Knieendoprothesen, 2006–2010, Kreis Abteilung mit signifikanter Ausreißerposition

Surveillanceerfolge

Besonders Abteilungen mit einer Ausreißerposition (Abb. 2) sind selbstverständlich sehr bemüht, durch zusätzliche Präventionsanstrengungen eine Reduktion ihrer Wundinfektionsraten zu erreichen.

Durch die langjährige Teilnahme vieler Abteilungen waren wir inzwischen immer wieder in der Lage, nachzuweisen, dass die Teilnahme in Zusammenhang mit einer gründlichen Analyse und der Einleitung geeigneter Intervention zu einer signifikanten Reduktion der Wundinfektionsraten führt. So konnten wir im Jahr 2005 auf der Basis der Daten von 14 Abteilungen, die kontinuierlich über mindestens 3 Jahre an KISS teilnahmen, eine signifikante Reduktion der Wundinfektionsrate um 46% [RR=0,54 (RR: relatives Risiko); 95%-CI=0,38–0,77 (95%-CI: 95%-Konfidenzintervall)] zeigen, die auch in der multivariaten Analyse unter Berücksichtigung der Risikofaktoren der Patienten bestätigt werden konnte. Auch bei Knieendoprothesen war diesbezüglich ein deutlicher Trend zu erkennen (Tab. 2, [3]).

Tab. 2 Postoperative Wundinfektionsraten nach Hüft- und Knieendoprothesea. (Nach [3])

Auch für andere europäische Surveillancesysteme konnte gezeigt werden, dass durch regelmäßige Surveillance, Feedback und sinnvolle Interpretation der Infektionsraten signifikante Reduktionserfolge zu erreichen sind [1, 5].

Epidemiologie von postoperativen Wundinfektionen

Die meisten postoperativen Wundinfektionen in der Traumatologie/Orthopädie sind durch grampositive Erreger verursacht. Dabei hat Staphylococcus aureus mit 35,5% zurzeit den höchsten Anteil, und etwa jeder fünfte Staphylococcus aureus, der eine Wundinfektion hervorruft, ist methicillinresistent (MRSA, Tab. 3).

Tab. 3 Häufigste Erreger von postoperativen Wundinfektionen in der Traumatologie/Orthopädiea

Nach den Ergebnissen einer vor kurzem durchgeführten multivariaten Risikofaktorenanalyse mittels GEE-Methode (GEE: „general estimating equation“) und auf der Basis von KISS-Daten für den Zeitraum von 2005–2010, die 249.332 Operationen und 2441 Wundinfektionen aus 294 orthopädischen Abteilungen einschlossen, wurden für die Traumatologie/Orthopädie männliches Geschlecht, hohes Alter, ungünstige Wundkontaminationsklasse und ASA-Score sowie die Jahreszeit Sommer als signifikante Risikofaktoren für postoperative Wundinfektionen ermittelt (Tab. 4).

Tab. 4 Signifikante Risikofaktoren für postoperative Wundinfektionen in der Traumatologie/Orthopädie

Selbstverständlich ist auch die Operationsdauer ein signifikanter Risikofaktor, der in unserer Analyse aber nicht berücksichtigt wurde, weil eine vergleichsweise lange Operationsdauer zwar Surrogatparameter für komplizierte Operationsverhältnisse sein kann, aber auch durch die Technik des Operateurs und das Operationsmanagement beeinflusst wird. Tab. 5 zeigt die Bandbreite der Operationsdauer für einige Operationsarten.

Tab. 5 Anzahl der Abteilungen und Operationen und Verteilung der Operationsdauera. (Nach [4])

Auf gesundheitspolitische Ebene wird häufig diskutiert, ob Abteilungen mit einer hohen Fallzahl an Operationen einer bestimmten Art bessere Ergebnisse generieren. Dieser sog. „volume effect“ wurde auch auf der Basis der teilnehmenden Krankenhäuser für Hüft- und Knieendoprothesen untersucht, wobei 3 Kategorien (≤50 Operationen, >50–≤100 Operationen und >100 Operationen) zugrunde gelegt wurden [7]. In diese Analyse gingen Daten von 206 Abteilungen, die in den Jahren 2003–2008 insgesamt 1.200.564 Operationen durchgeführt hatten, ein (Tab. 6).

Tab. 6 Wundinfektionsrate in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Anzahl der Operationen. (Nach [7])

Fazit für die Praxis

In Deutschland wurden nach Angaben des statistischen Bundesamts im Jahr 2009 insgesamt 213.174 Hüft- sowie 159.137 Knieendoprothesen implantiert. Somit sind pro Jahr bundesweit etwa 3000 postoperative Wundinfektionen nach diesen Eingriffen zu erwarten. Legt man die in KISS nachgewiesenen Erfolge zur Reduktion von nosokomialen Infektionen zugrunde, kann man davon ausgehen, dass durch eine gute Surveillance inklusive Feedback und Intervention jährlich etwa 1000 Wundinfektionen nach Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen vermieden werden können [2, 3].