Auch im Rahmen der verbesserten Diagnostikmöglichkeiten werden Verletzungen noch immer und zu häufig verspätet diagnostiziert bzw. übersehen – mit oft fatalen Folgen für den Patienten. Dabei kommen verzögerte Diagnosen bei verschiedenen Typen von Verletzungen vor, von welchen exemplarisch 2 Versionen dargestellt werden sollen.

  • häufige, allgemein gut bekannte Krankheitsbilder mit seltenen Problemen, die durch zusätzliche Therapien oder Begleiterkrankungen des Patienten kompliziert werden können, und

  • seltene Verletzungsbilder, die, wenn zu spät erkannt, mit schwerwiegenden Komplikationen verbunden sein können.

Atypische Femurfraktur unter Biphosphonattherapie

Fallbericht

Aufnahmebefunde

Ein 81-jähriger Patient stellte sich nach häuslichem Sturz in unserer Notfallambulanz mit starken Schmerzen im Bereich des rechten Oberschenkels vor. In der Anamnese berichtete er über bereits seit Monaten persistierende Schmerzen und Beinschwäche im gleichen Oberschenkel. An Vorerkrankungen wurden ein Adenokarzinom der Prostata seit 3 Jahren, eine arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung mit Zustand nach Stentimplantation und eine Hyperglyzeridämie angegeben. Aufgrund der ossären Metastasierung des Prostatakarzinoms erfolgte seit 2,5 Jahren im 4-wöchentlichen Abstand eine i.v. Applikation mit 4 mg Zolendronsäure.

Bei der Untersuchung zeigte sich eine schmerzbedingt eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Hüftgelenks mit unauffälligen Weichteilverhältnissen des Oberschenkels. Zudem bestätigte sich eine reduzierte Kraftentwicklung der Quadrizepsmuskulatur rechts bei ansonsten unauffälligem Befund. Durchblutung, Sensibilität und Motorik waren peripher intakt.

Die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag zeigten lediglich eine geringgradige Koxarthrose der rechten Hüfte. Auch eine Metastase konnte radiologisch als Ursache der Schmerzen ausgeschlossen werden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Röntgenaufnahme des Beckens in a.-p. Projektion am Unfalltag

Therapie und Verlauf

Nach 6 Tagen symptomatischer Schmerztherapie wurde der Patient mit der Diagnose einer Oberschenkelprellung bei vorbekannter Quadrizepsschwäche entlassen. Zu diesem Zeitpunkt war er unter Vollbelastung und hochdosierter Analgesie an Unterarmgehstützen/Rollstuhl mobilisiert.

Der Patient stellte sich 3 Monate später mit neu aufgetretenen, massiven Schmerzen im rechten Oberschenkel vor. Ein erneutes Trauma war nicht erinnerlich. Mittels Röntgen- (Abb. 2) und MRT-Untersuchung (MRT: Magnetresonanztomographie, Abb. 3) ließ sich aktuell eine nichtdislozierte subtrochantäre Femurfraktur mit periostaler Reaktion abgrenzen.

Abb. 2
figure 2

MRT 3 Monate nach dem Sturz, Markierung subtrochantäre Femurfraktur mit periostaler Reaktion

Abb. 3
figure 3

Röntgenkontrolle 3 Monate nach dem Sturz

Bei der Implantation eines dynamisch verriegelten, langen Gamma-Femurnagels (Abb. 4) wurde intraoperativ eine Probe zur histologischen Aufarbeitung aus dem spongiösen Knochen im Frakturareal entnommen. Hierbei fanden sich stark fragmentierte, nekrotische Knochenfragmente ohne Nachweis einer malignen Formation.

Abb. 4
figure 4

Postoperative Kontrolle nach Gamma-Nagel-Implantation

Der postoperative Verlauf war komplikationsfrei. 2 Monate postoperativ war eine analgetische Medikation nicht mehr erforderlich, der Patient verspüre lediglich noch leichte belastungsabhängige Schmerzen.

Aktuelle Literatur

Aufgrund des ungewöhnlichen Falls erfolgte eine Literaturrecherche. Dabei fanden sich mehrere internationale Publikationen mit ähnlich gearteten Fallberichten oder kleinen Fallserien unter Langzeitbiphosphonattherapie.

In 55–76% der Fälle äußerten die Patienten vorausgehende Schmerzen über Monate im Oberschenkelbereich [6, 8, 9, 10, 11]. Radiologisch zeigten sich eine isolierte Verdickung des lateralen Kortex in der subtrochantären Region, eine transversale Fraktur sowie meist medial ein kortikaler Spike. In einigen Fällen wurde vor der Fraktur eine laterale Kortikalisverdickung nachgewiesen (Abb. 5). Bei retrospektiver Betrachtung konnte eine solche Veränderung auch im vorliegenden Fall bereits 3 Monate vor der Fraktur objektiviert werden (Abb. 6).

Abb. 5
figure 5

Kortikalisverdickung. (Nach [6])

Abb. 6
figure 6

Retrospektive Betrachtung, Markierung laterale Kortikalisverdickung

In einigen Publikationen wurden pathologische Frakturen oder eine radiologische Veränderung der kontralateralen Seite beschrieben. Armamento-Villareal et al. [3] fanden in 2 von 7 Fällen eine bilaterale Fraktur, Goh et al. [8] berichteten bei 3 von 9 Fällen über radiologische Veränderungen.

Als bisherige Nebenwirkung einer Langzeitbiphosphonattherapie wurde am Knochen lediglich das Auftreten von Kiefernekrosen in rund 5% der Fälle unter Osteoporosetherapie und in bis zu 15% der wegen maligner Erkrankungen Behandelten beobachtet [1]. Die Genese hierzu ist noch nicht ausreichend bekannt.

Entsprechend der bisherigen Publikationen wird zur Entstehung der atypischen Femurfraktur unter Biphosphonatlangzeittherapie die Kombination von 2 wesentlichen Faktoren vermutet:

Veränderung des kortikalen Knochens unter Biphosphonattherapie

Biphosphonate verändern einerseits das Kollagen-Crosslinking, was mit einer erhöhten Brüchigkeit einhergehen kann [11]. Andererseits führt eine Hemmung des Knochenabbaus zur sekundären Mineralisation, was zusätzlich eine verminderte Stabilität bedingen kann [13]. Die Verringerung des Knochenumsatzes und der osteoklastenvermittelten Reparationsreize führt zu einer Akkumulation von Mikroschäden insbesondere im kortikalen Knochen [11].

Biomechanische Belastung im proximalen Femur

Auf das proximale Femur wirken große Biegekräfte ein:

  • Kompressionskräfte medial und

  • Distraktionskräfte am laterale Kortex.

Die subtrochantäre Region unterliegt hierbei aufgrund der biomechanischen Verhältnisse der größten Belastung. Es wird postuliert, dass sich durch die zunehmende Varisierung des Schenkelhalses im Alter und der muskulären Imbalance die anatomischen Achse des Femurs ungünstig zur Belastungsachse verändert.

Hinsichtlich der Versorgung wurde bei manifesten subtrochantären Frakturen die interne Fixation durch Marknagelosteosynthese beschrieben [2, 5, 12]. Bei radiologischen Veränderungen ohne Frakturnachweis mit entsprechender Klinik bleibt das empfohlene Vorgehen unklar. Ob eine prophylaktisch-operative Stabilisierung, wie von Capeci u. Tejwani [5] empfohlen, durchgeführt werden sollte, oder dem Patienten eine Entlastung der betroffenen Extremität zugemutet werden kann, sollte zunächst patientenorientiert entschieden werden.

Ein Absetzen der Biphosphonattherapie, bei regelmäßigen Kontrollen der Knochendichte, erscheint nach derzeitigem Kenntnisstand gerechtfertigt. Bei hohem Risikoprofil bzw. nachgewiesener niedriger Knochendichte sollte eine medikamentöse Weiterbehandlung mit Parathormon oder Strontium erwogen werden.

Kritisch ist zu bemerken, dass die genaue Inzidenz von atypischen subtrochantären Frakturen derzeit unbekannt ist. Um Aussagen bezüglich der Veränderung von Knochenbeschaffenheit und Biomechanik unter Langzeiteinnahme von Biphosphonaten treffen zu können, müssen weitere klinisch-experimentelle Untersuchungen durchgeführt werden. Hinsichtlich der tatsächlichen Inzidenz von atypischen Femurfrakturen unter Biphosphonattherapie sollte eine prospektive Erfassung erfolgen, um valide epidemiologische Daten erheben zu können.

Supraaortale Gefäßverletzungen

Traumatische Verletzungen der supraaortalen Gefäße wurden in der Vergangenheit meist erst verzögert aufgrund dramatischer Komplikationen einer zerebralen Ischämie erkannt [14]. Der zerebrale Infarkt, bedingt durch die traumatische Gefäßdissektion der supraaortalen Gefäße, geht entsprechend der Literatur mit einer Mortalität von 15–28% und einer Morbidität von 16–58% einher [4]. Da die Prognose bei einer Dissektion entscheidend vom Beginn der antikoagulativen Therapie abhängt, kommt der möglichst frühen Diagnostik eine entscheidende Bedeutung zu.

Das klinische Spektrum einer Verletzung hirnversorgender Arterien kann von Nacken- und Kopfschmerzen, Horner-Syndrom, Hirnnervenausfällen bis zum Hemisphären- oder Hirnstamminfarkt reichen. Beim spontanen Verlauf nichttraumatischer Genese können insbesondere subjektive Angaben des Patienten oder neurologische Ausfälle wegweisend sein. Häufig wenig zielführend ist hingegen die klinische Untersuchung bei traumatischer Genese, insbesondere beim bewusstseinsgestörten oder beatmeten Patienten. Die oft schwierig zu stellende Diagnose der Verletzungen supraaortaler Gefäße ist nur unter Einsatz dedizierter bildgebender Verfahren möglich. Neben der farbkodierten Duplexsonographie (FKDS) stehen CT-Angiographie (CTA, CT: Computertomographie) und MR-Angiographie (MRA, MR: Magnetresonanz) als Diagnostika zur Verfügung.

Im Rahmen der Schwerstverletztenversorgung wurde eine Untersuchung zur Bedeutung der CTA als primäres Screeningverfahren supraaortaler Gefäßverletzungen durchgeführt [15]: 374 Patienten wurden über einen Zeitraum von 18 Monaten aufgrund stumpfer Traumen im Schockraum versorgt. Eingeschlossen und prospektiv mit CTA untersucht wurden die Patienten, die vom Unfallort aufgenommen wurden, bei denen eine Indikation zur Schockraumversorgung entsprechend den DGU-Kriterien (DGU: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) gestellt wurde, der Verdacht auf ein stumpfes schweres Trauma gegen Schädel oder Rumpf vorlag und deren Alter >16 Jahre betrug. Nachweiskriterien einer Dissektion waren Gefäßwandverdickung, Lumeneinengung, subadventiale Kontrastmittelanreicherung, langstreckige Wandunregelmäßigkeiten sowie Stenosen distal der Karotisbifurkation. Insgesamt wurde anhand dieser Kriterien in 176 Fällen eine CTA durchgeführt. Bei 16 Patienten zeigte sich ein pathologischer Befund, in 4 Fällen (2%) fand sich eine traumatische Dissektion der supraaortalen Gefäße (Abb. 7), die durch die MRA bestätigt und mittels CT-Untersuchung verlaufskontrolliert wurde. Alle Patienten wurden für 2 Wochen PTT-wirksam (PTT: „partial thromboplastin time“) heparinisiert. Im Anschluss wurde eine Marcumartherapie für insgesamt 6 Monate eingeleitet.

Abb. 7
figure 7

Traumatische Dissektion der rechten A. carotis interna. (Aus [15])

Der klinische Alltag zeigt entsprechend der Studie, dass jede Art eines Rasanztraumas mit einem direkten oder indirekten Trauma gegen die Kopf-Hals-Thorax-Region mit einer Verletzung der hirnversorgenden Gefäße einhergehen kann (Abb. 8). Unfall- oder verletzungsbedingte Risikofaktoren konnten nicht identifiziert werden und liegen auch in der Literatur nicht vor. Ein adäquates Verletzungsmuster zeigte sich nur in etwa 70–80% der Fälle.

Abb. 8
figure 8

Unfallmechanismus für Patienten mit Indikation zur CTA der supraaortalen Gefäße. (Aus [15])

Zur Erkennung dieser potenziell lebensbedrohlichen Verletzungen bei Patienten mit Rasanztrauma gegen Kopf, Hals und/oder Thorax erwies sich die Multislice-CTA als ein sicheres Diagnostikum und sollte derzeit als bildgebende Screeninguntersuchung im Rahmen der Schockraumversorgung erwogen werden.