Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verfügen mit § 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) über ein Instrument, welches seit vielen Jahren eine erfolgreiche Umsetzung des Grundsatzes Prävention vor Rehabilitation ermöglicht. Im Folgenden soll die Anwendbarkeit dieser Rechtsvorschrift auf die Berufskrankheit (BK) Gonarthrose untersucht werden.

§ 3 Berufskrankheitenverordnung

Möglichkeiten

§ 3 BKV zielt vorrangig auf die Vermeidung von Gesundheitsschäden vor Eintritt des Versicherungsfalls ab, allerdings besteht auch ein Handlungsspielraum bei anerkannter Berufskrankheit. Das grundsätzlich zur Verfügung stehende Leistungsspektrum im Rahmen von § 3 BKV unterscheidet sich nicht von demjenigen bei anerkannten Versicherungsfällen auf der Grundlage von Arbeits-/Wegeunfällen und Berufskrankheiten. Mit Blick auf § 3 Abs. 2 BKV kann sogar von einem weitergehenden Leistungsspektrum gesprochen werden. Vorhandene Erfahrungen aus der Anwendung laut § 3 BKV zeigen, dass gerade die frühe Intervention Erfolge aufzeigt [5].

Die dokumentierten Maßnahmen zur individuellen Prävention aus 2008 (Abb. 1) weisen einen Schwerpunkt bei den Hauterkrankungen aus. Dies wird im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass für diese eine standardisierte Verfahrensbeschreibung zur Verfügung steht [3], die darauf abzielt, durch frühe Intervention mit geeigneten Maßnahmen nachhaltige Erfolge zu erreichen. Das Verfahren bei den Hauterkrankungen wird seit vielen Jahren erfolgreich durchgeführt, eine frühzeitige Leistungsgewährung steht im Vordergrund. Dies wird dadurch unterstützt, dass eine Leistungsgewährung auch dann ermöglicht werden soll, wenn noch nicht alle versicherungsrechtlichen Fragen abschließend geklärt sind und bei Maßnahmen unterhalb von § 3 BKV, den so genannten niederschwelligen Maßnahmen [4], keine abschließende Zuständigkeit für den Unfallversicherungsträger besteht [2].

Abb. 1
figure 1

Gewerbliche Berufsgenossenschaften, Maßnahmen nach § 3 BKV im Jahre 2008, Obst. Obstruktion, Atemwegserk. Atemwegserkrankungen, BK Berufskrankheit

Grenzen

Tab. 1 gibt einen Überblick der bis Februar 2010 dokumentierten Gonarthrosemeldungen. Ausgewiesen sind Mengengerüste der Meldungen und die Art der versicherungsrechtlichen Entscheidung. Die Dokumentation belegt, dass die Unfallversicherungsträger Entscheidungen in den BK-Gonarthrose-Verwaltungsverfahren herbeiführen, allerdings sind Maßnahmen nach § 3 BKV in diesem Zusammenhang nicht dokumentiert.

Tab. 1 Bis Februar 2010 dokumentierte Gonarthrosemeldungen
Abb. 2
figure 2

Alter der Versicherten zum Zeitpunkt der Meldung

Abb. 3
figure 3

Alter der Versicherten beim Auftreten erster Beschwerden

Abb. 4
figure 4

Intervall vom Auftreten der Beschwerden bis zur BK-Meldung

Worauf dies zurückzuführen ist, sollte anhand von 40 BK-Gonarthrose-Meldungen der BG (Berufsgenossenschaft) BAU aus dem Jahr 2009 untersucht werden. Es wurde festgestellt:

  • Bei den Meldungen zeigt sich eine breite Altersverteilung, allerdings mit einem erheblichen Schwerpunkt im Altersbereich zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr (Abb. 2).

  • Zum Zeitpunkt der BK-Meldung standen 75% der Versicherten noch im Erwerbsleben, der Schwerpunkt des Auftretens der ersten Beschwerden lag zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr (Abb. 3).

  • BK-Anzeigen werden dem Unfallversicherungsträger nicht immer zeitnah beim Auftreten erster Beschwerden erstattet. Eine erhebliche Anzahl der Meldungen erfolgt sogar erst nach einem Intervall von 5 Jahren oder noch später (Abb. 4).

Diskussion

Sofern Maßnahmen nach § 3 BKV im Zuge eines Verwaltungsverfahrens eingeleitet werden, welches erst mit der Erstattung einer BK-Meldung beginnt, besteht bei der derzeitigen Meldepraxis die Gefahr, dass ein früher Interventionszeitpunkt verpasst wird. Denn Beschwerden, die Behandlungsbedürftigkeit begründen, beginnen in vielen Fällen bereits weit vor der eigentlichen BK-Meldung. Um diese Lücke zu schließen, muss überlegt werden, ob die vorhandenen Erfahrungswerte zu § 3 BKV im Rahmen anderer Krankheitsbilder für eine frühzeitige, systematische und effiziente Einleitung präventiver Maßnahmen genutzt werden können. Hierbei sollten auch Überlegungen für eine Intervention bei einem durchaus möglichen Kausalitätsrestrisiko einbezogen werden.

Ein Ansatz zur Konkretisierung könnte die Durchführung von niederschwelligen Maßnahmen auch für die BK Gonarthrose sein. Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist nicht, wie diese im Einzelnen ausgestaltet sein können.

In jedem Fall bedarf es einer versicherungsrechtlichen Festlegung von medizinischen und belastenden Kriterien, die für eine Identifikation der in Betracht kommenden Fälle grundsätzlich herangezogen werden können. Es werden folgende Kriterien vorgeschlagen:

  • Das Merkblatt zur BK Gonarthrose [1] enthält zu Krankheitsbild und Diagnose wesentliche Beschreibungen, die im Kern für eine medizinische Beurteilung für Maßnahmen nach § 3 BKV herangezogen werden können.

  • Dies gilt auch für die arbeitstechnische Belastung von 13.000 h, die im Wege einer Prognose erreicht werden sollen, bevor es zu einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kommt.

  • Eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit sollte auch der Interessenlage des Versicherten entsprechen.

Der Vorschlag für die Fallidentifikation ist in Abb. 5 zusammenfassend dargestellt.

Abb. 5
figure 5

Vorschlag für Fallidentifikation

Dieser Ansatz muss diskutiert und bewertet werden, stellt aber vorbehaltlich der weiteren Diskussion eine Möglichkeit dar, wie bei der relativ neuen BK 2112 ein Einstieg in die Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV gefunden werden kann.

Fazit

Vorrangiges Ziel von Leistungen nach § 3 BKV ist die frühe Intervention zur Vermeidung des Entstehens einer Berufskrankheit. Erfahrungen in der Anwendung liegen vor und zeigen auf, dass es möglich ist, durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze zu erhalten und betriebliche Ausfallzeiten zu verhindern. Dies gilt auch für die BK Gonarthrose. Voraussetzung sind die Bereitstellung von geeigneten Versorgungskonzepten und die klare Beschreibung von Identifikationskriterien durch Ärzte und Unfallversicherungsträger.