Das Konzept des „damage control“ (DC) stellt eine Versorgungsstrategie für schwerverletzte Patienten dar, bei der die Belastung durch die initiale operative Versorgung so gering wie möglich gehalten werden soll. Besonders günstige Auswirkungen des DC-Konzepts auf den klinischen Verlauf konnten bei schwerverletzten Patienten in einem kritischen Zustand nachgewiesen werden. Inwieweit auch Patienten mit spezifischen Verletzungen (Thoraxtrauma, Schädel-Hirn-Trauma) oder einem unklaren Gesamtzustand vom DC-Konzept profitieren, muss in weiteren prospektiven, randomisierten Studien geklärt werden.

Das Konzept des „damage control“

Die definitive operative Versorgung aller Verletzungen umgehend nach dem Trauma kann insbesondere bei schwerverletzten Patienten in einem kritischen Zustand zur Entwicklung posttraumatischer Komplikationen und einem damit assoziierten schlechten klinischen Verlauf beitragen. Aus diesem Grund wurde das DC-Konzept entwickelt. Der DC wurde ursprünglich von der amerikanischen Marine initiiert und beschreibt die Kapazität eines Schiffs, trotz Schädigungen die Einsatzbereitschaft aufrechtzuerhalten [11, 20].

Im DC-Konzept erfolgt die definitive Versorgung nach Stabilisierung des Gesamtzustands

Beim schwerverletzten Patienten beinhaltet das DC-Konzept die Kontrolle, nicht aber die definitive Versorgung der Verletzungen im Rahmen der initialen Versorgung nach Trauma. Die definitive Versorgung erfolgt nach Stabilisierung des Gesamtzustands (Körpertemperatur, Gerinnungsfunktion, hämodynamischer und respiratorischer Status) im späteren klinischen Verlauf. In der Abdominalchirurgie hat das DC-Konzept zur temporären Therapie abdomineller Blutungen eine lange Tradition und beinhaltet die vollständige Exploration durch eine mediane Laparotomie, die Blutstillung hepatischer Blutungen mittels Packing sowie die Splenektomie bei Milzblutungen. Nach der initialen Versorgung wird im Bedarfsfall eine sekundäre Operation nach 24 bis 48 h durchgeführt [4, 11, 20, 29].

Die Two-hit-Theorie

Das DC-Konzept basiert auf der Hypothese, dass der klinische Verlauf nach einem Trauma durch 3 Faktoren beeinflusst wird:

  • durch das initiale Trauma („first hit“),

  • individuelle Faktoren (Alter, genetische Faktoren, wie z. B. Geschlecht) sowie

  • den Zeitpunkt und die Schwere medizinischer Interventionen wie Operationen und Transfusionen („second hit“).

Sowohl das initiale Trauma als auch der „second hit“ führen zu einer Entzündungsreaktion, deren Ausmaß im Wesentlichen durch die Schwere des Traumas und des medizinischen Eingriffs bestimmt wird. Weiterhin wird die Entzündungsreaktion durch die zuvor genannten, individuellen Faktoren des Patienten moduliert [24].

Systemischer Einfluss des „first hit“

Traumatische Gewebeschädigungen führen zu einer physiologischen lokalen Entzündungsreaktion, deren Ausmaß wesentlich vom Verletzungsmuster und der Verletzungsverteilung beeinflusst wird [24]. Als Folge kann eine überschießende systemische Entzündungsreaktion, ein „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS), entstehen. Ebenso kommt es posttraumatisch zur Aktivierung einer kompensatorischen, antiinflammatorischen Reaktion, die insbesondere im späteren posttraumatischen Verlauf zu einer Immunsuppression mit einer erhöhten Inzidenz infektiöser Komplikationen führen kann. Sowohl das SIRS als auch die Immunsuppression können in der Entwicklung eines Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS) resultieren [11, 24].

IL‑6 ist einer der zuverlässigsten Parameter zur Quantifizierung der Entzündungsreaktion

Die Quantifizierung der Entzündungsreaktion kann anhand spezifischer Entzündungsmediatoren erfolgen. Unter diesen hat sich das proinflammatorische Zytokin Interleukin‑6 (IL‑6) als einer der zuverlässigsten Parameter erwiesen. So konnte eine Assoziation zwischen der systemischen IL‑6-Konzentration initial nach Trauma und der Entwicklung posttraumatischer Komplikationen im späteren klinischen Verlauf nachgewiesen werden [7, 24]. Weiterhin erscheint die klinische Prüfung systemischer IL‑6-Konzentrationenen sinnvoll, da deren Anstieg einige Tage vor den klinischen Zeichen der posttraumatischen Entzündungsreaktion (z. B. Fieber, Leukozytose) zu beobachten ist [10]. In diesem Zusammenhang bleibt jedoch festzuhalten, dass die Entscheidung zu therapeutischen Maßnahmen nicht anhand nur eines inflammatorischen Parameters getroffen werden kann. Hierfür ist die Zuverlässigkeit (Sensitivität und Spezifität) keines Mediators ausreichend [7].

Systemischer Einfluss des „second hit“

Als „second hit“ können verschiedene Einflussfaktoren im Rahmen der klinischen Behandlung (Operationen, Bluttransfusionen, infektiöse Komplikationen) gelten, die jeweils zu einer weiteren Aktivierung der systemischen Entzündungsreaktion führen können. Hieraus wird ersichtlich, dass auch bei einem Patienten mit einem moderaten „first hit“ durch anschließende „second hits“ (z. B. ausgedehnte Operationen) ein SIRS mit einer assoziierten Verschlechterung des klinischen Zustands hervorgerufen werden kann. Durch das DC-Konzept kann die operationsbedingte Aktivierung der Entzündungsreaktion und somit die Gesamtbelastung insbesondere bei instabilen Patienten mit einem hohen Risiko für posttraumatische Komplikationen reduziert werden [24, 31]. Auch zur Quantifizierung des „second hit“ hat sich IL‑6 als ein geeigneter Parameter erwiesen, da der postoperative Anstieg von IL‑6 mit dem Ausmaß der Operation assoziiert ist. Dabei führt die initiale Marknagelung des Femurs nach Polytrauma im Rahmen des ETC-Konzepts zu signifikant erhöhten IL‑6-Konzentrationen [24]. Auch nach Operationen tritt eine antiinflammatorische Reaktion auf, die den immunsuppressiven Effekt durch das Trauma signifikant verstärken kann [21, 24].

Behandlung von Frakturen langer Röhrenknochen – von „early total care“ zu „damage control orthopedics“

Frakturen der langen Röhrenknochen, insbesondere des Oberschenkels, stellen bei schwerverletzten Patienten eine der häufigsten Verletzungen dar. Das optimale Therapiekonzept der Femurfrakturen für diese Patienten hat sich im Lauf der letzten Jahrzehnte mehrfach grundlegend geändert und wird weiterhin teilweise kontrovers diskutiert [11]. Grundsätzlich gibt es fünf Methoden zur Behandlung dieser Frakturen:

  • Gips,

  • Extension,

  • externe Stabilisierung mittels Fixateur externe sowie

  • interne Stabilisierung mittels intramedullärer Nagelung oder Plattenosteosynthese.

Die Behandlung mit Gips und Extension wurde um 1960 als Standardtherapie zur Versorgung von Frakturen der langen Röhrenknochen bei polytraumatisierten Patienten angesehen, da der schwerverletzte Patient als zu instabil galt, um das Operationstrauma zu überleben. Dieses Verfahren wurde im weiteren zeitlichen Verlauf als obsolet angesehen, da durch eine Verkürzung der präklinischen Versorgungszeiten und erweiterte intensivmedizinische Möglichkeiten kritische Zustände der Patienten immer besser beherrscht werden konnten. So zeigten Studien, dass die Mortalität durch eine initiale definitive Stabilisierung unabhängig vom Verfahren (intramedullärer Nagel, Platte) gesenkt werden konnte. Weiterhin wurden eine signifikante Schmerzreduktion, eine frühere Mobilisation sowie eine Reduktion infektiöser und thrombembolischer Komplikationen erreicht. Diese Ergebnisse führten ab 1980 zu einem neuen Standardverfahren für die frühe definitive Versorgung von Frakturen der langen Röhrenknochen, dem so genannten „early total care“ (ETC; [2, 4, 11, 24]).

Trotz der positiven Effekte der frühen definitiven Frakturversorgung wurde für spezifische Subgruppen nach Polytrauma nachgewiesen, dass diese nicht vom Konzept des ETC profitieren. Insbesondere bei instabilen Patienten mit schwerer Hämorrhagie oder hoher Gesamtverletzungsschwere konnte eine erhöhte Inzidenz posttraumatischer Komplikationen wie dem „adult respiratory distress syndrome“ (ARDS) oder MODS nach initial definitiver Versorgung beobachtet werden. Bei diesen Patienten mit einem hohen Risikopotenzial wurde in verschiedenen Studien ein besserer klinischer Verlauf durch die Anwendung des Konzepts der „damage control orthopedics“ (DCO) erreicht [11, 23, 30]. Das DCO-Verfahren beinhaltet hierbei

  • die initiale Versorgung der Fraktur mit einem Fixateur externe,

  • die anschließende Stabilisierung des Gesamtzustands des Patienten und

  • abschließend die definitive Versorgung der Fraktur im späteren klinischen Verlauf.

Als wesentliche Vorteile dieses Verfahrens bei Hochrisikopatienten werden

  • die deutlich schnellere Anwendbarkeit,

  • ein niedrigerer Blutverlust,

  • eine reduzierte systemische Entzündungsreaktion sowie

  • eine Reduktion der Mortalität

angeführt.

Als potenzieller Nachteil der temporären externen Fixation muss die nötig werdende sekundäre definitive Stabilisierung angeführt werden. Inwieweit das DCO-Konzept mit einer verlängerten Beatmungsdauer, einer längeren Liegedauer auf der Intensivstation sowie einem potenziell erhöhten Infektionsrisiko bei der Konversion von der externen zur definitiven Stabilisierung assoziiert ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert [4, 22, 24, 31].

Bei welchen Patienten sollte das DCO-Konzept angewendet werden?

Verschiedene Übersichtsarbeiten zur Thematik der Frakturbehandlung bei polytraumatisierten Patienten unterstreichen die therapeutische Unsicherheit, bei welchen Subgruppen polytraumatisierter Patienten die initiale definitive Versorgung (ETC) oder die externe Fixation mit sekundärer interner Stabilisierung (DCO) zu bevorzugen ist [6, 26]. In Übereinstimmung hiermit konnte in einer Analyse des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) an mehr als 8000 Patienten gezeigt werden, dass die Versorgungsstrategien in Deutschland diesbezüglich erheblich variieren [26].

Die Versorgungsstrategien variieren in Deutschland erheblich

Patienten mit spezifischen Verletzungsmustern (Thoraxtrauma, Schädel-Hirn-Trauma) scheinen vom DCO-Konzept zu profitieren [5]. Weiterhin wurden in der Literatur anhand physiologischer oder anatomischer Parameter polytraumatisierte Patienten identifiziert, die aufgrund ihres Verletzungsmusters oder ihres klinischen Zustands aus dem DCO-Verfahren Nutzen ziehen können. Allerdings sind diese Kriterien bisher noch nicht in kontrollierten, randomisierten Studien überprüft worden [4].

Thoraxtrauma

Frakturen der langen Röhrenknochen sind bei polytraumatisierten Patienten oft mit einem Thoraxtrauma assoziiert. Häufig erweist sich die frühe Festlegung der thorakalen Verletzungsschwere als kompliziert. Ebenso kann sich die pulmonale Funktion insbesondere nach parenchymatösen Lungenverletzungen rasch verschlechtern [11] und durch eine Frakturversorgung nach dem ETC-Konzept zusätzlich signifikant beeinträchtigt werden. Ursächlich hierfür scheint der intravasale Eintritt von Bestandteilen des Markraums aufgrund des hohen Drucks beim Aufbohren oder Einbringen des intramedullären Nagels zu sein. Dies kann zu einer pulmonalen Fettembolie führen [23, 28], weshalb das Thoraxtrauma in der Literatur teilweise als Kontraindikation für die initiale definitive Osteosynthese angesehen wird [24]. Im Gegensatz hierzu wird in anderen Studien diese Assoziation nicht gesehen, was in der Empfehlung einer frühen definitiven Versorgung zur Vermeidung thrombembolischer Komplikationen resultiert. Weiterhin wird angeführt, dass die initiale definitive Versorgung die Mobilisierung erleichtert und somit die Inzidenz sekundärer Lungenschäden durch nosokomiale Pneumonien reduziert [2, 5].

Schädel-Hirn-Trauma

Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) scheinen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für posttraumatische Komplikationen im Falle einer initialen definitiven Versorgung von Femurschaftfrakturen aufzuweisen [13, 20]. Wesentliche Ursachen hierfür sind möglicherweise die intraoperative Hypotension und Hypoxie [25], die neben der primären traumatischen Hirnschädigung einen sekundären Hirnschaden verursachen können. Ein anderer möglicher Mechanismus wird in der Freisetzung verschiedener inflammatorischer Mediatoren durch die definitive Osteosynthese gesehen, die zu einer erhöhten Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke führt [17]. Der hieraus resultierende Transfer von intravasaler Flüssigkeit und Albumin in das Hirngewebe kann in einem Anstieg des Hirndrucks und einer damit assoziierten Verminderung der Blutversorgung resultieren [10].

Klinische Untersuchungen zum Einfluss der operativen Versorgungsstrategie auf den Verlauf nach SHT erbringen teilweise unterschiedliche Ergebnisse. Während Jaicks et al [13] signifikant schlechtere neurologische Ergebnisse nach initialer definitiver Versorgung nachwiesen, zeigten Kalb et al. [14], dass neurologische Komplikationen durch ein intensives Monitoring und eine adäquate Flüssigkeitssubstitution verhindert werden können. Hofman et al. [12] wiesen allerdings nach früher definitiver Frakturstabilisierung auch schlechtere Werte auf der Glasgow Coma Scale nach. Diesen Ergebnissen zum Trotz bleibt das optimale Vorgehen bei polytraumatisierten Patienten weiterhin nicht eindeutig geklärt [9, 11, 31].

Definition von Risikopatienten

Es besteht in der Literatur Einvernehmen darüber, dass Monoverletzungen sowie Frakturen bei nicht schwerverletzten Patienten nach dem ETC-Konzept behandelt werden sollten [4, 23]. Ebenso besteht weitestgehende Einigkeit darüber, dass schwerverletzte Patienten in einem instabilen Zustand nach DC-Kriterien therapiert werden [4, 23]. Bezüglich der übrigen Patienten besteht eine teils kontroverse Diskussion, welcher Patient von welchem Verfahren profitieren könnte. Verschiedene Autoren haben Kriterien zur Identifikation der Patienten mit einem hohen Risikopotenzial entwickelt. Shapiro et al. [29] definierten Kriterien zur Durchführung des DC-Konzepts bei abdominalchirurgischen Patienten (Infobox 1). Durch Pape et al. [22] wurde der Begriff des Borderline-Patienten definiert, der von der Anwendung des DCO-Verfahrens im Sinne einer erniedrigten Inzidenz eines Lungenversagens profitieren könnte (Infobox 2, [23]). Bouillon et al. [4] schlagen ein Vorgehen nach der „6er-Regel“ zur Identifizierung von Risikopatienten vor (Infobox 3). In der Literatur sind weitere Kriterien zur Identifizierung von Risikopatienten definiert [16, 27].

Wann sollte die definitive Versorgung sekundär durchgeführt werden?

Im Rahmen des DCO-Konzepts stellt die Festlegung des Operationszeitpunkts zur definitiven Versorgung eine der wichtigsten Entscheidungen dar. In verschiedenen Studien wird davon ausgegangen, dass die frühe Aktivierung des Immunsystems nach Polytrauma durch die frühe definitive Osteosynthese signifikant verstärkt wird. Nach dieser Theorie sollte mit der definitiven Stabilisierung gewartet werden, bis sich die traumatisch bedingte proinflammatorische Entzündungsreaktion normalisiert hat [18, 21, 24]. So wurde eine erhöhte Mortalität bei ausgedehnter operativer Versorgung vom zweiten bis vierten Tag nach Trauma beobachtet [9, 19, 24], wohingegen eine definitive Versorgung vom sechsten bis achten Tag zu keiner erhöhten Inzidenz posttraumatischer Komplikationen führte [19, 24]. Giannoudis et al. [9] schlagen vor, die definitive Osteosynthese zwischen dem vierten und 14. Tag nach Trauma durchzuführen. Es wird ein Vorgehen vorgeschlagen, das sich an definierten Endscheidungskriterien orientiert (Infobox 4). Zum jetzigen Zeitpunkt wird der optimale Zeitpunkt für die sekundäre definitive Versorgung allerdings noch kontrovers diskutiert [1, 15], sodass eine individuelle klinische Beurteilung unter Einbeziehung konventioneller Laborparameter sowie spezifischer Entzündungsparameter (IL‑6, Prokalzitonin etc.) erfolgen sollte.

Fazit für die Praxis

In der Literatur bleibt weiterhin ungeklärt, welche Subgruppen polytraumatisierter Patienten entweder vom ETC- oder DCO-Konzept profitieren [6, 26]. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass weder das ETC- noch das DCO-Konzept als Standardverfahren für die Gesamtheit der polytraumatisierten Patienten gelten können. Vielmehr sollte die Entscheidungsfindung das individuelle Risikoprofil des Patienten sowie die anatomische und physiologische Verletzungsschwere sowie die posttraumatischen immunologischen Veränderungen einschließen. So können Patienten mit einem niedrigen Risikoprofil nach dem ETC-Konzept behandelt werden, wohingegen Patienten mit einem hohen Risiko für posttraumatische Komplikationen nach dem DCO-Verfahren behandelt werden sollten.