Jede der in Tab. 1 aufgeführten Verletzungen, die mit einer Bewegungseinschränkung, Schmerz und Schwellung im Bereich des Ellenbogengelenks einhergehen, stellt für den Betroffenen ein erhebliches Defizit an Selbstständigkeit – oder nach ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) – einen erheblichen Mangel an der Teilhabe dar. Die selbstständige körperliche Pflege, Essen, Trinken, Ankleiden, Autofahren oder das Bedienen von Maschinen und Geräten sind insbesondere bei einer Einschränkung der Ellenbogenflexion nicht durchführbar. Die aufrechte Haltung und ein „normaler“ Gang mit normalem Armpendeln sowie Gleichgewichts- mit Stützreaktionen sind bei einer Einschränkung der Ellenbogenextension nicht möglich.

Tab. 1 Mit Mangel an der Teilhabe einhergehende Ellenbogenverletzungen

Physiotherapeutische Behandlung – Stabilität

Artikuläre, kapsuläre, ligamentäre, muskuläre oder nervale Ursachen können Gründe für die Bewegungseinschränkung sein. Sie müssen bei der physiotherapeutischen Behandlung entsprechend berücksichtigt werden.

Postoperativ oder posttraumatisch ist es zwingend erforderlich, dass der Physiotherapeut vom Operateur bzw. behandelnden Arzt konkrete Angaben zur Stabilität des Ellenbogengelenks erhält:

  • Lagerungsstabilität

  • Bewegungsstabilität

  • Belastungsstabilität

  • Trainingsstabilität

Anmerkung

Der Begriff „ übungsstabil“ muss aus der Nomenklatur endgültig gestrichen werden, denn „Übung“ ist ein zu weit gefasster, zu unspezifischer Begriff, der auch die rein statische Muskelanspannung oder den konsensuellen Einfluss über die Atmung umfasst.

Kaum ein anderes Gelenk mit seiner bewegenden Muskulatur reagiert auf eine fehlerhafte Behandlung so empfindlich mit Komplikationen, wie Myositis ossificans, Gelenksteife oder Ossifikationen der Membrana interossea, wie das Ellenbogengelenk. Der Physiotherapeut muss bei der Behandlung stets sein Hintergrundwissen bezüglich der Belastbarkeit berücksichtigen und mit sehr viel Einfühlsamkeit vorgehen, um kein „Zuviel“ und kein „Zuwenig“ zu riskieren.

Lagerungsstabilität

Da die Dauer der Ruhigstellung erheblichen Einfluss auf die Beeinträchtigung des Gelenks hat, wird die Versorgung immer so gewählt, dass nach Möglichkeit eine frühfunktionelle Behandlung so schnell wie möglich einsetzen kann. Somit wird, wenn irgend möglich, der Stabilitätsgrad der reinen Lagerungsstabilität vermieden. Dennoch gibt es Situationen, in denen diese zwingend erforderlich ist, um eine Verschiebung der Fraktur zu verhindern oder einen Entzündungsprozess zu schonen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Lagerungsstabilität des Ellenbogens

Der Physiotherapeut muss in diesem Fall zur Entstauung eine geeignete Hochlagerung finden und die Muskulatur über statische Muskelarbeit aktivieren. Das ist über die Bewegung in den angrenzenden Gelenken per Overflow und über gedachte Widerstände möglich. Zwingend ist eine Anleitung zum Eigentraining, das auch Bewegungen in den Schulter- und Fingergelenken zur Resorptionsförderung beinhaltet.

Bewegungsstabilität

Hierunter ist zu verstehen, dass das Gelenk passiv, aktiv-assistiv oder aktiv hubfrei, hubarm oder gegen oder mit der Schwerkraft mit oder ohne Bewegungslimit bewegt werden darf.

Unter passivem Bewegen ist auch der Einsatz der elektrischen Bewegungsschiene zu verstehen, die insbesondere nach Arthrolysen eingesetzt wird. Nach der Entlassung aus der stationären Behandlung wird sie auch für den Einsatz im häuslichen Bereich verordnet, um die gelösten Strukturen vor erneuter Verklebung zu bewahren (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Einsatz der elektrischen Bewegungsschiene

Nach der operativen Versorgung der supra- und perkondylären Humerusfraktur, der Radiusköpchenfraktur sowie nach Radiusköpfchenresektion und Radiusköpfchenprothese wird der Ellenbogen bereits ab dem 2. postoperativen Tag aktiv-assistiv aus der Gipsschale in Flexion, Extension, Supination und Pronation, ggf. mit Unterstützung eines Schmerzkatheters, bewegt. Bei der konservativ versorgten Radiusköpfchenfraktur wird erst nach 1 Woche mit diesen Bewegungen begonnen.

Nach den genannten Luxationsfrakturen muss sich der Physiotherapeut ganz individuell nach den Angaben des Operateurs richten, der alleine über Kenntnisse hinsichtlich der postoperativen Stabilität und Luxationsgefahr verfügt. In diesen Fällen kann je nach Versorgung die Bewegung aus der Gipsschale bereits nach Entfernung der Redon-Dränage oder ggf. auch erst nach längerer Ruhigstellung von 2–3 Wochen erfolgen.

Die Behandlung der Supination wird problematisch, wenn der Unterarm in Pronationsstellung ruhiggestellt werden musste, da es dann relativ schnell zur Kontraktur der entspannten Membrana interossea kommt. Die volle Supination ist in diesen Fällen meist trotz intensiver physiotherapeutischer Behandlung kaum wieder herzustellen.

Tendenziell besteht grundsätzlich das Bemühen, die aktiv-assistive Bewegung aus der Gipsschale so früh wie irgend möglich freizugeben.

Die aktive Bewegung in Pro- oder Supination kann frühzeitig schonend hubfrei durchgeführt werden, wenn die Bewegungsachse vertikal im Raum steht bzw. die Bewegung in einer horizontalen Ebene stattfindet. Für Flexion und Extension würde das bedeuten, dass der Arm horizontal in Schulterhöhe gelagert ist und die Bewegung in einer horizontalen Ebene stattfindet (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Möglichkeit der schonenden hubfreien aktiven Bewegung bei vertikal im Raum stehender Bewegungsachse

Darf gegen die Schwerkraft aktiv konzentrisch oder mit der Schwerkraft exzentrisch gearbeitet werden, kann der Unterarm vom Patienten gehoben oder gesenkt werden, ohne dass Gefahr für die verletzten Strukturen besteht. Die Flexion wird dabei in Kombination mit der Supination, die Extension in Kombination mit der Pronation durchgeführt, um den Synergismus der Muskulatur auszunutzen. Ausweichbewegungen werden durch statische antagonistische Muskelarbeit oder durch Gegenbewegung verhindert. Damit kann das aktuelle endgradige Bewegungsausmaß erreicht werden.

Bewegungsstabilität kann durchaus bedeuten, dass nur ein limitiertes Bewegungsausmaß erlaubt ist, sei es aus der Gipsschale heraus, in der Einstellung des Bewegungsfixateurs oder in der Einstellung der elektrischen Bewegungsschiene (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Bewegungsstabilität trotz limitiertem Bewegungsausmaß

Hilfsmaßnahmen

Unterstützende Maßnahmen der physiotherapeutischen Behandlung sind die Anwendung von Eis oder Kühlmanschetten und die Lymphdränage zum Abbau von Ödemen.

Ist die Narbe nach der Wundheilung eingezogen, haben wir gute Erfahrungen mit der Anlage eines Narbentapes gemacht. Das Kinesiotape, ein elastisches Tape, hat die Funktion, die Oberhaut anzuheben, wodurch sich die Durchblutung in dem darunter liegenden Gewebe verbessert und es zur Entstauung kommt (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Anwendung eines Kinesiotapes zur Förderung der Durchblutung und Entstauung

Belastungsstabilität

Ist sie nach Frakturheilung erreicht, können Techniken aus der manuellen Therapie angewandt werden, um die Mobilisation des Gelenkmechanismus passiv zu forcieren. Da nun vermehrt Widerstände in die Behandlung eingebaut werden können bieten sich PNF-Pattern (PNF: propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation), widerlagernde Widerstände und ein funktionelles Stütztraining (Abb. 6) an. Zusätzlich kann der Patient an der Gruppentherapie teilnehmen, um seine erreichten Funktionen unter Anleitung einzusetzen.

Abb. 6
figure 6

Funktionelles Stütztraining nach Erreichen von Belastungsstabilität

Wurde nach langer Ruhigstellung und unbefriedigendem Ergebnis eine Arthrolyse des Ellenbogengelenks erforderlich, wird für den Patienten zusätzlich zu seinem Behandlungsprogramm durch die Ergotherapie eine dynamische Beuge- und Streckschiene angefertigt, die er mehrmals täglich außerhalb seiner aktiven Maßnahmen in stündlichem Wechsel in Flexion und Extension anlegen soll (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Einsatz der durch die Ergotherapie angefertigten dynamischen Beuge- und Streckschiene

Im Bewegungsbad kann der Patient bei Belastungsstabilität auch an den Therapiegruppen für die obere Extremität teilnehmen oder aber seine aktuelle Beweglichkeit beim freien Schwimmen einsetzen. Da der Wasserwiderstand um ein Vielfaches höher ist als der Luftwiderstand, ist diese Maßnahme erst bei erreichter Belastungsstabilität zu empfehlen. Der Vorteil der Entlastung durch den Auftrieb des Wassers ist für das Ellenbogengelenk weniger relevant.

Trainingsstabilität

Dieser Begriff bedeutet, dass der Patient bei voller Belastbarkeit Beweglichkeit, Ausdauer, Koordination, Kraft und ggf. Schnelligkeit trainieren darf. Dies betrifft in unserem stationären Bereich bedingt die Patienten, die zur Berufsgenossenschaftlichen Stationären Weiterbehandlung (BGSW), insbesondere aber diejenigen Patienten, die zur Komplexen Stationären Rehabilitation (KSR) oder zur Medizinisch Beruflich Orientierten Rehabilitation (MBO), eingewiesen wurden.

Diese trainingsstabilen Rehabilitanden nehmen neben der intensiven physiotherapeutischen Einzelbehandlung und physikalischer Therapie an zahlreichen Sport- und Therapiegruppen und einer gezielten medizinischen Trainingstherapie teil. Während der zusätzlichen intensiven ergotherapeutischen Behandlung lernt der Patient, seinen verletzten Arm wieder alltagsgerecht und berufsspezifisch einzusetzen und seine Ziele der Teilhabe im persönlichen und beruflichen Umfeld zu erreichen.