Ausgangslage

Die Heilverfahren der gesetzlichen Unfallversicherung haben sich seit Jahrzehnten im Ansatz und in der Zielrichtung bewährt. Durch die Formulierung hoher Anforderungen und die Einbindung besonders qualifizierter Leistungserbringer konnten anerkannt gute Behandlungs- und Rehabilitationsergebnisse erzielt werden.

Ausgehend von diesem hohen Qualitätsniveau stehen die unfallversicherungsrechtlichen Heilverfahren als Teil eines sich wandelnden Gesundheitswesens vor neuen Herausforderungen. Hierzu zählen eine unveränderte Bedarfssituation mit seit Jahren sinkenden Unfallzahlen sowie die unvermindert hohe und z. T. noch steigende ökonomische und sozialpolitische Bedeutung schwerer und schwerster Verletzungsfälle. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren weit reichende gesundheitspolitische Entwicklungen mit z. T. erheblichen Änderungen der Versorgungslandschaft eingeleitet. Vor dem Hintergrund gestiegener Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen müssen schließlich dauerhafte Anstrengungen zur weiteren Verbesserung der Effizienz der medizinischen und rehabilitativen Leistungen unternommen werden.

Mit dem Ziel, die Versorgung Unfallverletzter mit „allen geeigneten Mitteln“ weiterzuentwickeln und die Zukunftsfähigkeit der politisch wie gesellschaftlich in hohem Maße anerkannten Heilverfahren zu sichern, verabschiedete die Mitgliederversammlung der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) „Eckpunkte zur Neuausrichtung der Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung“ [1]. Dieses Eckpunktepapier will den Impuls für eine vertiefende Diskussion in den Fachgremien und Selbstverwaltungsorganen der DGUV und ihrer Mitglieder geben und ist als Richtschnur für die erst noch vorzunehmende Erarbeitung konkreter Konzepte gedacht.

Durchgangsarztverfahren

Das heutige Durchgangsarztverfahren (D-Arzt-Verfahren) besteht seit 1925. Änderungen wurden im Laufe der Zeit lediglich hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen und der technischen und räumlichen Kriterien vorgenommen. Die D-ärztliche Behandlung, ob im niedergelassenen oder im stationären Bereich, wird lediglich durch die Behandlung Schwerstunfallverletzter mit dem dazugehörigen Verletzungsartenkatalog eingeschränkt. Ansonsten unterscheidet das D-Arzt-Verfahren strukturell nicht zwischen stationärer und ambulanter Behandlung.

Vor dem Hintergrund der neuen Weiterbildungsordnung spricht sich das Eckpunktepapier im Grundsatz für eine abgestufte Beteiligung am D-Arzt-Verfahren als tragfähiges Modell aus. So wird unterschieden zwischen

  • D-Ärzten, die stationsersetzende operative Eingriffe vornehmen, und

  • D-Ärzten, die nicht ambulant operieren, aber im Wesentlichen das Heilverfahren überwachen und steuern („case management“).

Die differenzierten Zulassungsverfahren könnten sich derart gestalten, dass der Arzt, der stationsersetzende operative Eingriffe erbringt, weiterhin – wie auch schon bisher neben dem Facharzt für Orthopädie und Chirurgie – die Zusatzqualifikation „Spezielle Unfallchirurgie“ nachweisen muss.

Der D-Arzt, der keine operativen Eingriffe vornimmt, muss den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie nach seiner Facharztanerkennung 1 Jahr Tätigkeit in einem zum Verletzungsartenverfahren (VAV) zugelassenen Krankenhaus nachweisen. Zusätzlich sind das Einführungsseminar in die D-Arzt-Tätigkeit zu absolvieren sowie – und diese Lehrgänge müssten von der DGUV (Landesverbände) noch eingerichtet werden – Kenntnisse im Begutachtungswesen in der gesetzlichen Unfallversicherung und im Bereich des Rehabilitationsmanagements nachzuweisen.

Die Tatsache, dass viele Behandlungsberichte mit wochen- oder monatelanger Verspätung bei den Unfallversicherungsträgern eintreffen, ist für eine zeitnahe Steuerung und Überwachung des Heilverfahrens unbefriedigend. Die rechtzeitige Eingliederung des Unfallverletzten in sein Berufsleben findet dadurch oft erst sehr verspätet statt. Diese bestehenden Defizite unterstreichen den Nachholbedarf, die Qualifikationsanforderungen der D-Ärzte noch mehr zu verlagern – vom operierenden Unfallchirurg hin zum Case-Manager der Unfallversicherung.

Unter Beachtung der ärztlichen Weiterbildung und der Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung soll das heutige H-Arzt-Verfahren entfallen.

Einbeziehung von weiteren Leistungserbringern

Die Mitgliederversammlung der DGUV sprach sich dafür aus, die besondere Kompetenz einzelner Leistungserbringer für bestimmte operative Eingriffe bei Bedarf und im Rahmen der Systematik der Heilverfahren zu nutzen. Hier handelt es sich insbesondere um Ärzte, die sich auf eine bestimmte Operationsart, z. B. Eingriffe am Knie oder an der Schulter, spezialisiert haben, und bisher nicht am berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren beteiligt werden konnten. Oft sind diese Ärzte in Privatkliniken oder Praxen tätig, die nicht unter die Regularien des Vertrages Ärzte/Unfallversicherungsträger fallen. Es besteht daher zurzeit nur die Möglichkeit, dass der Unfallversicherungsträger im Einzelfall einen Behandlungsauftrag erteilt.

Für diese Problematik wurde in der zuständigen Arbeitsgruppe noch keine Detaillösung für generelle Beteiligungsanforderungen gefunden. Für die entsprechenden Fälle sind Qualitätskriterien zu formulieren, anhand derer die konkrete Auswahl der Leistungserbringer erfolgen kann.

Einführung eines kontinuierlichen Qualitätssicherungssystems

Angesichts der gestiegenen Anforderungen an den Nachweis von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen ist es notwendig, ein Konzept zur kontinuierlichen Qualitätssicherung zu entwickeln. Es muss Verfahren einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle beinhalten und verstärkt Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität berücksichtigen.

Zulassung/Vertragsabschluss

Die nachgewiesene Qualität ist für die Entscheidung über die Zulassung von Leistungserbringern und den Abschluss von Versorgungsverträgen maßgeblich. Im Rahmen der Konzeptentwicklung sind Qualitätskriterien zu definieren und Instrumente zur Messung der Prozess- und Ergebnisqualität zu entwickeln, die regelhaft mit vertretbarem Aufwand, insbesondere aufgrund vorhandener Daten, zum Einsatz kommen können. Flankierend zu einem neu strukturierten Qualitätssicherungssystem ist bei der Beteiligung von Leistungserbringern durch entsprechende vertragliche Gestaltung sicherzustellen, dass der geforderte Qualitätsstandard erhalten bleibt.

Anpassung an Bedarf/Mindestfallzahlen

Unter Berücksichtigung von Bedarfsgesichtspunkten im Sinne einer konsequenten Qualitätsorientierung der Heilverfahren liegt es nahe, über die Einführung von Bedarfsaspekten eine stärkere Konzentration auf Leistungserbringerseite herbeizuführen. Ziel ist es, Qualitätsanreize zu schaffen und Überversorgung zu vermeiden. Vor dem Hintergrund rückläufiger Gesamtunfallzahlen und in Anbetracht der besonderen sozialpolitischen sowie ökonomischen Bedeutung schwerer Verletzungsfälle soll bei der Beteiligung von Leistungserbringern deshalb künftig auch Bedarfsgesichtspunkten Rechnung getragen werden. Die Zulassung nach Bedarfsaspekten ist so zu gestalten, dass nachrückende hochqualifizierte Leistungserbringer nicht ausgeschlossen werden.

Unter dem Blickwinkel des tatsächlichen Bedarfs und der Steigerung der fachlichen Kompetenz der Leistungserbringer ist auch über die Einführung von Mindestfallzahlen zu entscheiden. Bereits jetzt können die Landesverbände Beteiligungen am D-Arzt-Verfahren kündigen, wenn in einem Zeitraum von 5 Jahren im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 150 Unfallverletzte von dem betreffenden D-Arzt erstversorgt wurden. Diese Fallgrenze wurde entwickelt, um den D-Ärzten eine relativ hohe Versorgungsquote bei der Behandlung Unfallverletzter zu gewährleisten. Hier wäre es für die Zukunft durchaus vorstellbar, den Anteil auf etwa 250 Arbeitsunfallverletzte pro Jahr anzuheben.

Eine qualitäts- und bedarfsorientierte Neuordnung der Versorgung Unfallverletzter muss auch Strategien für den Fall beinhalten, dass in einzelnen Regionen eine Unterversorgung droht oder bereits eingetreten ist.

Übergangszeit

Das Konzept zur zukünftigen Zulassung nach Bedarfs- und Qualitätsgesichtspunkten soll Übergangsregelungen bis zur vollständigen Einführung eines neuen Modells vorsehen.

Anpassung an die Veränderungen im vertragsärztlichen Bereich

Durch die Liberalisierung und Flexibilisierung der vertragsärztlichen Versorgung sehen sich die Landesverbände der DGUV mit neuen, sehr unterschiedlichen Niederlassungsmodellen konfrontiert (z. B. medizinische Versorgungszentren, überörtliche Gemeinschaftspraxen, Anstellung weisungsbefugter Ärzte). Damit das D-Arzt-Verfahren auch in diesen neuen Versorgungsstrukturen bestehen kann, müssen auch in Zukunft folgende Voraussetzungen vom D-Arzt erfüllt werden:

  • Der D-Arzt muss seine Tätigkeit persönlich erbringen.

  • Der D-Arzt muss weisungsfrei sein.

  • Insbesondere bei überörtlichen Gemeinschaftspraxen muss der Ort der Tätigkeit des D-Arztes die räumlichen und technischen Voraussetzungen der Anforderungen zur Beteiligung am D-Arzt-Verfahren erfüllen.

In diesem Zusammenhang kann die Gewährleistung einer einheitlichen „Ständigen Unfallärztlichen Bereitschaft“ diskutiert werden. Die zurzeit bestehende Regelung unterscheidet nicht, ob der D-Arzt im ländlichen Bereich oder in der Stadt tätig ist. Nach den zurzeit gültigen D-Arzt-Anforderungen hat der D-Arzt in der Zeit von Montag bis Freitag von 08.00–18.00 Uhr und am Samstag – mit der Möglichkeit durchgangsärztlicher Vertretungsregelungen – von 08.00–13.00 Uhr seine unfallärztliche Bereitschaft zu gewährleisten. Ob sich die Praxis im Ballungsraum oder auf dem Lande befindet, ist unerheblich, ebenso die Dichte der D-Arzt-Praxen in einem bestimmten Bereich. Hier sollten in Zukunft individuellere Lösungen gefunden werden, die den Bedürfnissen der Unfallverletzten, aber auch der niedergelassenen D-Ärzte Rechnung tragen.