Wenn man von nicht heilenden Wunden bei großen Hautweichteilverlusten an ungünstigen Stellen oder aufgrund von Knocheninfektionen absieht, sind chronische Wunden selten allein unfallbedingt. Es liegen in der Regel unfallunabhängige Faktoren vor, welche das Abheilen der Wunde verhindern. Gutachterlich ist in diesen Fällen zu unterscheiden, ob im Sinne eines Zusammenwirkens sowohl der Unfall als auch der unfallunabhängige Faktor wesentliche Teilursache sind oder ob der unfallunabhängige Faktor allein wesentlich ist. Im ersten Fall wäre die chronische Wunde nach den Kausalitätskriterien der Gesetzlichen Unfallversicherung unfallbedingt, im 2. Fall wäre die Gesetzliche Unfallversicherung nicht leistungspflichtig.

Unfallunabhängige Ursachen bzw. konkurrierende Ursachenfaktoren

Zahlenmäßig die größte Bedeutung haben

  • die chronisch-venöse Insuffizienz,

  • die arterielle Verschlusserkrankung und

  • das diabetische Fußsyndrom.

Zu denken ist aber auch an seltene Ursachen wie Geschwüre nach Bestrahlung, das Pyoderma gangraenosum (tritt bei entzündlichen Darmerkrankungen und der rheumatoiden Arthritis gehäuft auf, hat aber in etwa 50% der Fälle keinen assoziierten Risikofaktor), Vaskulitiden, Hämoglobinopathien, hereditäre Sphärozytose, monoklonale Kyroglobulinämie, Necrobiosis lipoidica und tropische Geschwüre (z. B. Leishmaniasis). Auch verschiedene Karzinome, insbesondere Plattenepithel- und Basalzellkarzinome, können sich als Geschwüre präsentieren. Daher sollte ein Geschwür, wenn es trotz adäquater Behandlung nicht heilt, biopsiert werden, um ein Karzinom auszuschließen. Das Gleiche gilt für Geschwüre, welche sich in Narben entwickeln (Cave: Narbenkarzinom).

Chronisch-venöse Insuffizienz

Sie liegt bei 45–80% der Geschwüre an den Beinen zugrunde. Hervorgerufen durch insuffiziente Venenklappen sind venöse Geschwüre durch venöse Hypertension und Ödeme der unteren Extremität charakterisiert. Übersteigt die venöse Hypertension den Kapillardruck der Haut, entsteht eine lokale Ischämie. Hierdurch kann es zu einer Ulzeration kommen, die sich zu einem chronischen Geschwür entwickelt.

Venöse Geschwüre sind typischerweise am Innenknöchel, aber auch am Außenknöchel und der so genannten Gamaschenregion am körperfernen Unterschenkel lokalisiert. Ihre Größe variiert: Das Geschwür kann klein sein oder den gesamten Umfang des körperfernen Unterschenkels betreffen. Die Geschwüre sind typischerweise flach und weisen Granulationsgewebe auf. Sie sind häufig stark nässend und können schmierig belegt sein, wenn sie infiziert sind.

Begleitende klinische Zeichen der chronisch-venösen Insuffizienz stützen die Diagnose: braune Pigmentierung der Haut aufgrund von interstitiellen Hämosiderinablagerungen, Ödem, Ekzem, Krampfadern, Erweiterung der kleinen Gefäße am innenseitigen Aspekt des Fußes („ankle flare“), Lipodermatosklerose (Bein nimmt die Form einer umgekehrten Sektflasche an: weit am Knie, eng am Knöchel), Atrophie blanche (weißliche, bis münzengroße, rundliche atrophische Flecken, die von einem pigmentierten Saum mit Teleangiektasien umgeben sind).

Arterielle Verschlusskrankheit

Durch sie sind 5–20% der Geschwüre an den Beinen bedingt. Prädilektionsstellen der arteriellen Geschwüre sind die Zehen, die Füße und die Ferse, sie können aber überall am Bein auftreten. Typischerweise handelt es sich um kleine, ausgestanzte Geschwüre. Häufig sind am Wundgrund Sehnen oder Knochen sichtbar. Der Wundgrund blutet nicht, und Granulationsgewebe fehlt.

Ruheschmerzen und eine Claudicatio intermittens in der Vorgeschichte sind häufig. Diese Symptome können aber auch fehlen, insbesondere bei diabetischer Polyneuropathie. Weitere klinische Zeichen sind eine kalte, glänzende, haarlose Haut und fehlende oder kaum zu tastende Fußpulse. Ödeme bei arterieller Durchblutungsstörung treten v. a. hypostatisch bedingt auf, wenn aufgrund von Ruheschmerzen die Extremität dauernd tief gelagert wird. Bei der Lagerungsprobe nach Ratschow tritt eine deutliche Abblassung der Haut, ggf. mit Auslösung von Ischämieschmerzen auf. Die anschließende reaktive Hyperämie bei herunterhängendem Bein ist verzögert, dann aber massiv verstärkt und durch eine tiefrote und fleckförmige Hautverfärbung gekennzeichnet. Eine kapillare Auffüllzeit von über 15 s – normal 3–5 s – spricht für ein relevantes Strömungshindernis. Bei der Dopplerdruckmessung beweisen systolische Druckwerte am Knöchel unterhalb des Systemdrucks ein Strombahnhindernis, wobei Absolutwerte von 80–100 mmHg auf einen guten Kompensationsgrad schließen lassen, während Absolutwerte <40–60 mmHg eine kritische Extremitätenischämie anzeigen [4]. Zu beachten ist, dass bei verkalkten, nicht kompressierbaren Arterien die Dopplerdrucke fälschlich zu hoch gemessen werden und die Untersuchung nicht verwertbar ist.

Diabetisches Fußsyndrom

Auf Folgen eines Diabetes mellitus sind 15–25% der Geschwüre an den unteren Extremitäten zurückzuführen. Auch heute noch kommt es bei etwa 15–25% der Diabetespatienten zu behandlungsbedürftigen Fußproblemen, und ihr Risiko, eine Gangrän zu entwickeln, ist 17- bis 50-mal höher als bei Nichtdiabetespatienten [5].

Die Entstehung eines diabetischen Fußsyndroms basiert auf der Präsenz einer Neuropathie, einer Ischämie sowie einer verminderten Infektabwehr, wobei diese Faktoren zumeist in Kombination vorhanden sind [5]

Neuropathie

Bei Diabetespatienten liegt üblicherweise eine distale, symmetrische Polyneuropathie mit sensorischer, motorischer und autonomer Komponente vor.

Durch die sensorische Komponente ist die Schutzsensibilität eingeschränkt, und Hautläsionen am Fuß werden häufig verspätet erkannt.

Die motorische Komponente führt zu einer Atrophie der Fußbinnenmuskulatur mit einem konsekutiven Übergewicht der langen Beuger und Strecker [3]. Durch die hieraus resultierende typische Klauenstellung mit Überstreckung im Metatarsophalangealgelenk sowie Flexion im proximalen Interphalangealgelenk verändern sich die Belastungspunkte des Fußes mit einer massiven Druckzunahme in der Region unter den Metatarsalköpfchen.

Die autonome Komponente begünstigt durch eine Anhydrose mit trockener Haut die Entstehung von Fissuren, weiterhin können funktionelle Störungen mit arteriovenösen Kurzschlussverbindungen und reduzierter Hyperämiereserve die Infektabwehr und Wundheilung behindern.

Ischämie

Bei der diabetischen Makroangiopathie stehen infrainguinale Verschlussprozesse mit auffälliger Betonung der infrapoplitealen Arterien im Vordergrund. Zum anderen weisen die Arterien häufig eine röhrenförmige Sklerosierung der Tunica media auf, die so genannte Mönckeberg-Mediasklerose.

Die diabetische Mikroangiopathie wird heute als komplexer Prozess gesehen, der gleichermaßen morphologische, hämorrheologische bzw. hämostaseologische sowie funktionelle Komponenten enthält [6]. Die frühere Annahme von diabetesspezifischen Okklusionen auf arteriolärer Ebene, die gefäßrekonstruktive Maßnahmen quasi obsolet erscheinen ließ, ist heute widerlegt.

Verminderte Infektresistenz

Als ihre Ursache bei Diabetes wird v. a. eine herabgesetzte Funktionstüchtigkeit der Granulozyten und Gewebsmakrophagen im Rahmen der zellulären Erregerabwehr diskutiert [2].

Prädilektionstellen für diabetische Geschwüre sind vermehrt druckbelastete Knochenvorsprünge. An der Fußsohle sind häufig die Zehenkuppen, Großzehenballen, Kleinzehenballen, die Mittelfußköpfchen II–IV und der Fersenrand befallen, am Fußrücken die druckbelasteten Stellen von Krallenzehen, Hallux valgus, Hallux rigidus, Digitus quintivarus und Fußrückenhöcker.

Vorgehen bei der Beurteilung des Einzelfalls

Für die Einzelfallbeurteilung hat es sich bewährt, nach einem Algorithmus (Abb. 1) vorzugehen. Dieser hilft, unfallbedingte und unfallunabhängige Kausalketten systematisch zu prüfen und gegeneinander abzuwägen.

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zur Beurteilung des Einzelfalls

Ein nur geringfügiger unfallbedingter Erstschaden (z. B. eine kleine oberflächliche Hautverletzung oder eine geringe Druckstelle), welcher normalerweise innerhalb weniger Tage folgenlos abheilt, ist in der Regel keine wesentliche Ursache oder wesentliche Teilursache für eine chronische Wunde. Ausnahmen sind möglich, wenn die geringfügige Verletzung nachweisbar Eintrittspforte für eine Infektion mit pathogenen Keimen war. Verursacht diese Infektion einen größeren Hautweichteilschaden, ist dieser statt der ursprünglichen geringen Verletzung bei der weiteren Abwägung des Kausalzusammenhangs als Ausgangsbefund zugrunde zu legen. Dies gilt aber nur, wenn die Infektion bei oder frühzeitig nach der Verletzung erfolgt, so lange zwischen Unfall und der als Eintrittspforte dienenden Hautläsion noch ein wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht.

Selbstmanipulation und artifizielle Störungen

Artifizielle Störungen sind Erkrankungen, bei denen es zur heimlichen künstlichen Erzeugung, Aggravation oder Vortäuschung körperlicher und/oder psychischer Krankheitssymptome kommt, was in der Folge zu zahlreichen Krankenhausaufnahmen und medizinischen, insbesondere auch operativen Maßnamen führt. Wenngleich die Erzeugung/Aggravation der Krankheitssymptome scheinbar unter willentlicher Kontrolle geschehen, sind die Betroffenen unbewussten zwanghaften oder suchtartigen Impulsen unterworfen, die sie regelhaft nicht kontrollieren können [1]. Dies unterscheidet die artifiziellen Störungen von Selbstmanipulationen, die mit reflektierter („bewusster“) Motivation zur Erreichung eines Ziels, z. B. eines finanziellen Vorteils, erfolgen.

In ihrer Kindheit waren Patienten mit artifiziellen Störungen in hohem Maße real traumatisierenden Erlebnissen, z. B. Trennungs- und Verlusterlebnissen, körperlichen, sexuellen und seelischen Misshandlungen ausgesetzt. Aus psychodynamischer Sicht kann das selbstschädigende Verhalten als Reinszenierung dieser frühkindlichen Traumen („Identifikation mit dem Aggressor“) aufgefasst werden. Es dient den Patienten als Selbstbestrafungsmaßnahme, um unbewusste Schuldgefühle zu lindern, und insbesondere als Spannungsabfuhr, um bedrohliche innere Spannungszustände und Depersonalisierungszustände zu beenden [1].

In der Dermatologie geht man davon aus, dass 0,5–2% der Patienten an artifiziellen Symptomen leiden, etwa 80% sind Frauen, und etwa 1/3 kommen aus medizinischen Berufen [1].

An das Vorliegen einer Selbstmanipulation im Rahmen einer artifiziellen Störung oder auch mit reflektierter Motivation muss immer dann gedacht werden, wenn das Entstehen, das Nichtabheilen oder das Wiederauftreten einer chronischen Wunde weder unfallbedingt noch durch unfallunabhängige organische Erkrankungen plausibel erklärt werden können.

Weitere diagnostische Kriterien der artifiziellen Störung sind [1]:

  • wiederholte Wundheilungsstörungen bei Ausschluss wesentlicher organischer Ursachen

  • Symptomverstärkung vor geplanter Entlassung

  • suchtartiges Verlangen nach ständig neuen Krankenhausaufnahmen

  • auffällige Bereitschaft, sich invasiven diagnostischen und therapeutischen, einschließlich operativen Eingriffen zu unterziehen

  • auffallende Gleichgültigkeit bezüglich des Krankheitsverlaufs

  • Hinweise auf mehrere vorangegangene Eingriffe und Operationen

  • pathologische Arzt-Patienten-Beziehung

Ein deutlicher Hinweis auf das Vorliegen einer Selbstmanipulation ist, wenn eine organisch nicht plausibel erklärbare chronische Wunde unter einem geschlossenen Gipsverband zunächst abheilt, dann aber entgegen der ärztlicher Erfahrung erneut auftritt, sobald der Patient den Bereich der ehemaligen Wunde wieder erreichen kann. Gelegentlich kann eine Selbstmanipulation auch dadurch nachgewiesen werden, dass in der Wunde Fremdkörper aufgefunden werden, welche weder durch therapeutische Maßnahmen noch durch den Unfall dorthin gelangt sein können.

Bei Selbstmanipulationen muss mit einer nicht unerheblichen Dunkelziffer gerechnet werden. Die Angst, dem Patienten unrecht zu tun, vielleicht irgend etwas zu übersehen, lässt die behandelnden Ärzte lange Zeit vor dem Gedanken an eine Selbstmanipulation des Patienten zurückweichen. Ist der Verdacht einmal aufgekommen und erhärtet, führt dies fast regelhaft dazu, dass der Patient nach kurzer Zeit einen neuen Arzt sucht, wenn er darauf angesprochen wird. Hierdurch beginnt das Ganze von vorn. Um die Chance auf eine Therapie der zugrunde liegenden psychischen Erkrankung zu wahren, ist es daher wichtig, den Patienten behutsam anzusprechen und auf aggressive Verurteilungen und Konfrontationen des Patienten von Seiten der Ärzte zu verzichten.