Knochendefekte können aus Tumoren, Traumen oder entzündlichen Komplikationen resultieren. Unterschieden werden spongiöse und metaphysäre Defekte von kortikalen Teil- oder Vollschaftdefekten.

Abhängig vom Defektausmaß kann der Aufbau durch autologe spongiöse oder kortikale Transplantate, Allografts und osteokonduktive Knochenersatzmaterialien erfolgen. Unterstützend stehen osteoinduktive Materialien zur Verfügung [BMP („bone morphogenetic proteins“), demineralisierte Knochenmatrix („demineralized bone matrix“) usw.]. Bei langstreckigen Vollschaftdefekten können vaskularisierte Transplantate oder Segmenttransfers (Kallusdistraktion), bei gelenknahen Knochendefekten Gelenkimplantate oder Arthrodesen erforderlich sein. Die sekundäre Amputation ist Einzelfällen vorbehalten.

FormalPara Tumoren

Dignität und Infiltrationstiefe bestimmen das Defektausmaß. Während bei Vollschaftdefekten aufgrund maligner Tumoren komplexe Knochenersatzverfahren zum Einsatz kommen können, ist bei kleinen spongiösen und kortikalen Defekten nach benignen Tumoren in der Regel die Defektauffüllung durch autologe Spongiosa oder Knochenersatz ausreichend.

FormalPara Posttraumatische Knochendefekte

Bei ihnen ist die Prognose v. a. vom begleitenden Weichteiltrauma abhängig. Vorrangig ist die Wiederherstellung einer guten Weichteildeckung mit Schaffung eines gut durchbluteten Implantatlagers, der Knochenaufbau muss daher häufig mehrzeitig durchgeführt werden.

FormalPara Osteomyelitis/Osteitis

Sie droht nach 25% aller offenen Frakturen, am häufigsten am Unterschenkel. In 70% der Fälle liegt primär eine Infektion mit Staphylococcus aureus vor. Weichteilkonditionierung und Infektsanierung sind für den erfolgreichen Defektaufbau Voraussetzung.

Die ärztlichen Aufgaben in der poststationären Nachbehandlung sind:

  • Wundkontrolle und Wundbehandlung,

  • Kontrolle der knöchernen Konsolidierung,

  • Steuerung des Belastungsaufbaus,

  • Veranlassung der bedarfsadaptierten Heil-, Hilfs- und Arzneimittelversorgung,

  • Beurteilung der Arbeitsfähigkeit und Steuerung der beruflichen Reintegration sowie ggf.

  • die abschließende Begutachtung.

In Abhängigkeit von der Schwere der Verletzung ist ein enger Kontakt mit der vorbehandelnden Klinik erforderlich.

Eigene Ergebnisse (n=61 Patienten)

Das Durchschnittsalter der Patienten mit Knochendefekten lag im eigenen Krankengut bei 56 Jahren, 60% der Patienten waren männlich.

Defektaufbau

Bei 80% der Patienten (n=49) wurden die Defekte ausschließlich oder ergänzend mit autologer Spongiosa aufgefüllt. Knochenersatzstoffe kamen bei 15% der Patienten (n=9) zur Anwendung. Kallusdistraktion und Spacerimplantation wurden bei je 3 Patienten durchgeführt. In 2 Fällen erfolgte eine Osteoinduktion (BMP 7). Bei 4 Patienten wurde eine Arthrodese durchgeführt, bei 5 Patienten erfolgte aus Altersgründen kein Defektaufbau (Tab. 1).

Tab. 1 Defektaufbau im eigenen Patientengut (n=61), z. T. Verfahrenskombinationen

Kleinere Defekte

Bei 17 Patienten wurden kleinere spongiöse und kortikale Defekte nach geschlossenen Frakturen und benignen Tumoren aufgefüllt, in 10 Fällen ausschließlich durch Eigenspongiosa, in 7 Fällen zusätzlich durch osteokonduktiven Knochenersatz. Im Fall einer juvenilen Knochenzyste am Humeruskopf erfolgte zusätzlich eine Osteoinduktion mit BMP 7 (Tab. 2).

Komplikationen waren in dieser Patientengruppe nicht zu beobachten. Röntgenologisch zeigte sich nur in 2 Fällen eine verzögerte Konsolidierung nach Implantation von Knochenersatz (Hydroxylapatitkeramik) am distalen Radius sowie Pilon tibiale. Infektiöse Komplikationen traten nicht auf.

Über 90% der primär arbeitsfähigen Patienten konnten wieder in den alten Beruf zurückkehren.

Kortikaler Halb-/Vollschaftdefekt

Nach Therapie großer kortikaler Halb- oder Vollschaftdefekte am Unterschenkel wurden 5 Patienten weiterbehandelt. In allen Fällen war im Rahmen der stationären Behandlung zuvor die ausreichende Weichteildeckung gelungen, in je 2 Fällen durch Lappenplastiken und Meshgraft (Tab. 2).

Mehrfachverletzungen hatten 3 dieser Patienten erlitten, die Extremitätenverletzungen waren klinisch führend. Bei 3 Patienten lag zu Beginn der ambulanten Weiterbehandlung noch ein Fixateur externe an.

Bei allen Patienten verzögerte sich die belastungsfähige Konsolidierung erheblich, abschließend konnte in allen Fällen die schonende Vollbelastungsfähigkeit erreicht werden. Nur ein Patient aus dieser Gruppe erlangte bislang Arbeitsfähigkeit.

Entzündlicher Defekt

Mit Knochendefekten nach Osteitis weiterbehandelt wurden 39 Patienten, hiervon 25 mit floridem Infekt oder Weichteildefekt. Bei 66% konnte die Infektberuhigung mit Fistel- und Weichteilverschluss erzielt oder erhalten werden, 6 Patienten wurden in ein chronisches Stadium mit stabiler Fistel überführt, in 2 Fällen in Vorbereitung auf definitive Maßnahmen. Bei 4 Patienten waren weiterführenden Maßnahmen aus Altersgründen, mangelnder Therapiealternative oder fehlender Einwilligung nicht möglich. Aufgrund einer akuten Exazerbation mussten 4 Patienten zu erneuten operativen Maßnahmen stationär eingewiesen werden.

In 74% der Fälle erfolgte eine Auffüllung von Substanzdefekten durch autologe Spongiosa. Knochenersatzmaterialien wurden nicht verwendet (Tab. 2). In 26% der Fälle wurde sekundäre Kallusbildung abgewartet. Bei beruhigter Osteitis wurden 70% der zuvor berufstätigen Patienten wieder arbeitsfähig, mit aktiver Fistel gelang die berufliche Reintegration nur bei einem Patienten.

Tab. 2 Art des Defektaufbaus

Behandlungsdauer

Sie war sehr variabel:

  • Nach Auffüllung blander Substanzdefekte betrug die mittlere Behandlungsdauer 14 Wochen (8–48 Wochen).

  • Bei entzündlichen Substanzdefekten oder Defektheilung nach kortikalen Vollschaftdefekten entwickelten sich z. T. lang andauernde Behandlungsverläufe mit einer mittleren Behandlungsdauer von 37 Wochen (6–163 Wochen).

Interventionen

Nach Auffüllung kleiner, nicht entzündlicher Substanzdefekte waren mit Ausnahme der Entfernung des Nahtmaterials Interventionen nicht erforderlich.

Bei den übrigen Patienten wurden durchgeführt:

  • 25 lokale Revisionen bei Pininfekt,

  • 35 Entlastungen tiefer Abszesse sowie

  • 21 Operationen nach Kapitel 31 EBM (8-mal Fixateur-externe-Entfernung, 10-mal Débridement, 2-mal Reverdin-Plastik, 1-mal lokale Lappenplastik).

Behandlungsintensität

Gegenüber einer durchschnittlichen Konsultationshäufigkeit pro Patient und Quartal von 2,1 waren nach kleinen spongiösen und kortikalen Defekten (2,3 Konsultationen/Quartal) sowie bei initial beruhigter Osteitis (2,5 Konsultationen/Quartal) die Behandlungsintensitäten nur gering gesteigert. Bei chronisch entzündlichen Verläufen zeigte sich eine durchschnittlich um das 4-Fache erhöhte Behandlungsintensität (8,8 Konsultationen/Quartal).

Aus der Behandlung von 61 Patienten mit Knochendefekten resultierten insgesamt 1804 Kontakte (30 Kontakte/Patient)!

Verglichen mit einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 5,4 min erforderten Patienten nach Auffüllung kleiner spongiöser und kortikaler Defekte nach geschlossenen Frakturen und benignen Tumoren an den oberen Extremitäten eine leicht unterdurchschnittliche, an den unteren Extremitäten eine leicht überdurchschnittliche Behandlungsdauer. Fixateur externe, aufwändige Wundverbände und Mehrfachverletzungen erhöhten die durchschnittliche Behandlungsdauer zunehmend. Eine drastische Erhöhung des Behandlungsaufwandes sowie der Behandlungsdauer um das 4-Fache zeigte sich bei Infektionen mit isolationspflichtigen Keimen (MRSA, n=4, Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Zeitaufwand pro Konsultation in der ambulanten Sprechstunde

Arbeitsfähigkeit

Ihre Wiedererlangung nach Knochendefekten hängt im Wesentlichen vom Verletzungsmuster, dem begleitenden Weichteilschaden, dem Alter und der Dauer des Heilverfahrens ab. Nach Auffüllung blander Substanzdefekte konnte in über 90% der Fälle Arbeitsfähigkeit wiedererlangt werden. Bei beruhigter Ostitis bzw. Knochendefekten nach offenen Frakturen sank die Reintegrationsrate deutlich.

Bei einer Heilverfahrensdauer über 1 Jahr gelang die berufliche Reintegration nur noch in Einzelfällen. Bei aktiver Ostitis bzw. Defektheilung nach aufwändigen Knochenersatzverfahren und Kallusdistraktion mit z. T. mehrjähriger Behandlungsdauer wurde Arbeitsfähigkeit nur bei 2 von 15 Patienten erzielt.

Kosten

Patienten mit Knochendefekten verursachten v. a. bei chronischen Verläufen und Defektheilung erhebliche Arznei-, Heil- und Hilfsmittelkosten, die sich für die 61 Patienten auf über 213.000 EUR beliefen. Während die Kosten nach blanden Substanzdefekten mit 500 EUR/Patient vergleichsweise gering waren, erhöhten sie sich bei beruhigter Osteitis und Defektheilung auf durchschnittlich >5250 EUR/Patient.

Die Kosten waren v. a. auf den hohen Hilfsmittelbedarf (Prothesen, Orthesen und orthopädisches Schuhwerk) zurückzuführen.

Arzthonorar

Über 70% der Patienten mit Knochendefekten im eigenen Krankengut wurden zu Lasten der GKV (gesetzliche Krankenversicherung) behandelt.

Während über PKV (private Krankenversicherung) und gesetzliche Unfallversicherung noch eine leistungsbezogene Vergütung erfolgt, wird eine dem erheblichen Zeit- und Materialaufwand entsprechende Vergütung in der GKV nicht mehr realisiert. Eine leichte Verbesserung der desolaten Vergütungssituation ist durch Verlagerung kleinerer Eingriffe in den ambulanten Bereich (nach Kap. 31 EBM, z. B. Fixateur-externe-Entfernung usw.) möglich.

Unabhängig vom Versicherungssystem ist der Anteil der Arzthonorare an den Gesamtkosten in allen Versicherungssystemen gering (2,5–3,6%).

Fallbeispiel

Vorgestellt wird der Fall eines 53 Jahre alten Patienten, bei welchem im Februar 2005 nach einem Sturz aus 3,5 m Höhe zweit- bis drittgradige offene Unterschenkeltrümmerfrakturen mit Beteiligung des Pilon tibiale beidseits diagnostiziert wurden.

Initial war eine 8 Monate währende stationäre Behandlung erforderlich, im Rahmen derer nach Fixateur-externe-Stabilisierung beidseits, zahlreichen Débridements zur Weichteilkonditionierung und Weichteilverschluss durch Meshgraft sowie Spongiosaplastik am linken Pilon tibiale am rechten Unterschenkel ein Segmenttransfer mittels Ilisarov-Fixateur durchgeführt wurde.

Die ambulante Weiterbehandlung wurde durch zahlreiche Pininfekte, die durch Lokalmaßnahmen und begleitende Antibiotikatherapie sowie z. T. Pinumsetzung behandelt wurden, sowie eine erheblich verzögerte knöcherne Konsolidierung kompliziert.

Nachdem zunächst eine teilbelastungsfähige Konsolidierung am linken Bein erzielt werden konnte, erfolgte die Mobilisierung in einer Unterschenkelorthese aus dem Rollstuhl heraus. Bei zunehmender Belastungsfähigkeit wurden ein Arthrodesenstiefel angepasst und das Gangbild unter Teilbelastung des rechten Beines im Ringfixateur stabilisiert.

Am rechten Bein konsolidierte die proximale Transportstrecke nach Segmenttransfer nur zögerlich, zusätzlich blieb die Konsolidierung der distalen Andockzone am Pilon tibiale aus. Nach Entfernung des Fixateurs und Wechsel auf einen retrograden Arthrodesennagel war eine Teilbelastung des rechten Beins ohne störenden Fixateur möglich. Bei weiterhin unzureichender Durchbauung des Pilon tibiale rechts erfolgte hier die erneute Anfrischung unter Applikation von BMP 7.

Aktuell ist der Patient in Arthrodesenstiefeln beidseits unter schonender Vollbelastung mobilisiert. Er ist weiterhin arbeitsunfähig, die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt gegenwärtig 70%. Die berufliche Perspektive verbleibt unklar.

Aus der Behandlung resultierten bislang 68 Kontakte in 12 Quartalen. Die Arznei-, Heil- und Hilfsmittelkosten belaufen sich gegenwärtig auf 22.000 EUR.

Fazit

Die eigenen Ergebnisse zeigen für Patienten mit Knochendefekten einen überdurchschnittlichen Zeit- und Materialaufwand. Erhebliche Kosten resultieren weiterhin aus einem hohen Hilfsmittelbedarf nach Defektheilung.

Ungünstige Faktoren für die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit sind

  • Defektheilung,

  • die Entwicklung einer chronischen Osteitis,

  • eine Heilverfahrensdauer über 1 Jahr,

  • ein höheres Patientenalter sowie

  • eine inadäquate Hilfsmittelversorgung.

Um die regelrechte Versorgung dieser Patientengruppe zu gewährleisten, ist eine gute Kommunikation zwischen Klinik und Praxis erforderlich. Im Idealfall sind in der Klinik feste Ansprechpartner erreichbar.

Die ambulante Nachbehandlung dieser Patientengruppe im Rahmen der GKV ist nicht Kosten deckend, dies muss bei der Planung der erforderlichen Arznei-, Hilfs- und Heilmittel sowie der Verbandsstoffe bereits im stationären Bereich berücksichtigt werden. Die Fortführung einer Intensivbehandlung in der Arztpraxis (z. B. tägliche Verbandwechsel) ist bei kassenversicherten Patienten aus wirtschaftlicher Sicht kaum praktikabel. Eine derartige Therapieintensität kann bei längerer Dauer nur unter stationären Bedingungen oder Einbindung eines ambulanten Pflegedienstes realisiert werden. Maßnahmen aus Kapitel 31 EBM, z. B. die Fixateurentfernung, ermöglichen durch extrabudgetäre Vergütung einen partiellen Ausgleich der Unterfinanzierung und sollten bei guter Zusammenarbeit zwischen Klinik und Praxis nach Möglichkeit dem weiterbehandelnden Arzt überlassen werden.

Eine inkonsequente Nachbehandlung gefährdet das Therapieergebnis, insbesondere nach aufwändigen Knochenersatzverfahren. Hieraus können hohe Folgekosten durch ggf. vermeidbare Arbeitsunfähigkeit sowie einen dauerhaft erhöhten Arznei- und Hilfsmittelbedarf resultieren. Für die Behandlung einer derartig zeit- und kostenintensiven Patientengruppe zu Lasten der GKV ist daher zukünftig eine extrabudgetäre Vergütung zu fordern.