Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung stehen in den vergangenen Jahren unter einem gewachsenen Legitimations- und Argumentationsdruck, der sich zunehmend auch auf ihre Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation erstreckt. In Zeiten knapper Mittel und steigender Kosten im Gesundheitswesen insgesamt sieht sich die gesetzliche Unfallversicherung zunehmend der Aufgabe gegenüber, das Erfordernis eigenständiger Heilverfahren mit z. T. eigenen Vergütungssystemen und nicht zuletzt die Notwendigkeit eigener BG-Unfallkliniken besonders zu begründen. Damit einhergehend sind die Anforderungen an den Nachweis von Qualität und Wirtschaftlichkeit auch für die medizinischen und rehabilitativen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung deutlich gestiegen. Darüber hinaus hat sich in den vergangenen Jahren – insbesondere seit Einführung des DRG(„diagnosis related groups“)-Vergütungssystems – ein tief greifender Wandel in der Kliniklandschaft vollzogen.

Vor dem Hintergrund dieser veränderten Rahmenbedingungen und neuen Herausforderungen hat die DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) eine Überprüfung ihrer stationären und ambulanten Heilverfahren eingeleitet. Als Zielvorgabe wurde formuliert, die qualitäts- und bedarfsorientierten Strukturen weiter zu stärken, ohne dabei die in der Vergangenheit bewährten Prinzipien, wie die Auswahl besonders qualifizierter Leistungserbringer oder die Steuerung des Heilverfahrens durch die beteiligten Durchgangsärzte, aufzugeben.

Mit diesem Ziel wurde im Jahr 2008 ein Entwurf von Eckpunkten zur Neuausrichtung der Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung erarbeitet und von den Organen der DGUV als Entwurf verabschiedet. Im ersten Halbjahr des Jahres 2009 sollen die Vorschläge in den Selbstverwaltungen der Unfallversicherungsträger, aber auch mit den Verbänden auf der Leistungserbringerseite sowie mit den maßgeblichen Fachgesellschaften umfassend erörtert werden. Die endgültige Verabschiedung des Eckpunktepapiers durch die DGUV ist für die Jahresmitte 2009 vorgesehen. Die Erarbeitung von entsprechenden Konzepten und die Umsetzung der einzelnen Eckpunkte sollen in einem gestuften Verfahren ab dem Jahr 2010 erfolgen.

Berücksichtigung von Bedarfsgesichtspunkten

Die Statistiken der gesetzlichen Unfallversicherung weisen für die vergangenen Jahre und Jahrzehnte deutlich rückläufige Gesamtunfallzahlen aus. Auch das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, ist in diesem Zeitraum deutlich gesunken. Dies kann einerseits als Beleg für die beachtlichen Erfolge der von den Arbeitgebern im Zusammenwirken mit den Unfallversicherungsträgern erbrachten Anstrengungen im Bereich der Prävention gewertet werden, zeigt andererseits aber auch den Wandel in der Arbeitswelt hin zu weniger gefahrgeneigten beruflichen Tätigkeiten.

Ungeachtet der gesunkenen Gesamtunfallzahl ist die Bedeutung besonders schwerer Fälle sowohl aus versorgungspolitischer als auch aus ökonomischer Sicht zu unterstreichen. Die Unfallversicherung wird gerade diese noch stärker in den Blick nehmen müssen.

Diese quantitativen und qualitativen Entwicklungen bei den Arbeits- und Wegeunfällen stellen die gesetzliche Unfallversicherung vor die Frage, ob sie bei der Organisation ihrer Heilverfahren künftig Bedarfsgesichtspunkte stärker berücksichtigen soll. Die erfreulicherweise rückläufige Entwicklung bei den Unfällen insgesamt legt es nahe, zu prüfen, ob man Krankenhäuser und Ärzte wie bisher in grundsätzlich unbegrenzter Zahl an den Heilverfahren der Unfallversicherung beteiligt oder zu einer am tatsächlichen Bedarf in den einzelnen Regionen orientierten Beteiligung übergeht. Ausgehend von der Annahme, dass die Qualität der Versorgung und die fachärztliche Routine durch eine Konzentration von Fällen bei einzelnen Leistungserbringern weiter gesteigert werden können, ist dabei durchaus auch über die erneute Einführung des Instrumentes der Mindestfallmengen nachzudenken.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen besonderen Bedeutung schwerwiegender Verletzungsarten und Versicherungsfälle ist der Bedarf aber auch in qualitativer Hinsicht in die Überlegungen zur Neuausrichtung der stationären Heilverfahren einzubeziehen. Letztlich geht es darum, bedarfsgerechte Heilverfahrenstrukturen zu schaffen, die eine noch zielgenauere Steuerung der Fälle nach Art und Schwere hin zu den geeigneten Kliniken ermöglichen.

Verletzungsartenverfahren heute

Die stationären Heilverfahren sind in der gesetzlichen Unfallversicherung heute im Grundsatz 2-stufig gegliedert. Neben Krankenhäusern der Basisversorgung, an denen durchaus auch ein Durchgangsarzt für die gesetzliche Unfallversicherung tätig sein kann, sind derzeit etwa 600 Krankenhäuser zum Verletzungsartenverfahren (VAV) zugelassen. Das VAV unterscheidet grundsätzlich nicht weiter zwischen Schwerpunktkliniken und Häusern der unfallchirurgischen Maximalversorgung oder weiteren besonderen Traumazentren. Bei Erfüllung der von der gesetzlichen Unfallversicherung formulierten hohen Anforderungen an die Qualifikation und Ausstattung werden die Krankenhäuser grundsätzlich zum VAV zugelassen. Liegt eine der 10 Katalogverletzungen des Verletzungsartenverzeichnisses vor, besteht eine Vorstellungspflicht in die VAV-Klinik. Eine weitere Differenzierung im Hinblick auf die durchaus gegebenen Unterschiede innerhalb des VAV-Kataloges, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen für die Versicherten, berufliche Wiedereingliederung oder Folgekosten, gibt es bislang nicht.

Traumanetzwerke

DGU-Traumanetzwerke als „Blaupause“ für die Heilverfahren

Mit dem Weißbuch der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) [1] aus dem Jahr 2006 wurde die Versorgung Schwerstunfallverletzter in Deutschland auf eine strukturell neue Grundlage gestellt. Das Weißbuch sieht die Bildung von regionalen Traumanetzwerken unter Beteiligung von Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen vor. Neben den Krankenhäusern der unfallchirurgischen Basisversorgung beschreibt das Weißbuch regionale und überregionale Traumazentren und formuliert Anforderungen an die Qualifikation und Ausstattung der jeweiligen Versorgungsstufe. Zugleich werden Zuweisungs- und Verlegungskriterien sowie Kommunikationswege im Netzwerk beschrieben.

Die fortschreitende Implementierung 3-stufiger Traumanetzwerke mit einer klar beschriebenen Zuweisung nach Verletzungsart und -schwere sollte für die gesetzliche Unfallversicherung Anlass sein, zu prüfen, ob die stationären Heilverfahren nicht ebenfalls stärker nach Schweregrad und Folgewirkungen der Verletzungsfälle differenziert werden sollten. Wenngleich das Weißbuch und die Initiative Traumanetzwerk der DGU auf die Versorgung Schwerst-Mehrfachverletzter mit lebensbedrohlichen Verletzungsfolgen zugeschnitten sind und damit nur einen Teil der in der gesetzlichen Unfallversicherung besonders bedeutsamen Fälle abdecken, kann die Struktur des Weißbuchs mit der vorgesehenen zielgerichteten Fallsteuerung durchaus als „Blaupause“ für ein zukünftiges SGB VII-Heilverfahren dienen.

Im Zusammenspiel zwischen TraumanetzwerkD und Heilverfahren sollten deshalb zunächst die Anforderungen und Verfahren des heutigen VAV mit den im Weißbuch beschriebenen Anforderungen abgeglichen werden. Des Weiteren ist das Beteiligungsverfahren durch die Landesverbände der DGUV mit dem Zertifizierungsverfahren im TraumanetzwerkD abzustimmen, auch um doppelten Aufwand für alle Beteiligten zu vermeiden. Ebenso wird zu untersuchen sein, ob und wie die qualitätssichernden Elemente, die das TraumanetzwerkD unstreitig beinhaltet, für die Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung genutzt werden können. Zu nennen sind hier insbesondere die regelmäßige Rezertifizierung sowohl der Netzwerke als auch der einzelnen Kliniken sowie die Daten des Traumaregisters, an dem sich jede Klinik des TraumanetzwerkD zu beteiligen hat.

Differenzierung in einem zukünftigen „SGB VII-Traumanetzwerk“

Da das Weißbuch der DGU [1] unmittelbar nur einen Teil der besonders relevanten Unfälle im Versorgungsgeschehen der gesetzlichen Unfallversicherung betrifft, sollten bei der Prüfung, wie die Heilverfahren stärker differenziert werden können, die weiteren Fälle von hoher sozialpolitischer und ökonomischer Relevanz herausgestellt werden. Diese sollten zu einem geeigneten Zeitpunkt einer besonderen Versorgungsstufe zugeführt werden, in der insbesondere zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt rehabilitative Maßnahmen eingeleitet werden. Es sind also die Verletzungsfälle zu identifizieren, die über hohe Arbeitsunfähigkeitszeiten und Rentenzugänge besonders hohe Kosten verursachen oder die besonders tief greifende Auswirkungen auf die Gesundheit, die Lebensqualität oder die Wiedereingliederung der Versicherten mit sich bringen. Diese Fälle sollten in besonders geeigneten Trauma- und Rehabilitationszentren vorgestellt werden, die insbesondere die unfallversicherungsrechtlichen Grundsätze des „alles aus einer Hand“ und mit „allen geeigneten Mitteln“ umsetzen können. Zu berücksichtigen sind also auch die Fälle, die im DRG-System für eine von Beginn an rehabilitativ ausgerichtete Heilbehandlung im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nur unzureichend abgebildet sind.

In einem zweiten Schritt ist dann zu diskutieren, welche Qualitätskriterien zur Abstufung der verschiedenen, in Anspruch genommenen Leistungsanbieter formuliert werden sollen. Dies schafft die Möglichkeit, die Unterschiede zwischen einer Heilbehandlung „mit allen geeigneten Mitteln“ im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung und dem Maß des Notwendigen, das in der gesetzlichen Krankenversicherung den Maßstab bildet, trennscharf zu beschreiben. Dabei werden die derzeit überarbeiteten, so genannten „Denkschriften“ zur Behandlung von schwersten Verletzungsfällen ebenso bedeutsam sein wie die weiteren Arbeiten an Rehabilitationspfaden und Heilverfahrensstandards.

So weit sich die gesetzliche Unfallversicherung für eine stärkeren Differenzierung der Heilverfahren nach Bedarf- und Qualitätsaspekten entscheidet, ist auch prüfen, welche Verlegungskriterien zwischen den verschiedenen Versorgungsstufen vereinbart werden und wie man aufwandsgerechte Vergütungsregeln für die jeweilige Versorgungsstufe – soweit im geltenden DRG-System möglich – schafft. Letztlich wird dann auch darüber zu diskutieren sein, welche Möglichkeiten zur Durchsetzung neuer Strukturen bestehen. Hier liegt es nahe, über einen Rahmenvertrag Sanktionsmöglichkeiten, d. h. konkrete vergütungsrelevante Auswirkungen bei Nichtbeachtung der neuen Strukturen, zu vereinbaren, falls ein Fall nicht der für die Behandlung und Rehabilitation vorgesehenen Versorgungsstufe zugeführt wird.

Standort der BG-Kliniken in den Heilverfahren

Ein wesentlicher Punkt in den Überlegungen zur Neuausrichtung der Heilverfahren betrifft die zukünftige Organisation der eigenen BG-Unfallkliniken. Klar ist, dass diese auch in einem neu zugeschnittenen Heilverfahren die „Schrittmacher“ und die Kompetenzzentren für die nach den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung durchzuführenden Heilverfahren bleiben müssen. Sie müssen weiterhin mit bedarfsgerechten, hochwertigen Leistungsangeboten den besonderen Ansprüchen der Unfallversicherungsträger Rechnung tragen und damit die Definitionsmacht für eine mit allen geeigneten Mitteln zu erbringende Heilbehandlung und Rehabilitation behalten. Dies setzt eine stärkere Abstimmung der Leistungsangebote voraus. Weiterhin erforderlich sind ein wirksames und einheitliches Qualitätsmanagement in den Häusern sowie effiziente Strukturen und Abläufe, um auch den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit besser gerecht werden zu können.

Hierfür sind organisatorische Änderungen notwendig, die dazu führen müssen, die heutige Vereinigung der BG-Kliniken zu einem „echten“ Verbund weiterzuentwickeln. Es kommt darauf an, die Stärken der bisherigen Struktur, insbesondere die institutionelle und personelle Verknüpfung zur gesetzlichen Unfallversicherung, zu bewahren, gleichzeitig aber die Ressourcen gemeinsamen Handelns besser als bisher zu nutzen. Es ist daher ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das die BG-Kliniken auch besser als bisher für den Wettbewerb mit den am Markt agierenden großen Klinikketten rüstet. In einem ersten Schritt wird festzulegen sein, welche Aufgaben sinnvoller Weise zentral erledigt werden sollten und welche in der Kompetenz der einzelnen Klinik verbleiben. Zu einem späteren Zeitpunkt wird man dann auch über die geeignete Rechtsform des Verbundes wie der einzelnen Klinik zu entscheiden haben, wobei auch aufsichts- und steuerrechtliche Aspekte sowie das Primat der Selbstverwaltung zu beachten sind.

Einführung eines Qualitätssicherungssystems

Ein weiterer Punkt betrifft die Einführung eines neuen Qualitätssicherungssystems auch für den stationären Bereich. Angestrebt wird eine Kontinuität der Qualitätskontrolle, die über die in der Regel derzeit einmalige Überprüfung von Strukturanforderungen in den Kliniken hinausgeht und auch Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität einbezieht. Um hier wirksame Instrumente zum Einsatz bringen zu können, wird man konsequenterweise auch über eine erfolgsorientierte Beteiligung von Krankenhäusern sowie eine qualitätsorientiert befristete Zulassung nachdenken müssen.

Die gesetzliche Unfallversicherung wird daher prüfen, welche Kriterien der Prozess- und Ergebnisqualität und welche Daten/Instrumente zur Messung verfügbar sind oder verfügbar gemacht werden können. Wichtig ist auch, dass ein Qualitätssicherungssystem im beschriebenen Sinne keinen übermäßigen Aufwand für die Verwaltungen der Unfallversicherungsträger und die Kliniken mit sich bringt. Nach Möglichkeit sollte deshalb auf vorhandene Daten zurückgegriffen werden. Schließlich wird es auch darum gehen, bei Einführung einer Befristung oder sonstigen Auflage das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten, um den z. T. doch erheblichen Investitionen der Krankenhäuser Rechnung zu tragen.

Hinweise für die angestrebte Qualitätssicherung sind von einem groß angelegten Forschungsvorhaben zur Ergebnisqualität in der gesetzlichen Unfallversicherung zu erwarten, das im Jahr 2008 auf den Weg gebracht wurde und die Ergebnisqualität bei 6 VAV-Verletzungen nachweisen und weitere Optimierungsmöglichkeiten aufzeigen will.

Weiterentwicklung des Rehabilitationsmanagements

Schließlich wird die Neuausrichtung der Heilverfahren im stationären Bereich auch mit den Überlegungen zur Weiterentwicklung des Rehabilitationsmanagements in den Verwaltungen der Unfallversicherungsträger zu synchronisieren sein. Angesichts des gemeinsamen Ziels, besonderen Schwer- und Problemfällen eine intensive Steuerung und Betreuung zukommen zu lassen, sind die weiteren Schritte in Richtung eines abgestimmten und einheitlichen Rehabilitationsmanagements in den Heilverfahren noch präziser abzubilden und umzusetzen. Ziel muss es sein, so viel Einheit wie nötig herzustellen und dabei – mit Blick auf die individuellen Unterschiede des Einzelfalls – so viel Vielfalt wie möglich zuzulassen.