Die grundsätzlichen Ziele der Osteitistherapie sind seit langem definiert. Sie bestehen in:

  • Infektberuhigung

  • Schmerzfreiheit bzw. -reduktion

  • Wiederherstellung bzw. Erhalt eines tragfähigen Knochens

  • Wiederherstellung bzw. Erhalt eines funktionstüchtigen Gelenks

Unstrittig ist auch die Tatsache, dass bei der Sanierung der Osteitis Weichteile und Knochen eine untrennbare Einheit darstellen und dass einerseits die Sanierung der Osteitis sowohl die Herdbekämpfung am Knochen als auch an den Weichteilen beinhaltet, andererseits die Rekonstruktion von Knochen und Weichteilen Hand in Hand verläuft.

Problematisch ist häufig die Beantwortung der Frage nach dem notwendigen Ausmaß der Knochenresektion oder anders die

  • Detektion von vitalem – vital gestörtem – avitalem kortikalem Knochen und die

  • Detektion von vitalem – vital gestörtem – avitalem spongiösem Knochen.

Erst wenn dies zweifelsfrei gelungen ist, kann über die Möglichkeit des Kontinuitätserhalts oder die Notwendigkeit einer Segmentresektion entschieden werden.

Die korrekte Analyse dieser Frage ist insofern von Belang, als bekannt ist, dass auch kleine sequestrierte, belassene Knochenareale die Osteitis unterhalten oder neu entfachen können. Nur die 100%ige Resektion der befallenen Knochenanteile kann letztlich zur Infektberuhigung führen. Andererseits ist ebenso bekannt, dass vital gestörter Knochen sich bei guter Weichteildeckung regenerieren kann. Somit ist die radikale Resektion der befallenen Knochenareale, nicht aber eine superradikale Resektion gefragt [1].

Es gilt also diagnostische Kriterien zu definieren, die das Ausmaß des Knochenbefalls definieren. Dabei sind die im Folgenden beschriebenen Diagnostikgruppen zu unterscheiden, die unterschiedliche Verfahren beinhalten.

Präoperative Diagnostik

Hierunter subsumieren sich projektionsradiographische, schnittbildradiographische und nuklearmedizinische Verfahren, anhand derer die lokale Ausdehnung des Prozesses, aber auch die Frage nach entfernten sekundären Herden sowohl am Knochen als auch in den Weichteilen eingeschätzt werden kann. Sie dienen somit der präzisen präoperativen Planung. Die Anwendung der einzelnen Verfahren [Nativröntgen, Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Szintigraphie, Positronenemissionstomographie (PET)] wird unterschiedlich gehandhabt und richtet sich nach den Usancen und Möglichkeiten der Klinik. In jedem Fall sind eine enge Kooperation mit den jeweiligen radiologischen Kliniken und präzise Fragestellungen eine Conditio sine qua non.

Das eigene Vorgehen ist in Abb. 1 erläutert.

Abb. 1
figure 1

Eigener Algorithmus zur präoperativen Einschätzung der Osteitis, MR MRT, Röntgen

Intraoperative Diagnostik

Hierbei handelt es sich um die Analyse der Situation „vor Ort“. Beurteilt werden [1]:

  • Knochenfarbe

  • Knochenklang

  • Knochenkonsistenz

  • Qualität der Spongiosa

  • Weichteilverbund des Knochens

Knochenfarbe

Vitaler Knochen ist nie von gleichmäßiger Färbung wie beispielsweise Elfenbein. Es besteht immer eine gewisse Maserung. An Osteotomiestellen (Osteotom) erscheinen immer punktuelle Blutungen aus den Knochenkanälchen (Abb. 2 a,b).

Abb. 2
figure 2

Beurteilung von Knochenfarbe und Mikrovaskularisierung, a vitaler Knochen mit Maserung, gut durchbluteter angehobener Span, b avitaler Knochen, elfenbeinfarben, ohne Maserung

Knochenklang

Klopft man mit einem soliden Instrument (z. B. Osteotom) auf vitalen Knochen, klingt dieser dumpf, ähnlich als würde man auf „nasses Holz“ klopfen. Ein hohles Instrument (z. B. Griff eines scharfen Löffels) eignet sich nicht, da hier der knocheneigene Klang vom Klang des Hohlkörpers überdeckt wird.

Avitaler Knochen klingt hell, ähnlich wie Porzellan.

Knochenkonsistenz

Vitaler Knochen reagiert bei tangentialer Osteotomie wie Holz. Es ist möglich, einen Span abzuheben, und an der Osteotomiefläche entstehen punktuelle Blutungen aus den Knochenkanälchen. Avitaler Knochen bricht wie Porzellan (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Beurteilung von Knochenfarbe und Konsistenz, avitaler Knochen, gehobener Span ist spröde und springt ab

Bei der Beurteilung der Knochenkonsistenz ist Erfahrung erforderlich, da der Knochen gerade im Frühstadium einer Infektion von seiner Konsistenz her noch nicht pathologisch verändert sein muss.

Qualität der Spongiosa

Infizierte Spongiosa ist weicher als infektfreie Spongiosa. Sie ist mit kleinsten Knochenlamellen durchsetzt und knistert beim Auskratzen mit dem scharfen Löffel. Weiterhin ist sie regelhaft von Granulationsgewebe durchsetzt.

Weichteilverbund

Vitaler Knochen ist in der Regel von vitalen Weichteilen umgeben und befindet sich im festen Weichteilverbund.

Nota bene: Vital gestörter Knochen kann im festen regelrechten Weichteilverbund revitalisieren. Dementsprechend ist bei der Beurteilung der Weichteilsituation wiederum Erfahrung gefragt.

Knochenrekonstruktion

Die angewandten Verfahren hängen maßgeblich von 3 Faktoren ab:

  • Lokalisation der Läsion

  • Ausdehnung der Läsion

  • Qualität der Weichteile

Lokalisation und Ausdehnung

Die von Schieker u. Mutschler [3] beschriebene Einteilung von Knochendefekten lässt sich auf die Osteitis übertragen. Die Autoren unterschieden:

  • Wirbelkörperdefekte

  • Metaphysäre Defekte

  • Halbschaftdefekte

  • Vollschaftdefekte

Für die hier thematisierte Osteitis am Schaft langer Röhrenknochen sind Halb- und Vollschaftdefekte von Belang.

Qualität der Weichteile

Unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Knochenrekonstruktion sind reizlose, infektfreie, gut mikrovaskularisierte, vitale, also „ersatzstarke“ Weichteile. Diese zeichnen sich durch eine hohe regenerative Potenz aus. Zu unterscheiden sind weiterhin „ersatzschwache“ sowie „ersatzunfähige“ Weichteile [3]. Im Fall der Osteitis ist tendenziell zunächst von einem „ersatzschwachen“ Weichteillager auszugehen. Entsprechend sind vor der Rekonstruktion des Knochens die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um diese Situation zu optimieren.

Typologie der Infektüberbrückung

Leicht nachvollziehbar ist die Tatsache, dass bei der Rekonstruktion des Knochens nach Infektberuhigung autologe Verfahren die wesentliche Rolle spielen. Zu groß wäre sonst die Gefahr der Infektreaktivierung aufgrund von eingebrachtem körperfremdem Material (Tab. 1).

Tab. 1 Wertung der unterschiedlichen Möglichkeiten der knöchernen Defektüberbrückung. (Aus [5])

Die vorwiegend eingesetzten Verfahren sind:

  • Autologe Spongiosaplastik

  • Segmenttransport/Kallusdistraktion

Die autologe Spongiosaplastik kann in Kombination mit Wachstumsfaktoren [z. B. BMP („bone morphogenetic protein“)] und oder „Antibiotikum-Chips“ zur Anwendung kommen. Diese werden durch Zerkleinern handelsüblicher Antibiotikavliese hergestellt.

Halbschaftdefekte bzw. kleine partielle Defekte am Schaft

Hier kann eine autologe Spongiosaplastik in der bereits dargestellten Art und Weise durchgeführt werden, alternativ kommen auch autologe Knochenspanplastiken in Betracht.

Vollschaftdefekte

Das Vorgehen wird von der Ausdehnung des Defekts definiert. Allerdings wird die Defektgröße, ab der der Kontinuitätserhalt nicht mehr möglich ist und der Segmenttransport an seine Stelle tritt, unterschiedlich beschrieben. Während Bühler et al. [1] und Schieker u. Mutschler [3] die Grenze bei 3 cm sahen, liegt diese nach Schnettler u. Steinau [4] bei 4 cm. Für kleinere Defekte empfehlen die Autoren unisono die Spongiosaplastik.

Letztendlich hängt die Entscheidung zu einem bestimmten Verfahren neben der Defektgröße auch signifikant vom umgebenden Weichteilmantel ab. Bei ersatzstarken Lagern kann die Grenze zwischen Kontinuitätserhalt und Kallusdistraktion sicher eher nach oben verlegt werden. Wesentlich ist auch die Ausführung der Spongiosaplastik, die in Abhängigkeit von Defektgröße und Weichteillager durchaus auch in mehreren Schritten vorgenommen werden muss (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Regel für die Schichtdicke der bei einem Eingriff implantierbaren Spongiosa, Voraussetzung: ersatzstarkes Weichteillager. (Nach [1])

Fazit für die Praxis

Bei der Entscheidung zwischen Kontinuitätserhalt und Segmentresektion mit anschließendem Kallustransport spielen folgende Faktoren eine Rolle:

  • Typ des „Empfängers“ nach der Klassifikation von Cierny et al. [2], basierend auf den systemischen und lokalen individuellen Risikofaktoren

  • Defektlokalisation

  • Defektgröße

  • Beschaffenheit des Weichteillagers (ersatzstark – ersatzschwach – nicht ersatzfähig)

Grundsätzlich lässt sich dann folgende Regel aufstellen:

  • Bei einem kleinen partiellen Schaftdefekt bis hin zum Halb- oder Vollschaftdefekt <3–4 cm und gutem Weichteillager ist die autologe Spongiosaplastik, ggf. in Kombination mit Wachstumsfaktoren und/oder „Antibiotikum-Chips“, Therapie der Wahl.

  • Beim Vollschaftdefekt >3–4 cm und schlechtem Weichteillager kommt die Kallusdistraktion zur Anwendung.

Diese Grundregeln müssen allerdings den individuellen Gegebenheiten angepasst werden, wobei sich die Grenzen zwischen Kontinuitätserhalt oder Segmentresektion in die eine oder andere Richtung verschieben können.