Die Frage, ob die Unterschiede zwischen D- und H-Arzt-Verfahren noch sinnvoll sind, lässt den Verdacht aufkommen, dass es möglicherweise gar keinen Unterschied zwischen den beiden Verfahren mehr gibt. Bevor die Frage nach der „Sinnhaftigkeit“ zu beantworten ist, sind zunächst die generellen Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten der beiden Heilverfahren darzustellen.

Geschichtliche Entwicklung des D- und H-Arzt-Verfahrens

Mit den Richtlinien für die berufsgenossenschaftliche Heilfürsorge aus dem Jahr 1925 schufen die berufsgenossenschaftlichen Spitzenverbände die Grundlage für eine sachgemäße Heilfürsorge für das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren. Dabei wurde u. a. das Durchgangsarztverfahren (D-Arzt-Verfahren) installiert.

Der D-Arzt beurteilte seinerzeit bereits, ob die Fürsorge der Krankenkasse ausreicht oder ob besondere Heilmaßnahmen notwendig sind – Kriterien, die man in ähnlicher Weise noch immer im Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger wiederfindet. Schon damals musste der Durchgangsarzt in der Beurteilung und Behandlung von Unfallverletzten besonders erfahren, fachärztlich ausgebildet (Chirurg oder Orthopäde) und ausschließlich fachärztlich tätig sein. Durch die für die damalige Zeit sehr hohen Anforderungen der unfallmedizinischen Ausbildung, Facharzttätigkeit, Praxiseinrichtung und Dienstbereitschaft, besonders bei den niedergelassenen Ärzten, und der damit verbundenen noch geringen Anzahl an D-Ärzten, wurde – bedingt durch die Fassung des Unfallneuregelungsgesetzes – ab 01.01.1964 die Grundlage für das H-Arzt-Verfahren gelegt, das alle fachlich befähigten und entsprechend ausgestatteten Ärzte an der Durchführung der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung, also dem neuen H-Arzt-Verfahren, beteiligen sollte [1].

Die ersten H-Arzt-Richtlinien sahen keine besondere Facharzteigenschaft vor. Der – im Regelfall – niedergelassene Hausarzt musste im Rahmen seiner Aus- und Fortbildung über unfallmedizinische Kenntnisse verfügen. Seine Praxis musste die notwendigen Ausstattungsmerkmale, wie eine eigene Röntgenanlage und getrennte Räumlichkeiten für septische und aseptische Eingriffe, aufweisen. So wurde das Durchgangsarztverfahren durch die Hinzunahme des H-Arzt-Verfahrens ergänzt, um ein flächendeckendes medizinisches Versorgungssystem für die Unfallverletzten der gesetzlichen Unfallversicherung zu installieren.

Aktuelle Situation des D- und H-Arzt-Verfahrens

Die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften haben bundesweit über 3500 niedergelassene sowie an Kliniken tätige Ärzte vertraglich in das Durchgangsarztverfahren eingebunden. Daneben sind etwa 3200 Ärzte bundesweit am H-Arzt-Verfahren beteiligt.

Der Durchgangsarzt muss zum Führen der deutschen Facharztbezeichnung „Chirurgie“ oder „Orthopädie und Unfallchirurgie“ berechtigt und als solcher niedergelassen oder an einem Krankenhaus oder an einer Klinik fachlich und fachlich-organisatorisch weisungsfrei tätig sein. Er muss darüber hinaus – und dies ist der gravierende Unterschied zum H-Arzt-Verfahren – über die deutsche Schwerpunktbezeichnung „Unfallchirurgie“ oder die Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“ verfügen.

Für die Beteiligung eines Bewerbers am H-Arzt-Verfahren ist der Facharzt für Orthopädie bzw. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ausreichend. Ersatzweise kann er nach seiner Approbation eine mindestens 2-jährige unfallmedizinische Tätigkeit in einer mit einem Durchgangsarzt besetzten Krankenhausabteilung nachweisen. Im Regelfall werden derzeit von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften überwiegend niedergelassene Orthopäden am H-Arzt-Verfahren beteiligt.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Verfahren ist die Verpflichtung des Durchgangsarztes zur unfallärztlichen Bereitschaft, die mindestens in der Zeit von Montag bis Freitag von 08.00–18.00 Uhr und Samstag mit der Möglichkeit durchgangsärztlicher Vertretungsregelung von 08.00–13.00 Uhr zu gewährleisten ist. Eine vergleichbare Verpflichtung gibt es für den H-Arzt nicht.

Die H-Arzt-Beteiligung wird seit dem 01.01.2006 nur noch an niedergelassene Ärzte vergeben. Zwar besteht sowohl für die d- als auch für die h-ärztliche Tätigkeit die Verpflichtung der persönlichen Ausübung der Arzttätigkeit, allerdings können die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften ständige Durchgangsarztvertreter anerkennen, wenn diese über die gleiche fachliche Befähigung wie ein Durchgangarzt verfügen. Diese Vertretungsregelung ist dem H-Arzt nach dem Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger nicht gegeben.

Sofern der H-Arzt nicht in der Praxis anwesend ist, sind die Unfallverletzten vom Vertreter unverzüglich einem Durchgangsarzt vorzustellen, wenn der Verletzte über den Unfalltag hinaus arbeitsunfähig ist oder die Behandlungsbedürftigkeit voraussichtlich mehr als 1 Woche beträgt. Damit ist das H-Arzt-Verfahren an Krankenhäusern nicht praktikabel.

Hinsichtlich der Überprüfung der sächlichen Ausstattung zur Beteiligung an den Heilverfahren, wie das Vorhalten zweier Eingriffsräume für invasive Eingriffe oder der Röntgenanlage, werden bei der Abnahme durch die Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften zwischen D- und H-Arzt-Praxen keine Unterschiede gemacht.

Die weiteren detaillierten Ausstattungsmerkmale der D- und H-Arzt-Praxen sind den Anforderungen zur Beteiligung am D- und H-Arzt-Verfahren zu entnehmen [2, 3] (Abb. 1, Abb. 2).

Abb. 1
figure 1a

Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach §34 SGB VII zur Beteiligung am Durchgangsarztverfahren, in der Fassung vom 01.01.2005 [2]

Abb. 1
figure 1b

Fortsetzung

Abb. 2
figure 2a

Anforderungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger nach §34 SGB VII zur Beteiligung am H-Arzt-Verfahren, in der Fassung vom 01.01.2006 [3]

Abb. 2
figure 2b

Fortsetzung

Aktuelle Unterschiede zwischen D- und H-Arzt-Tätigkeit laut Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger

Außer der Beachtung des Verletzungsartenverzeichnisses in besonders schweren Behandlungsfällen unterliegen sowohl der D- als auch der H-Arzt keiner Behandlungseinschränkung. Diese schweren Behandlungsfälle sind unverzüglich in ein entsprechendes VAV-Krankenhaus weiterzuleiten [4]. Dies gilt ebenfalls für Behandlungen außerhalb des unfallchirurgisch/orthopädischen Behandlungsbereichs wie der Augen, des HNO-Bereichs oder bestimmten Berufskrankheiten, die besonderen Fachärzten zuzuführen sind.

Eine Vorstellungspflicht des H-Arztes an den D-Arzt ist im Ärztevertrag nicht vorgesehen. Selbstverständlich kann sowohl der D- als auch der H-Arzt zur Klärung der Diagnose oder zur Mitbehandlung andere Ärzte hinzuziehen. Dieses gilt insbesondere für Ärzte anderer Fachrichtungen, wenn bei der Art der Verletzung der Verdacht auf eine Mitbeteiligung eines entsprechenden Organs oder Organsystems besteht. Diese Konsultationsmöglichkeit ist nur den D- und H-Ärzten vorbehalten, ebenso auch die Verordnung von Heilmitteln (KG, EAP, BGSW).

Ärzte, die keine D- oder H-Ärzte sind, haben Unfallverletzte unverzüglich einem Durchgangsarzt vorzustellen, wenn die Unfallverletzung zur Arbeitsunfähigkeit führt oder die Behandlungsbedürftigkeit voraussichtlich mehr als 1 Woche beträgt. Dieses Zuweisungsverfahren ist im H-Arzt-Verfahren nicht vorgesehen.

Der sehr hohe Anteil der erstatteten D-Arzt-Berichte resultiert zum einen aus der Überweisungspflicht der Kassen-/Hausärzte und zum anderen aus der Verpflichtung der Unternehmer/Arbeitgeber nach §24 BGV A 1, unfallverletzte Arbeitnehmer einem Durchgangsarzt vorzustellen. So beträgt die Summe der erstatteten Berichte im Durchgangsarztverfahren (2005: 2.780.207) das 7-Fache der erstatteten Berichte im H-Arzt-Verfahren (2005: 395.461) [5].

Ein weiteres besonderes Merkmal des D-Arzt-Verfahrens ist die Möglichkeit der Nachschau. Dabei handelt es sich um Behandlungsfälle, die der Durchgangsarzt aufgrund der vermeintlich geringeren Schwere zunächst in die allgemeine Heilbehandlung dem Hausarzt überweist. Bei diesen nicht in eigener Behandlung verbleibenden Unfallverletzten hat der Durchgangsarzt Nachschautermine festzusetzen. Bei weiter andauernder bestehender Arbeitsunfähigkeit sind die Unfallverletzten dem Durchgangsarzt zur nochmaligen Beurteilung an dem vorgegebenen Nachschautermin wieder vorzustellen. Diese Möglichkeit fehlt im H-Arzt-Verfahren. Der H-Arzt behandelt ausschließlich die Unfallverletzten, die in seine Praxis kommen und dort in der Behandlung verbleiben.

Der Anteil der besonderen berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung des H-Arztes, also auch der höheren Abrechnungsmöglichkeit gegenüber der allgemeinen Heilbehandlung, liegt bedingt durch §35 des Vertrags Ärzte/Unfallversicherungsträger bei nur etwa 10% seiner gesamten berufsgenossenschaftlichen Behandlungsfälle.

Fazit

Der Arzt mit der spezielleren unfallchirurgischen Ausbildung, also der Durchgangsarzt, versorgt den weitaus größeren Anteil der Unfallverletzten. Durch das Zuweisungsverfahren und die Möglichkeit der Nachschau übernimmt er wichtige Aufgaben für die Steuerung und Überwachung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens.

Es liegt nicht im Interesse der Unfallversicherungsträger, den hohen Qualitätsstandard des D-Arzt-Verfahrens durch die neue Weiterbildungsordnung oder auch durch die Zusammenlegung der Facharztbezeichnungen in Frage zu stellen. Daher reicht es nach den zurzeit gültigen D-Arzt-Anforderungen eben nicht aus, die Facharztbezeichnung „Orthopädie und Unfallchirurgie“ nachzuweisen, sondern es muss auch die Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“ vorhanden sein.