Winkelstabile Plattensysteme haben bei der Behandlung distaler Radiusfrakturen in den vergangenen Jahren einen hohen Stellenwert erreicht. Es wird geschätzt, dass zurzeit fast 90% der operativ behandelten distalen Radiusfrakturen mit winkelstabilen Platten versorgt werden. Bei der Frage, ob und wann diese entfernt werden sollen, trifft man auf 2 Meinungen:

  • „Titanplatten können grundsätzlich belassen werden“ und

  • „Bei jüngeren Patienten sollten Platten grundsätzlich entfernt werden, da man nie weiß, was im Leben noch kommt“.

Bei der Überlegung, ob Osteosynthesematerial entfernt werden soll, muss man zwischen den Risiken und Nachteilen der Metallentfernung einerseits und den Risiken und Nachteilen des dauerhaften Belassens der Implantate andererseits abwägen [7].

FormalPara Risiken und Nachteile der Metallentfernung

Sie liegen in:

  • der Notwendigkeit einer erneuten Anästhesie (Allgemeinnarkose, Regionalanästhesie),

  • den möglichen Gefahren einer erneuten Operation (Nerven- und Gefäßläsionen, Nachblutungen, Knochen- und Weichteilinfektionen) sowie

  • der Gefahr einer Refraktur [3].

FormalPara Risiken und Nachteile des dauerhaften Belassens der Implantate

Auch das Belassen des Implantats birgt Nachteile: Einerseits schützt es den Knochen, nimmt ihm jedoch andererseits Last ab, sodass es zu einer relativen Osteoporose im Implantatlager kommt. Dies ist jedoch an der oberen Extremität aus biomechanischen Gründen zu vernachlässigen. Entscheidender sind besonders bei alten Menschen die Gefahren, die durch erneute Stürze drohen, bei denen durch die relative Versteifung des implantatversorgten Knochenanteils Frakturen am Implantatende möglich sind, wobei es bei den winkelstabilen Implantaten aufgrund von Verklemmungen der Schrauben- und Plattengewinde (so genannte Kaltverschweißung) zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Entfernung und der Reosteosynthese kommen kann.

Spätinfekte sind relativ selten. Eine sekundäre Sensibilisierung (so genannte Metallallergie) ist auch bei den verwendeten Titanimplantaten nicht auszuschließen. Nicht vernachlässigt werden sollte, dass liegende Implantate weitergehende diagnostische Maßnahmen wie CT- und MRT-Untersuchungen durch Störstrahlung erheblich einschränken.

Literaturdaten

Versucht man, sich aus deutschsprachigen Veröffentlichungen über volare winkelstabile Plattenosteosynthesen ein evidenzbasiertes Meinungsbild zu verschaffen, findet man 8 Autoren bzw. Autorengruppen [1, 2, 5, 6, 8, 9, 10, 11], die über Ergebnisse winkelstabiler Plattenosteosynthesen mit unterschiedlichen Systemen berichteten. Teils handelt es sich dabei um Übersichtsarbeiten zur Methodik, teils um Erfahrungen mit einer Methode und in 2 Fällen um Vergleichsstudien mit konventionellen Platten [9, 11].

Nur in wenigen Publikationen wird zur Frage der Materialentfernung Stellung genommen: Während Uzdil et al. [9] beschrieben, dass sie Materialentfernungen nur aus zwingenden Gründen durchführten (1-mal bei einem postoperativen Karpaltunnelsyndrom, 4-mal bei fehlplazierten Schrauben) oder bei sehr jungen Patienten, wurde in den anderen Literaturstellen der letzten Jahre zur Frage der Materialentfernung entweder gar nicht Stellung genommen oder diese nur bei der Aufzählung der Komplikationen erwähnt.

Thielke et al. [8] berichteten in ihrer Arbeit über Osteosynthesen mit der Königsee-Platte bei 64 Patienten über 2 Reosteosynthesen, bedingt durch operationstechnische Fehler am Anfang der Serie sowie über eine Irritation des N. medianus. Sie nahmen jedoch zur Frage der Materialentfernung keine Stellung.

Sakhaii et al. [5] beschrieben in ihrer prospektiven Studie mit der winkelstabilen 2,4/2,7-mm-AO-Platte bei über 100 Patienten 1 Spätinfekt, 3 Pseudarthrosen, 3 Reflexdystrophien (Morbus Sudeck), 2 Karpaltunnelsyndrome und 2 Weichteilaffektionen infolge Schraubenüberlänge. Obwohl in der Arbeit nicht erwähnt, kann man davon ausgehen, dass in den Fällen des Spätinfekts, der 3 Pseudarthrosen, der 2 Karpaltunnelsyndrome sowie der Weichteilaffektionen infolge Schraubenüberlänge Materialentfernungen durchgeführt wurden. Auch diese Arbeit enthält sonst keine weiteren Hinweise über durchgeführte oder notwendige Materialentfernungen.

Krimmer et al. [2] berichteten über ihre Erfahrungen mit 2 unterschiedlichen winkelstabilen Plattensystemen bei 62 Patienten und führten 2-mal Schraubenfehllagen an, die zur Materialentfernung zwangen. Auch sie nahmen zur Frage der Materialentfernung nicht grundsätzlich Stellung.

Walz et al. [10] berichteten über positive Erfahrungen mit der palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthese am distalen Radius (44 winkelstabile Platten) bei Patienten mit höherem Lebensalter (Durchschnittsalter 79,4 Jahre). Sie nahmen jedoch ebenfalls nicht Stellung, ob und in wie vielen Fällen sie die Platten entfernten.

Roske et al. [4] beschrieben 5 Fälle von Strecksehnenrupturen nach volaren winkelstabilen Plattenosteosynthesen bei insgesamt 119 Patienten. Bei 4 dieser Patienten wurde die Sehnenruptur vermutlich durch eine inkorrekte Schraubenlage (dorsales Überragen der Schraubenspitzen) verursacht. Weitere Angaben über durchgeführte Materialentfernungen enthält die Publikation nicht bzw. ist dies auch nicht Gegenstand derselben.

Indikationen zur Metallentfernung am distalen Radius

In Tab. 1 sind aus den Publikationen und den eigenen Erfahrungen herausgearbeitete Indikationen zur Entfernung volarer winkelstabiler Platten am distalen Radius aufgeführt.

Tab. 1 Indikationen zur Entfernung volarer winkelstabiler Platten am distalen Radius

Eine grundsätzliche Entfernung der Plattensysteme wird von keinem Autor vorgenommen. Sie erscheint unter Abwägung der potenziellen Nachteile des Belassens des Materials und der Nachteile bzw. Komplikationen der Entfernung desselben nicht sinnvoll.

Nach dorsal überragende Schraubenspitzen stellen theoretisch eine Gefahr für die Strecksehnen dar. Sie müssen grundsätzlich entfernt werden. In diesen Fällen ist es sinnvoll, nicht nur die störenden Schrauben, sondern das ganze System frühzeitig zu entfernen.

Mechanische Behinderungen können durch die generell größere Plattendicke gegenüber den konventionellen 3,5-mm-Stahlplatten und die nicht vorhandene Verformbarkeit des T-Schenkels der winkelstabilen Platten zustande kommen, insbesondere wenn Schraubenköpfe durch Gewindeverklemmungen nicht vollständig versenkt werden konnten. So sind Behinderungen der langen Daumenbeugesehne möglich (Abb. 1). Zudem kann es zu Verwachsungen der Muskulatur mit der rauen Titanoberfläche der Platten kommen, sodass Einschränkungen des M. flexor pollicis longus sowie des M. pronator quadratus verursacht werden. Darüber hinaus kann bei sehr distaler Plattenlage die Volarflexion im Handgelenk behindert werden.

Abb. 1
figure 1

Inkomplett eingedrehte Schraube im distalen Plattenanteil, Gefahr der Verletzung der Sehne des M. flexor pollicis longus

Wegen an die Größenverhältnisse des Knochens nicht anpassbarer Plattendimension oder intraoperativ verursachter Plattenverschiebung (Abb. 2) kann es zum störenden Hervorragen von Plattenkanten kommen, insbesondere bei schlanken Armen von Frauen. Viele Patienten empfinden bei liegender Platte ein „Umklammerungsgefühl“ im Handgelenk, das mit dem Raumbedarf der Plattensysteme im Zusammenhang steht, da es nach dem Entfernen der Platten verschwindet.

Abb. 2
figure 2

Störendes Überragen der Platte bei zu radialer Platzierung

Eine Infektion im Plattenlager stellt selbstverständlich immer eine Indikation zur Entfernung des Fremdmaterials dar. Ebenso sollten Anzeichen eines subklinischen oder auch klinischen Karpaltunnelsyndroms Anlass für die Materialentfernung (und die Revision des N. medianus) sein.

Überdacht werden muss auch die Frage, was zukünftig bei Belassen der Plattensysteme auf die Patienten und die späteren Operateure zukommen kann, da immer wieder Verklemmungen der winkelstabilen Verbindung zwischen Schrauben und Platte auftreten, die zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Schraubenentfernung führen können. Da wir heute noch nicht wissen, wie diese Materialien sich über Jahrzehnte verhalten, wenn sie belassen werden, und wir bereits über Erfahrungen über Schwierigkeiten bei der Materialentfernung verfügen, darf dieser Gesichtspunkt insbesondere bei jüngeren Patienten nicht vernachlässigt werden.

Schließlich ist auch der Patientenwunsch auf Materialentfernung zu berücksichtigen.

Ökonomische Gesichtspunkte, d. h. die erneuten Kosten durch die Entfernung der deutlich teureren Implantate, sind von untergeordneter Bedeutung und dürfen nicht zum Kriterium für die Entfernung oder das Belassen der Implantate gemacht werden.