Allein aus der geschätzten Anzahl von Frakturen von >180/100.000 Personenjahre [20] lässt sich die medizinische und wirtschaftliche Bedeutung der Implantatentfernung ableiten. Sie ist z. B. in Finnland nach der Frakturversorgung die zweithäufigste orthopädisch-traumatologische Operation [3].

Da die Implantatentfernungen und deren Komplikationen große sozioökonomische Auswirkungen haben und die Indikation weiterhin kontrovers diskutiert wird, gebieten die Notwendigkeit der besten medizinischen Behandlung und limitierte Ressourcen die Etablierung medizinischer Behandlungspfade.

Indikationen und Kontraindikationen

Pro

Anerkannte Indikationen zur Implantatentfernung sind [18, 24]:

  • Infektion,

  • allergische Reaktion auf Implantate,

  • intraartikuläre Lage der Implantate,

  • kritische Weichteildeckung,

  • Vorbereitung weiterer Maßnahmen wie Endoprothetik oder Pseudarthrosenbehandlung,

  • verheilte Frakturen am wachsenden Skelett und

  • gelockerte Implantate.

Der Patientenwunsch, auch der „ausdrückliche“ Patientenwunsch, bleibt eine relative Indikation. Bei ihr sollte trotz der möglichen und häufigen Beschwerdelinderung bei symptomatischen Patienten eine relative Verschlechterung der geklagten Beschwerden bei symptomatischen, aber auch bei asymptomatischen Patienten bedacht werden. So klagten z. B. Patienten, die vor der Implantatentfernung asymptomatisch waren, nach Entfernung eines Tibianagels in 12% über Knieschmerzen [1], in einer anderen Studie gaben 20% der Patienten Schmerzen nach der Entfernung von Ober- oder Unterschenkelnägeln an [10, 11]. Da bei asymptomatischen Patienten eine Verschlechterung, bei symptomatischen Patienten nach der Entfernung von Implantaten aber eine häufige Besserung der Symptome erreicht werden können (bis zu 78% der Fälle [10]), wird von mehreren Autoren nur die Materialentfernung bei symptomatischen Patienten empfohlen [1, 4, 10, 11, 17].

Weitere Indikationen zur Implantatentfernung können die möglichen bekannten Risiken bei Belassen der Implantate sein:

  • späte hämatogene Infektionen [14],

  • Metalltoxizität,

  • Metallallergenisierung [7],

  • Korrosion [5, 8] sowie

  • implantatbedingte Osteopenie und

  • Kanzerogenität [15, 25].

Ermüdungsbruch am Implantatende, erschwerte Diagnostik (z. B. MRT) und erschwerte Implantatentfernung nach langer Liegezeit [23] sind weitere Gefahren.

Kontra

Neben den anerkannten Indikationen zur Implantatentfernung sind auch Gründe für deren Belassen benannt worden:

  • fehlende relevante klinische Symptome oder Komplikationen,

  • fortgeschrittenes Lebensalter,

  • Metallimplantate im Bereich der oberen Extremität (besonders Platten am Humerusschaft),

  • einzelne Schrauben und Implantate aus Titan.

Ebenso können bei einer operativen Metallentfernung abgebrochene Metallteile oder verbliebene Unterlegscheiben belassen werden [24].

Komplikationen

Allgemeine Risiken einer Operation

Sie gelten natürlich auch für die Implantatentfernung, wie Narkoserisiko, Blutung und Hämatombildung, postoperative Infektion und Wundheilungsstörung, Thrombose und Embolie.

Infektionen treten bei Routineimplantatentfernungen in bis zu 11% [4, 10] bis 14% [21] der Fälle auf, bei initial offenen Frakturen sogar in bis zu 43% der Fälle [21].

Spezielle Komplikationen

Neben den allgemeinen Risiken und Komplikationsmöglichkeiten sind v. a. die typischen Risiken der Implantatentfernung zu beachten. Insbesondere bei den relativen Indikationen und den asymptomatischen Patienten muss eine genaue Aufklärung über die z. T. gravierenden Risiken erfolgen.

In Abhängigkeit von der Lokalisation sind es v. a. Nervenläsionen und peri- oder postoperative Refrakturen sowie in Abhängigkeit vom verwendeten Implantat die unvollständige Materialentfernung. Weiterhin muss eine mögliche Ausweitung der Operation (Reosteosynthese, erweitere Zugänge) mit einkalkuliert/geplant werden.

Nervenläsion

In der Gruppe der speziellen Komplikationen gehört sie zu den schwerwiegenden und häufigen Komplikationen der Implantatentfernung. Aufgrund der Anatomie und der Zugangswege sind v. a. folgende Nerven betroffen:

  • der N. radialis beim dorsalen Zugang zur Plattenosteosynthese des Humerusschafts,

  • der N. axillaris beim Deltoideus-Split-Zugang bei proximalen Humerusfrakturen,

  • der motorische Ast der Nn. radialis und medianus bei der Plattenosteosynthese von Radiusfrakturen,

  • der N. ischiadicus beim dorsalen Zugang zum Hüftgelenk und

  • der N. peroneus superficialis am Unterschenkel.

Die Anzahl der Nervenschädigungen bei Implantatentfernungen wird selten publiziert. Über eine Schädigung nervaler Strukturen von 12% bei Implantatentfernungen nach Unterarmfrakturen wurde berichtet [21].

Postoperative Refrakturraten

Sie sind für verschiedene Körperregionen, aber v. a. für Unterarmfrakturen, bekannt (Abb. 1). Refrakturraten nach Implantatentfernung am Unterarm betragen in publizierten Serien bis zu 19% [6] bzw. 30% [13]. Aber auch intraoperative Frakturen wie der Bruch eines Röhrenknochens durch Rückschlagen des Marknagels bei belassenem Verrieglungsbolzen sollten erwähnt werden [1, 11].

Abb. 1
figure 1

Fraktur der Oberarmschafts nach Implantatentfernung einer Platte am proximalen Humerus

Unvollständige Implantatentfernung

Sie muss als weitere typische Komplikation genannt werden. Sie kann verschiedene Gründe haben:

  • Eine vollständige Materialentfernung wäre nur mit nicht zu vertretendem Aufwand möglich (z. B. Eröffnen der Markhöhle bei intraossärer Kirschner-Draht-Lage, Überbohren abgebrochener Schrauben oder Ähnliches).

  • vermeidbare unvollständige Materialentfernungen (z. B. vergessene Unterlegscheiben oder Einzelschrauben)

Um eine unvollständige Materialentfernung zu unterlassen, ist eine Durchleuchtungskontrolle mit dem Bildwandler zu empfehlen. Die Kontrolle mit dem C-Bogen sollte grundsätzlich intraoperativ durchgeführt werden, dabei lassen sich auch weitere Komplikationen, wie periimplantäre Frakturen bei schwieriger Materialentfernung, erkennen und in gleicher Sitzung adäquat behandeln. Die Bildwandlerkontrolle ist zusätzlich erforderlich zur Dokumentation des gewünschten Ergebnisses. Verfügt das System über eine DICOM-Schnittstelle und ist somit zur Archivierung im PACS geeignet, können Zeit und Kosten konsumierende postoperative Röntgenkontrollen bei entsprechender intraoperativer Bildqualität vermieden werden.

Weitere Komplikationen – speziell bei winkelstabilen Implantaten

Bedingt durch die winkelstabilen Implantate kommt es speziell durch die Kopfverriegelungsschrauben zu neuen Komplikationen, die bei nichtwinkelstabilen Implantaten nicht bekannt waren. In entsprechenden Publikationen wurde über Schrauben eines LISS („less invasive stabilization system“), die nicht auf normalem Weg entfernt werden konnten, mit einer Häufigkeit von 17–100% [9, 12] berichtet. In beiden Fällen mussten spezielle Techniken (konischer Innengewindeschneider und Stahlbohrer) bemüht werden, um dann bei erhöhtem Operationstrauma und verlängerter Operationszeit die Implantate zu bergen (Abb. 2).

Publizierte Daten unserer Klinik, in denen wir die Komplikationsraten winkelstabiler und nichtwinkelstabiler Platten verglichen, zeigen bei der Materialentfernung etwa 19% intraoperative Komplikationen bei den winkelstabilen Implantaten bei fehlenden Komplikationen in der Gruppe der konventionellen Implantate [19]. Gründe für Probleme bei den Kopfverriegelungsschrauben könnten sein:

  • ein höheres Drehmoment für die Entfernung im Vergleich zu Stahlimplantaten (bessere Osteointegration der Titanimplantate),

  • der Formschluss der Winkelstabilität durch das Platte-Schraubenkopf-Design,

  • eine Beschädigung des Innensechskants (Abb. 3) und

  • ein zu hohes Drehmoment beim Einbringen der Schraube.

Das so genannte „Kaltverschweißen“, also die feste Metall-Metall-Verbindung bei Raumtemperatur, wird begünstigt durch die speziellen Materialeigenschaften der chirurgischen Implantate. Bei Werkstoffen mit hoher Oberflächengüte tritt dieses Phänomen häufiger auf, besonders bei galvanisierten Oberflächen. Weiterhin wird diese feste Verbindung gefördert durch Reibung und Druck und durch eine Beschädigung der Oxygenierungsschicht. Durch Oxygenierung von Metallen, die in Abhängigkeit vom gewählten Element durch verschiedene Techniken erreicht wird, kann diese Tendenz zur „Kaltverschweißung“ verringert werden. Sie ist jedoch eher selten, meist handelt es sich um Verklemmungen durch u. a hohen Formschluss, geringe Abweichung in der Einbringungsrichtung der Schrauben usw.

Zusätzlich ist für winkelstabile Implantate gezeigt worden, dass in einigen Fällen das Drehmoment zum Entfernen der Schrauben über dem des (limitierten) Drehmoments beim Einbringen liegt [22].

Um den aufgeführten möglichen Schwierigkeiten bei der Implantatentfernung von winkelstabilen Platten zu begegnen, werden von verschiedene Firmen Metallbohrer, Extraktionsschrauben und -bolzen sowie Hohlfräser einzeln und als fertige Sets (Extraktionsset für Standardschrauben, Extraktionsmodul für verschiedene Schraubendimensionen) angeboten. Aufgrund der vorliegenden mechanischen Untersuchungen [22], klinischer Fallpublikationen [9, 12] und eigener Erfahrungen [19] sollten diese speziellen Instrumente zwingend vorgehalten werden (Abb. 4).

Abb. 2
figure 2

Abgebrochene Extraktionsschraube im Schraubenkopf eines winkelstabilen Implantats, Schraubenkopf weiterhin fest im Plattenloch verankert

Abb. 3
figure 3

Zerstörter Inbus einer winkelstabilen Schraube (LCP)

Abb. 4
figure 4

Spezielle Extraktionssets, für jede Materialentfernung von winkelstabilen Implantaten vorzuhalten

Häufigkeit der Implantatentfernungen

Sie variiert zwischen verschiedenen Zentren und Ländern beträchtlich – wie oben angeführt, ist die Implantatentfernung in Finnland der zweihäufigste orthopädisch-traumatologische Eingriff. Die Prävalenzen betragen 4,9% [20] aller orthopädisch-traumatologischen Operationen (USA), 6,3% [3] (Finnland), in einzelnen Zentren sogar 11% [4] bis 15% [3]. Somit werden bis zu etwa 80% der eingebrachten Implantate wieder entfernt [3].

Kosten und Wirtschaftlichkeit

Die durchschnittliche Häufigkeit von Implantatentfernung in Finnland mit 90 Implantatentfernungen/100.000 Personenjahre würde auf Deutschland umgerechnet rund 74.000 Implantatentfernungen/Jahr (bei 82 Mio. Einwohnern) ergeben. Bei durchschnittlich vergüteten Kosten von 1622–2475 EUR für eine Implantatentfernung ergäbe das eine gesamtwirtschaftliche Belastung von 120–183 Mio. EUR.

Neben diesen gesamtgesellschaftlichen Kosten sind auch die Kosten und die potenziellen Erlöse für das Krankenhaus zu bewerten. Seit 2006 wird die Implantatentfernung im deutschen DRG-System besser abgebildet. Es existieren jetzt 3 DRG:

  • die I21Z mit einer Bewertungsrelation von 0,905 (Hüftgelenk, Femur oder komplexe Eingriffe an Ellenbogengelenk und Unterarm),

  • die I23A mit einer Bewertungsrelation von 0,77 (Platte an der Tibia, Wirbelsäule, Becken) und

  • die I23B mit einer Bewertungsrelation von 0,593 für alle anderen Materialentfernungen.

In unserer Klinik wurde im Jahr 2006 die DRG I21Z 22-mal abgerechnet, die DRG I23A in 12 und die DRG I23B in 103 Fällen.

Die Materialentfernungen an Femur und Hüfte erbrachten insgesamt 54.450 EUR. Bei dieser DRG werden pro Eingriff durchschnittlich 2475 EUR vergütet, bei allein bereits für Operation und Anästhesie geschätzten Kosten von 1305 EUR (Daten der eigenen Klinik: durchschnittliche Schnitt-Naht-Zeit 87 min á 10 EUR und durchschnittliche Anästhesiezeit von 145 min á 3 EUR). In dieser Kalkulation sind jedoch die übrigen Kosten (stationäre Behandlung, Röntgen, Labor...) noch nicht berücksichtigt.

Obige Zahlen gelten nur bei zügiger und komplikationsloser Operation. Wie sich mögliche Erlöse bei verlängerten Operationszeiten minimieren, sei an einem Fall einer Marknagelentfernung aus dem Femur in unserem Hause demonstriert: Bei diesem Patienten betrugen die Schnitt-Naht-Zeit 148 min und die Anästhesiezeit 197 min, was bei gleichem Kalkulationsansatz anstelle der durchschnittlichen Eingriffkosten von 1305 EUR Kosten von 2071 EUR verursachte.

Bei der Entfernung von Femurnägeln waren in der Literatur die Nageleinbringtiefe und die Erfahrung des Operateurs [10], bei der Entfernung von Tibianägeln nur das Vorhandensein gebrochener Bolzen für die Zeitdauer der Implantatentfernung entscheidend [11].

Ob die angesprochenen Probleme und Kosten der Metallentfernung durch das Einsetzen bioresorbierbarer Implantate grundsätzlich vermieden werden können, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich. Bei ausgewählten Patientengruppen konnte für bioresorbierbaren Implantate eine geringere Reoperationsrate gezeigt werden. Eine Kostenersparnis durch eine nicht notwendige Implantatentfernung gegenüber metallischen Implantaten ist jedoch grundsätzlich von der Rate der Implantatentfernungen abhängig [2, 16]. Diese Rentabilitätsgrenze für bioresorbierbare Implantate ist abhängig von den Kosten der Materialien, konnte aber beispielhaft für einfache (Kostenersparnis durch bioresorbierbare Implantate bei einer Implantatentfernungsrate über 21%) und komplexe Sprunggelenkfrakturen (Implantatentfernungsrate über 54%) gezeigt werden [2].

Fazit

Eine Materialentfernung sollte mit dem Patienten individuell und gründlich abgewogen werden. Dessen exakte präoperative Aufklärung über die Risiken und den Nutzen einer Implantatentfernung ist dabei unerlässlich. Insgesamt, aber insbesondere bei winkelstabilen Implantaten, ist über eine Ausweitung des Eingriffs, Rückzugsmöglichkeiten und den Verbleib von Implantateteilen aufzuklären. Bei der Implantatentfernung, v. a. bei der Entfernung von winkelstabilen Implantaten, sind spezielle Implantatentfernungssets zwingend vorzuhalten. Falls zügig und komplikationsarm operiert wird und keine zusätzlichen Leihkosten für die speziellen Sets anfallen, können sich Implantatentfernungen Erlös steigernd auswirken.

Eine Optimierung der Implantateigenschaften zur Verringerung der Verklemmung der Schraubenkopf-Platten-Verbindung und eine Intensivierung der Forschung über bioresorbierbare Implantate könnten helfen, die Komplikationen und Kosten der Implantatentfernung zu verringern.