Es erscheint sinnvoll, vor einer Analyse der Rolle eines beratenden Arztes einer Berufsgenossenschaft zunächst auf die gesetzlichen Vorschriften einzugehen, die Grundlagen für die Arbeit einer BG sind und die „Einmischung“ der Verwaltung in medizinische Prozesse nicht nur legitimieren, sondern sogar aktiv fordern:

Die Unfallversicherungsträger haben den Gesundheitsschaden der Verletzten möglichst frühzeitig mit allen geeigneten Mitteln zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mindern. (§26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII)

Sie bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und Rehabilitation. (§26 Abs. 5 SGB VII)

Bisherige Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen

Um die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, haben die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung mit dem berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren ein wirksames und funktionierendes System der unfallmedizinischen Akutbehandlung und medizinischen Rehabilitation nach Arbeitsunfällen geschaffen.

  • Unfallchirurgen und Orthopäden, Durchgangs- bzw. H-Ärzte sowie im Bedarfsfall Spezialisten anderer Fachdisziplinen sind die Garanten für eine qualifizierte Behandlung.

  • BG-Unfallkliniken und Sonderstationen sowie im Verletzungsartenverfahren beteilte hochqualifizierte, traumatologisch ausgerichtete Abteilungen gewährleisten eine hohe stationäre Behandlungsqualität.

  • Die Wertstellung der Physio- und Ergotherapie für die Rehabilitation von Unfallverletzten wurde im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren erstmalig und nachhaltig festgeschrieben.

  • Die erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) und ggf. die berufsgenossenschaftlich stationäre Weiterbehandlung (BGSW) sind weitere Eckpfeiler der medizinischen Rehabilitation auf dem Weg zur beruflichen Integration, die ggf. über eine ärztlich überwachte Arbeits- und Belastungserprobung realisiert wird.

Viele Verfahren des berufsgenossenschaftlichen Behandlungssystems wurden in der Vergangenheit von anderen Kostenträgern übernommen oder letztere profitieren indirekt — z. B. durch die Kompetenz der Behandlungszentren — davon.

Die Unfallversicherungsträger haben mit ihrem System v. a. Organisationsformen vorgegeben, die aktive Steuerung wurde im Vertrauen auf das vorhandene Netzwerk medizinischer Partner eher zurückgestellt [1]. Aufgabe eines berufsgenossenschaftlichen Sachbearbeiters waren in diesem Konzept die Klärung und Ermittlung der verwaltungsorientierten Aspekte (Unfallzusammenhang, Versichertenansprüche, Rentenverfahren) und weniger die direkte Einflussnahme auf den Ablauf des medizinischen Heilverfahrens. Erst bei mehr oder minder großen Auffälligkeiten (Störungen) erfolgte ein Eingriff ins medizinische Heilverfahren, wobei sich in den letzten Jahren die so genannte „Weller-Tabelle“ als Expertensystem zur gezielten Prognose des Wiedereintritts der Arbeitsfähigkeit auf der Grundlage bestimmter Parameter (Diagnose, Alter und Tätigkeit des Versicherten, Art der medizinischen Behandlung) als hilfreich zur Identifikation von Problemfällen bewährt hat [1, 9]. Dabei wurde registriert, dass allein der Hinweis an die behandelnden Ärzte, dass die erfahrungsorientierte (durchschnittliche) Arbeitsunfähigkeit absehbar endete, bereits zu einer statistisch signifikanten Verkürzung der Heilverfahrensverläufe führte [1, 4].

Inzwischen hat das nach Prof. Weller als Autor benannte und von ihm gepflegte Werk bei vielen Berufsgenossenschaften Eingang in die tägliche Arbeit der Sachbearbeiter gefunden. Ausgehend von einer genauen Verletzungsklassifikation (Diagnosevalidierung) werden ideal typische Therapien angezeigt und Prognosen zur Arbeitsunfähigkeitsdauer, medizinische Komplikationsmöglichkeiten, absehbare berufliche Schwierigkeiten und Interventionszeitpunkte vorgegeben [4].

Die permanente Pflege der Daten durch laufende Integration aktueller Verläufe führt zu einer Aktualisierung und lässt zunehmend wirtschaftliche Vergleiche über die Fallkostenentwicklungen zu. Denkbar wäre für die Zukunft die Nutzung der Daten als Qualitätskontrolle, wenn Problemverläufe identifiziert, Gründe ermittelt und mit „Idealverläufen“ verglichen werden können.

Es ist somit nicht erstaunlich, dass Aufgabenbereiche eines beratenden Arztes in der Vergangenheit vorwiegend die

  • Erläuterung von Zusammenhangsfragen,

  • Beratungen zur Schlüssigkeit von Gutachten,

  • Hilfe bei juristischen Problemen (Widerspruchsverfahren, Sozialgerichtsprozessen, Regressansprüche) und

  • Stellungnahmen zur Angemessenheit von Behandlungs- und Arbeitsunfähigkeitsdauern waren.

Eliminiert man Beratungsleistungen bei genehmigungspflichtigen Rehabilitationsmaßnahmen (EAP, BGSW), bei nicht standardisierten Behandlungsmethoden („Alternativmedizin“) und bei Fragen der Hilfsmittelversorgung, nahmen Beratungstätigkeiten zur eigentlichen medizinischen Heilverfahrenssteuerung nur einen geringen Umfang der Gesamtberatungszeit ein.

Beratungsarzt und Datenschutz

Gerade der „traditionelle Bereich“ der Beratungsarzttätigkeit ist in den vergangenen Jahren in den Fokus der Datenschützer geraten. Reibungspunkt ist die Frage, ob Stellungnahmen der beratenden Ärzte Gutachten im Sinne der Vorschrift §200 Abs. 2 SGB VII sind.

Grundsätzlich sind zwar Berufsgenossenschaften der Meinung, dass die Stellungnahmen der Beratenden Ärzte nicht als Gutachten anzusehen sind, jedoch wies der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in seinem 17. Tätigkeitsbericht darauf hin, dass eine Beurteilung der Zusammenhangsfrage im Rahmen der haftungsbegründenden bzw. -ausfüllenden Kausalität für eine Gutachtereigenschaft sprechen würde.

Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften formulierte zum Thema Datenschutz in einem Rundschreiben 006/2003 vom 28.08.2003, dass sich die Mitwirkungen des intern tätigen Beratungsarztes auf folgende Sachverhalte beschränken sollten:

  • Unterstützung und Beratung der Sachbearbeiter bei der Aufklärung des medizinischen Sachverhalts,

  • Klärung der Diagnose,

  • Überprüfung der Schlüssigkeit bereits vorliegender Gutachten.

Es wird davon ausgegangen, dass von einer beratenden Stellungnahme nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn komplexe (Zusammenhangs)-Fragen zu beurteilen sind oder ausführliche Zweitexpertisen zu bereits vorhandenen Gutachten angefordert werden oder beabsichtigt ist, diese als Beweismittel in das Verwaltungsverfahren einzuführen. Aus Sicht einiger Berufsgenossenschaften führt diese Sichtweise allerdings dazu, dass das gesamte bisherige Beratungsarztverfahren in Frage zu stellen wäre. Eine Konsequenz könnte sein, dass der Beratungsarzt formal noch eindeutiger als bislang zum Teil der Verwaltung wird, sodass formal und praktisch klargestellt wird, dass er als Teil der „speichernden Stelle“ tätig ist und seine Beratung nicht Beweismittel, sondern Teil der Verwaltungsermittlung ist.

Aus der Diskussion um den berechtigten Datenschutz ergibt sich, dass der Sachbearbeiter mehr noch als in der Vergangenheit qualifiziert ausgebildet in die Lage versetzt werden muss, auf dem Boden von Vergleichsfällen sachgerechte individuelle Entscheidungen aus Verwaltungssicht zu formulieren, die ggf. beratungsärztlich nur noch auf ihre Schlüssigkeit (Fehlerprüfung) kontrolliert werden müssen.

Es bleibt abzuwarten, welche der widersprüchlichen Ansichten in Zukunft rechtlich als „richtig“ anzusehen sind. Der Schutz der Sozialdaten hat im medizinischen Bereich schon immer einen hohen Stellenwert, inwieweit er zur Klärung gesetzlicher Ansprüche aufgeweicht werden kann (muss?), ist sicherlich nicht durch den Arzt zu entscheiden, der in einem Verwaltungsentscheidungsprozess „nur“ die Stelle eines Beraters einnimmt.

Berufsgenossenschaftliches Heilverfahren

Neuorientierungen der BG/Optimierungsbedarf

Es liegt in der Natur von Erkrankungen und Verletzungen, dass nicht in jedem Fall die vollständige Wiederherstellung der körperlichen Integrität gelingen kann. Insbesondere nach Unfällen verbleiben nicht selten auch bei optimaler Therapie leistungsmindernde Folgen. Auch ein bestmögliches Behandlungssystem wird aufgrund der Schwere einer Primärverletzung bzw. wegen nie vollständig vermeidbarer Komplikationen Unfallfolgeschäden nicht verhindern können.

Analysiert man individuelle Verläufe oder auch größere Fallzahlen einzelner Verletzungen, fällt auf, dass trotz der generell hohen Effektivität und Qualität des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens individuelle Fehlleistungen medizinischer Vertragspartner und/oder Schwierigkeiten, begründet aus dem Umfeld oder der Persönlichkeit des Versicherten, v. a. besondere Umstände der Arbeitsplatzsituation, zu nicht ausreichenden Behandlungs- oder Integrationsergebnissen mit langen Laufzeiten und damit verbunden hohen Kosten führen [1, 4, 5, 9]. Froese [3] formulierte als wichtigste Gründe:

  • Over-/Undertreatment bei Diagnostik und Therapie

  • Maximierung/Minimierung der Verweildauer in den unterschiedlichen Phasen der medizinischen Behandlung und Rehabilitation

  • Fehlende inhaltliche oder zeitliche Verzahnung der Phasen der Rehabilitation

  • Verspätetes Erkennen beruflicher oder sozialer Folgewirkungen des Unfalls

  • Verspäteter Beginn der Beschaffung ergänzender Leistungen zur Rehabilitation

  • Fehlende oder im Zeitverlauf sinkende Motivation des Betroffenen zur Rehabilitation.

Nehls [8] hatte 2000 auf die im Lauf eines Heilverfahrens auftretenden Schnittstellenproblematiken hingewiesen, verschiedene Studien der Landesverbände der gewerblichen Berufsgenossenschaften haben auf die Problematik fehlender Kommunikation, beginnend mit einer verspäteten Erstattung von Durchgangsarztberichten, hingewiesen.

Ein Projekt zur Qualitätssicherung in der Rehabilitation der gesetzlichen Unfallversicherung im Auftrag des Bundesverbandes der Unfallklassen (BUK), erstellt durch den Arbeitsbereich Rehabilitationswissenschaften des Instituts für Psychotherapie und medizinische Psychologie der Universität Würzburg, identifizierte als Schwachstellen und somit als Ansatzpunkte zur Verbesserung des berufgenossenschaftlichen Heilverfahrens:

  • Entwicklungspotenzial im D-Arzt-System für die Beseitigung von Kommunikationsproblemen

  • transparentere Kooperation zwischen Verfahrensbeteiligten

  • Verbesserungspotenzial im Berichtswesen (knüpft erneut am Kommunikationsproblem an)

  • Kenntnisdefizit bei den Ärzten um die Abläufe in berufsgenossenschaftlichen Verwaltungen.

Wirtschaftliche Aspekte

Es kann nicht verborgen bleiben, dass sich (auch) die gewerblichen Berufsgenossenschaften berechtigten wirtschaftlichen Forderungen ihrer Mitgliedsunternehmen als Kostenträger beugen müssen. Sie haben dabei die besondere (gesetzlich und ethisch verankerte) Verantwortung den Versicherten gegenüber, die Qualität der Rehabilitation zu erhalten — besser noch zu steigern — zu berücksichtigen. Die berufsgenossenschaftlichen Verwaltungen werden damit konfrontiert, dass die Mitgliedsunternehmen im internationalen Wettbewerb auf möglichst niedrige Lohnnebenkosten angewiesen sind, andererseits werden sie als Versicherer mit gesetzlichem Aufgabenbereich durch viele individuelle Entwicklungen mit einem erhöhten Kostendruck konfrontiert. Dies sind nach Froese [3] u. a.

  • Der medizinisch technische Fortschritt mit immer moderneren, kostenträchtigeren Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie,

  • die demografische Entwicklung mit einer immer älter werdenden Bevölkerung und dadurch altersbedingt höheren Kosten für die Rehabilitation,

  • die u. a. durch die Möglichkeiten des Internets zunehmende Aufgeklärtheit der Versicherten, die die Beanspruchung einer umfassenden, intensiven und hochmodernen medizinischen Behandlung und Rehabilitation nach sich zieht,

  • die Verdiensterwartung der Leistungserbringer, die jeder für sich an möglichst hohen Einnahmen durch umfangreiche und hochwertige Leistungen zu höchstmöglichen Preisen interessiert sind — und dies teilweise bei einer wachsenden Anzahl von Ärzten und Therapeuten.

Rehabilitationsmanagement aus Sicht des Unfallversicherungsträgers

Sind die Berufsgenossenschaften nicht nur rechtlich legitimiert, sondern sogar aufgefordert, im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und Rehabilitation zu bestimmen, ist die Fortentwicklung der Heilverfahrenssteuerung von einer „Delegation“ auf geeignete Partner als Vergangenheitssystem zum aktiven Eingreifen in geeigneten Fällen nur konsequent.

Es gibt an der täglichen Praxis orientierte Analysen, die bei mehr oder minder großen Fallzahlen den qualitativen und auch medizinischen Wert einer aktiven Einflussnahme der Verwaltung belegen [4, 5, 6]. Zwar ist die Messbarkeit (Vergleichbarkeit) von Rehabilitationseffekten und erst recht von individuellen Parametern wie der Heilverfahrenssteuerung unter streng wissenschaftlich Kriterien diskutabel. Allerdings sind Gründe für das „Entgleisen“ von Heilverfahren hinreichend bekannt, belegt man, dass nach aktiver Steuerung eine fallindividuelle Prognose bezüglich Behandlungsergebnis und beruflicher Integration sicher erreicht wird, ist der Nutzen allein durch die Vermeidung der unnötigen ausufernden Heilverfahren bereits belegt. Es wird allerdings bei praxisnaher Auswertung aller komplexen Aufgaben der Berufsgenossenschaften deutlich, dass schon wegen der bestehenden Diskrepanz zwischen benötigtem geschultem Personal und riesigen Unfallzahlen, selbst wenn man Bagatellfälle nicht berücksichtigt, eine komplette Steuerung aller Unfälle nicht möglich sein kann.

Darüber hinaus würde eine grundlegende Änderung der praktizierten und erprobten Heilverfahrenssteuerung weder medizinisch plausibel noch wirtschaftlich sinnvoll sein. Jedes „mehr“ an Verwaltung wird zunächst nur zu höheren Kosten führen, die nur durch Effekte auf der Ausgabenseite gegengerechnet werden könnten. Ein „gut“ laufendes Heilverfahren bietet kein oder nur ein unwesentliches Einsparpotenzial.

Die Analyse von größeren Fallzagen bestätigt, dass eine allumfassende Steuerung nicht notwendig ist. Eine besondere aktive Heilverfahrenssteuerung ist für eher wenige und nicht immer nur schwere Verletzungen sinnvoll. Auswahlkriterien können sein

  • Verletzungsschwere

  • Verletzungsausmaß und beruflicher Anspruch

  • Komplikationsträchtigkeit

  • zu erwartende Dauerfolgen.

Ist z. B. ein „Fersenbeinbruch“ häufig ein Problemfall, sind ein schweres Thoraxtrauma oder eine lebensbedrohliche stumpfe Bauchverletzung mehr eine „akutmedizinische“ Aufgabe mit durchaus guter Prognose als ein — aus Sicht des Heilverfahrens — berufsgenossenschaftliches Problem.

Konzepte zur sinnvollen weitergehenden Integration berufsgenossenschaftlicher Mitarbeiter in die Rehabilitation gibt es seit mehr als 5 Jahren. Sie unterscheiden sich aufgrund ihrer grundsätzlichen Ausgangssituation, gleichen sich aber in ihrer Zielsetzung.

Rehabilitationsmanagement der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)

Die SUVA betreut Schwerverletzte bereits seit mehreren Jahren durch spezialisierte Rehabilitationsmanager. Die Fallverteilung erfolgt ausgehend von der Primärdiagnose und ggf. gemeldeter Komplikationen. Die SUVA-Mitarbeiter stellen bereits in der Frühphase den Kontakt mit den Geschädigten sicher, sorgen im Einklang mit den behandelnden Ärzten für den sachgerechten Behandlungsverlauf und bereiten die berufliche Integration vor.

Neben seinen in einer spezialisierten Ausbildung gewonnenen Kenntnissen der Rehabilitationsanforderungen greift der „Reha-Steuermann“ der SUVA auf fest angestellte Beratungsärzte zurück, die individuelle Fallhilfen geben.

Die Effektivität dieser Steuerung lässt sich direkt an den wirtschaftlichen Auswirkungen belegen. Da in der Schweiz ein konkretes Entschädigungssystem besteht, führt jede Verbesserung des „Outcome“ zu messbaren Einsparungen durch verringerte Folgekosten (Rentenleistungen).

Dialogisches Rehabilitationsmanagement der Verwaltungs-BG

Dieses Konzept gründet auf der Erkenntnis, dass konfrontative Strategien zwischen Kostenträger, Leistungserbringer und Versichertem wenig Erfolg versprechend für eine erfolgreiche Rehabilitation sind. Ohne die zielgerichtete Kooperation aller Beteiligten ist eine optimale Behandlung nicht gewährleistet.

Die Kernelemente des Verfahrens sind:

  1. 1.

    Frühestmögliche Identifikation von Diagnosen/Komplikationen als Voraussetzung für die Aufnahme ins Verfahren

  2. 2.

    Persönlicher Erstkontakt mit Verletztem und behandelndem Arzt

  3. 3.

    Entwicklung und ggf. Fortschreibung und Weiterverfolgung des individuellen Rehabilitationsplans.

Diese einzelnen Schritte lassen bereits erkennen, dass an verschiedenen Punkten beratungsärztliche Aufgaben entstehen. Diese beginnen bei der Entwicklung sachgerechter Leitlinien für die Behandlung der wichtigsten Diagnosen unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeiten des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Sowohl bei der Identifikation möglicher Rehabilitaionsfälle als auch bei der Individualisierung der Rehabilitationspläne und bei der Überwachung entsteht immer dann Beratungsbedarf, wenn außerhalb dieser vorgegebenen Leitlinien Klärungs- bzw. Entscheidungsbedarf besteht und/oder ein Kontakt mit dem behandelnden Arzt nicht hergestellt werden kann [3].

Eine aktive Einbindung von Beratungsärzten kann das Kommunikationsdefizit abfedern. Auch wenn es keine logischen Gründe geben dürfte, ist es für einen Arzt leichter, einen anderen Arzt zu erreichen, als dies auf der Ebene Sachbearbeiter/Arzt der Fall ist.

Die Fallidentifikation erfolgt in der Regel diagnoseorientiert, zentrales Element der Steuerung ist die persönliche Kontaktaufnahme in einem vorgegeben Zeitfenster.

Unfallmedizinischer Service — Der Arzt als aktiver Teilnehmer im Beratungswesen der BG

Als Pilotprojekt der BG Nahrungsmittel und Gaststätten wurde im Jahr 2002 ein „Unfallmedizinischer Service“ als Beratungselement für Versicherte eingeführt [1]. Das Projekt basierte auf bereits langjährigen guten Erfahrungen dieser BG mit der Beratung ihrer Versicherten bei Berufserkrankungen (v. a. Allergien). Die Einbindung spezialisierter Ärzte in die Beratung der Versicherten unter Einbindung von Sachbearbeitern und Berufshelfern hatte bereits über Jahrzehnte exzellente Ergebnisse insbesondere in der Prävention von Krankheitsfortentwicklungen und durch den Erhalt von Arbeitsplätzen erbracht.

Ausgangspunkt für die Einführung eines Beratungssystems auch im unfallmedizinischen Bereich war zunächst die Kenntnis, dass in nicht unerheblichem Maß Integrationsprobleme in die berufliche Tätigkeit Grund für die Verlängerung des medizinischen Behandlungsverlaufs waren und somit eine leistungsorientierte Beratung unter besonderer Berücksichtigung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben sinnvoll erschien.

Weitere Gründe für die aktive Kontaktaufnahme mit den Versicherten waren u. a. unplausible Arbeitsunfähigkeitsdauern, Kommunikationsprobleme mit den Leistungserbringern und nicht schlüssige Therapieinformationen. Leitmerkmal für die Überschreitung der Heilverfahrensdauer waren die Vergleichsdaten der „Weller“-Tabelle, die ein aktives Vorgehen der Verwaltung einforderten.

Die Versicherten werden auf freiwilliger Basis zu einer Beratung in den Sitz der Verwaltung eingeladen. Aufgabe des beratenden Arztes ist die Vorbereitung des Dialogs „Versicherter — Unfallsachbearbeiter — Berufshelfer“. Er soll aus fachärztlicher Sicht klären, ob und wenn ja welche medizinischen Therapieoptionen zum Zeitpunkt der Vorstellung (noch) bestehen. Zentrale weitere Aufgabe ist die Erstellung des individuellen positiven/negativen Leistungsbilds, damit die Mitarbeiter der berufsgenossenschaftlichen Verwaltung das Gespräch entsprechend steuern können.

Konkret erfolgt unmittelbar vor dem Gespräch Sachbearbeiter-Versicherter ohne Zeitdruck eine orientierende Untersuchung durch den beratenden Arzt, wobei allgemeine Anamnese, berufliche Anforderungen und die spezielle (verletzungsbezogene) Vorgeschichte vollständig erhoben werden. Die klinische Untersuchung hat zwar keinen gutachterlichen Umfang (kein Messblatt, keine Röntgenuntersuchungen), umfasst aber alle medizinischen Aspekte, die für weitere Therapieoptionen und für ein positives/negatives Leistungsbild als Basis von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben geeignet sein können. Eine schriftliche Dokumentation der Befunde wird immer angefertigt und dem Versicherten und dem Sachbearbeiter zur Verfügung gestellt und ggf. bei Einverständnis (Datenschutz) dem behandelnden Arzt zugesandt.

Therapieoptionen werden als Empfehlung formuliert und nicht verordnet, damit der notwendige Kontakt zwischen D-Arzt und Patient nicht in Fage gestellt wird. Bei differenzialdiagnostischen Erwägungen oder evtl. konträr erscheinenden Einschätzungen wird Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufgenommen, nur in sehr seltenen Fällen ist eine Zuweisung in spezialisierte Einrichtungen erforderlich.

Nicht zuletzt um den Dienstleistungsgedanken dieser an den Bedürfnissen der Versicherten orientierten Beratung zu kennzeichnen, wurde die ärztliche Beratung als „unfallmedizinischer Service“ etabliert und benannt.

Ergebnisse

Die Beratung der Versicherten erfolgte seit Mitte 2002 sowohl in der Bezirksverwaltung Mannheim der BG Nahrungsmittel und Gaststätten als auch in der Bezirksverwaltung Mainz der Verwaltungs-BG (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Auswertung Juni 2002–Juni 2003, n=353 Versicherte der Verwaltung-BG sowie der BG Nahrungsmittel und Gaststätten, a Vorstellungsgründe für Rehabilitationsgespräch, Verl. Schwere Verletzungsschwere, Ber. Wunsch Beratungswunsch, GA’s Gutachten, b Beratungsergebnis des unfallmedizinischen Service, Berufsh. Berufshilfe, a.f. arbeitsfähig, WO. Wochen, c Nebeneffekte aus einem Teilzeitraum (Januar 2003–Juni 2003, n=155 Patienten)

Jährlich werden zwischen 500 und 600 Patienten beraten. Die Vorstellungsgründe haben sich zwischenzeitlich modifiziert. Lediglich noch 1/3 der Versicherten wurden eingeladen, weil die Fortdauer des Heilverfahrens nicht plausibel erschien. Bei 1/3 der Versicherten war bereits aufgrund von Verletzungsschwere und beruflicher Tätigkeit eine Beratungsnotwendigkeit identifiziert und frühzeitig prospektiv geplant worden. Bei 1/3 der Versicherten ergab sich die Beratungsnotwendigkeit aus dem engeren persönlichen Kontakt zwischen Sachbearbeitung und Versicherten — vielfach als „Beratungswunsch“ bzw. bei unplausiblem Heilverlauf.

Die Annahme des Projekts durch die Versicherten machte sich nicht nur durch den steigenden Wunsch nach aktiver Beratung deutlich, auch eine anonymisierten Befragung am Ende der Beratung ergab bei einer Rücklaufquote von 92% eine vorbehaltlos positive Bewertung von 91% der Versicherten. Nur 9% beurteilten die Maßnahme als eher unnötig oder hatten keine spezielle Meinung.

Naturgemäß änderten sich die Beratungsgründe und auch die Ergebnisse im Lauf der Zeit ebenfalls. Wurden in der Anfangsphase in hohem Maß Patienten beraten, deren Heilverfahren als „Langläufer“ auffällig wurden, wurde die Beratung im letzten Jahr deutlich früher im Heilverfahren durchgeführt und entsprechend früher aktiv in dieses eingegriffen.

Wurden zum Beginn des Projekts viele Heilverfahren meist kurzfristig abgeschlossen bzw. notwendige Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben geklärt und sofort eingeleitet, nahm im letzten Jahr mehr der Anteil der Versicherten zu, bei denen das Rehabilitationskonzept insbesondere im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit modifiziert (zu 95% qualitativ oder quantitativ gesteigert) wird.

Durch die frühzeitige Beratung in der Verwaltung werden deutlich früher als in der Vergangenheit, d. h. überlappend mit dem Ende der medizinischen Rehabilitation, die berufliche Integration abgeklärt und ggf. mit Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben verzahnt.

Schlussfolgerungen

Berücksichtigt man die gesetzlichen Aufgaben einer BG und aus heutiger Sicht einer Verwaltung hinsichtlich der einzelnen Teilaspekte des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens von der Ermittlung des Unfallzusammenhangs bis hin zur Integration eines Unfallverletzten in sein berufliches und soziales Umfeld, modifizieren sich die Anforderungen an die Sachbearbeitung und hieraus die Ansprüche an eine beratungsärztliche Unterstützung. Die Aufgaben des Beratungsarztes heute und in der nächsten Zukunft definieren sich neu aus modifizierten Aufgaben, einem sich ändernden zeitlichen Umfang und auch dem Ort und der Art der Leistungserbringung. Weniger „Aktenbearbeitung“ und mehr der direkte Kontakt mit dem Sachbearbeiter und — je nach Verwaltungskonzept — auch mit den Versicherten stehen im Vordergrund des Anforderungsprofils (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Arbeitsaufträge an den Beratungsarzt, a Juni 2002, wenig persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Sachbearbeiter, vorwiegend Aktenbearbeitung, b Juni 2005, Verschiebung durch mehr Vorlagen und geänderte Anforderungen, direkte Fallbesprechung mit dem Sachbearbeiter

Bei den Ermittlungen des Unfallzusammenhangs besteht allein schon aus Datenschutzgründen für die Sachbearbeitung Ausbildungsbedarf. Wenn die Stellung des Beratungsarztes in der Klärung der Zusammenhangsfrage in Zukunft weiter kritisch bewertet wird, muss der Sachbearbeiter mehr noch als in der Vergangenheit in die Lage versetzt werden, selbstständig nach eigenen Ermittlungen und in Kenntnis der gängigen Entscheidungskriterien die Zusammenhangentscheidung vorzubereiten und schlussendlich auch zu treffen und zu begründen.

Ziel einer konsequenten Weiterbildung kann sein, die Menge der Zusammenhangsbegutachtungen auf die Fälle zu reduzieren, bei denen tatsächlich der Zusammenhang abzulehnen ist. Liegen ausreichend Kriterien für die Anerkennung eines solchen vor, sollten diese zu ermitteln sein und im Interesse des Versicherten und eines störungsfreien Heilverfahrens bereits auf dem Verwaltungsweg zu einer Anerkennung führen.

Neue Aufgaben für den Beratungsarzt ergeben sich im weiten Umfeld der Heilverfahrenssteuerung. Unter Berücksichtigung der notwendigen Bandbreite medizinischer Behandlungsvariationen muss er bei der Entwicklung berufsgenossenschaftlicher Strategien zur Heilverfahrenssteuerung (Leitlinien) Hilfestellungen leisten und im konkreten Fall beratend eingreifen.

Eine herausragende Aufgabe in der Zukunft wird sein, mit den Sachbearbeitern die Fälle zu identifizieren, die sinnvoll einer intensiveren Steuerung durch die Verwaltung zu unterziehen sind.

Ein allumfassendes „Einmischen“ der Verwaltung in Heilverfahrensprozesse würde allein bereits durch steigende Personalkosten zu einer nicht akzeptablen wirtschaftlichen Belastung der Kostenträger führen, andererseits kommt es durch das frühzeitige Eingreifen und eine aktive Steuerung in geeigneten Fällen im Sinne der Versicherten zu einer Verbesserung der Qualität der Behandlung und gleichzeitig zur verbesserten Wirtschaftlichkeit des Einzelfalls.

Fazit

Die Rolle des Beratungsarztes wird sich aus Sicht eines der wenigen derzeit hauptamtlich für eine bzw. mehrere Berufsgenossenschaften tätigen Arztes insoweit ändern, dass sich die Aufgaben eines Beratungsarztes modifizieren und v. a. einen größeren zeitlichen Umfang einnehmen werden. Die Tätigkeit des Beratungsarztes wird dadurch jedoch nicht zu einer hauptamtlichen Beschäftigung werden.

Für eine erfolgreiche Beratungsarzttätigkeit allein maßgeblich sind die persönliche Qualifikation und eine auf die Bedürfnisse der Verwaltung abgestimmte zeitliche Präsenz in der Verwaltung.