Epidemiologie und Nomenklatur

Eine Vielzahl von Begriffen wurden in der Vergangenheit synonym für das klinische Bild der Algodystrophie verwendet. Da die Bezeichnungen „Sudeck-Dystrophie“ oder „sympathische Reflexdystrophie“ eine pathophysiologische Grundlage implizieren, die so nicht immer zugrunde liegt, wurde die Nomenklatur geändert [26]. Die aktuelle Bezeichnung wurde 1994 eingeführt und deutet auf die Zugehörigkeit des CRPS zu den neuropathischen Schmerzsyndromen hin [14]. Jährlich entstehen dem Gesundheitswesen enorme Kosten aus der Fehleinschätzung und der daraus resultierenden falschen Behandlung der Patienten. Der Altersdurchschnitt der Erkrankten liegt bei etwa 50 Jahren. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer [1].

Differenzierung des CRPS

Zur genaueren Unterscheidung wird das CRPS in 3 Gruppen eingeteilt, dabei werden die ersten beiden Formen anhand einer möglichen Nervenbeteiligung differenziert [24]:

  • CRPS I

    Es handelt sich um ein komplexes regionales Schmerzsyndrom, bei dem dem Pathomechanismus keine Nervenverletzung zugrunde liegt.

  • CRPS II

    Hier treten die Symptome aufgrund einer Nervenverletzung auf. Weir Mitchel (1872) beschrieb dieses Krankheitsbild als „Kausalgie“.

  • CRPS III

CRPS-Symptomatik

Leitsymptome

Oft zeichnet sich ein stadienhafter Verlauf ab, wobei als Leitsymptom immer der Schmerz im Vordergrund steht [20]. Besonders störend wird von den Patienten die Allodynie empfunden. Hier kommt es bereits bei kleinster Berührung zu einer überschießenden Schmerzwahrnehmung.

Zum klinischen Bild gehören auch die autonomen Störungen, wodurch Hautveränderungen mit Effloreszenzen sowie Hyper- oder Hypopigmentierungen möglich sind. Außerdem können Hypertrichose, Ödembildung und Glanzhaut auftreten. Besonders die teigige Schwellung imponiert häufig zu Beginn der Erkrankung [3]. Weiterhin wurden gestörtes Wachstum der Fingernägel sowie in schweren Fällen Durchblutungsstörungen und Ulzerationen beobachtet [29].

Diese autonomen Veränderungen werden unter dem Begriff der trophischen Störungen zusammengefasst. Temperaturunterschiede zur Gegenseite kommen ebenfalls vor und dokumentieren eine veränderte Durchblutungssituation bzw. eine Entgleisung der Regulationsmechanismen, die für diese verantwortlich sind.

Generalisierung

Sowohl durch die starken Schmerzen als auch aufgrund der Schwellungszustände kommt es zu massiven Bewegungseinschränkungen, die sich auch in Form eines Intentionstremors, als zentraler Komponente, widerspiegeln können [18]. In der Regel breitet sich die Symptomatik über das traumatisierte Areal hinaus aus. In seltenen Fällen ist die gesamte Körperhälfte betroffen [12].

Aufgrund des chronischen Verlaufs wird ein Großteil der Patienten, abhängig von ihrer psychosozialen Situation, verhaltensauffällig, sodass therapeutisch eine psychologische Mitbetreuung ratsam ist [5].

Pathophysiologie

Bezüglich der genauen CRPS-Entstehungsmechanismen besteht weiterhin Unklarheit [2]. Als auslösendes Trauma genügt eine Bagatellverletzung. Das Ausmaß der Symptomatik korreliert nur selten mit dem später geäußerten Beschwerdebild. Aufgrund tierexperimenteller Studien wird eine überproportionale Stimulation von nozizeptiven Afferenzen angenommen [11]. Weiterhin konnte in einem Rattenmodell, in dem artifiziell ein CRPS induziert wurde, eine Zunahme von NMDA-Rezeptoren im ZNS nachgewiesen werden [28]. Mittlerweile ist das Vorhandensein von zentralen Veränderungen, insbesondere auf kortikaler Ebene, aufgrund zahlreicher in der Vergangenheit publizierter Arbeiten als pathophysiologischer Faktor allgemein anerkannt [4].

Wir konnten in eigenen Studien nachweisen, dass bei Blockade der NMDA-Rezeptoren eine signifikante Remission der kortikalen Veränderungen stattfindet. Weiterhin kam es zu einer deutlichen Verbesserung des klinischen Gesamtbildes hinsichtlich trophischer Störungen, Bewegungsumfänge und Schmerzangabe der Patienten [22].

Die zentralen Veränderungen können jedoch die peripheren Symptome nicht hinreichend erklären, insbesondere auch die teigige Schwellung, die als Folge auch lokaler Veränderungen auftritt. Aus histologischen Präparaten aus dem Gewebe von CRPS-Patienten wurde eine veränderte Rezeptordichte der Katecholaminrezeptoren nachgewiesen [7]. Hierdurch kommt es zu Perfusionsveränderungen im Gewebe, die zu einer Erhöhung des kapillaren Filtrationsdrucks führen. Daraus resultieren Ödembildung und Schwellung in der betroffenen Extremität, wie sie häufig im akuten Stadium als klinisches Bild eindrucksvoll imponieren (Abb. 1) [23].

Abb. 1
figure 1

Ödembildung, Hypertrichose, Rötung und prominente Schwellung bei einem 42-jährigen Patienten mit fulminanter CRPS-Form nach Handgelenkdistorsion

Im Rahmen der lokalen Entgleisung kann eine Kopplung aus noradrenergen sympathischen Axonen und afferenten Neuronen stattfinden, wodurch die sympathische Erregung auf das afferente Neuron übertragen wird. Das Durchbrechen dieser pathologischen Verbindung ist die Basis der Schmerzausschaltung durch die Sympathikusblockaden [17]. Der daraus resultierende Schmerz wird als sympathikusinduzierter Schmerz oder SMP („sympathetically maintained pain“) bezeichnet.

Sowohl durch die Immobilisation (iatrogen oder schmerzbedingt) als auch durch die Ödembildung und Stoffwechsellage kommt es an den Bandapparaten und Gelenkkapseln zu vermehrter Narbenbildung und den allseits bekannten schweren Kontrakturen der Fingergelenke.

Diagnose

Sie wird in der Regel aufgrund des klinischen Bildes und nach Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen gestellt [28]. Hierbei ist besonders an rheumatische Erkrankungen, Arthrosen oder Nervenkompressionssyndrome zu denken.

Klinisch ist eine Röntgenaufnahme der betroffenen Hand in einer vergleichenden Aufnahme mit der gesunden Gegenseite häufig richtungweisend, da es zu lokalen Entkalkungen und fleckförmigen Demineralisationszeichen kommt. Im ersten Jahr nach Entstehung eines CRPS ist auch die 3-Phasen-Skelett-Szintigraphie häufig positiv, sodass sie zum Ausschluss zweifelhafter Verläufe (Aggravationsverhalten, usw.) und zur Diagnosestellung herangezogen werden kann [30]. Verschiedene thermographische Verfahren sollen Temperaturunterschiede zur gesunden Gegenseite aufdecken, wobei deren klinische Relevanz eher gering einzuschätzen ist, zumal das klinische Bild in der Regel im Tastbefund sehr deutlich ausfällt. Zur Verifizierung einer gestörten Funktion der Hautanhangsgebilde (Schweißdrüsenfunktion) wird der Ninhydrintest empfohlen, um Unterschiede in der Hautbefeuchtung zu erfassen. Zum Ausschluss von peripheren Nervenverletzungen, die bei einem CRPS Typ II auftreten, wird neben der eingehenden klinischen Untersuchung (2-Punkte-Deskrimination, Sensibilitätsprüfung, Kraftgrade, usw.) auch eine elektrophysiologische Diagnostik empfohlen [28].

Therapie

Grundsätze/interdisziplinärer Ansatz

Zunächst steht eine symptomorientierte Behandlungsstrategie im Vordergrund, deren vordringliches Ziel die Behandlung der Schmerzen, Bewegungseinschränkungen sowie der trophischen Veränderungen ist. Bezüglich einer suffizienten Schmerzmedikation sollte stets die Zusammenarbeit mit einem Schmerztherapeuten gesucht werden [26]. Ein interdisziplinäres Vorgehen ist immer wünschenswert und berücksichtigt die unterschiedlichen Behandlungsdisziplinen (Tabelle 1).

Tabelle 1 Zusammenfassung der unterschiedlichen Behandlungsstrategien beim CRPS

Die Therapie wird mit den üblichen Basisanalgetika begonnen (nichtsteroidale Antirheumatika usw.). Aufgrund des Feedbacks durch den Patienten kann die Analgetikagabe gesteigert oder mit Medikamenten aus anderen Gruppen kombiniert werden (Opioide, Antidepressiva, β-Blocker usw.) [21].

Aufgrund des bereits oben erwähnten positiven Effekts eines Psychologen auf die Wahrnehmung und Verarbeitung chronischer Schmerzen sollte dieser in die Behandlungsstrategie integriert werden. Hierbei kommen die Verhaltens- und Gesprächstherapie zur Anwendung, wobei die Zugänglichkeit für diese Behandlungsform von der Persönlichkeitsstruktur der Patienten abhängt [6].

Physio- und Ergotherapie

Eine weitere therapeutische Säule, der ein zentraler Stellenwert zukommt, ist durch das aktive und passive Beüben der Patienten im Rahmen der Physio- und Ergotherapie gegeben. Neben den mobilisierenden Übungen sollte auch ein nozizeptives neuromuskuläres Training erfolgen, wobei die Allodynie behandelt wird und die nozizeptiven Afferenzen herunterreguliert werden sollen [15]. Gerade durch das kontinuierliche „Bearbeiten“ der betroffenen Extremität wird das Entstehen eines Neglects — visuelles und funktionelles Ausblenden der erkrankten Extremität — vermieden [8]. Neben der rechtzeitig einsetzenden medikamentösen Schmerztherapie muss bei der Physio- und Ergotherapie der Schwerpunkt auf eine frühzeitige, primär visualisierte und später bewusst empfundene Berührung und Bewegung ohne Schmerz gelegt werden.

Bei der Physiotherapie wird häufig die manuelle Therapie eingesetzt, bei der Traktions-, Friktions- und Kompressionsverfahren angewandt werden. Diese sollen Gelenke mobilisieren und den Kapsel-Band-Apparat aufdehnen [23]. Lymphdränage, Ultraschall- und Laserbehandlungen werden individuell zur Unterstützung der Therapie eingesetzt.

Bei der ergotherapeutischen Behandlung werden alltägliche Belastungsmuster geübt („activity of daily life“: ADL) [8]. Hierunter sollen die Patienten schneller wieder in ihre alltäglichen Arbeiten und in ihr altes Leben eingegliedert werden. Weiterhin werden individuell verschiedene Schienen angepasst, die sowohl dynamisch als auch statisch auf die Verbesserung der Bewegungsumfänge einwirken sollen.

Stationäres (berufsgenossenschaftliches) Heilverfahren

Ihm kommt unter allen genannten Behandlungsmaßnahmen bei schweren Fällen eine zentrale Bedeutung zu [16].

Chirurgie

Operative Maßnahmen sind grundsätzlich zurückhaltend einzusetzen. Besonders bei den sympathikusinduzierten Verläufen kann jedoch eine operative Sympathektomie zur Linderung beitragen. Bevor ein solcher Eingriff erfolgt, sollte der Effekt durch eine invasive Sympathikusblockade geprüft werden [19]. In seltenen Fällen können Tenotomien (Kontrakturen) oder auch Arthrodesen sinnvoll sein. Diese Eingriffe sind jedoch bei akuten Verlaufsformen streng kontraindiziert.

Umstellungsosteotomien aufgrund fehlverheilter Schmerz auslösender Frakturen sind nach Möglichkeit außerhalb des akuten Stadiums und nach Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen einer CRPS-Therapie streng indiziert. Eine frühe Operation im akuten Stadium aufgrund starker Schmerzen infolge Fehlstellung muss indikatorisch immer sehr kritisch geprüft werden.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Die in der Vergangenheit häufig empfohlene Gabe von Kalzitonin hat sich in der Klinik langfristig nur als wenig wirksam herausgestellt, sodass hierzu nicht mehr geraten wird [9].

Unter Berücksichtigung der zentralen Komponente bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung des CRPS werden neuerdings immer häufiger zentralwirksame Medikamente eingesetzt. Hierzu ist auch Gabapentin zu rechnen, wobei es noch zu keiner breiten klinische Anwendung gekommen ist [7]. In unserer Klinik konnten wir eine Verbesserung der klinischen Gesamtsituation der Patienten und eine signifikante Reduktion der vorher pathologisch erhöhten Blutflussaktivität in den schmerzassoziierten Arealen auf der Hirnrinde im Rahmen einer Studie mit dem NMDA-Rezeptor-Antagonisten Memantin beobachten [22]. Auch hierzu ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Erfahrungen mit einem größeren Patientenkollektiv bislang fehlen.

Fazit für die Praxis

Das CRPS gehört in den Formenkreis der neuropathischen Schmerzsyndrome. Es ist gekennzeichnet durch eine prominente Schmerzsituation sowie trophische Störungen wie Hypertrichose, Ödembildung, Glanzhaut usw. Grundsätzlich werden 3 Typen voneinander unterschieden, wobei Typ I im Gegensatz zum CRPS Typ II keine Nervenbeteiligung aufweist. Diagnostisch gilt es v. a., andere Erkrankungen auszuschließen. Dabei steht das klinische Bild bei der Diagnosestellung im Vordergrund.

Die Behandlung des CRPS sollte idealerweise multidisziplinär erfolgen. Hierbei sollten Chirurg, Schmerztherapeut, Psychologe, Physio- und Ergotherapeut eng miteinander zusammenarbeiten. Die Verabreichung zentral wirksamer Medikamente (Gabapentin, Memantin) hat in aktuellen Studien einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf und die Rekonvaleszenz der betroffenen Extremität belegt. Die Verabreichung dieser Medikamente erfolgt derzeit jedoch weitgehend experimentell. Die langfristigen Ergebnisse an größeren Patientengruppen sind diesbezüglich noch abzuwarten.